DER VERFALL DER THEOLOGIE
von Joachim May
Man hat unsere Zeit die des Scientismus genannt. Gemeint ist damit nicht nur das Vordringen der humanen Wissenschaften in alle Bereiche des Lebens, dessen Erforschung und Faßbarmachung durch verifizierte Fakten und Gesetze, sondern auch die wachsende Überzeugung der Menschen von der Allmacht der Wissenschaft. Wissenschaft wird zur Ideologie, zu einem System, das immer mehr Menschen Sicherheit und Gewißheit verleiht, Wissenschaft stillt für so viele Menschen das ihnen eingeborene Heilsbedürfnis, das keinem Menschen fehlt. Wenn die Religion nicht mehr "zieht", dann treten in den entstandenen Hohlraum Ideologien ein und nehmen ihre Stelle ein. Der Marxismus ist eine solche Ersatzreligion.
Auch die Theologie ist dem, Sog zur Verwissenschaftlichung erlegen. Sie ist "verstrickt in Rollen- und Methodenprobleme", sie wird mehr und mehr zu einem "szientifischen Glasperlenspiel" im luftleeren Raum. Der Praxisbezug ist weithin verlorengegangen, sie hat "den Kontakt mit der betenden und lehrenden Kirche; (...) schlimmer noch, auch mit den suchenden und fragenden Menschen verloren. So (ist) sie anstatt zum Leuchtturm der Gotteswahrheit zur Spielwiese problemsüchtiger Intellektueller, um nicht zu sagen zur Eiswüste eines kalt rechnenden Funktionärsgeistes geworden." (Eugen Biser, in: Die Verachtung des Gemüts, ed. Joh. Schlemmer, München 1974)
Woher kommt das? Die große Zahl der Theologen ist auf der Jagd nach ständig neuen Erkenntnissen aus, die alles das, was früher "erforscht" und "entdeckt" wurde, in den Schatten stellen soll. Das ist der Hochmut von Aufklärern, die den Grundsatz der Theologie vergessen haben, "Christliche Theologie kann (...) die Substanz der geoffenbarten Botschaft nicht vermehren, ihre Aufgabe ist es vielmehr, diese Botschaft unverkürzt, authentisch und mit sich identisch durch die Jahrhunderte weiterzugeben, sie besser zu verstehen und deutlicher zu erklären. Der Ehrgeiz vieler moderner Theologen, sich genau so zu verhalten, wie es die Vertreter anderer Wissenschaften tun und wie das Publikum es erwartet, verführt sie immer wieder zu den riskanten Versuch, das 'Christentum der modernen Zeit anzupassen'" (RhM 2.1. 1976), und es damit zu verfälschen, wie das heute, ohne Rücksicht auf Verluste, weithin geschieht." (...) Die Lage des Theologen - in der Regel ein Priester - ist eine ganz besondere. (...) Die 'Freiheit der Wissenschaft und Forschung' wie sie z.B. ein Sprachforscher, ein Geologe oder ein Astronom genießt, gibt es keineswegs für den Theologen, der nicht nur der Königin der Wissenschaften, sondern auch auch seiner Kirche dient. Hier gilt daher vor allem das ignatianische sentire in ecclesia (...). Will er diese Grenzen nicht anerkennen, diese Ketten nicht tragen, dann sollte er sich nach anderen, aufregenderen, lukrativeren und auch eine noch größere Publizität versprechenden Berufen umsehen: er kann Skikanone werden, musikalischer Clown in einem Wanderzirkus, Croupier, Parterreakrobat oder Politiker. In der Tat ist auch der Theologe heute nur zu oft ein Lustobjekt der Massenmedien geworden, und wir kennen Modetheologen, die vom Fernsehen her falsche Perlen richtigen Säuen vorwerfen. Nichts aber ist für den schöpferischen Menschen verderblicher als der Applaus der Massen. - Der Theologie darf man sich nur auf den Knien nähern, denn man sinnt und schreibt hier über die erhabensten Dinge. Der Heilige Geist, und somit Frömmigkeit, Ehrfurcht vor der Überlieferung und der Schrift, Gebet und Meditation müssen den Theologen in seiner Arbeit helfen. Er soll auch davon überzeugt sein, das alles menschliche Sagen über das Heilige immer nur ein Stammeln sein kann und daß es niemals der Selbstbehauptung und der Selbstverherrlichung dienen darf". (E. von Kuehnelt-Leddihn, in: "Fels": 1/1976) "Wie oft gleitet (...) der gute Theologe von der männlichen Eitelkeit in die weibliche Gefallsucht hinüber. Nur zu oft begegnen wir diesem Übel heute im Zeitalter der Massenmedien: andersgläubige Meinungen verursachen viel mehr Aufsehen als Bestätigungen uralter Lehrsätze. Ein Priester, der sich zur Abwechslung für die Tele-Kamera einen Betonkragen umhängt und dann zur Erbauung des staunenden Publikums einen Libertinismus verzapft, wobei er mit seinem offenen Rundmaul wie ein von der Sexwelle überwältigter Karpfen aussieht, ist wahrscheinlich erfolgreicher als ein evangelischer "Bischof" - wir haben einen solchen in Österreich -, der in der Abschlachtung der Ungeborenen die Einladung zu einem neuen Auschwitz sieht". (RhM 25.7 1975)
