WERDET MÄNNER, WERDET FRAUEN! - II
(Ehe, Familie und Erziehung - 6. Fortsetzung)
von H.H. Dr. theol. Otto Katzer
Es wäre ein unglücklicher Fehler zu glauben, daß alles um uns bereits vollkommen ist! Gar vieles ist noch nicht vollendet und wartet auf uns, daß wir ihm aus der Fülle unseres eigenen Lebens das geben, wessen es noch bedarf, um so zu werden, wie es der Herr haben will. Ohne unsere Seele bliebe es unbedeutend und unwirksam. Solch ein schöpferisches Werk benötigt aber Entschlossenheit, Wagnis, Gottvertrauen und zu allererst Liebe zu Gott und zu allem dem, das Gottes ist. Nur so wird es möglich sein, alle Schwierigkeiten zu überwinden. Dies drückt der hl. Paulus im Römerbrief aus: "Wer soll uns scheiden von der Liebe Christi? Trübsal oder Bedrängnis oder Verfolgung oder Hunger oder Blöße oder Gefahr oder das Schwert? Es steht ja geschrieben:
"Deinetwegen werden wir täglich hingemordet, wie Opferschafe werden wir geachtet."
Aber in all dem bleiben wir siegreich durch den, der uns geliebt hat. Denn ich bin überzeugt: "Weder Tod noch Leben, weder Engel noch Herrschaften, noch Gewalten, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Mächte, weder Hohes noch Niederes noch sonst etwas Erschaffenes wird uns scheiden können von der Liebe Gottes, die da ist in Christus Jesus, unserem Herrn." (1)
Mehr als die Frau, die ihre Aufgabe in der Familie hat, muß der Mann gegen auswärtige Anfeindungen hervortreten, eine Aufgabe die er mit eigenen Kräften nicht leisten kann. Deshalb muß er sich mit der LIEBE vereinigen, wie im Gebete, so in der heiligen Kommunion, als auch mit der Liebe, die aus jedem Sein hervorstrahlt. Er muß mit allen Tugenden ausgerüstet sein. Deshalb mahnt der hl. Paulus: "Brüder, seid stark im Herzen, in seiner gewaltigen Stärke. Legt an die Waffenrüstung Gottes, damit ihr den Ränken des Teufels widerstehen könnt. Wir haben ja nicht zu kämpfen mit Fleisch und Blut, sondern mit den Mächten und Gewalten, mit den Weltherrschern dieser Finsternis und den bösen Geistern in den Himmelshöhen. Legt darum an die Waffenrüstung Gottes, damit ihr am bösen Tage widerstehen könnt und völlig kampfbereit dasteht. So steht denn da, eure Lenden umgürtet mit der Wahrheit, angetan mit dem Panzer der Gerechtigkeit, die Füße beschuht mit der Bereitschaft für das Evangelium des Friedens. Zu alldem nehmt noch das Schild des Glaubens, mit dem ihr alle feurigen Geschoße des Bösen auslöschen könnt. Ergreift den Herrn des Heiles und das Schwert des Geistes, das Gottes Wort ist." (2)
Nie darf uns das Getöse des Kampfes daran hindern, dem zarten Akkord der Liebe zu lauschen, welcher unser Leben durchdringt, wie einst das sanfte Wehen des Windes am Berge Horeb.
"Wer ist ein guter Mann? Der, der den Rat der Väter beobachtet, die Gesetze und die Gerechtigkeit!" (3)
Von dem können wir sagen, daß er ein Mann sei der durch sein tugendhaftes Leben für die ihm bestimmte Lebensaufgabe vorbereitet ist, d.i. ein treuer Gemahl seiner Frau zu werden und ein guter Vater für seine Kinder. Aber auch der ist ein Mann, der aus Liebe zu Gott oder zu seinen Nächsten für Gott bereit ist, die leibliche Vaterschaft zu opfern: er ist ein Mann wenn er alle seine Kräfte für das festgesetzte Ziel einsetzt. Tut er es aber nicht, oder versucht er es wenigstens nicht ernstlich, dann ist er ein nichtsnutziger Stümper, der die Zeit nicht nur unnütz vergeudet, sondern dazugebraucht, sich oder den anderen einen Schaden anzutun.
