GÜLTIGE UND WIRKSAME MATERIE
(Wurzel, Stamm und Krone - XVII.)
von Dr. theol. Otto Katzer
So einfach ist es also mit der "materia valida" nicht! Wir brauchen nicht nur ein objektiv gültiges, sondern auch ein subjektiv wirksames Opfer! Es dürfte einleuchtend sein, daß dies nur unter gewissen Voraussetzungen zustandekommen kann. Über diese Bedingungen wollen wir weiter sprechen. Das eine sei aber noch betont: Nie darf eine Spezialisierung so weit gehen, daß sie die Ganzheit außer acht läßt! Alles Weitere würde sich als ein zersetzendes Element offenbaren.
Das hochheilige Meßopfer samt allen seinen Zeremonien ist eine Komposition des Heiligen Geistes und auch als solche zu behandeln. Mit gewissen Einschränkungen gilt auch von den Zeremonien, was Gihr vom Kanon sagt: "Aus Mangel an zuverlässigen historischen Zeugnissen sind wir nicht im Stande, genau und einzeln anzugeben, welche Bestandteile des Kanon apostolische Überlieferungen oder spätere Zusätze heiliger Päpste sind. Doch wird mit ziemlicher Gewißheit und großer Übereinstimmung angenommen, daß der hl. Papst Gregor I. (590-604) der letzte sei, der dem Text des Kanon einige Worte zugefügt habe." (Suarez III. disp. 83 sec. 2 n. 1-6)
Demnach ist der Meßkanon seit mehr 1200 Jahren nach Form und Inhalt abgeschlossen und völlig unverändert geblieben; durch seinen Ursprung, sein Alter und seinen Gebrauch ist er ein ehrwürdiges und unverletzliches Heiligtum. Ist je ein Gebet der Kirche unter dem besonderen Einfluß und der Erleuchtung des Heiligen Geistes zu Stande gekommen, dann ist es sicherlich das Opfergebet des Kanon. Derselbe ist ganz durchwebt vom Geiste des Glaubens und durchduftet vom Wohlgeruche der Andacht; er ist ein heiliges Werk voll Kraft und Salbung. (Majuskeln von O.K.) Auch die einfache Sprache desselben macht durch ihr markiges altertümliches und biblisches Gepräge einen ergreifenden Eindruck auf das Gemüt des Betenden und Opfernden; sie mutet die Seele an, wie die geheimnisvolle dunkle Atmosphäre der altehrwürdigen Basiliken ewigen Stadt. Ist es nicht eine Freude und Wonne für das Herz, daß wir am Altare jetzt noch die nämlichen Worte sprechen dürfen, mit welchen so viele fromme und heilige Priester der ganzen Kirche und aller Jahrhunderte stets gebetet und geopfert haben? Schon in der Periode der Martyrer und in den Grabkapellen der Katakomben sind die Gebete des Meßkanons geweiht und geheiligt worden. Wie erhebend und tröstlich ist dieser Gedanke! (1)
Was wird da aber jetzt nur herumseziert um zuletzt mit Goethe sagen zu müssen: "Die Teile haben wir in der Hand, es fehlt uns nur noch das geistige Band!" Ja, es fehlt uns das Licht des Heiligen Geistes, den anzurufen wohl die meisten Christen, Priester nicht ausgenommen, längst vergessen haben. Immer und immer wieder müssen wir uns beim hochheiligen Meßopfer bewußt werden: "Es wird nicht dargebracht, damit die Welt erlöst werde, oder der Preis unseres Heiles dargebracht werde, sondern daß uns aufgrund des Opfers, welches zum Andenken des Leidens dargebracht wird, uns die Verdienste eben dieses Leidens zugeteilt werden. ... Wenn wir nun die Erlösung durch Christus erwägen, dann müssen wir sagen, daß die Darbietung des Preises etwas anderes ist als die Applikation der Erlösung. So ist es auch etwas ganz anderes, wenn vom Arzt eine heilbringende Arznei vorbereitet wird, und etwas anderes, wenn diese dem Kranken eingegeben wird. So wurden wir zwar durch das (blutige - O.K.) Kreuzesopfer infolge der Darbringung des Preises und der entsprechenden Satisfaktion erlöst, durch das unblutige Opfer wird uns aber dieser Preis wie auch eine Fülle der Gnaden zugewiesen" (2), ohne welche der Erlösungsakt für uns zuletzt unwirksam bliebe. Es gibt, darf und kann kein "für-alle-Bezahlen" geben, wenn es auch der sehnsüchtigste Wunsch des Erlösers war, der Ihn auf die Erde führte und zuletzt ans Kreuz nageln ließ, daß sich alle retten lassen!
