DIE TRAGWEITE LITURGISCHER WILLKÜR
von H.H. Walter W.E. Dettmann
Unter dem Titel "Die Tragweite liturgischer Willkür" hat Universitätsprofessor Prälat Dr. Josef Pascher in München am 15. Januar 19,4 im bayerischen "Klerusblatt" die liturgische Willkür des niederen Klerus beklagt. In unserer Zeitschrift wurde bereits darüber gesprochen, siehe den Aufsatz: "Was war am Anfang?" (Januar/Februar 19,5).
Prof. Pascher tritt nicht so auf wie Hans Küng in Tübingen. Aber er ist viel gefährlicher als dieser. Denn er verschleiert die schlimmste liturgische Willkür, die es je in der katholischen Kirche gegeben hat. Er will die Tragweite der liturgischen Willkür gar nicht vollständig und erschöpfend darlegen. Er ist auch gar nicht dafür zuständig, dieses Thema zu behandeln, weil er schwerstens in die zu verurteilende Sache verwickelt ist.
Um auf die Schliche Paschers aufmerksam zu werden, muß man erst gesehen haben, mit welchen theologischen Geistern er verkehrte. Seit dem Jahre 1936 hat Prof. Pascher überaus viele von jenen Geistlichen ausgebildet, über deren liturgische Willkür er heute zu klagen scheint. Seit dem Jahre 1946 war er Direktor des Herzoglichen Georgianums in München und als solcher in besonderem Maße für die Ausbildung des Klerus verantwortlich.
Dr. Pascher spricht über jene liturgische Willkür, die sich heute der niedere Klerus zuschulden kommen läßt; er hätte aber vor allem die Willkür Pauls VI. und der Konzilsbischöfe kritisieren sollen. Nicht zuletzt hätte Pascher die liturgische Willkür von Pius Parsch, von Romano Guardini und der Anhänger des Benediktiners Odo Casel vom Kloster Maria Laach tadeln sollen. Am lautesten müßte Pascher "mea culpa" sagen wegen seiner eigenen früheren liturgischen Willkür, die einen hohen Grad von Verwegenheit besaß. Aber in diesem Punkten vermeidet er es, über die volle Tragweite der liturgischen Willkür in der katholischen Kirche zu sprechen.
Nur bezüglich des heutigen niederen Klerus stellt Prof. Pascher fest: "Die liturgische Willkür offenbart einen beängstigenden Mangel im Kirchenbegriff", und nur gegen Pfarrer und Kapläne schreibt er: "Näherhin ist die liturgische Willkür auch ein Verstoß gegen die kirchliche Einheit".
Daß beim sog. Zweiten Vatikanischen Konzil ein "beängstigender Mangel im Kirchenbegriff" vorlag, wird von Pascher verschwiegen. Er redet auch kein Wort davon, daß die mit den Protestanten verabredete Abschaffung der tridentinischen Messe durch Paul VI. der schwerste Stoß gegen die kirchliche Einheit ist.
Wie in allerneuester Zeit von Augenzeugen zu erfahren war, herrscht die liturgische Willkür sogar in der "Haupt- und Mutterkirche des Erdkreises", nämlich in der Lateranbasilika in Rom, wo bei einem bischöflichen "Gottesdienst" üppige Mädchen in langen Hosen am Lesepult für Epistel und Evangelium auftreten, siehe DRM ("Die Rettende Macht") vom 2. Juni 1975.