Die Tugenden sind natürlich nicht nur dem Manne notwendig, sondern auch der Frau, besonders, wenn sie allein in der Welt steht. Bei den Männern wird ob ihres aktiven Lebens in der Welt der Nachdruck an den moralischen Tugenden liegen, die ja den göttlichen, besonders der Liebe entspringen. Bei den Frauen, um so mehr wenn sie in der Familie beschäftigt sind, werden sich die göttlichen Tugenden hervordrängen: der Glaube, die Hoffnung und die Liebe.
Die psychologischen Charakteristiken beider Geschlechter werden nur verschwommene Risse aufweisen, nichtsdestoweniger müssen wir versuchen, eine leichte Skizze von ihnen zu bieten. Wenn wir nun von der Vernunft, dem Willen und dem "Herzen" als Teilen der Seele sprechen werden, sind diese nicht als einzeln a trennbare zu betrachten, da die Seele eine einfache Einheit ist. Betrachten wir nun den Mann, dann werden wir meistens sehen, daß die Vernunft den ersten Platz einnimmt und mit ihr der Wille, wobei das "Herz" als korrektiver Faktor aufzufassen ist. Bei der Frau finden wir an der ersten Stelle das "Herz", welches den Willen lenkt, während die Vernunft als korrektiver Faktor zu betrachten ist. Beides hat seine Vor- und Nachteile. Hieraus sehen wir auch die notwendige gegenseitige Ergänzung von Mann und Frau, wollten sie nun vollwertige Menschen werden. Am besten sieht man es an den spezifischen Fehlern, die sie begehen. Beim Manne finden wir oft endlose Analysen der Lage, wobei er sich in Abstraktionen verliert, um zuletzt überhaupt unfähig für eine Tat zu werden. Die Frau, welche meistens vom "Herzen" d.i., von höheren Emotionen geführt ist, neigt zum impulsiven Handeln und läßt sich so leicht zu unüberlegten Taten hinreißen. Natürlich sind beide diese Extreme nicht wünschenswert. Im Rahmen des Lebensbildes des Mannes ist wegen seiner äußeren Tätigkeit der Akkord "Vernunft-Wille-Herz" der geeignetste, während die Frau im Familienleben, besonders bei Kleinkindern den Akkord "Herz-Wille-Vernunft", dringend notwendig hat. Bei den moralischen Tugenden liegt der Schwerpunkt auf der Aktivität, welche das Leben des Mannes in der Welt hervorruft, indem sie ihn nicht selten vor ganz unerwartete Aufgaben stellt und oft schwer lösbare Fragen bietet. Wegen der natürlichen Aufgabe des Mannes die besten Bedingungen für die Familie zu schaffen, wie auch den Boden für schöpferische Aktivität, die eine womöglich ruhige Umwelt fordert, muß der Mann besonders die moralischen Tugenden .besitzen: Klugheit, Gerechtigkeit, Starkmut und Mäßigung.
Die moralischen Tugenden.
Nicht unbegründet lautet in der lateinischen Sprache die Tugend "virtus" von "vir" der Mann, abstammend - also in einem gewissen Sinne Mannheit. Ihre Eigenschaften beziehen sich ganz besonders auf den Mann.
Vom Standpunkt des Glaubens betrachtet ist die Tugend eine von Gott geschenkte übernatürliche Gabe, ein übernatürliches Licht und eine übernatürliche Kraft, die uns dauernd willig und fähig macht, Gutes zu tun. Es dürfte klar sein, daß diese Kraft in uns nur dann wirksam ist und auch sein kann, wenn wir mit ihr ernst und getreu mitwirken. Da die eingeflossenen Tugenden die heiligmachende Gnade begleiten, sind sie mit ihrer Lebensfähigkeit an die Gnade gebunden, welche ja der lebendige Abglanz des dreieinigen Gottes in unserem Herzen ist. Verlieren wir sie unglücklicherweise, dann stirbt auch die Liebe sofort, und die anderen Tugenden sind im Absterben. "Suchet (also) zuerst das Reich Gottes und seine Gerechtigkeit." (4) "Seid darum klug wie die Schlangen und arglos wie die Tauben" (5) "Seid achtsam, wachet und betet; denn ihr wißt nicht wann die Zeit da ist!" (6)
