GÜLTIGE UND WIRKSAME MATERIE - II.
(Wurzel, Stamm und Krone - XVIII.)
von Dr.theol. Otto Katzer
"Das ganze Leben und der ganze Verkehr Christi im sterblichen Leibe war, von Seiner Menschwerdung angefangen bis zum letzten Atemzug am Kreuze, nichts anderes als eine fortdauernde Messe, eine Zelebration, bei welcher Er sich für uns ununterbrochen Seinem Vater aufopferte" (1) und auch im Himmel immer aufopfern wird!
Dementsprechend soll aber auch unser Leben, wie wir bereits bemerkt haben, ein fortdauerndes Opfer sein, eine heilige Messe in Seiner Messe! Um des Zweckes des eucharistischen Opfers willen muß die Liturgie auch die Aunahme, das Eingehen des Menschen in dieses Opfer oder die Durchdringung des Menschen in dieses Opfer, oder die Durchdringung des Menschen durch das Opfer oder die Einpflanzung des Opfers in den Menschen zur Darstellung bringen, so daß die Liturgie auch das ganze Opferleben des Menschen umfaßt". (2) Beim Gottes-Dienst liegt der Schwerpunkt nicht auf dem Verstehn dessen, was in unserer Vertretung Priester Gott sagt, sondern im Handeln, ob wir das tun, wozu wir durch die Epistel, das Evangelium und die Predigt aufgefordert wurden!
Das Wort "Liturgie" stammt von "leitos" - öffentlich, und Ergon = Werk, Verrichtung. Bedenken wir doch die Worte des Heilandes: "Nicht jeder, der zu mir sagt: Herr, wird in das Himmelreich eingehen, sondern wer den Willen meines Vaters tut, der im Himmel ist, wird in das Himmelreich eingehen." (3)
Es wurde schon darauf hingewiesen, daß ein jedes Mahl, ganz im besonderen aber der Genuß von Brot und Wein, als Gottesdienst im breiteren aber realen Sinne aufzufassen ist, ein Ausdruck der Bereitschaft und Entschlossenheit zur wahren Nachfolge Christi. Deshalb sollen wir essen und trinken, umsomehr die himmlische Speise genießen, um mit Gottes Hilfe das zu werden, was ER will!
Ziel der heiligen Wandlung ist nicht allein die Vergegenwärtigung des historischen Christus und die Erneuerung Seines Opfers, sondern die Gegenwart des mystischen Leibes Christi und seine reale Anteilnahme am hochheiligen Opfer. Durch die Konsekration von Brot und Wein wird nicht nur der historische Christus gegenwärtig, wie auch Sein Opfer, sondern auch Seine Glieder, wenn auch nicht im gleichen Ausmaß, viele nur "in potentia" (der Möglichkeit nach). Der ursprüngliche Sinn der Epiklesia (der Anrufung des Heiligen Geistes), wie wir sie im östlichen Ritus finden, besteht eben in der Bitte, wie wir uns noch zeigen werden, der unter den Gestalten von Brot und Wein gegenwärtige Christus möge sich in voller Realität Seines auch mystischen Leibes offenbaren. Heute mehr denn je ist dieses inbrünstige Flehen am Platze, in einer Zeit, die selbst den sakramentalen Christus um allerheiligsten Altarsakrament ganz ruhig beiseite schiebt und jede Ehrfurcht nicht nur allein vor Seinen mystischen Gliedern verloren hat, sondern auch die bloße menschliche Natur mit den Füßen tritt!
