FRAU, SIEHE, DEIN SOHN!
(Wurzel, Stamm und Krone XXVIII.)
von H.H. Dr.theol. Otto Katzer
ECCE HOMO! Gespenstische Gestalten zogen am Heiland im Garten des Ölbergs vorbei, fratzenhafte Gebilde, höllische Larven, deren Gelächter Ihm durch Mark und Bein drang. "Vater, wenn es möglich ist, so gehe dieser Kelch an mir vorüber!" - ich will alles für sie tun - nur verhülle, dieses schreckliche Bild vor mir! Doch nicht wie ich will, sondern wie Du willst! "Es war aber beschlossen, daß er den Kelch bis zum letzten Tropfen austrinken sollte. Wohl gab es auch tröstende Augenblicke, die vergingen jedoch so schnell, wie sie gekommen waren. Von allen Augenblicken war der schwerste als Er die Leiden seiner Mutter sah, und dennoch gehörte dieser zu denen, die ihm am meisten Trost brachten. Ihr wird Er all diese unglücklichen Menschenkinder anvertrauen, ihrer Fürsorge! Nun steht Sie unter dem Kreuze: .
"Welch ein Weh der Auserkornen, da sie sah den Eingebornen, wie er mit dem Tode rang! Angst und Trauer, Qual und Bangen, alles Leid hielt, sie umfangen, das nur je ein Herz durchdrang!"
... und anstelle ihres süßen Sohnes sollte Sie in Johannes Seine Peiniger empfangen! Opferbereit übernimmt Sie diese traurige Aufgabe. In ihrem göttlichen Sohne, dessen Leichnam Sie bald darauf in Ihrem Schoße hielt, nahm sie den Menschen an, bereit seine Wunden zu heilen, wenn auch nur ein Fünkchen Hoffnung zu finden ist!
Im Hinblick auf das Offertorium Christi, wie auch auf unser eigenes, müssen wir das der Mutter Gottes beherzigen. Diese Aufgabe ist um so schwieriger, weil wir zuerst eine Gefühlsverhärtung entfernen müssen, die sich wie eine Eiskruste um unser Herz gebildet hat. Was sagt uns heute noch fremdes Leid, da wir ja sogar geschult werden davon so viel wie, möglich um uns zu säen, wenn wir nur eine gerechte Ursache dazu haben! Doch wann ist sie gerecht?!
Arme Menschheit, armer Menschensohn, Seine und unsere arme Mutter! "Dazu nahm aber Christus, den menschlichen Leib an, um sich den Leiden, des Passahmysteriums zu weihen," bemerkt der hl. Ambrosius (l), um so das Werk unserer Erlösung zu vollenden. "Der erste Akt des Mensch gewordenen Wortes war, sich Seinem Vater als Sühnopfer daßzubieten .... So war Jesus zugleich Heiligmacher und Sühneopfer; Maria nahm an dieser doppelten Rolle Teil." (2)
Was für eine reizende Gestalt mußte da Maria sein, daß Sie den Sohn Gottes im Schoße Seines Vaters bezauberte und ihn in den Banden der Liebe in frommer Gewalt gefangen hielt! Der heilige Augustinus führt die Demut als jene Kraft an, die zur 'Leiter wurde, auf welcher Gott zur Erde herabstieg, um in Ihrem Schoße Fleisch zu werden. (3) So wie der Hochmut den Menschen in das Unglück gesturzt hatte, so sollte die Demut ihm das Glück wieder erwirken. Es kann hier nicht unsere Aufgabe sein, näher auf gewisse feine psychologische Fragen einzugehen, wie sehr es auch notwendig wäre, es sei nur bemerkte daß wir nicht vor logischen Schlüssen zurückschrecken dürfen. Wie unwahrscheinlich sie sich auch im ersten Augenblicke zeigen