Die Tugend der Klugheit ermöglicht es uns, unter allen Bedingungen den besten Weg zum Ziel zu wählen, stets aber mit Rücksicht auf das letzte Ziel. Mit Hilfe dieser Tugend ist es möglich, uns von den körperlichen Gefühlen freizumachen, welche ein Hindernis sind auf unserem Wege zu Gott: "Denn die nach dem Fleische leben, trachten nach dem, was das Fleisch will, die nach dem Geiste leben, streben nach dem, was der Geist will. Das Trachten des Fleisches ist der Tod, das Trachten des Geistes aber Leben und Friede. Das Trachten des Fleisches ist eben gottfeindlich, es ordnet sich dem Gesetze Gottes nicht unter und vermag es auch nicht. Die dem Fleische leben, können Gott nicht gefallen. Ihr jedoch lebt nicht dem Fleische, sondern dem Geiste, wenn anders der Geist Gottes in euch wohnt. Wer den Geist Christi nicht hat, gehört ihm nicht an." (7)
Die Klugheit befreit uns weiter von der rein menschlichen Einstellung welche allein die natürlichen Werte in Betracht nimmt. Denn "was nützt es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewinnt, dabei jedoch seine Seele verliert!" (8) "Selig die Armen im Geiste! Ihrer ist das Himmelreich!" (9)
Diese Tugend ermöglicht es uns weiter, alles vom Standpunkt der Ewigkeit zu betrachten und leitet uns dazu an, unser Leben nach dem Willen Gottes zu gestalten, wie es im Evangelium vorgelebt wird und uns durch das unfehlbare Lehramt der Kirche zur Kenntnis gebracht wurde. Die Klugheit sorgt dafür, daß unsere Gedanken sich nicht Gott entfremden, sie veredelt unser Streben, daß es nicht etwa der Selbstsucht entsprungenen verkehrten Gelüsten diene, welche zuletzt uns selbst und nicht Gott zum Ziel haben.
Nicht allein die Vernunft ist es, die es uns ermöglicht, in ein richtiges Verhältnis zu Gott zu treten, wie auch zu uns selbst, zu denen, die uns anvertraut sind, ja zu der gesamten Schöpfung, es ist hauptsächlich das Licht des Glaubens, das wir dazu benötigen. Nie dürfen wir vergessen, wie es leider sehr oft geschieht, daß wir nicht nur natürliche Mittel zur Verfügung haben, aber auch übernatürliche, wie das Opfer und Gebet, vorzugsweise die Sakramente, die uns die notwendigen Kräfte für unsere Lebensaufgabe vermitteln, und die Sakramentalien.
Um klug zu handeln ist es notwendig, daß wir zuerst alles im Licht des Glaubens gut erwägen, uns weise entschließen und tapfer an die Verwirklichung unserer Entschlüsse schreiten. Um sich weise zu entschließen, ist es notwendig, zuerst über das Vergangene nachzudenken, die gegebene Lage richtig zu beurteilen und an das Zukünftige zu denken.
Ein lateinischer Spruch sagt, daß die Geschichte die Lehrerin des Lebens sei. Die meisten unserer Probleme wurden irgendwie schon lange vorher von anderen Leuten gelöst; die Geschichte ermahnt uns, uns vor Fehlern zu hüten, wie auch ihren schlimmen Folgen, die von anderen vor uns begangen wurden. Die eigene Erfahrung wird uns auch gut dienen. Auf keinen Fall dürfen wir die Zukunft aus den Augen verlieren und gut die Folgen beachten, welche aufgrund unseres Handelns bei uns und bei anderen eintreten könnten. Wir sollten nicht zögern, unsere Handlung zu verschieben, wenn wir sehen, daß wir mit Hilfe des Rates von anderen, der Eltern, des Priesters, der Freunde eine noch bessere Einsicht in die Lage gewinnen könnten, und wir sollten sie auch so bald als möglich um ihren Rat bitten.
Im Buche Ptah-hotep aus dem Altägyptischen Reiche (3400-2140) gibt ein gelehrter Vezier folgenden Rat seinem Sohne: "Sei nicht stolz auf dein Wissen, vertraue nicht darauf, daß du ein Gelehrter seiest, hole dir Rat bei dem Unwissenden so wie bei dem Wissenden. Eine gute Rede ist zwar versteckter als der grüne Edelstein, und doch findet man sie auch bei den Sklavinnen, die über den Mühlsteinen sitzen." (10)
Im Neuen Reiche (1550-1080) rät der weise Anii seinem Sohne Chenshotep: "Trittst du in das Haus eines anderen, so blicke nicht auf das, was in dessen Hause unrichtig ist. Dein Auge sehe es, aber du schweige. Rede davon draußen zu keinem anderen, damit man es dir nicht als Verbrechen anrechne, wenn man es hört.
