EIN KIND IST UNS GEBOREN - EIN SOHN IST UNS GESCHENKT
von H.H. Dr. Günther Storck
Wer im katholischen Glauben aufgewachsen ist und den Glanz der Peste kennengelernt hat, in und mit denen die Kirche und ihre Gläubigen den Jahreskranz der Güte des Herrn feierten, der erinnert sich am Fest der Geburt des Herrn all der Feierlichkeit, mit der Liturgie und familiäres Leben dieses große Ereignis der Menschwerdung Gottes ungeben haben. Der Himmel hatte sich herabgeneigt und den Menschen die Teilnahme an der Herrlichkeit des himmlischen Lebens eröffnet. Ich erinnere mich, wie mir als Kind der Gedanke kam, warum die Zeit überhaupt noch weitergehe. Nachdem man alles geschenkt erhalten hatte, schien es sinnlos, daß der Alltag diese Hochstimmung wieder verdrängte. Es war nicht etwa der Reichtum des äußeren Aufwandes, die Fülle und die Erlesenheit der Geschenke, die das Fest kennzeichneten. Jene Zeiten, an die ich denke, waren in dieser Hinsicht geradezu ärmlich im Vergleich zu den Möglichkeiten, die der Wohlstand aufzubieten vermag. Es war in und trotz aller äußeren Kargheit das lebendige Herz, dass ich durch die Feier des Geheimnisses im innersten bewegen ließ und in dieser Lebendigkeit Anteil erhielt an der Fülle der Liebe, mit der der Menschgewordene die beschenkt, die in dieser Nacht hinausgehen nach Bethlehem, um wie die Hirten die Erfüllung der Verheißung des Engels zu erfahren: "Seht, ich verkünde euch eine große Freude, die allem Volke zuteil werden soll: Heute ist euch in der Stadt Davids der Heiland geboren, der Messias und Herr." (Lk 2,10 f)
Wer in den Jahrzehnten, die folgten, trotz aller beunruhigenden Veränderungen, trotz des erschreckenden endzeitlichen Abfalls in der Kirche an der Wahrheit dieses Ereignisses festhielt, daß der Herr des Himmels und der Erde es ist, der als Kind zur Welt kam und in einer Krippe im Stall zu Bethlehem die Niedrigkeit und Armut des Geschöpfes teilte, der steht fassungslos vor der ungeheuerlichen Tatsache, daß man in der Kirche diesen menschgewordenen Gott verraten und den Glauben an ihn aufgegeben hat. Trotz aller Lippenbekenntnisse, trotz aller geheuchelten Versicherungen, daß es nicht so sei, ist das in Wahrheit der zugrundeliegende Vorgang! Wer heute als Christ Weihnachten feiert bzw. feiern will, der kann an dieser Feier - von ganz seltenen Ausnahmen abgesehen - nicht mehr in einer Kirche teilnehmen. Die Kirchen sind besetzt von Räubern die die Christen nicht mehr nach Bethlehem führen.
Wer heute als Christ Weihnachten feiern will, der muß auf die vertraute Umgebung und die vertrauten Bindungen verzichten. Er muß aufbrechen wie Abraham, der sein Land, seine Verwandten und sein Vaterhaus verlassen mußte, um der Berufung Gottes in das gelobte Land Folge zu leisten. Er muß aufbrechen, wie das alttestamentliche Volk Israel aufbrechen mußte, um das Land der Knechtschaft Ägypten zu verlassen. Er muß aufbrechen, wie Maria und Joseph aufbrechen mußten, um dem Befehl des Cäsar in Rom, des Kaisers Augustus, Folge zu leisten.
Immer ist es derselbe Gott, der den Gehorsam verlangt, den schmerzlichen Exodus, den Auszug aus der vertrauten Umgebung in eine unbekannte Zukunft zu vollziehen. Und immer ist dieser Gehorsam das Kreuz, das die Kräfte bis zum äußersten beansprucht, unter dessen Last man zusammenbrechen droht; das Schwert, dessen Spitze verwundend in das Herz dringt, so daß man dem Tode nahe ist.
