Richtlinien für eine Papstwahl unter den derzeitigen Bedingungen
von
Prof. Tomás Tello Corraliza (Spanien, Mai 1994)
übers. von Silke Lührmann
Anmerkung der Redaktion:
Die nachfolgende Abhandlung ist nur als Diskussionsbeitrag gedacht, um
auf das mit einer Restitution verbundene Problem einer Papstwahl
aufmerksam zu machen.
* * *
Da nach Auffassung der sedevakantistischen Katholiken das
Kardinalskollegium, dem laut Kirchengesetz alleine die Pflicht und das
Recht der Papstwahl gebührt, nicht mehr existiert, muß festgelegt
werden, wer unter den gegebenen Umständen wahlberechtigt ist und unter
welchen Bedingungen die Wahl durchgeführt werden soll.
Die hier vorliegende Gesetzeslücke macht eine rechtliche Ersatzmaßnahme
oder Integration erforderlich. Göttliches Recht verlangt, dass
die Vakanz des Hl. Stuhles beendet wird. „Vacante sede apostolica“,
sagt Papst Pius X. in seiner Constitutio zur Papstwahl, „illud
gravissimum sanctissi-mumque est, ... summum dominici gregis pastorem
et caput ... eligere“. Ebenso spricht Pius XII. in seiner Constitutio
„Vacantis Apostolicae Sedis“ von einer „äusserst schwerwiegenden
Pflicht“, die der Kirche von Gott auferlegt worden ist: „pergravi
negotio ecclesiae divinitus commisso“.
Um das Problem des sogenannten Westlichen Schismas zu lösen, mußte das
Rechtsverständnis von Theologen und Kanonisten zu Rate gezogen werden.
Heutzutage haben wir den Vorteil, über eine verbindliche Quellenlage zu
verfügen, die keinen Raum für willkürliche Entscheidungen läßt. (Diese
Übersetzung scheint mir dem spanischen Original cauce eher gerecht zu
werden; im englischen Text heißt es: „Heute verfügen wir über eine
ausreichende Kenntnis der Kirchengeschichte und wissen, wie sich die
Kirche im Laufe der Jahrhunderte in rechtlichen Fragen verhalten hat.“
Am besten ent-scheiden Sie selber, welche Aussage faktisch richtig ist.
S.L.) Aus diesem Grund müssen die Lösungswege, die sich anbieten, in
den meisten Punkten übereinstimmen. Das Wesentliche muß ins Auge
springen, ohne dass sich größere Abweichungen
ergeben.
„Rechtliche Lücken existieren nicht nur, wenn für einen gegebenen Fall
keine Norm vorliegt, sondern auch, wenn vorliegende Normen sich nicht
anwenden lassen“. (Kommentare zum Kanonischen Recht, B.A.C., Band I,
Kommentare zu Can. 20 von Pater Cabreros Anta). Bezüglich des zweiten
Falls - der Existenz eines nicht anwendbaren Gesetzes -
unterscheidet Dr. Homero Johas zwischen vier verschiedenen Umständen,
die in dem konkreten Fall, um den es hier geht, dazu zwingen, auf eine
Ersatzmaßnahme zurückzugreifen:
a) das Nichtvorhandensein von Wahlberechtigten, die nach weltlichem Gesetz ernannt wurden,
b) Zweifel an der Faktenlage,
c) Spaltungen oder Schismen zwischen den Wahlberechtigten,
d) Unterlassungen in der Anwendung des Gesetzes. (Roma, Nr. 125, 1992, S. 37ff)
Dementsprechend muß jeder Lösungsvorschlag dem Gesetz folgen: „Norma
sumenda est“. Im Can. 20 sind vier Kriterien aufgeführt, aus denen sich
die Norm für diesen Fall erschließen läßt:
1. „a legibus latis in similibus“,
2. „a generalibus iuris principiis cum aequitate canonica servatis“,
3. „a stylo et praxi Curiae Romanae“,
4. „a communi constantique sententia doctorum“.
Zur juristischen Beurteilung der Anwendung suppletorischer Mittel sagt
Pater Cabreros Anta in seinen Kommentaren zu Can. 20 folgendes: „Diese
vier Kriterien sind authentisch, denn sie sind vom Obersten Gesetzgeber
vorgegeben. Die aus ihnen erschlossene Norm ist legitim, weil sie den
Vorgaben des Gesetzgebers folgt.“
Bei der Anwendung der suppletorischen Mittel ist es nicht unbedingt
notwendig, die in Can. 20 vorgegebene Ordnung zu befolgen, obwohl diese
Ordnung bevorzugt befolgt werden sollte. Die Anwendung eines einzelnen
suppletorischen Mittels genügt; wenn es korrekt angewendet wird, kann
es sich nicht im Widerspruch zu den übrigen Mitteln befinden. In dieser
Arbeit werde ich mein Urteil auf sämtliche suppletorischen Mittel
gründen und der vorgegebenen Ordnung folgen.
Die Studie besteht aus zwei Teilen, in denen zwei unterschiedliche Fragen unabhängig voneinander beantwortet werden:
I. Wer sind unter den gegebenen Umständen die rechtmäßigen Wahlberechtigten?
II. Welches Verfahren ist anzuwenden?
Zur Behandlung der ersten Frage nach der in Can. 20 vorgegebenen Ordnung:
1) Dem ersten Kriterium zufolge muß die Ersetzung aus einer
gesetzlichen Analogie abgeleitet wer-den. „Die analoge Praxis
vervollständigt die Legislation. Man handelt, wie der Gesetzgeber
vermut-lich gehandelt hätte, aber nicht gehandelt hat.“ (Pater Cabreros
Anta) Und weiter: „Die Analogie, die sich aus dem Gesetz oder aus
ähnlichen Normen herleiten läßt, ist oft nicht schwer zu finden.
