FRAU, SIEHE, DEIN SOHN!
(Wurzel, Stamm und Krone XXIX.)
von H.H. Dr.theol. Otto Katzer
"Wie schaudervoll war nun die Qual Abrahams die drei Tage hindurch, welche er mit seinem Sohn Isaak verbrachte, seinem vielgeliebten Sohne, den er auf Anordnung des Herrn opfern sollte. Oh Himmel, es waren nicht bloß drei Tage, durch welche hindurch Maria einen ähnlichen Schmerz erleben sollte, sondern dreiunddreißig Jahre! Was sage ich, "einen ähnlichen Schmerz"; es war ein viel größerer Schmerz als der des Abraham, weil ihr Sohn unendlich liebenswürdiger war als der des Patriarchen." (1)
"Im Innersten der Jungfrau wurde Christus gekreuzigt; so bemerkt der selige Laurentius Justinianus in: "De incendio divini amoris" cap. 4. (Vom Feuer der göttlichen Liebe): "O wunderbare Sache, der ganze Christus wurde im Innersten deines Herzens gekreuzigt" und so spricht er (Laurentius) die Jungfrau an: "Ach wäre Er auch in uns gekreuzigt, möchte sich doch der ob (unseres) Mitleides in unserem Herzen gekreuzigte Christus zeigen! (2)
"Das Herz Mariä", sagt der heilige Laurentius, "wurde zum Spiegel der Leiden Christi, man sah sich hier spiegeln all die Speichelauswürfe, die Schläge, die Wunden, wie alles, was der Herr zu erdulden hatte." "Die am Leibe des Herrn verstreuten Wunden", bemerkte der hl. Bonaventura, "fanden sich im Herzen Mariä vereint." (3) Wie wir gleich zeigen werden, bezog sich das "Mit-leiden" der Mutter auf das ganze Leben des Erlösers, von der Empfängnis bis zur Auferstehung. Doch beziehen sich die aktiven und passiven Auswirkungen seines Lebens auf alles menschliche Geschehen, vom ersten Menschen bis zum letzten, wie es in den Ölbergstunden zum Ausdruck kam.
"Die Kelter trat ich allein, und aus den Völkern war kein Mann mit mir" (Is. 63,3). "Du hast recht"', bemerkte der hl. Laurentius dazu, "zu sagen, daß die Menschen Dich allein leiden lassen, und daß unter ihnen sich kein einziger findet, der mit-leiden würde; es gibt aber eine Frau, und das ist Deine Mutter, welche in ihrem Herzen all das leidet, was Du am Körper!" (4). Es ist aber nicht allein das körperliche Leiden Jesu, welches die Mutter erbeben läßt, sondern auch all das seelische Leid findet hier ihren Widerhall. "Die Seele ist immer mehr dort, wo das ist, was sie liebt, als dort, wo das ist, was sie belebt", betont der hl. Bernard. (5) Es ist der Heiland selbst der sagt: "Denn wo euer Schatz ist, da ist auch euer Herz." Wenn also Maria durch ihre Liebe mehr in ihrem Sohn lebte, als in sich selbst, mußte sie an all Seinem Leiden teilnehmen, welches, wie sehr es auch am Kreuze seinen Höhepunkt erreichte, sich dennoch auf Sein ganzes Leben bezog.
An dieser Stelle müssen wir die Leser bitten, in tiefgehenden Meditationen das zu ergänzen, was wir hier voll zum Ausdruck zu bringen nicht imstande sind. Der hl. Ildefons macht darauf aufmerksam, daß die Leiden der Jungfrau all die Qualen der Märtyrer zusammengenommen weit überragte, ja der hl. Bernardin geht sogar so weit, daß er sagt, daß wenn man die Schmerzen Mariens unter alle Menschen austeilen würde, es würde genügen, daß sie augenblicklich sterben müßten.
Bevor wir diese unsere Betrachtungen über das Leiden der Mutter Gottes beenden, um auf unser eigenes Mit-leiden zurückzukommen, müssen wir noch nachforschen , was mit der Mutter Gottes während der Ölbergstunden geschah.
Welche Mutter war mehr eingestellt auf ihren Sohn, als Maria?! Dazu müssen wir noch die Vollkommenheit ihrer Person in Betracht nehmen, was sowohl den natürlichen, als auch den übernatürlichen Bereich anbelangt.
Es wird wohl nicht notwendig sein auf die unzähligen Beispiele aus der Metapsychologie zurückzugreifen, wo eine Mutter ein verhängnisvolles Erlebnis ihres Kindes, oft tausende von Kilometern entfernt, miterlebt. Aus diesem Grunde können wir die Vision Katharina Emmerichs als annehmbar betrachten, wenn wir auch nicht behaupten, daß alles so, wie es von ihr beschrieben worden ist, verlaufen sein muß!