Zu der von Prof. Pascher verschwiegenen liturgischen Willkür gehört es nicht zuletzt, daß heute zahlreiche Geistliche in Wort und Schrift den bisherigen Glauben an das heiligste Altarssakrament angreifen und herunterreißen dürfen, ohne von Papst und Bischöfen gemaßregelt zu werden. So konnte der progressistische Jesuit David, der sich in Zürich aufhält, schreiben: "Bei der Gegenwart Christi im hl. Sakrament ist es weniger wichtig, wie diese Gegenwart zustandekommt ..." (Kath. Kirchenblatt Ravensburg 1975 Nr. 16). Man muß staunen, daß Prof. Pascher sich über liturgische Willkür in der Kirche beklagt. Denn er selbst findet es bei Papst Pius V. "seltsam", daß dieser die Neuordnung, der hl. Messe, auf Grund päpstlichen Rechtes in der strengsten Form einschärfte". Am 25. Mai 1963 hatte Pascher geschrieben, das "Staffelgebet" sei "so etwas wie ein privater Introitus von Priester und Assistenz", und: "Um die Verwirrung voll zu machen, ist am Ende auch noch an den Sonn- und Festtagen das jubelnde Gloria ... zwischen Kyrie eleison und Oration hineingeraten ..."
Ferner hatte Pascher damals geschrieben: "Von der eigentlichen Eucharistie ist, die sogenannte Opferbereitung der unwichtigste Teil" ferner: "Auch vom Kanon der Messe 'kann man keineswegs behaupten, er habe die gewünschte Durchschaubarkeit" ("Die Erneuerung der Liturgie" in: "'Kath. Sonntagsblatt der Diözese Rottenburg", 26.5. 63) Am 12. Mai 1963 hatte Prof. Pascher geschrieben: "Das Konzil geht von der Erkenntnis aus, daß der Gottesdienst der Kirche zwar Elemente enthält, die göttlichen Ursprungs sind und sich deshalb einer Reformmöglichkeit entziehen, daß da aber auf der anderen Seite Elemente sind, die von Menschen stammen und darum immer wieder einer Überprüfung und gegebenenfalls einer Reform bedürfen" (Kath. Sonntagsblatt der Diözese Rottenburg).
Hier hätte Prof. Pascher wissen müssen, daß er selbst von einer ganz falschen Erkenntnis ausgeht. Das Konzil von Trient hat in der strengsten und feierlichsten Form den Kanon und die Zeremonien der heiligen Messe für alle kommenden Zeiten der Kirche geschützt und unangreifbar gemacht. Also kann ein heutiges Konzil auf keinen Fall "von der Erkenntnis ausgehen", daß der Kanon und die Zeremonien der hl. Messe reformbedürftig seien. Die Tragweite der liturgischen Willkür bei Prof. Pascher erstreckt sich so weit, daß grundsätzlich alle Konzilsbeschlüsse und alle Dogmen der römisch-katholischen Kirche in Frage gestellt und reformbedürftig gemacht werden können.
Wer hätte es früher für möglich gehalten, daß im tatsächlichen Leben der Kirche die Tragweite der liturgischen Willkür bis an jenen äußersten Punkt reichen werde, an dem mehr als zweitausend Bischöfe zusammen mit Paul VI. den Glaubensfeinden zuliebe unter dem Schein der "Pastoral" nicht nur keine neuen Dogmen mehr verkünden, sondern auch die bestehenden Dogmen "reformieren" und heimlich abschaffen möchten!
Der Canon 1257 des kirchlichen Gesetzbuches ist dem Prof. Pascher ein Dorn im Auge, weil es darin heißt: "Nur de apostolische Stuhl hat das Recht, die heilige Liturgie zu ordnen und liturgische Bücher zu approbieren".
Auf Papst Pius X. hat es Pascher in besonderer Weise abgesehen; er behauptet, dessen Gesetzesvorschriften seien die Folge einer kirchlichen Entwicklung gewesen, in der gemäß heutiger Ansicht die höchste Autorität des Papstes "zu einseitig ohne Berücksichtigung der bischöflichen Autorität gesehen" worden sei. Dieser Fehler sei auf dem vergangenen II. Vatikanischen Konzil "korrigiert" worden, weil "der Mensch von heute" die "straffgeordnete römische Kirche mit einer überaus straffen Liturgie für eine Überspitzung" halte. Es bleibe "dahingestellt", ob der Zustand nach dem Vaticanum eine überspitzte Zentralisation war". Mit diesen böswillig zugespitzten Bemerkungen beabsichtigt Prof. Pascher kaum etwas anderes als die vielen liturgischen Willkürakte von deutschen und österreichischen Geistlichen in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen und danach zu beschönigen. Prof. Pascher schreibt: "Seit dem Konzil sind den Bischöfen gewisse Rechte über die Ordnung der Liturgie zugewachsen. Der Vorgang dieser Rechtsentwicklung ist interessant, ein Schulbeispiel, wie so etwas im Spiel der Kräfte zustandekommt. Man darf hoffen, daß am Ende ein ausgewogenes Recht steht, das der apostolischen Struktur der Kirche mit Papst und Bischofskollegium gerecht wird".