Dies alles müßte nicht nur dem Priester, wenn auch ihm in erster Linie, sondern selbst den Laien - die ja im Priester Priester sein sollen und wollen - bekannt sein. Die Unkenntnis in diesen Dingen entschuldigt den Priester keineswegs, ja sie wirkt noch belastender, "denn entweder sollten sie sich in dieses Amt nicht einmischen oder aber wenn sie es schon auf sich nehmen wollten, zuerst eine solche Unkenntnis beseitigen." (3) Es handelt sich ja nicht nur um die objektive Gültigkeit des hochheiligen Opfers wie auch des Sakramentes, welches neben andren eine gültige Materie voraussetzt, sondern auch um seine subjektive Wirksamkeit! Eine objektive Gültigkeit würde ohne die subjektive Wirksamkeit bei dem, auf den sie sich beziehen sollte, das Elend nur noch größer machen.
Bei der Behandlung der Frage müssen wir stets Seitenblicke machen, denn wir können uns mit der Behandlung eines einzigen der sogenannten wesentlichen Teile nicht begnügen; wir müssen immer und immer wieder den inneren Zusammenhang aller berücksichtigen. Die Liturgie ist nicht Belehrung, wenigstens nicht zuerst und nicht allein, sie ist Leben, will und muß erlebt werden. Was wurde da gejubelt und wird noch, daß die Einführung der Muttersprache jetzt die Pforten in den Tempel des Wissens weit geöffnet habe, jetzt endlich verstehe man alles. Dagegen aber müssen wir betonen: Wer nicht die Sprache des Symbols versteht, dem hilft auch keine Sprache; wer die Sprache des Symbols versteht, der braucht keine Sprache!
Das Jansenistische Bestreben hat scheinbar gesiegt. Der "Zweck der Liturgie", so betont ein Prager Theologe, Hnogek, im Jahre 1835, "besteht in nichts anderem als darin, daß sie vermittelst der Wahrheit der Religion, die sie in Umlauf und Erinnerung bringt, dieselbe versinnlicht und dadurch, daß sie vermittelst der Anschauung Gefühle und Vorsätze erweckt, die Tugend und folglich auch die Glückseligkeit der Menschen, und zwar zunächst derjenigen Menschen, unter welchen sie verrichtet wird, befördere." Mit recht antwortet darauf J. Kössing: "Statt dieser ganzen Schule die Forderung der Volkssprache zu verübeln, muß man ihr vielmehr zur Schuld anrechnen, daß sie die Liturgie in das Prokrustesbett ihres ausgenüchterten Verstandes einzwängen und ihr einen Zweck unterschieben will, den sie nicht hat. Es braucht nicht erst gezeigt zu werden, daß diese verkehrte Zweckbestimmung, wo immer sie Eingang gefunden, mit den giftigsten Anfeindungen um die Wette dazu beigetragen hat, die Liturgie in Mißkredit zu bringen, das Priestertum zu einem Religonslehrertum zu verflachen und die Kirche selbst, weil das innerste Heiligtum ihres Lebens in der Liturgie enthalten ist, zu einer baren Unterrichtsanstalt abzuwürdigen" (4), wo gelegentlich Festmahle gehalten worden als Andenken an jenes "heilige Mahl"! Wer könnte nach dem, was wir uns bis jetzt von dem hochheiligen Meßopfer gesagt haben, nicht sofort die Gefahr sehen, ja leider schon die traurigen Folgen, daß alles sich durch eine einzige falsche Einstellung zu einem Zerrbild gestaltet. "Woher kommt es, daß man glauben kann, der Kirche zu dienen, indes man in offenen Widerspruch zu ihr tritt? Ja, daß man glaubt, um der Kirche zu dienen, müsse man ihre Praxis bekämpfen und verwerfen?" (5).
Völlig ausreichend wurde schon darauf hingewiesen, daß die menschliche Natur sich wesentlich weder geändert hat noch überhaupt sich ändern kann. Sie soll und kann sich veredeln, dies kann sie aber allein im Glutofen der Liebe, im Herzen Jesu. Dazu brauchen wir wirklich keine andere Sprache als die des Symbols, wohl aber unser Herz, welches wir in Brot und Wein als die für uns einzig wirksame Materie symbolisch darbringen. Wie viele Menschen bieten aber auf diese Weise ihr Herz als die unumgängliche Materie dar?