"Während dieser Angst Jesu", erzählt die Seherin, "sah ich die heilige Jungfrau auch große Angst erleiden im Hause der Maria Markus. Sie war mit Magdalena und Maria Markus in einem Garten am Hause und lag zusammengekrümmt auf einer Steinplatte in die Knie gesunken. Wiederholt verlor sie die äußere Besinnung, denn sie sah innerlich vieles von den Qualen Jesu. Sie hatte schon Boten um Nachricht von ihm ausgesandt, aber sie konnte sie nicht erwarten und ging in ihrer Angst mit Magdalena und Salome hinaus in das Tal Josaphat. Ich sah sie verhüllt gehen und die Hände oft gegen den Ölberg ausstrecken, denn sie sah im Geiste Jesus vor Angst Blut schwitzen, und es war, als wollte sie mit ihren ausgestreckten Händen Jesu Angesicht abtrocknen; durch diese ihre heftige Seelenbewegung nach ihrem Sohne hin, sah ich auch Jesus vom Andenken an sie gerührt und wie Hilfe suchend nach ihr hinschauen. Ich sah diese Teilnahme aneinander in Gestalt von Strahlen erscheinen, welche sie gegenseitig zueinander hinsandten. Auch an Magdalena dachte der Herr und fühlte ihren Schmerz, und blickte nach ihr, und wurde von ihr gerührt; darum befahl er auch den Jüngern, sie zu trösten, denn er wußte, daß ihre Liebe nach der Liebe seiner Mutter die größte war, und er hatte gesehen, was sie noch künftig leiden und wie sie ihn bis zu ihrem Tode nicht mehr beleidigen würde." (7)
Dazu sei nur noch bemerkt, was aus dem bereits gesagten schon klar sein dürfte, daß es nicht die selbstische Angst vor dem Tode und den mit ihm verbundenen Leiden war, die den Heiland drückten! Er sagt ja auch: "Meine Seele ist zu Tode betrübt!" - nicht wegen des kommenden Todes!!! "Keine Zunge vermag auszusprechen, welche Schrecken und Schmerzen die Seele Jesu durch diese Bilder genugtuenden Leidens inne ward" - so bemerkt Katharina Emmerich, - "denn er erkannte nicht nur die Bedeutung aller der Sündenlust entgegengesetzten Sühnungspein, sondern auch den Inhalt aller darauf bezüglichen Marterwerkzeuge, so, daß ihn nicht nur die Pein des Werkzeuges allein entsetzte (bedenken wir nur in diesem Zusammenhange all dessen, was sich in verschiedenen Konzentrationslagern zugetragen hat und noch zuträgt, O.K.), sondern auch der sündhafte Grimm derer, die es erdacht, und die Wut und Bosheit aller, die es von jeher gebraucht, und die Ungeduld aller, die damit schuldig oder unschuldig gepeinigt worden waren; denn er trug und fühlte die Sünden der ganzen Welt. Alle diese Peinigungen und Qualen erkannte er in einer inneren Anschauung mit solchem Entsetzen, daß der blutige Schweiß von ihm drang." (8) Und das alles ist nur ein winziger Bruchteil von dem, was wir schon angedeutet haben. Das Kreuz Christi war so groß, daß, wenn wir alle Kreuze aller Menschen auf eine Wagschale legen würden, auf die andere sein Kreuz, die Wagschale mit den Kreuzen der Menschen sich emporheben würde, als befände sich auf ihr eine Flaumfeder! Würden wir dies bedenken, dann würden wir nicht so sehr über unser Leid, wenn manchmal auch ein sehr großes, klagen!!! Wer meditiert aber noch über das Leiden Christi, wer gedenkt seiner während der heiligen Messe; darüber sind die bereits "mündigen Christen" doch zu erhaben!!! Wer es aber dennoch tut, bekommt, wenn auch nur ein sehr schwaches Bild von der Größe der Mutter Gottes und begreift die Huldigung, mit welcher die Kirche Maria überhäuft.