Vollglied bereits hier auf Erden war allein die Mutter Gottes, in gewisser Sicht der hl. Johannes der Täufer und der hl. Joseph; im Himmel sind es alle Heiligen. Wir sagten schon, daß wir in den Opfergaben, Brot und Wein hauptsächlich, aber nicht ausschließlich, die streitende Kirche sehen, welche von denen gebildet wird, die sich erst um die volle Realisierung des Charakters eines wahren Gliedes bemühen. Deshalb wird in der Epiklesia, die auch im lateinischen Ritus, nur an einem anderen Orte steht, betont, der Heilige Geist möge in uns das vollbringen, was wir zwar anstreben, ohne Ihn nie aber erreichen können. Die Realisierung weist einen sehr niedrigen Prozentsatz auf; deshalb müssen wir in den Opfergaben unsererseits nur von einer teilweisen, dazu noch variierenden Objektivität sprechen, wie sehr wir auch eine vollkommene anstreben möchten. Das eucharistische Opfer soll ja auch unser Opfer sein, wir selbst, aber nicht mehr wir, sondern ER in uns. Wer kann jedoch sagen, daß sich in unseren Lebensäußerungen nicht mehr wir uns äußern, sondern nur ER sich allein? Wie selten gelingt es dem Menschen hierin, wenn auch nur für eine kurze Zeitspanne, die Vollkommenheit zu erreichen, natürlich als Wunder der Gnade! Um dieses zu erlangen wird der Heilige Geist angerufen, nicht um die reale Gegenwart des historischen Christus, die bereits durch die Konsekrationsworte zustande gekommen war.
Das Paradiesopfer sollte in seiner unversehrten Vollkommenheit erfolgen. In diesem Sinne konnte es nach dem Versagen der Stammeltern allein die Mutter Gottes, Maria, darbringen, womit auch die Aufgabe des hochheiligen Meßopfers bezüglich der Menschheit als solcher erfüllt wurde. Nur von der quantitativen und qualitativen Seite ist dieses von seiten der Menschheit zu ergänzen. Es soll aber nicht nur die jetzige spezifische Vollkommenheit erreicht werden, sondern auch die als Folge des in Adam verweigerten Paradiesopfers gewollte Unvollkommenheit mit all den traurigen Folgen getilgt werden, ganz besonders aber der beleidigten göttlichen Gerechtigkeit Sühne geleistet werden. In Anbetracht der äußersten Unvollkommenheit dieses unseres Opfers können wir ja nicht einmal mit den unnützen Knechten sagen: Wir sind geringe Knechte, wir haben nur unsere Schuldigkeit getan! (4) - Das "nicht mehr ich lebe, Christus lebt in mir" (5) sollte von uns mit Gottes Hilfe vollbracht werden, dies geschieht jedoch so armselig, daß nur die Barmherzigkeit Gottes uns noch retten kann.
Nicht also auf den objektiven materiellen Gehalt von Brot und Wein bezieht sich in erster Linie die Konsekration, sondern auf das, was durch Brot und Wein symbolisiert wird, auf unsere Arbeit, unser Leid, durch sie aber am meisten auf unsere Person, unser "Ich". Das eucharistische Opfer muß vor allem ein Sühneopfer sein, wie das Paradiesopfer ein Lob- und Dankopfer sein sollte. Und so wie dieses nach der Devise "alles in einem und einer in allem" erfolgen sollte, und leider selbst im Negativen zum Ausdruck gekommen war, soll in unserem eucharistischen Sühneopfer alles eingeschlossen sein, soweit es unsererseits überhaupt möglich ist. Dies wurde angedeutet, als wir vom Altar gesprochen haben, auf dem in Brot und Wein die gesamte organische und unorganische Welt aufgeopfert wird, wie auch die gesamte Kirche, die siegreiche, leidende und streitende zusammen mit den himmlischen Chören.
Das Übermaß der Verdienste Christi, seiner glorreichen Mutter, wie auch der Heiligen, soll das ergänzen, was unser Opfer an Unvollkommenheiten aufweist. Das ist das Endergebnis des "circuminsessio cordium", des "Sich-gegenseitig-Besitzens-der-Herzen", der Gemeinschaft der Heiligen, des mystischen Leibes Christi, des himmlischen Brotes!
Hieraus ist klar ersichtlich, daß das eucharistische Opfer nur für die dargebracht werden kann, die Teilnehmer dieses "Sichbesitzens" sind, oder es noch sein können. Auf sie allein bezieht sich das, wenn auch für alle vergossene Blut. Nur ihnen ist es oder wird es zur Lebensquelle, während die Verdammten nicht mehr von ihr schöpfen können, aber auch nicht schöpfen wollen! Deshalb sagt der Heiland durch den opfernden Priester von seinem Blute, daß es für viele, leider aber nicht für alle vergossen wird zur effektiven Tilgung der Sünden.