Allerdings erfordert sie immer einen sorgfältigen Vergleich der
Materie, Personen, Ziele oder Sonderregelungen der Gesetze und aller
sonstigen Umstände.“
Nun gilt es, eine auf diesen äußerst ungewöhnlichen und nicht
vorhersehbaren Fall anwendbare Norm zu finden. Je mehr Experten sich
dieser Aufgabe annehmen, desto sicherer ist der Erfolg.
Die gesetzliche Analogie läßt sich nicht nur in den Gesetzen suchen,
die derzeit in Kraft sind, sondern auch in alten Gesetzen, die für
denselben Fall aufgestellt wurden. Dazu schreibt Pater Cabreros Anta:
„Weder explizit noch implizit darf erwogen werden, jene alten Gesetze
in den Gesetzeskodex einzufügen, die einzig im Fall einer Gesetzeslücke
als Bestandteile des neuen Rechtes herangezogen werden können (Can.
20). Trotz vorhandener Gesetzeslücken enthält der Kodex weder explizit
noch implizit irgendein konkretes altes Gesetz; er gibt lediglich
verschiedene authentische Kriterien an, um eine gültige Norm zu
ermitteln oder zu schaffen, die inhaltlich mit dem alten Gesetz
übereinstimmen mag.“
Titel IV, Kapitel I, Artikel II des zweiten Buches des CIC befaßt sich
insofern mit dem vorliegenden Thema, als es um die Verteilung von
Ämtern sowie die Wahl geht, was zu der Papstwahl im selben Verhältnis
steht wie die Gattung zur Spezies. Can. 109 schreibt ein Prinzip des
göttlichen Rechts fest: „diejenigen, die in die kirchliche Hierarchie
aufgenommen werden, werden nicht durch Konsens oder Ernennung durch das
Volk oder den säkularen Machthaber aufgenommen“.
Zu diesem Can. sagt Pater Arturo Alonso Lobo im oben erwähnten Werk der
B.A.C.: „Das Volk und die zivile Obrigkeit haben keine Kompetenz, eine
Macht zu erteilen, die zumindest aufgrund ihres Zweckes immer eine
übernatürliche ist.“ Und weiter: „Es ist richtig, daß in bestimmten
Epochen der Kirchengeschichte das Volk und die zivile Obrigkeit in die
Wahl der Personen, die in die Hierarchie aufgenommen werden mußten,
eingegriffen zu haben scheinen, aber das wird nur inoffi-ziell
eingestanden. Andererseits ließen der gute Willen und der absolute
Gehorsam, den die Gläubigen damals der kirchlichen Obrigkeit
entgegenbrachten, es weise (meine Hervorhebung; T.T.C.) erscheinen,
diese Einmischung zuzulassen, die darüber hinaus dazu beitrug, daß
allen Personen, die zur geistigen Herrschaft über die Gemeinschaft
erwählt worden waren, äußerste Hochachtung gezollt wurde.“
Can. 106 stellt in aller Deutlichkeit klar: „Si laici contra canonicam
libertatem electioni ecclesiasticae quoquo modo sese immiscuerint,
election ipso jure invalida est.“ Das bedeutet: Die Einmischung von
Laien in eine kirchliche Wahl widerspricht der kanonischen Freiheit und
läßt die Wahl ipso jure ungültig werden.
Pater Lobo kommentiert: „Per Mehrheitsbeschluß könnte die körperliche
Anwesenheit Außenstehender bei einer Wahl genehmigt werden, aber nur
unter der Bedingung, daß sie keinerlei Wahlrecht ausüben (Can. 165) und
daß sie die Freiheit der Wähler nicht beeinträchtigen (Can. 166). Die
Einmischung von Laien oder zivilen Obrigkeiten, die die Freiheit einer
Mehrheit der Wähler effektiv beeinträchtigt (z. B. durch
Gewaltanwendung, Täuschung, Betrug, Bestechung, Veto oder Ausschluß),
macht die Wahl rechtlich ungültig; die bloße Bitte, Empfehlung oder
Einflußnahme zugunsten eines Kandidaten, die keine eindeutige
Auswirkung auf den Wahlausgang hat, zieht keine derartige Annullierung
nach sich.“ Die Wähler in ihrer Freiheit zu behindern oder sich
unberechtig-terweise in eine kirchliche Wahl einzumischen ist ein
Delikt, das in Can. 2390 unter Strafe gestellt wird.
So viel zu kirchlichen Wahlen in genere. Kehren wir nun zur
Kirchengeschichte zurück, um die Verfahren zu betrachten, nach denen im
Laufe der Jahrhunderte Papstwahlen durchgeführt wurden, sowie die
Gesetze, die diesbezüglich nacheinander von den Obersten Pontifexen
erlassen wurden. Glücklicherweise liegt uns hierzu eine hervorragende
Zusammenfassung im „Dictionnaire de la Theologie Catholique de Vacant“
(DTC) vor. (Vgl. Art. „Wahl des Papes“, 2281- 2318, sowie Art.
„Conclave“.)
