DIE NEUE RELIGION
von H.H. Prof. P. Severin Grill SOCist
Bei der Bundeserneuerung durch Josue gelobte das auserwählte Volk, am Sinaibund immer festzuhalten: "Fern sei es von uns, daß wir den Herrn verlassen und anderen Göttern dienen" (Jos. 24,16). Leider kam es anders. Dt. 32,16 muß konstatieren: "Es kamen neue Götter, die ihre Väter nicht kannten. Sie opferten den Dämonen und nicht Gott". Psalmen und Propheten beschworen das Volk, vor einem fremden Gott nicht in die Knie zu sinken (Ps 81,10. Jer 5,19. 44,3) und wegen der Übernahme des Ackerbaus die Götzen der Kananäer nicht zu verehren (Am 2,10).
In der gleichen Situation befinden wir uns heute: eine neue Religion mit fremden Göttern wird gelehrt und sogar den Kindern in der Schule beigebracht. Katholische Eltern sagen: Die Kinder bringen eine neue Religion nach Hause. Frömmigkeit und Tugend zeigen sich im Erdendienst, auch die anderen Religionen sind gültig und die Unzucht ist keine Sünde.
I. Zum Repertoire der Vorwürfe gegen die Kirche gehört auch die ständige Klage, daß sie sich um die Arbeiter nicht gekümmert habe und das Wort Ausbeutung überhaupt nicht kenne. Zwei Werke widerlegen diesen Vorwurf dokumentarisch: 1. Ignaz Seipel: "Die wirtschaftlichen Lehren der Kirchenväter" (1) 2. Enchiridion symbolorum.
Im ersten Werk wird gezeigt, daß die Kirchenväter in ihren Schriften und Predigten die Unterdrückung der Arbeiter stets verurteilt haben. Im zweiten werden die Entscheidungen der Konzilien und die Erlässe der Päpste zusammengestellt, die Zins und Wucher mit kirchlichen Strafen (Exkommunikation, Verweigerung des kirchlichen Begräbnisses) belegt haben. Dazu freilich konnte die Kirche sich nie hergeben, die irdische Wohlfahrt als das Höchste hinzustellen und die Bedürfnisse des Leibes vor denen der Seele zu berücksichtigen. In der Bergpredigt hat sich der Herr klar darüber ausgesprochen (Mt 6,19-33) und er hat es abgelehnt, in einem Erbstreit zu entscheiden. (Luk.12,13). Die Apostel warnen vor dem Streben nach Reichtum, ermahnen aber nach Arbeitsamkeit, um anderen nicht zur Last zu fallen und um Almosen spenden zu können (1 Tim 6,9. 1 Thess 4,4. 2 Thess 3,8).
Heute aber tritt die ausschließliche Hingabe an die irdische Wohlfahrt auf mit dem Anspruch, Religion zu sein. Tugend und Frömmigkeit beständen darin, mitzuarbeiten an dem Ziel, der Menschheit eine angenehme Heimstatt auf dieser Erde zu bereiten. Der Fortschritt komme nicht durch Sakramente und Beten, sondern durch Wissen aus Erfahrung und Vollendung der Technik. Im 'Zweiten Vatikanischen Konzil' werden durch die Pastoralkonstitution Welt und Kirche als zwei gleichwertige Partner einander gegenübergestellt. Die körperlichen Bedürfnisse nach Brot, Kleid und Dach kommen gleichsam den seelischen: Erkenntnis der Wahrheit und Ruhe des Gewissens gleich.
Doch die körperlichen Bedürfnisse sind zeitlich und vergänglich, die seelischen ewig und dauernd. Nach Röm 14,10 stehen wir alle einmal vor dem Tribunal Christi und müssen Rechenschaft ablegen über unser Tun und lassen. Es werden Bücher und ein Buch aufgeschlagen. Unter den ersteren sind die Bücher der Heiligen Schrift zu verstehen, die dartun, welche Gebote Gott zur Befolgung gegeben hat. In dem letzleren, dem Buche des Lebens, wird sich zeigen, was von jenen (Geboten) ein jeder befolgt oder nicht befolgt hat. (3) In dem Prüfungsresultat werden Himmel oder Fegefeuer oder Hölle bestehen.
Die primäre Sorge um die irdische Wohlfahrt entspricht dem Geiste des Alten Testamentes und ignoriert die geistigen des Neuen. "Das Volk Israel wurde in das Land der Verheißung geführt, wo es zeitlich und fleischlich herrschen sollte nach der Art seines Verlangens." Das Alte Testament hatte zeitliche Verheißungen, das Neue aber hat geistige und ewige. Daher war es auch notwendig, daß das auserwählte Volk im Gesetz unterwiesen wurde, wie es körperlich zu kämpfen hatte, um irdischen Besitz zu erwerben. Im Neuen Testament aber mußten die Menschen unterwiesen werden, wie sie in geistigen Kämpfen in den Besitz des ewigen Lebens gelangen könnten (4) Es mutet daher seltsam an, wenn in der Pastoralkonstitution des 2. Vatikanischen Konzils Welt und Kirche als zwei gleichwertige Partner gegenüber überstellt werden. Einer starken Gruppe von Konzilsvätern bedeutete daher diese Pastoralkonstitution ein Verrat am Wesen der Kirche. (5) Die Kommunisten sahen in ihr nichts anderes als den Versuch, die alten Autoritätsansprüche der Kirche der Welt gegenüber aufrecht zu erhalten.