Vergleichen wir noch Eva und Maria, dann sehen wir, daß Eva in ihrem Schoße auf das Wort des Teufels nichts empfangen hatte. Ja, sie empfinge, daß sie fürderhin als eine Verworfene gebäre, in Schmerzen; so wurde ihr das Wort des Teufels zum Samen! So gebar sie mit Anstrengung den Teufel Brudermörder. Dem gegenüber gebar Maria den, der seinem Bruder dem Fleische nach, Israel, seinem Mörder, das Heil brachte. Es lebte also Gott sein Wort in ihren Schoß, damit das Gedächtnis des bösen Bruders vertilgt werde." (9)
"Die Wiederherstellung muß dem Falle entsprechen, auf demselben Weg müssen wir zum Leben zurückkehren, auf welchem wir zum Tode gegangen sind. Ein Weib ward zur Gelegenheit des Falles, ein Weib, Ursache des Heiles, des Lebens! Eva bot dem Adam die verbotene Speise an, und so fiel er, wie auch (in ihm; O.K.) alle Menschen. Da mußte von einem anderen Weibe eine andere Speise dargeboten werden, vermittels welcher wir dem Leben zurückgegeben wurden, wie auch dem Heile; und dies war Maria, die uns auf ihre Art die eucharistische Speise angeboten hat, und uns auffordert und einlädt von ihr zu genießen, damit wir von ihr leben." (10) Der Weg aber zum Opfermahl führt über den Ölberg und Golgotha! Wer ihn auslassen wollte, eilt erneut in den Tod! Wir müssen freiwillig sterben, damit wir leben. Der blutige Tod Christi ermöglicht unseren unblutigen, aber realen Tod. Dieser unser Tod kann nur bei einer Hin- und Einordnung in den blutigen zustande kommen. Da dies aber leider nicht alle tun, kann nicht allen das erlösende Blut zugeteilt werden, nur denen die direkt oder indirekt an Christi Leiden teilgenommen haben und mit ihm gestorben sind. Der alte Mensch in uns, der programmäßig in der heiligen Taufe mit Christus gestorben ist, muß dieses sein Lebensprogramm auch erfüllen! Der Aussatz der Sünde, der, wie einst der Aussatz Naamans von den Gewässern des Jordan weggewaschen wurde, vom Taufwasser weggeschwemmt wurde, kehrt zurück, wenn wir nicht in Christus dem Meere der Göttlichkeit zuströmen!
Um unsere subjektive Intention vollauf zu begreifen und auf die entsprechende Weise am hochheiligen Opfer teilnehmen zu können, müssen wir wohl bedenken, wem wir nachfolgen und mit wem wir den Leidensweg betreten haben. Es ist in Christus und Maria die gesamte Kirche! "Die Kirche ist auf eine abbildlich-lebendige Weise der durch alle Zeiten erscheinende und wirkende Christus, dessen versöhnende und erlösende Tätigkeit sie daher ewig wiederholt und ununterbrochen fortsetzt. Der Erlöser lebte nicht bloß vor achtzehnhundert Jahren, so daß er seitdem verschwunden wäre, und wir uns seiner nur noch geschichtlich erinnern könnten, wie irgend eines verstorbenen Menschen; sondern er ist ewig lebendig in seiner Kirche (Möhler, Symbolik § 34). Die Vollendung Christi ist die Kirche. Denn die Vollendung des Hauptes ist der Leib, die Vollendung des Leibes das Haupt (Chrys. in ep. ad Eph. c.I. hom. III.). Das Leben der Kirche ist das Leben Christi.
"In der Kirche lebt Christus fort durch das eucharistische Opfer; und diese seine fortwährende Gegenwart ist der letzte Teil seines großen Opfers, der alles zur Vollendung bringt, ist seines ganzen Werkes herrliche Kirche. ... In diesem .... letzten Teile seines großen Opfers für uns sollen alle übrigen uns stets gegenwärtig sein und uns zugewendet werden; in diesem letzten Teile des objektiven Opfers soll dieses subjektiv werden, uns eigen. Als der am Kreuze sich Opfernde ist Christus uns noch fremd, im Kultus aber unser Eigentum, unser Opfer, dort ist er das allgemeine Opfer, hier das Opfer zugleich für uns insbesondere, für jeden Einzelnen von uns; dort war er nur das Opfer, hier wird er als solches verehrt und anerkannt; dort wurde die objektive Versöhnung vollzogen, hier die subjektive teils gepflegt und gefördert, teils ausgedrückt." (Möhler)
Es wird dargebracht das am Kreuze geschlachtete (in memoriam passionis), in der Auferstehung verklärte (resurrectionis) und in der Himmelfahrt vor den Thron Gottes sich stellende (ascensionis) Opfer. Leiden, Auferstehung und Himmelfahrt sind in dem großen Opfer die erhabendsten Momente, sie waren im alten Bunde vorgebildet durch die außerordentlichen Opfer, sie finden in der Liturgie wiederholte Erwähnung. So wurden die vorbildlichen Opfer erst geschlachtet, dann verbrannt, da stieg der Opferduft auf zum Wohlgeruch vor den Herrn. So muß in gleicher Weise der Mensch sich und der Welt ersterben, und in Christus zu neuem Leben auferstehen, um jetzt in Sehnsucht und Gesinnung, einst aber in Wirklichkeit in den Himmel einzugehen.