Ja nie dürfen wir vergessen, daß unsere Einstellung und unsere Gebete die Opfergaben beeinflussen, und daß mit einer einfachen mechanischen Darbietung nichts anzufangen ist, wie wir auch nicht mechanisch am Menschen herumschrauben können und Teile austauschen, wie es uns beliebt. Immer müssen wir die organische Einheit in den Augen behalten und unser in ihr enthaltenes "Ich"!
Wenn auch in den ersten Jahrhunderten stets betont wird, daß Gott unserer Gaben nicht bedürfe, so ist dies mit Bezug auf IHN zu nehmen. Wohl aber bedarf er der restlosen Hingabe unseres "Ich", weil Er uns sonst nicht glücklich machen dürfte, da die unendliche Barmherzigkeit Gottes durch die ebenso unendliche Gerechtigkeit Gottes begrenzt ist. Wer ALLES in Empfang nehmen will, muß ganz leer sein, muß alles geben. Das Gebet dessen, der nichts objektives von seinen Gütern spenden will, zuletzt sein ganzes "Ich", ist kein "gebet" hiermit auch kein Gebet! Die holistische Auffassung "Alles oder nichts" kommt hier klarer zum Ausdruck als irgendwo anders. Es kann auch nicht von einer etwaigen geistigen Anbetung gesprochen werden, wenn der Wille nicht besteht das Opfer des eigenen "Ich" darzubringen! Nur dies allein ist der vollkommene Ausdruck der Anbetung, wie auch die Vorbedingung für unser zeitliches und ewiges Glück. Es ist hoffentlich vollauf klar, daß die Anbetung mit dem Bestreben unser "Ich" als eine womöglich vollkommene Opfergabe darzubringen verbunden sein muß.
Nichts dient mehr zur Verherrlichung als das als Sühnopfer dargebrachte "Ich"; daß wir diese Möglichkelt dem blutigen Opfer Christi zu verdanken haben, sollte allen bekannt sein.
In den ersten Jahrhunderten, als noch der "jüdische" Einfluß vorhanden mit seinem überwiegendem Opfercharakter war, war es nicht notwendig, diesen besonders zu betonen. Erst die ungesunde und unberechtigte stellenweise Loslösung vom Alten Testamente rief eine Verwischung des Opfercharakters hervor und vertrieb speziell den Geist der Sühne. Kein Wunder wenn wir es heute mit einer Reprise zu tun haben, da ja meistens von einer realen Bindung an das Alte Testament nicht mehr zu sprechen ist, ganz besonders dort, wo die Ursünde in Frage gestellt wird oder zum Zerrbild geworden ist.
Was den so gepriesenen Mahlcharakter anbelangt, ist zu betonen, daß das eigentliche Mahl bereits bei den Sumerern Schlußakt eines rituellen Opfers war. Das Mahl dient hier in der ersten Reihe dazu, den Aufopferungsakt zum Opferleben zu werden lassen. Die Epiklesis bezieht sich also auf das Sichtbarwerden des mystischen Leibes, was ohne die Hilfe des Heiligen Geistes durch die heiligmachende und helfende Gnade, wie auch die eingeflossenen Tugenden undenkbar ist. Daß dies ein stetes Annähern an das Ideal, wie auch ein "Sich-von-Ihm-Entfernen" ist, erlebt ein jeder bitter genug an sich selbst, wie auch an seinen Mitmenschen.