An dieser Stelle genügt eine kurze Wiedergabe der historischen
Zusammenfassung des DTC. Das Verfahren der Papstwahl ist nicht von
göttlichem Recht vorgegeben. (Das ist, möchte ich hinzufügen, die
verbreitetste Meinung, und sie widerspricht der Meinung Dom Greas, der
den Klerus der Diözese von Rom für die vom göttlichen Recht bestimmten
Elektoren hält.) Vielmehr wird es kirchenrechtlich geregelt. Christus
gab seiner Kirche und insbesondere dem Oberhirten die Verantwortung, in
diesem wichtigen Punkt der kirchlichen Ordnung Regeln aufzustellen und
sämtliche Änderungen einzuführen, die der Wandel der Zeiten
erforderlich machte.
Ursprünglich wurde der Papst - genauso wie die übrigen Bischöfe - ohne
irgendein geschriebenes Gesetz in einer spontanen Weise, die sich zur
Gewohnheit verfestigte, von Klerus und Volk gewählt. Bischöfe wurden
unter dem Vorsitz des Metropolitanbischofs von Volk, Klerus und den
Bischöfen der Provinz gewählt. So wurde es auch in der Diözese von Rom
gehandhabt.
Trotzdem hatte das Volk kein volles Wahlrecht. Zwar durfte es seine
Wünsche und Präferenzen äußern, aber nur wer die Zustimmung der
Bischöfe der Provinz und des Metropoliten hatte, wurde in die
Bischofswürde erhoben. Schon sehr bald wurde das Sprichwort
gebräuchlich: „Docendus est populus, non sequendus“.
Das Konzil von Nicaea ließ keinen Zweifel an der absoluten
Entscheidungsgewalt des Klerus bei der Bischofswahl aufkommen: „Si quis
praeter sententiam Metropolitani fuerit factus episcopus, hunc magna
Synodus definit episcopum esse non oportere.“ (Can. 6) Ohne die
Zustimmung des Metropoliten hätte die Bischofswahl keine Gültigkeit.
Trotzdem wurde empfohlen, den Willen des Volkes zu berücksichtigen. Als
legitimes Motiv hierfür führte die Kirche das Ziel an, den
bereitwilligen Gehorsam des Volkes zu gewährleisten.
Dieser Sitte entsprechend wurde auch die Wahl des Bischofs von Rom
gehandhabt. Das römische Volk schlug mehrere Namen vor. Der Klerus und
seine Würdenträger prüften diese vorläufige Liste und ergänzten oder
strichen Namen nach eigenem Ermessen. Schließlich versammelten sich die
Bischöfe der Provinz Rom und entschieden endgültig über die Kandidaten,
die das Volk und der Klerus vorgeschlagen hatten.
Unter den Geistlichen nahm der Einfluß der Amtsträger der römischen
Kirchen und Basiliken (der „Cardinati“) stetig zu. Je mehr die Zahl der
Gläubigen anstieg, desto deutlicher wurde, daß ihre Beteiligung an
solchen Wahlen unter keinen Umständen vorteilhaft war.
Die gesetzlichen Bestimmungen zur Papstwahl
An dieser Stelle weicht der englische Text bezüglich der
chronologischen Strukturierung vom spanischen Original ab. Meine
Übersetzung hält sich an den englischen Text, der mir eine bewußte
Korrektur zu sein schien. (Das Original führt unter II - erst
Hildebrand, dann Nikolaus II. an.) S.L.
I-A - Im Jahre 499 erließ der
Heilige Symmachus in drei Artikeln das erste Dekret zur Papstwahl. Der
dritte Artikel schreibt vor, daß der Wahlsieger eine einfache Mehrheit
der Stimmen des gesamten Klerus benötigt.
Dies war der erste Versuch einer Regulierung und der erste Schritt in
Richtung eines eingeschränkten Wahlrechts. Im Laufe ihrer Geschichte,
insbesondere im Mittelalter, sah sich die Kirche immer wie-der
gezwungen, Kompromisse einzugehen. Unter Protest nahm sie das „Placet“
des Kaisers und andere unrechtmäßige Einmischungen hin, um schlimmere
Übel zu vermeiden.
I-B - Das Gesetz, das Nikolaus
II. am 13. April 1059 in der päpstlichen Bulle „In Nomine Domini“
erließ, bedeutete einen Wendepunkt. Von nun an lag die Wahl des
Obersten Bischofs in den Händen der Kardinalbischöfe. Die übrigen
Mitglieder des Klerus waren - im Einklang mit der Tradition -
aufgefordert, der Wahl beizuwohnen, aber dabei handelte es sich um eine
nebensächliche Formalität. Die Hauptrolle wurde den Kardinalbischöfen
zugeschrieben.
An anderer Stelle der Bulle wird den Kardinalbischöfen genehmigt, sich
im Falle, daß die Wahl nicht in Rom stattfinden kann, an einem Ort
ihrer Wahl zu versammeln, obwohl sich die Anzahl der Geistlichen und
Gläubigen, die ihnen folgen würden, erheblich verringern würde.
II - Gregor VII. (Hildebrand)
bemühte sich während seiner Amtszeit (1073-1085) unermüdlich darum, das
Wahlrecht auf eine rein kirchliche Wahlversammlung einzuschränken, aus
der das laizistische Element endgültig ausgeschlossen würde.