Aber auf diesem Gehorsam liegt der Segen Gottes. Ihm erstrahlt das göttliche Licht: "Ich kenne deine Bedrängnis und deine Armut. Doch du bist reich." Ist nicht Gott selbst außerhalb der Stadt Gottes, in der der Hohepriester residierte, außerhalb der Stadt Davids, der die Verheißung galt, außerhalb der Herberge, in der kein Platz war, Mensch geworden?
Niemand hat ihn erwartet. Alle erwarteten den Messias, aber niemand erwartete Gott.
Und so geschieht das Unfaßbare: Er wird Mensch in einem Stall. Er liegt als Kind in einer Krippe. "Der Ochs kennt seinen Besitzer und der Esel die Krippe seines Herrn. Nur Israel hat keine Erkenntnis, mein Volk keine Einsicht." (Is 1,3)
Wer erwartet hat, daß es in und mit der Kirche anders sein würde, ist inzwischen eines Besseren belehrt. Auch in der Kirche gibt es keine Erkenntnis des Herrn. Auch in der Kirche gibt es keine Einsicht. Auch in der Kirche gibt es keine Furcht des Herrn, die der Anfang und Inbegriff der Weisheit ist. (Ps 111,10)
Rom ist das endzeitliche Babylon geworden, die Stadt, in der der Hohepriester residiert, der über den Leib Christi, die Kirche, sein Todesurteil gesprochen hat, der den Herrn in seinem Leib, der Kirche, den Feinden ausgeliefert hat.
Und so wird Gott auch heute außerhalb der Stadt des Hohenpriesters, außerhalb der Städte, in denen der Gotteshaß tobt, außerhalb der Gesellschaft der Menschen und ihrer Häuser, die Gott nicht aufnehmen wollen, geboren. Auch heute sind es - wie in Bethlehem - die Armen und Verachteten, die Demütigen und Gehorsamen, denen die Erfahrung der Wirklichkeit der Erfüllung gilt: "Seht, ich verkünde euch eine große Freude! Heute ist euch der Heiland geboren, welcher ist Christus der Herr!" Ihnen, den Armen und Verachteten, den Hungernden, den Trauernden und Weinenden, den Mißhandelten, und Verfolgten, den Verzweifelten: ihnen allen, die das Los des Menschensohnes in der Niedrigkeit der Geburt im Stall zu Bethlehem teilen, ihnen gilt die Verheißung des Menschgewordenen, die Freude des Anteils an Seiner Herrlichkeit und Herrschaft.
Selig ihr Armen! Euer ist das Reich Gottes! Selig, die ihr jetzt hungert! Ihr werdet gesättigt werden. Selig, die ihr jetzt weint! Ihr werdet lachen. Selig seid ihr, wenn euch die Menschen hassen, wenn sie euch verstoßen und schmähen und euren Namen als schimpflich verwerfen um des Menschensohnes willen! Freut euch an jenem Tag und frohlockt; denn seht, groß ist euer Lohn im Himmel. Ihre Väter haben es ja mit den Propheten ebenso gemacht. (Lk 6,20-23)
Gott hat mit der Menschwerdung Seines Sohnes Seine Herrschaft über die Schöpfung angetreten und offenbar gemacht. Deshalb fürchtet sich der König Herodes. Deshalb spricht der Hohepriester sein Todesurteil über den Sohn Gottes, weil vor ihm der wahre Hohepriester erscheint. Deshalb überliefert Pilatus als der Vertreter des Kaisers Jesus Christus dem Tode, weil der wahre König mit seinem Herrschaftsanspruch auftritt. Vor dieser Offenbarung des wahren Priesterkönigs wird auch der Abgrund an Bosheit und Sünde in der Kirche offenbar.
Die Finsternis wird erst im Licht und durch das Licht offenbar. Die Finsternis, so stark und mächtig sie ist, vermag das Licht nicht zu überwinden. Das Licht Gottes, das uns in Jesus Christus aufgestrahlt ist, hat die Finsternis vielmehr schon überwunden. Auch wenn dieser Sieg des Lichtes noch nicht offenbar geworden ist, er wird offenbar werden! Und darin zeigt sich schon der Beginn dieser Offenbarung des Lichtes, daß die Finsternis gezwungen ist, ans Licht zu treten.