"Bar jeder Eitelkeit sollten unsere Theologen in die Knie gehen und gewahr werden, daß sie über heilige Geheimnisse als höchst verantwortliche Glieder der Kirche reden. Der zukünftige Theologe tut dies mit viel mehr Gewicht als der Laie am rauchigen Stammtisch oder mit dem Glas Martini in der Hand auf der Cocktail-Party. Je höher er auf der Gangleiter steht, desto gebundener ist der Mensch. Und von allen Männern der Wissenschaft ist der Theologe der gebundenste. Selbst der Papst ist ein servus servorum Dei. So soll auch der Theologe ein Knecht sein. Und keine umjubelte Primadonna". ("Fels" 1/1976)
Davon ist so mancher Theologe weiter denn je entfernt. Sie haben das Staunen verlernt, denn sie wissen alles (wie sie meinen). Ihrem intellektuellen Zugriff verschließt sich, wie sie glauben, nichts; demütiges Stehen vor dem Wunder, dem Geheimnis, dem Unerforschlichen erschiene ihnen als "unwissenschaftlich" - und dabei ist doch alles das, das Wunder, das Numinose, das Rätsel, das Geheimnis in die ontische Grundausstattung des Menschen vom Schöpfer eingeplant. In der Tat: "Die Rätsel Gottes sind befriedigender als die Lösungen der Menschen." (G.K. Chesterton)
An dieser Grundeinstellung fehlt es in der Theologen-Intelligentia weithin. Zu den Akten gelegt ist auch das Grunderfordernis, das der Universitäts-Theologe, der wissenschaftlich arbeitende Theologe sein Leben lang mit der seelsorglichen Praxis in enger Verbindung bleiben muß. Heute hält sich so mancher theologische Wissenschaftler (und Schreibtisch-Funktionär) des konkreten Seelsorgsdienstes für ledig, wenn er bestimmte Positionen am grünen Tisch oder in der Studierstube erreicht hat. Er zelebriert kaum noch, im Krankenhaus ist er nicht mehr zu finden, Hausbesuche, auch gelegentliche, erscheinen ihm störend, den Beichtstuhl meidet er wie die Pest. Nur das Predigen läßt er meist nicht aus, weil er da seine neuen "wissenschaftlichen Erkenntnisse" an den Mann, sprich unter das Volk bringen und somit Image-Pflege betreiben kann. Publicity und Selbstbeweihräucherung sind ihm wichtiger als das kontemplative, betende Leben fern aller Öffentlichkeit. Dabei dürften sie das, was sie dann "erforschen" oder schreiben und in die Öffentlichkeit bringen immer, wie das P. Gypkens einmal in ähnlichem Zusammenhang gesagt hat, "nur nach 8 Tagen strengen Fastens und nach einem Gelübde der Abstinenz von Alkohol und Nikotin. Sonst ist es pure Heuchelei (...)" (SB 4/1975) Für den Theologen sind "Frömmigkeit, Meditation und Gebet von zentraler Wichtigkeit, Vernachlässigung seines Glaubenslebens verunsichert den Theologen in geradezu unheimlichem Ausmaß. Gerade ihn versucht der Dämon gerne, was ja auch Luther auf der Wartburg erfuhr(!). Theologie handelt, wie das Wort sagt, primär von Gott, aber auch von seiner Schöpfung und seiner Kirche, der man in Treue und Liebe verpflichtet ist. Die 'Gotteslehre' kann eigentlich nur auf den Knien gedacht werden und gelehrt werden. Geschieht das heute?" (RhM 25.7.1975) Abgelöst vom Urgrund alles theologischen Denkens und Redens und Seins, verfallen so viele Theologen einem reinen Intellektualismus, einer "Verhirnlichung", die sie von den Humanwissenschaftlern, den Naturwissenschaftlern, kaum noch unterscheidet. Daher rühren die vielen Irrwege, die Abweichungen und Häresien, die der "modernen Theologie" anzulasten sind. Wer Gott nicht mehr im Rücken hat, sondern ihn erst suchen muß, wer nicht aus Ihm lebt, um Ihm dann den Gläubigen immer eindringlicher näherzubringen, der bewohnt eine vielleicht sogar recht komfortable Luxuswohnung im fünften Stock, zu der keine Stiege aus dem vierten usw. Stockwerk heraufführt. Hier sind natürlich nur die Theologen angesprochen, die überhaupt noch einen Bezug zur Theologie im Sinne des durch Schrift und Tradition vorgegebenen Glaubensgutes haben, nicht aber die, die den Boden unter den Füßen verloren haben und nurmehr eine innerweltliche Heilslehre unter Abschneidung der Transzendenz vertreten.