Die Messe ist ein Opfer der ganzen Kirche; wie sie daher gefeiert wird für die streitende und leidende, so zur Ehre der triumphierenden Kirche. Es wird Christus geopfert; das Haupt ist aber nicht ohne die Glieder. Durch, in und mit Christus opfern sich die Heiligen dem himmlischen Vater wie im Himmel, so auf Erden. Und darin besteht ihre Ehre, ihre Ehre ist nicht eigene Ehre, sondern Verherrlichung Christi; die Glorie des Hauptes umstrahlet ihre Glieder. (Pouget VII § 22) Im Himmel bringen sich die Heiligen mit Christus als reines Opfer dar, auf Erden aber auch als Versöhnungsopfer für ihre streitenden und leidenden Brüder; so werden wir ihres Opfergebetes teilhaftig.
"In ganz besonderer Weise feiert die Liturgie mit vollem Rechte den Anteil U.L. Frau an dem heiligen Opfer. Sie nahm wesentlichen Anteil bereits an dem Introitus des großen Opfers, und fortan an allen Opferakten des Erlösers. Aus ihren Armen hat die irdische und himmlische Kirche das Opfer erhalten; in ihren Armen gleichsam opfert sich Christus auf dem himmlischen, wie auf dem irdischen Altar. Sie hat in Christus die ganze Menschheit zu einem neuen Leben geboren und ist daher die Mutter der Menschheit geworden; daher wird durch sie auch die Kirche dem himmlischen Vater geopfert. Und wie sie sich seit der Verkündigung des Engels für das Heil der Menschen immer zum Opfer brachte, so setzt sie dieses immerdar fort. Unser Anteil an dem eucharistischen Opfer wird demnach umso lebendiger sein, je inniger wir an das Herz der Mutter uns schmiegen, je vertrauensvoller wir in ihre Arme uns legen." (11)
Wenn wir nun scharf das Offertorium Christi, seiner Mutter, aller Heiligen betrachten, ist uns alles so einfach zu begreifen. Die circuminsessio cordium, das gegenseitige "Sichbesitzen" der Herzen, ist eine unumgängliche Vorbedingung für die richtige Einstellung. Kommt es aber auf's praktizieren, dann ist alles im Nu kompliziert, nur um nicht an die Realisierung der Nachfolge schreiten zu müssen!
"Das ganze Leben und der, ganze Umgang Christi im sterblichen Fleische, vom ersten Augenblicke seiner Menschwerdung an bis zum letzten am Kreuze, war eine andauernde Messe, eine Zelebration bei der er sich ununterbrochen seinem himmlischen Vater aufopferte" (12), nur um auf diese Weise unser Heil zu erreichen. Können wir dies wie wir es als seine Glieder sollten, auch von uns sagen? Wie es praktisch geschehen kann, das alles wurde bereits früher angedeutet, nur müssen wir uns heute, in Anbetracht der großen Opfer Christi und seiner jungfräulichen Mutter, unsere gegenseitigen Verpflichtungen ihnen gegenüber, wie auch unter uns Menschen, klar vor die Augen stellen! Wie ganz anders hatte die Geschichte verlaufen müssen, wenn die Menschen sich stets ihrer wahren Lebensaufgabe klar bewußt gewesen wären!
Wie leicht wurden und werden Todesurteile ausgesprochen und vollstreckt. Wie wenig ist sich aber die menschliche Gesellschaft ihrer Mitschuld bewußt! Ist sie allen ihren Verpflichtungen nachgekommen, daß gediegene Charaktere aufwachsen können? Hier kann es nicht unsere Aufgabe sein den Nachweis zu erbringen, daß dem meistens nicht so ist! Ein Todesurteil wollen wir aber nicht aussprechen; und wenn wir es auch bei der hl. Taufe getan haben, so wollen wir es nicht vollstrecken, wenigstens nicht auf die Dauer, das über uns selbst, über unser eigenes "Ich", damit nicht nur wir, aber auch unsere Mitbrüder in Christo leben!
(Fortsetzung folgt)
ANMERKUNGEN: (1) Les Gloirs ... 313-314. (2) R.P. Novarini Veronensis ... de Agno Eucharistico, Lugduni1638, pg 395. (3) Les Gloirs ... 286. (4) Ebendort 288. )5) De Laudibus B.V. hom. V.S Bernardus. (6) Les Gloirs ... 298 , 283. (7) Clemens Brentano, Die Passion 43, Butzon u. Bercker, Kevelaer. (8) Ebendort 29. (9) Natalis Alexandri, Historia Ecclesiastica Venetiis 1778, Tom. I.a. I. IX. (10) Novarini, op. cit. Num 1016 pg. 324. (11) Pastoraltheologie, Dr.Jos. Amberger, Bd. II, Drittes Buch § 30, Pustet 1852. (12) Das heilige Meßopfer dogmatisch, liturgisch und asketisch erklärt. Dr. Nikolaus Gihr, Herder 1877, S. 29 (Dionysius Carth.)
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