III - Die Verfassung Alexanders
III.: Den Vorschriften Nikolaus’ II. zufolge durften lediglich die
Kardinalbischöfe aktiv an der Wahl des Papstes teilnehmen. Mit der Zeit
nahmen sich jedoch die Kardinalpresbyter und die Kardinaldiakone das
Recht heraus, ebenfalls ihre Stimme abzugeben.
Diese tolerierte Anmaßung führte 1130 zum Schisma, als Pier Leoni
(Anacletus II.) von den Kar-dinalpresbytern und Kardinaldiakonen zum
Papst gewählt wurde. Gleichwohl legte die Bulle Nikolaus’ II.
unmißverständlich fest: Die Kardinalpresbyter und Kardinaldiakone
hatten lediglich eine beratende und keine entscheidende Funktion.
Dreißig Jahre später kam es zu einen ähnlichen Fall. Um der akuten
Gefahr eines Schismas vorzubeugen, wurde die Gesetzgebung dem durch die
Hintertür eingeführten Gebrauch angepaßt, statt sie ein für allemal aus
der Welt zu räumen. Zu diesem Zweck erließ Alexander III. (1159-1181)
hundert Jahre nach der Bulle Nikolaus’ II. im Rahmen des III.
Laterankonzils „Licet de Vitanda“ (1179) eine Verfassung. Darin werden
die Kardinäle aller drei Ränge als Wahlgremium festgelegt. Zum ersten
Mal wird statt der einfachen Mehrheit eine Zweidrittel-Mehrheit
erforderlich. Da die Kardinäle aus verschiedenen katholischen Ländern
stammen können, wird zugleich ein repräsentatives Kollegium der
Universalkirche gebildet, in dem sich der internationale und
universelle Charakter des Papsttums widerspiegelt.
So viel zu der knappen Zusammenfassung des DTC. Mit Hilfe der
juristischen Finte, Kardinalpres-bytern aus anderen Diözesen ein
römisches Kirchenamt zuzuteilen, wurde das Gewohnheitsrecht des
römischen Klerus zumindest formell gewahrt und gleichzeitig eine
Internationalisierung des Wahlkollegs bewirkt. Jede Veränderung am
Gewohnheitsrecht wäre auf Mißgunst gestoßen. Meines Erachtens ergeben
sich bezüglich der Erarbeitung einer Ersatznorm folgende
Schlußfolgerungen aus dem ersten in Can. 20 festgelegten Kriterium „a
legibus latis in similibus“:
1. Die katholischen Laien sind
bei keiner kirchlichen Wahl stimmberechtigt - mit Ausnahme eines
Sonderrechtes, das ausdrücklich erteilt werden muß - „a fortiori“ bei
der Wahl des Papstes. Dies wäre nur in dem hypothetischen Fall möglich,
daß sich der gesamte Klerus hartnäckig wei-gerte, seine äußerst
schwerwiegende Pflicht auszuüben.
Das heißt nicht, daß man - besonders in der vorliegenden
Situation - Laien nicht zu Rate ziehen könnte, um Empfehlungen,
Meinungen, Beurteilungen und vertrauenswürdige Informationen über die
Eignung potentieller Kandidaten einzuholen. Man könnte sogar dem
Beispiel der Kirche folgen - die Kompromisse tolerierte, um schlimmeres
Übel zu vermeiden - und es für geboten halten, bestimmten
qualifizierten Laien das Wahlrecht zu erteilen, die ausnahmsweise die
korrekte Einhaltung des Wahlverfahrens bezeugen. Auf keinen Fall dürfen
Laien Anspruch auf das Wahlrecht erheben. Das wäre eine unrechtmäßige
Einmischung, die der kanonischen Freiheit der Wahl widerspräche und
diese nach Can. 166 ipso jure ungültig machte.
2. Es erweist sich, daß die
rechtmäßigen Elektoren, denen unmittelbar und als ersten die äußerst
schwerwiegende Pflicht zufällt, die Vakanz des Heiligen Stuhles zu
beseitigen, die Bischöfe sind. Tatsächlich läßt sich in der Geschichte
der Papstwahlen eine Konstante isolieren, die uns als Schlüssel dienen
kann, um zu bestimmen, bei welchen Mitgliedern der kirchlichen
Hierarchie nach göttlichem Recht das Wahlrecht für Kirchenämter liegt.
Ins Auge sticht, daß die Vertreter des Bischofsamtes immer beteiligt
sind. Daran ändert sich im Laufe der Geschichte nichts. Im Gegenteil
übten sie dieses Recht nach dem Kirchenrecht ein Jahrhundert lang unter
Ausschluß aller anderen Amtsstände allein aus. Aus dem Gesagten folgt,
daß nach göttlichem Recht die Bischöfe die rechtmäßigen Elektoren sind,
da die im Kirchenrecht bestimmten Elektoren nicht mehr existieren.
Salvo meliore ist dies meine Meinung.
3. Ohne genauere Erläuterung
gibt es keine Grundlage für die Behauptung, der römische Klerus sei für
die Durchführung der Wahl unverzichtbar - geschweige denn dafür, wie
Dom Grea (vgl. „L’Église et sa divine Constitution“, S. 176) zu
behaupten, er habe das alleinige Recht, den Papst zu wählen, und das
auch noch nach göttlichem Recht.
Sehen wir nun, welche Ersatznorm sich anhand des zweiten Kriteriums „a
generalibus iuris prin-cipiis cum aequitate canonica servatis“ ableiten
läßt. Ohne jeden Zweifel bildet das göttliche Recht als
natürliches und positives Recht die Grundlage der allgemeinen
Grundsätze des Kanonischen Rechtes. So steht es explizit in Can. 6.
