"Wer in der modernen Welt nicht den Schwefel wittert,
hat keinen Geruchssinn"
- Nicolàs Gómez Dávila: "Auf verlorenem Posten" -
von
Werner Olles
Mitte Februar fällte der Hessische Verwaltungsgerichtshof in Kassel
sein endgültiges Urteil: Das Kreuz im Sitzungssaal des Dietzenbacher
Kreishauses muß auch künftig während der Kreistagssitzungen abgenommen
werden. In "Übereinstimmung mit dem Bundesverfassungsgericht" gestanden
die Richter jedermann einen "Abwehranspruch" zu, der mit dem Symbol der
christlichen Religion in öffentlichen Räumen konfrontiert wird, ohne
Möglichkeit des Ausweichens.
Im Falle des Dietzenbacher Kreuzes hatte die Kreistagsfraktion der
Grünen und deren stellvertretende Fraktionsvorsitzende Chmelik geklagt,
weil sie "die Verpflichtung des Staates zu religiöser Neutralität und
den Respekt vor allen Religionen und Weltanschauungen" verletzt sahen
(siehe Einsicht Nr. 6, Sept. 2OO2). Sie fühlten sich nunmehr "vollauf
bestätigt", während die Abgeordneten von CDU und Freien Wählern (FWG)
ihre Enttäuschung über den höchstrichterlichen Spruch zum Ausdruck
brachten. Der Kreistagsvorsitzende Faust (CDU) will das Kreuz jetzt vor
Beginn der Kreistagssitzungen abhängen, wenn Chmelik und ihre sechs
grünen Mitstreiter anwesend sind, um es anschließend wieder
anzubringen. Auch steht noch der Beschluß des Verwaltungsgerichts
Darmstadt in dieser Sache aus.
Während Bürgermeister von anderen Gemeinden des Kreises Offenbach
angesichts des Kasseler Richterspruchs jetzt vor Nachahmungstätern
bangen, weil auch in ihren Sitzungssälen - bislang unbeanstandet -
Kruzifixe hängen, geht man im Main-Taunus-Kreis offenbar den
umgekehrten Weg. Nach einem Antrag von Heiner Kappel (Die Freien Bürger
- dfb), als deutliches Zeichen des Bekenntnisses zur
christlich-abendländischen Kultur im Sitzungssaal des Kreises ein Kreuz
anzubringen, hat der CDU-Fraktionsvorsitzende Ulrich Krebs vor Beginn
der Plenarsitzung dem Kreistagsvorsitzenden Lauck (CDU) ein Kreuz
überreicht. Über seine Aufstellung muß jedoch zunächst der
Ältestenausschuß beraten. Allerdings hat die SPD-Fraktion bereits ihr
Unbehagen darüber ausgedrückt und darauf verwiesen, daß die staatliche
Neutralität gegenüber anderen religiösen Bekenntnissen nur unter
Verzicht auf das Anbringen von Kreuzen gewährleistet sei.
Kreistagsvorsitzender Lauck sieht das Kreuz hingegen als Symbol der
europäischen Christenheit und - kulturgeschichtlich und
religionssoziologisch sind halt auch einigermaßen gutwillige
Gewohnheitschristen auf den Hund gekommen, und vom Wesen der
christlichen Religion ist auch hier so gut wie nichts mehr bekannt -
als "Symbol des europäischen Humanismus".
Zwei Dinge lehren uns diese Debatten immerhin: Die Religion ist
entgegen des Geschwätzes einiger Neunmalkluger selbst in Deutschland
immer noch ein soziales Machtphänomen; und die Behauptung, daß zwischen
Religion und Gesellschaft oder zwischen Staat und Religion kein innerer
Wesenszusammenhang besteht, ist schlicht unwahr. Spätestens beim
Auseinanderbrechen des jugoslawischen Völkerkerkers in den neunziger
Jahren konnte man wieder einmal sehen, welche Macht die religiösen
Konflikte besaßen. Für saturierte westliche Dauerpubertierende mag es
indes nicht einmal im Traum vorstellbar sein, wie Menschen außerhalb
unserer demokratischen Disneyparks leben, kämpfen und sterben, und daß
dort immer noch der Grundsatz gilt: Das Leben ist hart, es besteht aus
Kampf, und es gibt nichts als Leiden. Darüber hinaus bewahrheitet sich
auch hier wieder, daß "die christliche Religion ein Kampffeld in der
Welt ist, auf dem viele Schlachten geschlagen, aber sehr wenige Siege
gefeiert werden" (Diether Wendland).