würden. "Könnten wir da glauben daß Maria ihre unbefleckte Empfängnis erlebte ohne sich dessen bewußt zu sein? Glauben wir das ja nicht! Als der hl. Johannes im Schoße seiner Mutter geheiligt wurde, erbebte er; er empfing zugleich mit der heilig machenden Gnade ein Licht der Vernunft, welches ihn seinen Erlöser erkennen ließ, was der Grund jenes geheimnisvollen Frohlockens war. Betrachten wir das als gesichert, daß Maria im Augenblicke ihrer unbefleckten Empfängnis ebenfalls ihren Erlöser erkannte und im Geiste tiefster Anbetung und Jubels erbebte!" (4) Das war sicher auch der Augenblick der vollen und endgültigen Aufopferung für den restlosen Dienst Gottes, also auch der Jungfräulichkeit! (5)
Infolge dieser absoluten Reinheit und Hingabe war sie bestimmt, jene zu werden, die das Haupt der Schlange zertreten sollte, in ihrem Sohne! Wir können ruhig die Streitigkeiten übergehen, ob es "sie - oder er - wird dir den Kopf zertreten" beim Fluch über die Schlange heißen soll (6), und mit Papst Pius IX. und seiner Bulle "Ineffabilis Deus" in welcher das Dogma der Unbefleckten Empfängnis verkündet wurde, sagen, daß die heiligste Jungfrau "arctissimo et indissolubili vinculo cum eo coniuncta, una cum illo et per illum ... illius (serpentis) caput immaculato pede contrivit" (zu Deutsch: "auf das engste mit einem unlösbaren Bande mit Ihm verbunden, zugleich mit ihm und durch ihn, das Haupt der Schlange mit ihrem jungfräulichen Fuße zertreten hat.") (6) Die ersten Menschen verweigerten ihr "Ich", aufzuopfern, Maria gab ihr "Ich", bekam dafür das "Ich" des Sohnes Gottes, IHN selbst! Natürlich dürfen wir den eigentlichen Zweck des Geschehens nicht aus den Augen lassen, die Erlösung des Menschen, welche durch das Kreuzesopfer erfolgen sollte! Infolgedessen müssen wir mit dem hl. Bernardin betonen: Die Jungfrau wurde mit Christus in der Stunde Seiner Empfängnis gekreuzigt. Und der hl. Rupert macht darauf aufmerksam, daß der jungfräulichen Gottesgebärerin vom Augenblicke der Empfängnis des Kindes Jesu die volle Kenntnis des Kreuzes und Leidens ihres Sohnes bekannt war ..., weshalb wir sagen müssen, daß "die Gekreuzigte den Gekreuzigten" empfing. (7) Das alles war bei solch gegenseitiger Liebe nicht anders denkbar. Wie schön wäre es nun, das Wachstum des Opfergedankens bei Maria zu verfolgen, der sich ähnlich einer Rosenknospe, im Sonnenglanz der LIEBE ausbreitet. Das Gebilde der Jungfräulichkeit war ein Blatt dieser Blüte. Gerade dieses Gelübde zeigt uns am klarsten ihre Demut. Wie sehr sie sich nach dem Erlöser sehnte, aus Liebe zu Ihm, zu den Menschen und zu sich selbst, betrachtete sie sich auch nur zum Dienste bei der Mutter Gottes unwürdig. Deshalb wurde aber gerade Sie zur Mutter auserwählt. (8)
Wie betet Sie da Ihren Herrn sofort nach seiner Geburt an! Wie soll nun der Priester, und auch wir Ihn sofort nach Seiner Vergegenwärtigung bei der hl. Wandlung niederkniend anbeten! (9) Ist nicht gerade durch die Verweigerung eben dieser Kniebeuge der Hochmut der "bereits mündigen Christen" offenkundig?!