Nach göttlichem Recht gilt auch für die Bischöfe - aber nicht für den
niederen Klerus - als Nach-folger der Apostel: „... quaecumque
alligaveritis super terram, erunt ligata et in caelo; et quaecumque
solveritis super terram, erunt soluta et in caelo“ (Matth. 18, 18). Wer
behauptet, dieses Recht gebühre nur den Aposteln und nicht ihren
Nachfolgern, begeht den Irrtum des Petrus Abelardus, den die Kirche
verurteilte (vgl. D. 379).
Bezüglich der Macht der Bischöfe muß festgehalten werden, daß sie die
wichtigsten und ersten Glieder des mystischen Leibes Christi sind (D.S.
3804). Sie herrschen in den ihnen zugeteilten Bereichen nicht als
Stellvertreter des Papstes, sondern „ut Vicarii et Legati Christi
regunt“. (Vgl. Benedikt XIV., Brev. Romana Ecclesia, 5. Oktober 1752,
M.C. a.a.O. und „Satis Cognitum“, D.S. 3307-3310)
Salvo meliore schließe ich hieraus, daß nach göttlichem Recht die
rechtgläubigen Bischöfe die rechtmäßigen Elektoren sind - egal, ob es
viele oder wenige sind, die man derzeit als solche bezeichnen kann.
Unter den gegebenen Umständen fällt ihnen das volle Recht und die
äußerst schwerwiegende Pflicht zu, die schon zu lange bestehende Vakanz
zu beseitigen. Das soll nicht heißen, daß sie selber nicht Priester und
sogar Diakone hinzuziehen können, denn die Zahl der als orthodox
bekannten Bischöfe ist sehr gering.
Laut Gesetz ist das dritte Kriterium für die rechtliche Ersatzmaßnahme
der Stil und die Praxis der römischen Kurie. Anhand dieses Kriteriums
lassen sich keinerlei Schlüsse ziehen, da die römische Kurie keine
Anweisungen für eine Situation wie die jetzige erteilt hat. Ein solcher
Fall war nicht vorherzusehen.
Dennoch steht uns ein Beispiel zur Verfügung, das sehr viel wichtiger
und lehrreicher ist als jede Direktive, die die Kurie hätte erteilen
können. Es handelt sich nämlich um ein Ereignis, das die Unfehlbarkeit
der Kirche kompromittierte. Ich beziehe mich auf die Lösung, die für
das Problem des Großen Westlichen Schismas gefunden wurde. Wie ich in
meiner Rede im Rahmen der Tagung in Brüssel am 28. September 1991
erläutert habe, muß uns dieser Fall als juristische Leitlinie dienen.
Der Beschluß der Väter des Konzils von Konstanz (1417) bestand darin,
nach der Absetzung der zweifelhaften Päpste zur Wahl des rechtmäßigen
Papstes ein Wahlgremium zu gründen, dem neben den zweifelhaften
Kardinälen sozusagen als Kompromiß dreißig Prälaten angehörten, sechs
aus jeder der fünf Nationen, in die die Prälaten des europäischen
Christentums willkürlich eingeteilt wurden.
Sehen wir uns an, wie der Knoten zerschlagen wurde und welche Lehren sich daraus ziehen lassen.
Ein ökumenisches Konzil - obgleich unter den gegebenen Umständen
notgedrungen unvollkommen - mußte in der Auslegung des göttlichen
Rechtes unfehlbar sein, um nicht gegen es zu verstoßen. Tatsächlich
kann kein Zweifel daran bestehen, daß die Konzilsväter im Einklang mit
dem göttlichen Recht handelten, denn sie konnten sich auf die
Zustimmung der Höchsten Obrigkeit berufen.
Die Alternative, für die man sich ad cautelam entschied, war weder der
römische Klerus - dem Dom Greas Auffassung zufolge nach göttlichem
Recht das Wahlrecht gebührte - noch die Lateran-Geistlichen noch die
einfachen Gläubigen, wie aktuell manche Stimmen wünschen, sondern man
ent-schied sich für die Prälaten, das heißt für Kirchenmitglieder mit
juristischer Befugnis, für die ersten und wichtigsten Mitglieder der
Kirche. Daraus ergibt sich, daß nach göttlichem Recht die recht-mäßigen
Elektoren, in deren Hände unter den gegebenen Umständen die Wahl des
Papstes gelegt werden muß, die Bischöfe sind, von denen im übrigen
gesagt wird: „Alles, was ihr auf Erden binden werdet, das wird auch im
Himmel gebunden sein.“ (Matth. 18, 18)
Kommen wir zum vierten und letzten der Kriterien, die das Gesetz zur
Herleitung einer Ersatznorm vorschreibt: „a communi constantique
sententia doctorum“.
In seinem oben angeführten Werk sagt Pater Cabreros Anta: „Obgleich die
Kanonische Doktrin an sich keinen obligatorischen juristischen Wert
hat, ist sie nach dem Willen des Gesetzgebers zu einer suppletorischen
Quelle erhoben worden.“ (Das Zitatende war in keinem der beiden Texte
gekennzeichnet; ich vermute es an dieser Stelle. S.L.) Dieses
suppletorische Mittel unterscheidet sich nicht von den vorherigen,
sondern wendet sie an. Das Argument oder das Mittel beruht auf der
Autorität der Rechtsgelehrten. Der Spruch der Gelehrten gilt dann als
äußerst allgemein, wenn er allseits akzeptiert wird; in diesem Fall ist
die Doktrin moralisch wahrhaftig. Solange sie allgemein und kon-stant
ist, läßt Can. 20 die kanonische Doktrin auch dann als suppletorisches
Mittel zu, wenn sie nicht äußerst allgemein ist, weil eine Norm unter
diesen Umständen rational und gefestigt genug ist.
