DER PROTESTANTISCHE SCHLUSS ZUM DEUTSCHEN "VATER UNSER" IN DER RÖMI. KATH. LITURGIE
von Luise von Weymarn
Wenn man heute eine unserer schönen und Dank eines gläubigen und mutigen Pfarrherrn - noch - nicht bildergestürmten bayerischen Barockkirchen aufsucht, dann kann es sein, daß dort ein sogenannter Gottesdienst über die Bühne geht, den man eigentlich nur noch mit der Bezeichnung "Gulaschmesse" definieren kann. (Diese Bezeichnung stammt - leider - nicht von der Verfasserin, sondern von einem gläubigen katholischen Priester!)
Es beginnt mit dem mehr als als lautstarken allgemeinen Bekenntnis vom "unterlassenen Guten", wobei hier wie im folgenden die Frage offen bleibt, wie bei soviel Lautstärke noch Raum sein kann für eine wirkliche Besinnung, sowohl für den Zelebranten als auch für die Gläubigen, und man sehnt sich zurück in jene Zeit, in der das Hl. Meßopfer mit einem stillen Confiteor des Priesters - zwar lateinisch, aber allen Anwesenden ein Begriff - begonnen hat.
Das geht dann so weiter, bis nach einem ebenso lautstarken, deutschen "Heilig, heilig, heilig" der deutsche Teil zunächst bewältigt zu sein scheint. Der Zelebrant gönnt sich einen kurzen Augenblick der Stille und betet dann lateinisch weiter. Und - o, Freude! - er konsekriert auch lateinisch und somit auch den Kelch "pro multis" (für viele) und nicht mit der falschen deutschen Übersetsung "für alle". Er hat also unumstritten gültig konsekriert. Weil er das getan hat, scheint er noch zu wissen, um was es geht und auch die Absicht zu haben, gültig zu konsekrieren. "Auf die Absicht kommt es an", hört man heute immer wieder, wenn man es wagt, die Gültigkeit einer Konsekration mit der gefälschten Übersetzung "für alle" in Frage zu stellen, sinngemäß dann natürlich auch für die Gestalten des Brotes, weil ja das eine das andere in sich begreift und nicht getrennt werden kann. Wobei ja schon mit der Version, daß es auf die Absicht ankomme, die Fragwürdigkeit eines solchen Geschehens bewiesen ist. Ganz abgesehen davon, daß man sich bei dem Heiligsten, das die Kirche als einzige auf der ganzen Welt vor Gott und vor der Welt und unter allen Religionen hat, derartige Willkürlichkeiten besser nicht leisten sollte. Jeder Lateinschüler in der ersten Klasse weiß es besser - daß nämlich "pro multis" "für viele" heißen muß und gar nicht "für alle" heißen kann.
Also man ist dankbar für die gültige Konsekration der Gestalten von Brot und Wein und man ist bereit, das übrige zwar nicht gut zu heißen, aber zu ertragen, besser gesagt, "zu hinterlegen". Bis dann plötzlich etwas geschieht, etwas absolut unannehmbares. Wieder bei der deutschen Lautstärke angelangt, folgt das Vater Unser in der von protestantischen Theologen akzeptierten Wortstellung. Die nachfolgenden Bitten können eine Rückbesinnung auf frühchristliche Formen darstellen, wenn sie nicht mit dem von Martin Luther in seiner deutschen Obersetzung der Hl. Schrift - und nur in dieser - willkürlich dem Vater Unser angehängten Schluß "denn Dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit" - ebenfalls eine Verzerrung alter Texte in ihrem wirklichen Wortlaut wie in ihrer Bedeutung - schließen würden.
Daß der Zelebrant, der mit den lateinischen Konsekrationsworten unter Beweis gestellt hat, daß er noch weiß, um was es geht und worauf es ankommt, die ihm bis dahin zugebilligte Glaubwürdigkeit mit der pluralistischen Ansteuerung dieses nicht schriftgemäßen Anhängsels derartig in den Wind schlägt, läßt die Frage unvermeidbar werden, ob er die Konsekrationsworte nur gewissermaßen "als Rückversicherung" so und nicht anders gesprochen hat. Ganz abgesehen von der beispiellosen und geradezu widerlichen Aufdringlichkeit, mit der die also herausgeforderten sogenannten Gläubigen dabei ebenso lautstark wieder mittönen. "Endlich sind wir auch protestantisch", genau so hört sich das an, ehe sie nachher bei der Austeilung der Hl. Kommunion selbstverständlich stehend ihre mehr oder weniger sauberen Hände hinhalten, um den Leib des Herrn "zu nehmen".