Nemo militans Christi implicat se saecularibus negotiis = kein Streiter Christi mischt sich in weltliche Angelegenheiten (2 Tim 2,4). Die übertriebene Sorge um die irdische Wohlfahrt ist also bestenfalls ein Zurückgleiten in den Geist des Alten Testamentes und eine Abkehr von den Werten des Neuen Testamentes: Von Jenseits und Ewigkeit, Freiheit von der Todesfurcht (Hebr 2,15), Opfer, Gebet, Fasten, Leiden in Geduld u.a. Damit ist nicht gesagt, daß sich in der christlichen Verkündigung keine Sorge um die irdische Wohlfahrt finden soll, bei jedem Menschen für sich selbst und im Mitleid mit dem anderen. "Was ihr dem geringsten meiner Brüder getan habt, das habt ihr mir getan" - dieses Wort des Herrn war dem wahren Christen immer ein Ansporn, Gutes zu tun und gerecht zu sein, und hat angefangen vom Urchristentum über Benedikt von Nursia, Franziskus von Assisi und alle übrigen Ordensgründer und Ordensgründerinnen bis auf unsere Tage unendlich viel Gutes gewirkt.
II. Es werden im kommenden Heiligen Jahr 1975 viele Predigten gehalten und viele Bücher geschrieben werden, daß es ein Jahr der Versöhnung sein solle, ein Jahr der Versöhnung unter den Menschen aufgrund der verschiedenen Religionen, insoweit diese an ein höheres Wesen glauben und sich sittlich verpflichtet fühlen.
Das Jahr wird im Zeichen des Ökumenismus stehen, im Trachten, daß sich die christlichen Konfessionen, die monotheistischen Religionen (Judentum und Islam) und die heidnischen Hochreligionen (Buddhismus, Hinduismus, Laotismus, Konfuzianismus und Schintoismus) mit gegenseitigem Verständnis und Achtung gegenüberstehen. Das mag für eine Art Weltkirche oder Universalkirche aufgrund der sechs Grundwahrheiten (ausgenommen Trinität und Inkarnation) gelten und möglich sein.
Doch müssen wir ernstlich fragen: Brauchen wir hierzu den oft mißbrauchten Begriff Ökumenismus, bei dem man meint, einander entgegengesetzte Begriffe und Vorstellungen "versöhnen" zu können. Das ist eine Utopie. Eine wirkliche Versöhnung ist nur möglich, wenn man den Begriff "Katholisch" in seiner Tiefe und Weite durchdenkt: Für alle und für alles, soweit es Vernunft und Offenbarung zulassen. Quod semper, quod ubique, quod ab omnibus creditum est, hoc est catholicum: Was immer und überall und vor allen geglaubt worden ist, das ist katholisch. Diese Werte festzustellen, ist die Aufgabe der Vergleichenden Religionswissenschaft, wobei das Catholicum als Maßstab fungieren muß. (6). Denn etwas von dem objektiv Wahren preiszugeben, um Versöhnung zu erreichen wäre ein Nonsens und kommt nicht in Frage. Es bleibt nichts anderes übrig, als dies Wesen des Katholizismus erst einmal zu erfassen und nicht wegen des Wortklanges in falscher Einstellung von Jugend auf abzulehnen. (7) Versöhnung also um jeden Preis - ein solcher Ökumenismus als neuer Gott, den unsere Väter nicht kannten, obwohl sie aufgeschlossen und weitherzig genug waren?
III. Der dritte neue Gott, der sich in die christliche Sittenlehre einzuschleichen versucht, ist die Freigabe der Unzucht. Man fragt sich erschrocken, wie nur selbst katholische Moralisten für diese Idee, die natürlich bei der unerfahrenen Jugend Anklang findet, eintreten können? Haben sie nie gehört oder haben sie es ganz vergessen, daß Unzucht die Ursünde war, das Essen von der Frucht des Baumes inmitten des Gartens (Garten = menschlicher Leib), daß also Erbsünde und Unzucht in wesenhaftem Zusammenhang stehen und erst durch den Modus der Inkarnation (Jungfrauengeburt, Josefsehe) wettgemacht wurden. Besagen ihnen die zahlreichen Mahnungen der Apostel, sich der Unzucht zu enthalten nichts? (Eph. 5,1-7. Kol 3,5-6. 1 Kor 6,10). Dieser neue Gott, der Dämon der Unzucht, sucht sich im Hause Gottes Heimatrecht zu verschaffen und er findet seine Medien in Theologen, die ihm den Pass verschaffen.
Literatur:
(1) Wien 1907. (2) Herder 1957. Von K. Rahner. (3) Augustinus. Gottesstaat 20,15 zu Offb 20,12. Thomas v.A. 1 Qu. 24 Art. 1: Eine Gotteskraft, durch die bewirkt wird, daß einem jeden die Werke ins Gedächtnis zurückgerufen werden. (4) Vom ersten Religionsunterricht Kap. 20. (5) Alois Grillmeier: Wandernde Kirche und werdende Welt. Köln 1968. S. 177. Sie beriefen sich auf Apg 6,2: "Es ist nicht recht, daß wir das Wort Gottes beiseite schieben und dem Tisch dienen". (6) Vgl. das Urteil eines protestantischen Juristen über Thomas v.A. "Staunend frage ich mich: wie war es möglich, daß solche Wahrheiten in unserer protestantischen Wissenschaft so gänzlich in Vergessenheit geraten konnten? Welche Irrwege hätte man sich ersparen können!" "Der Fels", März 1974, S. 72. Huldigung an Thomas. (7) Siehe meine Schrift: Vergleichende Religionsgeschichte und Kirchenväter. (Berger. Horn 1959. Vgl. meine Schrift: Das zweite Vatikanische Konzil, seine Geschichte, sein Segen und sein Mißbrauch. Wien, Ranner 1969, S.19.
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