Die frühen Kanonisten bezeichneten einen Spruch dann als allgemein,
wenn er ex professo oder in einer sorgfältigen Studie von sechs oder
sieben Gelehrten verteidigt worden war, die als große Wissenschaftler
und Experten anerkannt waren. Die Verteidiger der Doktrin müssen
konstant an ihr festhalten, damit kein Raum für Zweifel oder
Meinungsänderungen bleibt.
Daß der kirchliche Gesetzgeber den allgemeinen und konstanten Spruch
der Gelehrten als supple-torische Quelle akzeptiert, liegt nicht an
ihrer rechtlichen Autorität - eine solche haben sie nicht -, sondern an
ihrer wissenschaftlichen Autorität, aufgrund derer ihre Doktrin als
wahrhaftig oder sehr wahrscheinlich angenommen werden kann. Eine solche
allgemeine und konstante Doktrin gilt als wahrheitsgemäße Auslegung des
Gesetzes, sofern ihr keine andere Doktrin mit ähnlicher Autorität
widerspricht. Im Falle der rechtlichen Ersatzmaßnahme gilt sie nach
Can. 20 selbst dann als kluge und akzeptable Auslegung, wenn ein
gegensätzliches Urteil gleicher Autorität vorliegt. Dies gilt nicht,
wenn die Annahme der Wahrheit oder großen Wahrscheinlichkeit, auf der
die Autorität der Gelehrten beruht, sich mit schwerwiegenden Einwänden
entkräften läßt.
Glücklicherweise können wir uns auf eine Reihe von Gelehrten berufen,
die ein Urteil zu dieser Frage abgegeben haben, die aus ihrer Sicht
eine rein hypothetische war. Verschiedene zeitgenössische Autoren haben
die Doktrin dieser Gelehrten angeführt, erläutert und ausgelegt, um die
Papstwahl entweder zu empfehlen oder von ihr abzuraten. Keine dieser
Darlegungen ist vollständig, aber ich habe ihre Ausführungen zu einem
Gesamtbild zusammengetragen.
Folgende zeitgenössische Autoren berufen sich auf die Gelehrten:
Abbé V. M. Zins in Sub tuum praesidium, Nr. 4, Juli 1986, S. 34-38.
Daly, J. Britons, C. L. Letter Nr. 7, November 1990, S. 114-119.
Johas, H., in Roma, Nr. 125, S. 38-39 und 44.
Mock, K.J. „In Defense of a Future Papal Election“. Vortrag des Autors
auf der Tagung in Spo-kane, Washington, USA, Ende Juni 1993.
Insgesamt zitieren sie sieben Gelehrte. In chronologischer Reihenfolge
sind dies: Cajetan, Vitoria, St. Robert Bellarmino, Johannes von St.
Thomas, Dom Grea, L. Billot und Ch. Journet.
1. Cajetan (1469 - 1534)
behandelt diese Frage in „De Comparatione Auctoritatis Papae et
Con-cilii“ und in „Apologia de Comparata Auctoritate Papae et Concilii“.
„Papatus, secluso papa, non est in Ecclesia nisi in potentia
ministerialiter electiva, quia scilicet potest, sede vacante, Papam
eligere per Cardinales, vel per se ipsam.“ - "Per se" ipsam bezieht
sich auf eine außergewöhnliche Methode des Wahlverfahrens und erfordert
nach Cajetans eigenem Dafür-halten eine Erläuterung: „Falls die Normen
sich nicht anwenden ließen, ginge im Wege der Restitution an die Kirche
die Aufgabe über, sie zu ergänzen.“ („Apologia“, Kap. XIII)
Die Macht, den Papst zu wählen, liegt eminent, regulär und vorrangig
beim Papst selber. Eminent insofern, als er über die Vollmacht verfügt,
die alle niedrigeren Gewalten einschließt. Regulär durch ein
ordentliches Recht; im Gegensatz dazu könnte die Kirche nur dann ein
neues Wahlverfahren be-schließen, wenn die Notwendigkeit sie dazu
verpflichtet.
Vorrangig im Gegensatz zur Kirche, der diese Macht nur nachrangig
gebührt. Trotzdem würde das Wahlrecht in jedem außerordentlichen Fall
der Universalkirche zufallen, etwa wenn der Papst dies-bezüglich
keinerlei Verfügungen getroffen hätte, wenn unklar wäre, wer die
wahrhaftigen Kardinäle sind oder wer der wahrhaftige Papst ist, wie es
in der Epoche des großen Schismas geschah. („Apologia“, Kap. XIII) „In
Abwesenheit des römischen Klerus fiele [die Wahl des Papstes] der
Univer-salkirche zu, deren Bischof der Papst sein muß.“
Die Wendung „ginge im Wege der Restitution an die Kirche über“ ist
Cajetans Ausführungen zufolge nicht im strikten kanonischen Sinne
gemeint, sondern im Sinne der Übertragung einer Aufgabe von einem
Vorgesetzten auf den unmittelbar Untergebenen.