Einen wirklich frommen Protestanten kann so etwas nur abstoßen, und man muß an das Wort des ehrwürdigen Probst Algermissen denken: "Wenn Rom protestantischer ist als uns Evangelischen lieb ist".
Ich habe es für meine Pflicht gehalten, nach der Hl. Messe den Zelebranten zu befragen wegen dieses, dankenswerterweise noch gar nicht vorgeschriebenen Zitates, und ich habe außer dem Beweis einer erstaunlichen Unkenntnis über die tatsächlichen Zusammenhänge dieses Nachsatzes zum Vater Unser mit der Überlieferung und einer ebenso erstaunlichen Ignoranz gegenüber der Tatsache, daß man dieses Zitat frei nach Martin Luther in die Liturgie der Hl. Messe eingeschleust hat, die mit nichts zu überbietende Antwort bekommen: "Aber wenn's der Papst doch erlaubt?"
Vielleicht ist es angebracht, ein Wort über die Herkunft dieses, gemäß der Hl. Schrift nicht zum Vater Unser gehörigen Nachsatzes beim deutschen Vater Unser im Luthertext zu versuchen.
Es gibt eine griechisch-deutsche Ausgabe des Neuen Testamentes der Württembergischen Bibelanstalt in Stuttgart, Herausgeber sind Eberhard Nestle und Kurt Aland. Was man als sogenanntes Imprimatur ansprechen könnte, lautet wie folgt: "Der griechische Teil entspricht der 25. Auflage des Novum Testamentum Graece von Eberhard Nestle 1963. Der deutsche Teil enthält den vom Deutschen Evangelischen Kirchenausschuß 1912 genehmigten Text." (Ich habe mich nicht verschrieben, es heißt tatsächlich "eintausendneunhundertzwölf".)
In der protestantischen Ausgabe des NT mit griechischem und deutschem Text steht im griechischen Teil nach der fünften Bitte: "und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern" und nach der sechsten Bitte: "und führe uns nicht in Versuchung", die letzte Bitte: "sondern erlöse uns von dem Übel" (Matth 6,13) und im logischen Rückgriff auf die fünfte Bitte mit dem Schluß "wie auch wir vergeben unseren Schuldigern" folgt unmittelbar - Matth 6,14 - die Ermahnung des Herrn an seine Jünger: "Denn so ihr den Menschen ihre Fehler nicht vergebt (...)" usw.
Im gegenüberstehenden deutschen Luthertext aber, also zwischen der letzten Bitte "erlöse uns von dem Übel" und der sofort im griechischen Text anschließenden Ermahnung "so ihr den Menschen ihre Fehler nicht vergebet" steht der von Luther willkürlich eingefügte Satz "denn Dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit". Er steht da, noch an Mathh 6,13 angehängt, ohne jede Beziehung zum griechischen Text und ohne den geringsten logischen Zusammenhang mit den Herrenworten - Matth 6,14 - "so ihr den Menschen nicht vergebt". Man muß dieses Loch zwischen den beiden Texten einmal optisch auf sich wirken lassen!
Daß es sich in der sonst mit textkritischen Fußnoten überaus reichlich versehenen Ausgabe und im deutschen Teil mit den fast kleinlich wirkenden Hinweisen auf frühere deutsche Lesarten bei Luther, z.B. daß er einmal "Fehle" und einmal "Fehler'' geschrieben habe, keinerlei Hinweis zu dieser eigenmächtigen Hinzufügung zum Vater Unser - Mathh 6,13 - findet: Dem Kenner ist diese Eigenmächtigkeit Luthers geläufig und für das Kirchenvolk ist dieser im Urtext nicht vorhandene Schluß eben der Schlußsatz zum Vater Unser. Dafür wird dann aber an einer anderen Stelle so ganz nebenbei auf "Luthers freie Stellung gegenüber einigen Schriftstellern des NT", noch dazu rührend, hingewiesen. Immerhin für eine, wissenschaftlichen Wert beanspruchenden Text - Ausgabe eine verblüffende Feststellung, daß dieser gewiß nicht als nebensächlich zu bewertende Zusatz Luthers zum Vater Unser einfach "so mitläuft". Und unsere sonst an Textkritik nicht zu überbietenden modernen, katholischen Theologen übernehmen in vorsätzlicher Kritiklosigkeit diesen nicht biblischen Zusatz wörtlich nach Luther und schleusen ihn in die Gebete, der Hl. Messe ein, während auf der anderen Seite pausenlos und bedenkenlos wertvolles, gewachsenes Gebetsgut als überholt, einfach gestrichen wird, bis hin zum Ordo missae eines Hl. Papstes.
(Fortsetzung folgt) |