Wenig ersprießlich dürfte es hingegen sein, die Grünen auf die
Tragweite ihres Tuns aufmerksam zu machen. Angebracht wäre da eher
schon die theologische Frage, wieso es glaubenslose Menschen geben
kann, vor allem aber wie ein religionsloser Mensch existiert, ob er ein
privat konstruiertes Ethos hat, das von Görres so gefürchtete
"kirchenlose Christentum" vertritt oder der Sache des Glaubens
konsquent und folgerichtig radikal nihilistisch begegnet: "Dios o nada
- Gott oder Nichts" war der Wahlspruch der Heiligen Teresa. Unsere
weitestgehend apostasierte Gesellschaft, in der der Homo Irreligiosus,
der Neuheide also, den Ton angibt, möchte sich auf diese christliche
Wahrheit jedoch nicht so gerne einlassen und hat uns mit dem
bekennenden Atheisten Jean-Paul Sartre ein grausames Bekennntis des
Unglaubens hinterlassen: "Die Hölle, das sind die anderen."
In der einem antiautoritären Kinderladen ähnelnden modernen
Unkulturlandschaft entwirft sich daher heutzutage jedermann seine
eigene Privatreligion. Dazu braucht es natürlich kein Kreuz, denn wenn
man sich selbst frech an die Stelle Gottes setzt, könnte dieses Kreuz
einen ja daran erinnern, daß das Opfer des göttlichen Menschensohnes
gerade auch im geistig und geistlich abgewirtschafteten christlichen
Abendland die einzige Hoffnung ist, die die aus unserer menschlichen
Existenz geborene Verzweiflung heilen kann, wenn wir Ihm nur unbeirrt
folgen. Und in der Tat spricht die Hl.Schrift mit aller Deutlichkeit
vom Haß der Welt, der sich aus dem absoluten Wahrheitsanspruch der
Kirche und ihrem Bekenntnis, daß es außerhalb von ihr kein Heil und
keinen Lebenssinn geben kann, speist. Es ist dieses Bestreiten der
Möglichkeit im Weltlichen Sinnerfüllung finden zu können, was die
Feinde der Kirche und des Kreuzes so aufbringt: "Wir sind aus Gott,
aber die Welt steht unter der Macht des Bösen" (1 Joh 5,19). Immer
bleibt also zwischen Kirche und Welt ein Gegensatz, ein Widerspruch.
"Wenn es Gott nicht gibt, dann ist alles erlaubt", hat schon
Dostojewskij gesagt. Im übrigen steht nirgendwo geschrieben, daß ein
gläubiger Christ der staatlichen Autorität unbedingten Gehorsam
schuldet.
Zum Wertvollsten in und an der Kirche gehören die Symbole. Luther, ein
schrecklicher Verschwender, hat sie weggeworfen wie alten Plunder.
Unsere modernen glaubenslosen Mitmenschen, die über Auschwitz und den
Archipel Gulag immer noch entsetzt sind, obwohl diese Orte des Bösen
ihnen doch nur die gottlose Maske vom Gesicht gerissen haben, pflegen
dagegen ihren ganz speziellen Privatglauben. Er trage doch auch sein
goldenes Kreuzchen auf der Brust, meinte ein sozialdemokratischer
Politiker anläßlich der oben geschilderten Debatte treuherzig, aber in
öffentlichen Räumen könnte das Kreuz Andersdenkende doch nur verstören.
Kein Ausdruck ist zu hart, um die Dummheit dieses Menschen, diese
geradzu verbrecherische Dummheit zu kennzeichnen.
Die erstaunliche Geistlosigkeit und erscheckende Dekadenz dieser
Herrschaften, die zwar ständig die Worte "Humanität", "Toleranz" und
"Zivilgesellschaft" wiederkäuen, aber Kriege und Revolutionen
vorbereiten, sich im Schlamm des epikureischen Hedonismus wälzen und
eine Gesellschaftsordnung verherrlichen, die - denkt man z.B. an den
Abtreibungsboom - kein bißchen humaner ist als der National- oder der
Internationalsozialismus oder eine Horde hungriger Raubtiere im
Dschungel, ist eine einzige geistige Bankrotterklärung. Einerseits
verspürt man brennendes Mitleid mit ihnen, andererseits darf man auch
Genesis 8, 21 nicht vergessen: "Von Kindheit an ist der Sinn des
Menschen auf das Böse gerichtet."
Für uns Christen ist hingegen allein der gekreuzigte Jesus Christus das
"Licht der Wahrheit", wie es im Johannesprolog heißt. Dieses Licht
haben wir auch jenen zu bringen, die ihm heute noch ferne stehen.
Manchmal kommt die Gnade des Glaubens spät, aber gerade der verlorene
Sohn ist Gott willkommen. Auf dem Grabstein des großen schwedischen
Dichters Johan August Strindberg, der sich nach sektiererischer
Frömmelei und einer längeren atheistischen Trotzphase bis zu seinem Tod
in einem unablässigen Ringen um einen persönlichen Bezug zu seinem
Schöpfer befand, stehen die Worte: "AVE O CRUX, SPES UNICA - Sei
gegrüßt o Kreuz, du einzige Hoffnung." |