2. Francisco de Vitoria
(1483-1546). Vitoria wird nur von H. Johas zitiert, die übrigen Autoren
erwähnen ihn nicht. Dies ist insofern bedauerlich, als Vitorias
Argumente gradlinig, klarer, vollständiger und überzeugender begründet
sind. Aus diesem Grund zitiere ich direkt aus Vitorias Texten. Vitoria
legt seine These in seinem Werk „Relecciones Teológicas“ dar (Band II
der kritischen Ausgabe, herausgegeben von Fr. Luis G. Alonso Getino,
Madrid 1934).
Mit der Frage, die uns hier interessiert, befaßt er sich in der
„Relección Segunda“: „De Potestate Ecclesiae“ (S. 151-168). Nachdem er
nachgewiesen hat, daß Petri Nachfolge auf ewig sichergestellt werden
muß (Punkt 18), formuliert er folgende Behauptung (seine fünfte).
„Mortuo Petri, Ecclesia habet potestatem subrogandi, et instituendi
alium in loco illius, etiam si Petrus nihil de hoc prius constituisset.
... Constituta a Christo potestate (spirituali) non videtur quod
Ecclesia sit pejoris conditionis ad eligendum sibi Principem, quam
civilis Respublica, quae quocumque casu, deficiente Principe, potest
sibi alium constituere. Item, ut dictum est, haec potestas oportebat ut
perseveraret in Ecclesia, sed defuncto Petro, et nihil de succesore
providente, nec statuente, ut contingere poterat, no restabat aliud
medium, nisi per electionem Ecclesiae. Ergo ...“
Mit anderen Worten: „Da Christus diese (geistliche) Macht geschaffen
hat, erscheint es ungerecht, daß die Kirche nicht unter denselben
Bedingungen ihr Oberhaupt wählen kann wie die Zivilgesellschaft, die
selber einen neues Oberhaupt bestimmen kann, wenn sie ihr Oberhaupt
verloren hat. ... Wenn nichts anderes im voraus festgelegt ist, was
durchaus passieren kann, bleibt keine andere Möglichkeit, als die
Kirche wählen zu lassen.“
Dies beweist Vitoria anhand eines hypothetischen Falles, in dem kein
Wahlgremium mehr vorhanden ist: „Quia nunc etiam, si aut bellum, aut
pestilentia, aut alia calamitas, aut casus absumeret Cardinales, non
est dubitandum quin Ecclesia posset providere sibi de Summo Pontifice:
alias vacaret perpetuo illa Sedes, quae tamen perpetuo debet durare.
Item illa potestas est communis, et spectat ad totam ecclesiam; ergo a
tota Ecclesia debe provideri, et non ab aliqua particulari ecclesia,
vel certo ordine, aut genere hominum; immo negligentibus Cardinalibus,
aut perniciose dissidentibus, ecclesia posset sibi providere.“
Sollte also aus einem der angegebenen Gründe das Kardinalskollegium
ausfallen, das nach irdischem Gesetz einzig und allein wahlberrechtigt
ist, so „besteht kein Zweifel, daß die Kirche sich einen Obersten
Pontifex bestimmen kann; andernfalls bliebe der Heilige Sitz, der doch
ewig bestehen muß, für immer leer. Darüber hinaus ist die Macht eine
gemeinsame, die der gesamten Kirche zuteil wird und nicht einer
bestimmten Kirche oder einer bestimmten Personengruppe. Im Falle, daß
die Kardinäle ihre Pflicht vernachlässigen oder untereinander
verhängnisvoll zerstritten sind, darf die Kirche selber einen Papst
wählen.“
Schauen wir uns an, was Vitoria im Punkt 19 als „gesamte Kirche“
definiert. Auf die Frage: „Sed ab omnibus christianis?“ gibt er die
Antwort: „Electio summi pontificis in tali casu spectaret ad solum
clerum, et nullo modu ad populum.“
Dafür führt er folgende Begründung an: „Quia administratio rerum
spiritualium nullo modo spectat ad laicos ...; sed institutio Summi
Pontificis maxime spectat ad gubernationem et administrationem rerum
spiritualium, ergo nullo modo spectat ad laicos. Item electio
Presbyterorum, aut Episcoporum non spectat ad plebem. Ergo multo minus
electio Summi Sacerdotis. ... Item: Quia talis electio esset prorsus
impossibilis, cum esset impossibile ut totus populus coveniret ad
eligendum, nec postquam convenissent, posset contingere, ut major pars
unum et eundem optaret.“
Wie wir sehen, schließt er die Laien, die sekundären Mitglieder der
Kirche, von einer Wahl unter derart außerordentlichen Umständen aus und
führt verschiedene Gründe für diesen Ausschluß an. Dann stellt er
gradlinig und mit logischer Stringenz argumentierend in Punkt 20 seine
siebte Behauptung auf. Nachdem er das allgemeine Wahlrecht abgelehnt
hat, schränkt er den Kreis der Wahlberechtigten innerhalb des Klerus
noch weiter ein. Die Behauptung lautet: „Immo non videtur etiam talis
electio spectare ad totum Clerum.“ Als Grund gibt er an: „Quia licet ad
omnes Clericos spectat administratio spiritualium, tamen non omnia
spectant ad omnes, sed citra Episcopos omnes habent certa et limitata
ministeria, extra quae non extendit se eorum officium, ut Diaconi
ministrant Presbyteris, Presbyteri autem ministrant Sacramenta: et
eadem ratione vix convenire posset Clerus totius orbis ad talem
electionem.“
Er schließt also den Klerus unterhalb des Episkopats aus. In Punkt 21
erläutert Vitoria, wer demzu-folge nach göttlichem Recht die
rechtmäßigen Elektoren sind. Seine achte Behauptung lautet: „In
quocumque casu vacaret Sedes Apostolica, manendo in sole jure divino,
electio spectaret ad omnes episcopos christianitatis.“ Als Beleg führt
er an: „Quia ipsi sunt Pastores Gregis, et Curatores et Tutores, et
tota administratio ecclesiastica citra Summum Pontificem spectat ad
eos, et omnia possunt per se, quae inferiores omnes possunt. Dico ergo,
quod quomodocumque, sive instituto sive casu omnes Episcopi Christiani
convenirent, in tali casu Episcopi possent eligere unum Summum
Pontificem tantae authoritatis, sicut fuit Beatus Petrus, etiam
reclamantibus omnibus, vel majori, parte laicorum, aut etiam
clericorum.“
Dennoch erkennt er die Notwendigkeit eines Kirchengesetzes, das ein
über jeden Zweifel erhabenes Wahlgremium bestimmt, um Schismen zu
vermeiden. Eine zu große Wahlversammlung, die die Gesamtheit der
Bischöfe einschlösse, würde zu logistischen Problemen führen - zu
Vitorias Zeiten (16. Jahrhundert) und erst recht in der Vergangenheit
wäre es unmöglich gewesen, sie alle zusam-menzurufen. Aus diesem Grund
lag die Vollmacht bei Petrus und dessen Nachfolgern.