Wir haben also keinen Anlaß, zu verzagen und zu verzweifeln. Im Gegenteil! Gott, der zu seinen Verheißungen in Jesus Christus das "Ja" gesprochen, der uns um den Preis des Blutes Seines Sohnes aus der Macht der Finsternis errettet hat, Er wird das gute Werk, das er begonnen hat, vollenden. (vgl. Philipper-Brief 1,6) Daran, daß wir allein gelassen sind und verfolgt werden wegen unserer Treue zum Herrn und zu Seinem Evangelium, erkennen wir, daß wir Ihm gehören. Deshalb ergeht es uns so, wie es allen wahren Christen in der Geschichte erging, die verfolgt wurden von den Herren dieser Welt, die sich eine Herrschaft anmaßen, die durch die Ankunft des wahren Herrschers des Himmels und der Erde überwunden ist.
"Seht, ich verkünde euch eine große Freude: Heute ist euch in der Stadt Davids der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr!"
So wollen wir uns also aufmachen, nach Bethlehem zu ziehen. Und unsere Armut wird in dieser Nacht des Verrates und des Abfalls umstrahlt von dem Reichtum des Lichtes, mit dem Gott die beschenkt, die ihre Heimat im Himmel und in der Anbetung Seiner Majestät suchen.
***
Was sollen wir Dir bringen, o Christus, weil Du als Mensch unter uns auf Erden erschienen bist? Jedes Geschöpf, das Dir unterworfen ist, bringt Dir die Gabe seines Dankes: die Engel ein Loblied, die Himmel einen Stern, die Weisen Geschenke, die Hirten ihre Bewunderung, die Erde eine Höhle. Wir Menschen bringen Dir die Jungfrau-Mutter. O Du, der Du bist vor aller Zeit, erbarme Dich unser!
(Aus einer alten Liturgie)
***
ADVENTSPRAEFATION
Vere dignum et iustum est, aequum et salutare, nos tibi semper et ubique gratias agere, Domine, sancte Pater, omnipotens, aeterne Deus, per Christum Dominum nostrum.
Quem perdito hominum generi salvatorem misericors et fidelis promisisti, Cuius veritas instrueret inscios, sanctitas iustificaret impios, virtus adiuvaret infirmos.
Dum ero propc est, ut veniat, quem missurus es, et dies affulget liberationis nostrae, in hac promissionum tuarum fide piis gaudiis exultaims:
Et ideo cum Angelis et Archangelis, cum Thronis et Dominationibus cum- que omni militia caelestis exercitus hymnum gloriae tuae canimus, sine fine dicentes: SANCTUS! SANCTUS! SANCTUS! In Wahrheit ist es würdig und recht, billig und heilsam, immer und überall Dir Dank zu sagen, Herr, heiliger Vater, allmächtiger, ewiger Gott, durch Christus unseren Herrn.
Ihn hast Du dem verworfenen Menschen- geschlecht als Erlöser in Deiner Barm- herzigkeit und Treue versprochen, Seine Wahrheit sollte die Unwissenden unterrichten, Seine Heiligkeit die Verruch- ten wieder heiligen, Seine Kraft den Kranken beistehen.
Da nun die Zeit nahe ist, wo Der kommen soll, den Du uns schicken wirst, und bereits der Tag unserer Befreiung aufleuchtet, so laßt uns ob der Treue seiner Versprechungen in frommen Jubel auf- jauchzen:
Und deshalb singen wir mit den Engeln und Erz- engeln, mit den Thronen und Herrschaften und mit der ganzen himmlischen Heerschar den Hoch- gesang Deiner Herrlichkeit und rufen ohne Ende: HEILIG! HEILIG! HEILIG!
(aus: "Sursum corda" Hochgebete aus alten lat. Liturgien)
|