Nichtsdestoweniger wird die Einführung der Landessprache in den Kultus als die nützlichste Reform angepriesen, und was die Kirche verdammt, wird eine gerechte Forderung und eine Notwendigkeit genannt. Ein solcher Widerspruch bei Leuten, die es mit der Kirche zu halten meinen, läßt sich nicht äußerlich erklären. Er muß sich auf eine von der kirchlichen ganz verschiedene, daher falsche Auffassung des Wesens und des Zweckes der Liturgie gründen. Und so ist es!" (6) Alles mögliche reformiert man, nur nicht das, was wir schon längst tun sollten, uns selbst:
Diese unglückliche Sucht, das zu reformieren, was ein Werk des heiligen Geistes ist und woran Jahrhunderte mit Liebe und Glauben gearbeitet haben, nicht aber in erster Linie sich selbst, wodurch der Mensch in Gefahr kommt, eine "materia invalida, zu werden, eine für sich nicht nur unwirksame sondern sogar tödliche Materie, ist ein erstes Anzeichen des kommenden Antichrists. Er wird glauben, lesen wir bei Suarez, daß der Herr über Zeiten und Gesetze ist, "er wird nämlich versuchen, die Zeiten umzuändern, das ist (wie Hieronymus sagt) die Zeremonien, Feste, ja gewiß die gesamte Religion, die durch lange Zeiten in der ganzen Welt begründet ist und in den Herzen der Menschen wurzelt, (er wird versuchen), wie göttliche so auch menschliche Gesetze zu ändern. Auch wird er keine von den ehemaligen Religionen bekennen, wohl aber eine neue einführen, in der Meinung, die Macht zu besitzen, Gesetze und Zeiten ändern zu können." (7) Wie weit es den Vorboten Antichrists gelungen ist, den Boden für sein Kommen vorzubereiten, darüber belehrt uns die ungenaue, meistens bereits falsche Auffassung von der Materie des Sakrifiziums und Sakramentes. Wollten wir uns, wie dem meistens ist, mit den Gestalten von Brot und Wein begnügen und uns nicht der unumgänglichen Verbundenheit mit dem durch das Brot und den Wein symbolisierten mystischen Leibe Christi bewußt werden und daraus Folgen ziehen, dann hätten wir keine für uns direkt wirksame Materie mehr vor uns!
Die Kirche opfert also, wie der hl. Rupert betont, "nicht nur bloßes Brot und Wein, so wie sie körperlich gesehen werden, sondern auch das, was mit den Augen des Glaubens allein gesehen werden kann, das Wort Gottes, Gottes Sohn" (8) und durch Ihn und mit Ihm auch alle die, welche, soweit es die menschliche Natur gestattet, Ihm nachfolgen wollen, entweder direkt während der mystischen "Via Dolorosa", dem mystischen Leidensweg, oder indirekt im Bestreben, so zu leben, wie das Gewissen es vorschreibt.
Papst Benedikt XII. wendet sich an den Katholikos der Armenier u.a. mit den Worten: "Basilius sagt: Wir bitten Dich und flehen Dich an, (Herr) sende den Heiligen Geist über uns und lasse diese dargebrachten Gaben, d.i. die durch das Brot dargestellten Christgläubigen Deinem heiligen Leibe eingegliedert werden und sich mit Ihm vereinen, damit sie durch Deinen Geist belebt werden, denn niemand kann im Geiste Christi leben, wer nicht dem Leibe Christi angehört." (8a)
Fragen wir uns nun, warum gerade Brot und Wein dargebracht werden, so müssen wir sagen: "Brot und Wein repräsentieren die Sustentationsmittel unserer leiblichen Existenz, und die Hingabe unseres physischen Lebens an Gott könnte nicht passender dargestellt werden als in der Opferung von Brot und Wein." (9)
Hiermit ist unsere existentielle Abhängigkeit von Gott klar zum Ausdruck gebracht. Keinen Tag sind wir Herren unser selbst. Diese Ergebenheit wird schon die Alten Sumerer dazu geführt haben, 360 Brote darzubringen; denn kein Tag gehört ja uns. Auch haben wir uns schon gezeigt, daß man in den alten Zeiten sich wohl bewußt war, wie wir schon angeführt haben, daß die Einnahme von Nahrung eine in sich heilige Handlung ist, da dies mit dem Entschluß geschieht, die durch die Speise vermittelten Kräfte Gottes - denn Er ist je der letzte Quell alles Seins - für einen intensiven, Gott geweihten Dienst zu benutzen.
Auch unterscheidet sich der Mensch durch diese Nahrung vom Tiere; denn kein Tier bereitet sich die Speisen wie der Mensch. Der Christ arbeitet, um Gott dienen zu können,welchem Beruf er auch nachgehen mag; und um arbeiten zu können, muß er essen. Ein Verzicht auf die Speise ist also gleichbedeutend mit dem Verzicht auf das Leben, wie es Isaac de Stella schön in seinen Ausführungen darstellt, aufzufassen. (10)
Die Anteilnahme beim Werden von Brot und Wein vonseiten des Menschen ist so intensiv, wenn sie auch ein Nichts ist im Vergleich mit dem, was Gott selbst geleistet hat, daß das Leben des Menschen seinen Sinn verliert, wenn er das Brot und den Wein nicht richtig einschätzt.