Durch diese absolute Aufgeschlossenheit war es Gott möglich, sich völlig in die Hände Marias zu legen, womit auch "die Fülle alles Guten in Maria gelegt wurde, damit wir fürderhin wissen, daß alles was wir an Glauben oder Gnade besitzen, was unser Heil betrifft, durch Ihre Hände sich ergießt." (10)
Hiermit ist aber eines ganz klar, daß Maria wohl betraut war mit all dem, was für das Heil der ihr anvertrauten Kinder notwendig war und keine der entsprechenden Kenntnisse ihr fehlten. (11) Auch führte sie, darüber sind sich alle Väter einig, ein erhabenes Leben unter der Führung des Heiligen Geistes, wobei das Bild des Erlösers, mit dem sie schon durch die Heilige Schrift bekannt war, - sie wurde im Tempel erzogen - noch eingehender geklärt wurde. So arbeitete der Heilige Geist darauf hin, das Opfer des Kreuzes zu einem "makellosen Opfer" zu gestalten (12), weil es nicht nur von seiten des Sohnes Gottes, dargebracht werden sollte, sondern auch von seiten Seiner Mutter, um so das Opfer der Mutter mit dem des Sohnes zu einem zu gestalten, in derselben Umarmung der Liebe. (13) Wir haben schon darauf hingewiesen, daß Maria, aber nur Sie allein, beim blutigen Kreuzesopfer mitwirken konnte, wenn auch aufgrund desselben Opfers, da sie durch die Liebe zu ihrem Sohne auf das innigste mit Ihm verbunden war. Die "Beteiligung der Mutter des Erlösers am Erlösungsopfer Christi ist offenbar von jeder anderweitigen Beteiligung, welche andere Menschen durch Mitleiden oder Aufopferung des Leidens Christi üben können, durch die Innigkeit der Beteiligung und eben darum auch in bezug auf die Wirksamkeit derselben wesentlich verschieden. Wegen ihrer Innigkeit bildet sie in der Weise ein Ganzes mit der Aktion Christi, daß letztere nach dem göttlichen Plane ebensowenig außer ihr und neben ihr wirkend auftritt, wie sie selbst außer und neben der Tätigkeit Christi auftreten kann. Aber eben darum müssen auch alle Wirkungen des Opfers Christi als von Maria in demselben und durch dasselbe mitbewirkt und miterworben betrachtet werden. Deshalb kann man sagen, Maria hat mit Christus, d.h. durch ihre Mitwirkung mit ihm, Gott für die Sünde Genugtuung geleistet, die Gnade verdient und folglich die Welt erlöst, indem sie den Lösepreis mit hergab und hingab. Aber man darf dies auch nur sagen mit der ausdrücklichen näheren Bestimmung: "in Christus und durch Christus, resp. in dem Opfer Christi und durch das Opfer Christi, inwiefern sie dieses Opfer mitdargebracht hat". In diesem Sinne und in dieser Form kann man mit Recht und zugleich ganz unverfänglich die Mutter des Erlösers Miterlöserin, corredemptrix, nennen, besonders dann, wenn man sie dabei näher als diacona sacerdotis und ara sacrificii... bezeichnet." (14) Deshalb war dies möglich, da Maria, wie es der Kardinal von Cues so schön ausdrückt: "Praeliberatorem Virgo sancta habuit, ceteri postliberatorem" ("Die Heilige Jungfrau hatte einen Vorerlöser, alle anderen einen Nacherlöser." (15)
So müssen wir uns die Worte des hl. Albert d. Großen zu Herzen nehmen: "Wie die ganze Welt Gott verpflichtet ist wegen seines Leidens, so auch der Herrin, wegen ihres Mit- leidens." (16)
Dieses "Mit-leiden" bezog sich aber auf die ganze irdische Existenz der Mutter Gottes, wie auch ihr Mitwirken sich in der Ewigkeit fortsetzt. "Prophetin bin ich gewesen", läßt der Abt Rupert von Deutz Maria sagen, "und seit dem ich Seine Mutter geworden bin, wußte ich, was er wird leiden müssen! Wie ich nun den mir solchermaßen geborenen Sohn in meinem Schoße hegte, auf den Arm trug , an meiner Brust ernährte, und seinen Tod stets vor Augen hatte und aus dem prophetischen, ja mehr als prophetischen Geiste, voraussah, welch umfassendes Leid mußte ich da mit mütterlichem Schmerz erleben! Das ist es, wenn ich sage: Mein Geliebter ist mir ein Myrrhen-Büschlein, das zwischen meinen Brüsten weilet." (17)
Wirklich ein umfassendes Leid war das Leid Mariä, und es bezog sich nicht nur auf das ganze Leben ihres Sohnes allein, sondern auch auf alle Leben, mit denen Er in Verbindung stand, vom ersten Menschen angefangen, bis zum letzten, auf alle ihre Äußerungen und all das Leid, das Ihm verursacht wurde und immer noch verursacht wird, nicht zu letzt im Allerheiligsten Altarsakrament, wo es überhaupt noch vorhanden ist.