Der Wortlaut der heutigen Epiklesis deckt sich nicht mit dem der ersten Jahrhunderte. Höchstwahrscheinlich kam es unter dem Einfluß des Arianismus zu dieser Abänderung. Dazu bemerkt Höller: "In den beiden uralten Liturgien, der klementinischen und der syrischen Jakobus-Liturgie wird der Heilige Geist nach vollendeter Konsekration zu dem Zwecke herabgerufen, daß er zunächst das konsekrierte Brot als den Leib Christi und den konsekrierten Wein als das Blut Christi erscheinen lasse und sodann bewirke, daß die Kommunizierenden der Kommunionsfrüchte teilhaftig werden. Diese Bitte an den Heiligen Geist hopös apofene (syrisch "nechve"; O.K. (6)): "Er möge dieses Brot als Christi Leib und diesen Trank als Sein Blut sich offenbaren lassen", ist vollkommen gerechtfertigt. Denn mit den natürlichen Augen sehen wir auch nach erfolgter Konsekration nur die Gestalten von Brot und Wein. Soll aber die heilige Kommunion in uns würdige Früchte hervorbringen, so müssen wir das mysterium fidei vor allem mit den Augen des Glaubens betrachten. Dieses aber in uns zu bewirken, ist so recht die Aufgabe des Heiligen Geistes, des illuminator kat exochen." (7)
Wir können hier nicht näher darauf eingehen, wann und warum aus dem apofene ein poieson geworden ist, aus dem "erscheinen" ein "werden", und warum die schismatische Ostkirche die hl. Wandlung nicht aufgrund der Worte des Herrn erfolgen läßt, sondern erst nachher auf die Fürbitte durch den Heiligen Geist. Dadurch, allerdings, besteht die Gefahr, daß der schismatische Geistliche, wenn auch alles andere sonst in Ordnung wäre, trotzdem nicht konsekriert, wollte er die Einsetzungsworte allein als historische Erzählung erklingen lassen. (8)
Zuletzt wollen wir noch unser Leben, welches wir freiwillig aufopfern oder im Sterben zurückgeben müssen, graphisch darbieten:
Die Punkte sind einzelne Geschehnisse im eigenen Leben, oder vertreten Menschen untereinander, Familien, Staaten und Völker. Werden diese Verhältnisse, wie bei der ersten Darstellung, direkt untereinander gelöst, dann muß es zum Chaos kommen wie im eigenen Leben, so bei den verschiedenen sozialen Gebilden. Dort aber, wo die Probleme indirekt behandelt werden und der im allerheiligsten Sakramente unter uns lebende Christus als Berater gerufen wird, kann es, wie Bild 2 zeigt, zu keinem Chaos kommen. Ist es denn so schwer sich die Frage zu stellen: "Mein Heiland, würdest Du so denken wie ich? - Möchtest Du das sagen, was ich gesagt habe oder sagen will? Würdest Du so handeln wie ich gehandelt habe oder handeln will?" Auf die Antwort brauchen wir ganz bestimmt nicht warten. Wir werden sie schon haben, ehe wir die Frage beenden!
Das Offertorium bleibt niemandem erspart! Entweder bringt der Mensch sein Opfer freiwillig noch zu Lebenszeiten dar, (natürlich muß er trachten, daß er das Beste bringt) oder aber wird aus seinen Händen im Augenblicke des Todes das zurückgefordert, was ihm von Gott anvertraut wurde.
"Denn mir gehört das Land, spricht Gott, Ihr seid ja nur Fremdlinge und Beisassen bei mir!" (9) Ein jeder - und es wird nicht lange dauern - wird die Stimme des Herrn hören: "Gib Rechenschaft von deiner Verwaltung" (10) Und wir werden wie es schon gesagt wurde, alles in jener Vollkommenheit zurückgeben müssen, wie wir es bekommen haben, und dazu noch das, was wir aufgrund der verliehenen Hilfe von oben und eigener Kräfte haben erreichen können und sollen.
WIE SCHAUT DAS "BROT", MEINES LEBENS AUS? MEIN OPFER!
Fortsetzung folgt.
Literatur: (1) Dionysius Cart. Elementa theol. propos. 119, bei Gihr op. cit. 29. (2) Pastoraltheologie, Dr. Jos. Amberger, Pustet 1852, Band II, Drittes Buch § 11,2. (3) Matth. 7,21. (4) Luk. 17,10. (5) Gal. 2,20. (6) apofaino = ans Licht bringen, sichtbar machen, vorzeigen, kundtun,.. (Pape) show forth as, declare to be... (a Patristic Greek Lexicon, Lampe). ohavi = montrer, faire voir, to show, manifest (Dictionnaire Syreac - Français, Syriac - English Dictionary, Costaz, S. 7.). (7) Die Epiklese der griechisch orientalen Liturgie, Dr. Jos. Höller, Mayer et comp. Wien 1912, pg. 111. (8) A.I. Georgijevskij, Tschinoposledowanije boschestwinnoi Liturgii, Izdanije Moskovskoi Patriarchii. Moskva 1951, pg. 106 sqq. (9) Lev. 25,23. (10) Luk. 16,2.
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