Hüte dich davor, von geheimen Angelegenheiten zu reden. Spricht man davon in deinem Hause, so mache dich taub. - Antworte nicht einem wütenden Vorgesetzten, sondern gehe ihm aus dem Wege. Sage das Süße, wenn er das Bittere sagt, und beruhige sein Herz. Dann wird er sich wenden und dich wieder loben nach seiner schrecklichen Stunde..... usw. " (11)
Um zu einem richtigen Entschluß zu kommen, ist es unbedingt notwendig, die Eindrücke und die darauf folgenden Reaktionen etwas abklingen zu lassen, da sie sich sehr unangenehm einmischen, und dann alles vom Standpunkte der Ewigkeit zu betrachten. Ein ausgerechnet schlechter Ratgeber ist der Zorn. Wie können wir die Worte Gottes in unserer Seele hören, wenn in ihr die Welt und unsere Leidenschaften toben? Nichts sollte uns daran hindern, stets Gott und Sein Gesetz zu sehen; immer müssen wir uns die Frage stellen: "Wie würde der Heiland an meiner Stelle handeln?" Sehr häufig geschieht es, daß ein ernstes Nachdenken ein ganz anderes Bild von der Lage gibt. Nach der Tat, schwerer Rat!
Bei wichtigen Sachen müssen wir stets den Heiligen Geist anrufen und um Seine Gaben bitten: "Vertraue auf den Herrn mit ganzem Herzen, aber auf eigne Einsicht verlaß dich nicht; auf allen deinen Wegen denke an Ihn, so wird er deine Pfade ebnen!" (12)
Bei der Verwirklichung unserer Aufgaben müssen wir alle unsere Kräfte gut erwägen; die Hindernisse, welche wir dabei zu überwinden haben beachten, wie auch alle Mittel, die uns zur Hilfe gereichen könnten. Auch unsere Umwelt müssen wir scharf in Augen behalten, damit wir später nicht enttäuscht sind. Da, wie wir uns soeben zeigten, unser Wissen unvollkommen ist, und auch der Feind unseres Heiles nicht schläft, müssen wir uns stets an den Himmel um Hilfe wenden.
Die Klugheit ist besonders notwendig, wenn wir die Sünde meiden und ein tugendhaftes Leben führen wollen. Zu wie vielen Sünden ist es allein durch Nachlässigkeit gekommen! Die tägliche aus Liebe zu Gott erfolgte Gewissenserforschung wird die Augen unserer Seele scharf machen, die häufige würdige heilige Kommunion wird die Gnade Gottes in uns vermehren; in ihrem Lichte werden wir alle Schwierigkeiten überwinden, die sich bei der Verwirklichung eines wahrlich christlichen Lebens einstellen sollten, welches die Bedingung für unser zeitliches und einmal ewiges Glück ist. "Wer ist unter euch weise und verständig? Der zeige, was er leisten kann, durch einen guten Wandel, in sanftmütiger Weisheit. Wenn ihr aber bittere Eifersucht und Streitsucht in euren Herzen tragt, so rühmt euch nicht und lügt nicht wider die Wahrheit. Das ist nicht die Weisheit, die von oben kommt, sondern eine irdische, sinnliche, teuflische. Denn wo Eifersucht und Streitsucht herrschen, da ist Unordnung und jegliche Verkehrtheit. Die Weisheit von oben aber ist vor allen Dingen lauter, dann friedfertig, nachgiebig, willfährig, (dem Guten zugetan), voll Erbarmen und guter Früchte, ohne Parteilichkeit und Heuchelei. Frucht der Gerechtigkeit wird in Frieden gesät für die, die Frieden halten." (13)
Fortsetzung folgt.
Anmerkungen:
(1) Röm. 8, 35-39. (2) Ephes. 6, 10-17. (3) Horatius Ep. I. 17. (4) Matth. 6, 33. (5) Matth. 10, 16. (6) Mark. 13, 33. (7) Röm. 8, 5-9. (8) Matth. 16,26. (9) Matth. 5,3. (10) Adolf Erman, Die Welt am Nil, Hinrich, Leipzig 1936. S. 84. (11) ebendort, Seite 220. (12) Sprüche 3, 5-6. (13) Jakob. 3, 13-18.
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