"Groß ist wie das Meer dein Elend", ruft der hl. Kirchenlehrer Alphons von Liguori aus, "wer kann dich heilen! Magna est velut mare conritio tua!" (Thren. 11,13) Ja wie das ganze Meer bitter und gesalzen ist, so war das Leben der heiligen Jungfrau mit Bitterkeit erfüllt, vom Anfang an bis zum Ende, da sie ohne Unterbrechung das Leiden des göttlichen Erlösers vor Augen hatte.
Man kann nicht zweifeln darüber, daß Maria, da sie in einem weit größerem Ausmaße Licht vom Heiligen Geiste empfangen hatte, besser als die Propheten selbst, die auf den Messias sich beziehenden Aussagungen der heiligen Schrift verstand. So sagt der Engel der hl. Birgitta: "Ohne jeden Zweifel ist zu glauben, daß sie ob der Inspiration des Heiligen Geistes die Aussagen der Propheten besser verstand ... sogar bevor sie Seine Mutter geworden ist ! ... Es gab für mich keinen Augenblick hier auf Erden, daß ich die Wunde des Leidensschwertes nicht verspürt hätte", offenbart die Mutter Gottes selbst der hl. Birgitta. "Wie oft ich auch meinen Sohn betrachte ... stets ergriff meine Seele ein neues Leid!" (18) Sein Schmerz war mein Schmerz, weil Sein Herz mein Herz war", so sagt die hl. Jungfrau. "Wie nun Adam und Eva die Welt für einen Apfel preisgaben, so erlöste mein Sohn und ich gleichesam wie mit einem Herzen die Welt." (19) (Fortsetzung folgt)
ANMERKUNGEN: (1) P.L. 17, 695 Sermo XXXV de mysterio Paschae II. (2) Elévations sur la Sainte Vierge, per D. Bernard Maréchaux. (3) Paris 1930, Seite 63, 83. (3) Les Gloirs de Marie, per St. Alphons de Liguori, Desclée 1887, S. 133,130. (4) Elévations ... 25. (5) ebendort 41. (6) Vgl. Commentarius in Librum Genesis, P.M. Hetzenauer O.C. Styria, Graz-Wien 191O, S. 77. (7) R.P. Francisci Zidron, Commentarii in Matthaeum Disp. XVI., Sect. III. (8) Les Gloirs ... 108. (9) Cruentum Christi Sacrificium in incruento Missae sacrificio. R.P. Matthias Tanner S.J. Vetero-Pragae 1710, pg. 107. (10) Les Gloirs ... S. Bernard de Aquaeductu. (11) Suaresius Disputationum Tom II. Disp. 19,6. (12) Hebr. 9,14. (13) Elévations ... 84. (14) Scheeben, Handbuch der katholischen Dogmatik V/2, 1801-1802. (15) Les Gloirs ... 32. (16) ebendort 300. (17) Ruperti Abbatii in Cantica Canticorum, P.L. 168, 855 D. (18) Les Gloirs ... 277, 314. (19) Revelationum Liber I. cap. XXXV.
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