Indem Sylveira sich auf Algerus beruft, betont er, "daß Brot und Wein die den Menschen eigentliche Nahrung ist, nicht aber die der Tiere. Deshalb gebrauchte Christus beide ob des geheimen Sinnes, damit dem Menschen eine ihm entsprechende, und gebührende Erfrischung geboten werde. Der Herr gründete dieses erhabene Sakrament nicht in Baumfrüchten, denn diese gehören den Vögeln; nicht im Fleische irgendeines Tieres, da an ihm sich die Raubtiere ernähren; nicht in der Gerste, da dies den Lasttieren und Pferden gehört, sondern in Brot und Lein, welche die dem vernunftbegabten Menschen eigene Nahrung bilden. Auf diese Art und Weise wollte der Herr andeuten, daß wir nicht unbedacht an diese Speise und diesen Trank herantreten, sondern mit Überlegung, was für einem Tisch wir uns nahen!" (11)
Es wird sicher nicht notwendig sein, darauf besonders aufmerksam zu machen, daß ein Stück Brot Ausdruck unserer Arbeit, unseres Lebens ist. Welchem Beruf wir auch nachgehen mögen, immer ist es, um das tägliche Brot zu erwerben. Wenn wir ein Stückchen Brot in die Hand nehmen, dann können wir uns sagen, daß dieses das Endergebnis auch unserer Arbeit ist. So viele Körnlein, so viele Tröpfchen; wieviele Lebensäußerungen, vom ersten Schritt in der Schule angefangen, ja vom ersten Schritt ins Leben! Welch ein beglückender Gedanke, wenn wir bedenken, was für einen Wert auch die geringste Äußerung unseres Lebens annimmt!
Bei der heiligen Wandlung wird Brot und Wein in den heiligsten Leib und das heiligste Blut verwandelt, unsere durch Brot und Wein symbolisierten Lebensäußerungen in Blumen und Blüten der Tugenden und guten Werke des himmlischen Gartens, der bei der heiligen Taufe in unserem Herzen angelegt wurde. Da können wir im Glanze der Gnadensonne mit unserem Heiland lustwandeln und das finden, wonach die Welt ohne Eucharistie umsonst strebt; Freude und Frieden! Wie armselig ist demgegenüber das Leben eines Menschen, der das Brot und den Wein seines Lebens, seine Arbeit und sein Leid nicht direkt oder indirekt aufgeopfert hat! Für einen solchen werden die Lebensäußerungen zu Staubkörnlein und Ruß, die sein Herz zuletzt in einen Kehrichthaufen verwandeln mit all den traurigen Folgen.
Bereits jetzt können wir klar erkennen, was die heilige Wandlung bei dem erwirkt, der seine Arbeit, und sei sie auch nur die eines Straßenkehrers, beim Offertorium zu der Arbeit Christi und aller Brüder in Christo gesellt, und wie letzten Endes bedeutungslos das Leben dessen verläuft, wie "groß" seine Taten auch sein mögen, wenn er sie nicht aus Liebe zu Gott tut.
(Fortsetzung folgt)
Literatur:
(1) Das heilige Meßopfer dogmatisch, liturgisch und aszetisch erklärt, Dr. Nikolaus Gihr, Herder 1877, pg. 536. (2) Jo. Laurentii Berti, Opus de theologicis disciplinis, Tom. IV, Romae 1765, Lib. XXXIII, cap. XIX. (3) Suaresius, Tom. 3, De Sacramentis et Consecratione, D.16, s.1 et 2, Qu. 65. (4) Liturgische Vorlesungen über die heilige Messe, J. Kössing, Manz, Regensburg 1856, pg. 9. (5) Ebendort, pg. 7. (6) Ebendort, pg. 8. (7) Defensio fidei Lib. V. De Antichristo, cap. 23,22. (8) P.L.S. Ruperti abbatis De divinis officiis, Lib. II, col. 34 B. (8a) Zitiert bei Höller: Die Epiklese ..., S.13. (9) Kössing, op. cit., pg. 364. (10) Isaac de Stella, Epistola de officio Missae, PL 194, Coll. 890 sqq. (11) Sylveira Joannis, OCarm. Commentariorum in Textum Evangelicum, Tom. III, Lugdunis 1697. Lib. V. cap. XXXV, Sermo eucharisticus, qu.12.
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