Inne werden müßte die gesamte Theologen-Kaste der Relativität ihrer "letzten Schreie". Sie müßten sich wieder der Tatsache bewußt werden, daß Jesus Christus nicht im "mythischen Nebel auf die Welt gekommen" ist, sondern im "hellen Licht der Geschichte". Die Botschaft, die er brachte, ist Offenbarung, "das heißt auslegbar, interpretierbar - aber nicht veränderbar. Sie kann nur angenommen werden wie sie ist, oder sie muß abgelehnt werden". (RhM 2.1.1976) Zur Annahme bedarf es der demütigen Einsicht in die Ungeschichtlichkeit der von Christus verkündeten Wahrheit, eine Einsicht, wie sie Millionen schlichter Gläubiger zu allen Zeiten gehabt haben und haben. Wer freilich seinen (wissenschaftlichen) Stolz nicht kreuzigt, der verfällt der superbia, der praesumptio, der arrogantia. "Die 'Neuerer' aller Jahrhunderte wollten es (immer) besser wissen, haben ein wenig Lärm gemacht und sind verschwunden. Die stillen Beter, die schlichten Gläubigen, die getreuen Märtyrer sind die einzig bleibenden Typen von Golgotha bis heute. Sie werden bleiben, wenn schon keiner mehr die Namen Pfürtner und Küng oder auch Rahner und Metzler und Vögtle nennt, die großen Namen derer, die Paulus nicht gelesen haben oder nicht verstanden haben". (SB 4/1975)
Dieser Paulus war Akademiker, aber er schreibt: "Es sind nicht viele Weise unter euch." - Und was tun wir? "Wir schulen Startheologen als Pfarrer und halten den Diplomtheologen für die Creme der engagierten Laien. Wir halten einen Religionsunterricht, der Religionskunde statt Verkündigung ist, und bilden uns etwas ein auf Bibelkritik. Daß in Wirklichkeit die Beter des Sühnerosenkranzes die Retter der Welt sind und die frommen alten Dorfpfarrer die Hüter der Offenbarung, daß in Wirklichkeit die Jugend an seelischer Unterernährung krepiert, weil ihr selten das Brot des Wortes Gottes geboten wird; daß Glaube wichtiger ist als Theologie, und Theologie, die den Glauben schwächt, Satansdienst ist, vergessen wir". (SB 4/1975)
Und solches erlesen wir in unseren Tagen: "Es wird sogar um jeden Silberling gefeilscht. Meist werden keine eklatanten Irrlehren vorgetragen, wenigstens am Anfang nicht, sondern gewagte mehrdeutige Formulierungen, die bestimmt falsch aufgefaßt werden, im Notfall aber rechtgläubig interpretiert werden können. Soll mehr Unsinn verzapft werden, muß ein höheres Maß an Publicity angeboten werden - ein Silberling mehr. Für das Presse-Etikett 'fortschrittlicher Theologen' wird glatter Verrat geliefert, weil es ein Höchstpreis ist, der anders nicht zu erzielen ist. - Unsere eigentliche Gefahr sind nicht führende Atheisten und Humanisten. Sie machen keinen Hehl aus ihrer Position. Wer sich von ihnen unterkriegen läßt, trägt selbst die Verantwortung. Unsere Gefahr sind die Leute, die sich der Gefolgschaft Jesu rühmen, aber um der Silberlinge 'Publicity' willen die Lehre Christi fälschen, bis ein Christusbild und ein Kirchenbild entsteht, das den anderen paßt und ihnen Munition gegen die Rechtgläubigen und gegen die wahre Kirche liefert. Man fragt sich manchmal, wie diese Leute einmal sterben werden. Wir wünschen ihnen einen christlichen Heimgang - wahrhaftig. Aber Judas erhängte sich mit einem Strick". (SB 18/1975)
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