Hier sagt Pascher die Unwahrheit. Er muß wissen, daß den Bischöfen die einschlägigen Rechte nicht "zugewachsen" sind, sondern daß sie sich dieselben im Widerspruch zum Konzil von Trient angemaßt haben. Den Bischöfen konnten auf keinen Fall solche Rechte "zuwachsen", die im Gegensatz zu den feierlichsten Erklärungen früherer Päpste und allgemeiner Kirchenversammlungen standen. Dem revolutionären "Spiel der Kräfte" gegen frühere Konzilsbeschlüsse kann niemals ein "ausgewogenes Recht" folgen. Nur die Unterwerfung unter das Tridentinum kann der "apostolischen Struktur der Kirche mit Papst und Bischofskollegium" gerecht werden. Außerdem hatte Papst Pius XII. z.B. den sogenannten Volksaltar ausdrücklich verboten ("Mediator Dei" Nr. 49). Aber gewisse deutsche Bischöfe haben sich nicht um dieses Verbot gekümmert. Im amtlichen Bericht über den Eucharistischen "Weltkongreß" vom Sommer 1960 in München wird hervorgehoben, daß Kardinal Wendel den ersten Gottesdienst des Kongresses vor der Theatinerkirche mit dem Gesicht zum Volke hielt ("Statio orbis" B.I. S. 24).
Die liturgische Willkür, von der Prof. Pascher spricht, bezieht sich also nicht nur auf kleine Pfarrer und Kapläne, sondern sie hat begonnen bei den höchsten Würdenträgern,
Pascher meint: "Vielleicht ist es gestattet, die weitverbreitete Willkür in der Gestaltung der Liturgie im Rahmen dieses Ringens um das Liturgierecht zu sehen. Man verweist in der Tat gerne auf die Vorgänge in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen. Wenn man etwa in der Gestaltung der Osternacht der späteren Ordnung vorgriff, so sehen viele in dem Endergebnis eine Rechtfertigung der früheren Ordnungswidrigkeit. Das mag auf sich beruhen".
Auch hier hat Pascher Unrecht. Es kann dem Vorsteher eines Priesterseminars auf keinen Fall gestattet sein, die "weitverbreitete Willkür in der Gestaltung der Liturgie im Rahmen des Ringens um das Liturgierecht zu sehen". Im übrigen ist die heutige Gestaltung der Osternacht nicht das, was Papst Pius XII. wollte, wie wir in einem besonderen Aufsatz zeigen werden. Prof. Pascher sollte lieber offen und ehrlich zugeben, daß die Willkür und der Ungehorsam von Pius Parsch in Klosterneuburg der Anfang des heutigen Unheils in der Liturgie war. Außerdem hat sich Romano Guardini nicht nur in Bezug auf die Feier der Osternacht Eigenmächtigkeiten erlaubt, sondern er hat auch das Stehen beim Kommunionempfang eingeführt; dies war sicherlich eine liturgische Willkür, die auf keinen Fall zu einem "ausgewogenen Recht" führen konnte. Im Gegenteil: Die Tragweite der liturgischen Willkür von Romano Guardini erstreckt sich so weit, daß heute der Canon 801 des kirchlichen Gesetzbuches gar nicht mehr ernst genommen wird, worin es heißt: "In der heiligsten Eucharistie ist unter den Gestalten des Brotes und Weines Christus der Herr selbst enthalten und wird geopfert und als Speise genossen".
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