Auch die Wahl durch den römischen Klerus, wie es in den ersten
Jahrhunderten gehandhabt wurde, lehnt Vitoria ab: „Nam (ut ex historia
habetur) aliquando vel Clerus Romanus, vel Populus, Summum Sacerdotem
eligebant.“ Darauf entgegnet er folgendes: „Si Clerus aut Populus
Romani aliquando hoc jus habuit, ut eligeret Summum Pontificem, hoc
fuit certe, vel lege de hoc lata, vel consuetudine recepta, et non jure
divino. Nam etiam eligente Romano Clero, si Episcopi Christiani ratam
habebant electionem, hoc satis esse potuit, ut illa forma electionem
per aliquam aetatem servaretur.“ Das heißt: „Wenn in den ersten
Jahrhunderten der römische Klerus und das römische Volk den Papst
wählten, können wir mit Gewißheit davon ausgehen, daß dies entweder
gesetzlich festgelegt oder ein akzeptierter Brauch war; aber es war
nicht göttliches Recht. Wenn die katholischen Bischöfe den
Wahlentscheid des römischen Klerus ratifizierten, genügte dies, diese
Form der Wahl lange Zeit beizubehalten.“
Die elfte Behauptung (Punkt 24): „Ratio eligendi Summum Pontificem, quae nunc servatur in Eccle-sia, non est de jure divino.“
„Haec nota est ex praecedentibus, quia exclusa humana lege, spectat ad
Episcopos. Item: non inveni-tur in toto jure divino. Item: Petri
successores potuerunt eam mutare, ut dictum est. Item: non semper hoc
modo fui facta. Et ultimo quia ordo Cardinalium, qui nunc sunt
electores, non est de jure divino.“ Daß es nicht nach göttlichem Recht
geschieht, läßt sich folgendermaßen belegen:
1. Wenn man irdische Gesetze außer Acht läßt, steht das Wahlrecht den Bischöfen zu.
2. Im göttlichen Recht findet sich nichts zu dieser Frage.
3. Die Nachfolger Petri konnten das Wahlrecht ändern, und haben es auch getan.
4. Den Kardinälen, die zur Zeit das Wahlrecht haben, steht es nach göttlichem Recht nicht zu.
Vitorias einleuchtende Beweisführung bestätigt also auf überzeugende
Weise, daß nach göttlichem Recht, „seclusa lege papali“ bezüglich
dieser Frage, die kath. Bischöfe die Wahlberechtigten sind.
3. St. Robert Bellarmin (1542 -
1621) St. Robert Bellarmino behandelt die Frage in
„Controversiae: De Clericis, L. I.“ (Kap. 10, Behauptung 8). H.
Johas zitiert ihn ad sensum zusammen mit Billot. J. Daly zitiert
folgende Textstelle: „Das Generalkonzil hätte zwar die Kompetenz zu
wählen, müßte sich aber in der Praxis dem derzeitigen Wahlverfahren
durch den römischen Klerus und die romnahen Bischöfe anpassen.“ Dem
Konstanzer Präzedenzfall folgend, gesteht Bellarmino dem Ge-neralkonzil
das Wahlrecht zu. Seiner Argumentation mangelt es allerdings insofern
an Entschlossen-heit und Stringenz, als er die Existenz der römischen
Kardinäle voraussetzt, die in der Hypothese und in unserer
gegenwärtigen Situation gerade nicht gegeben ist.
4. Juan de Santo Tomás
(Johannes von St. Thomas, 1589 - 1644) - Das für uns relevante Werk
dieses Autors ist „Cursus Theologicus in Summam Theologiae D. Thomae“
(II-II, q. 7, a. 7, disp. 2a I, Nr. 9). Es wird von Ab. Zins angeführt,
den Journet folgendermaßen zitiert: „Zwar gehört die Macht, den Papst
zu wählen, naturgemäß und daher nach göttlichem Recht der Kirche in
ihrer Gesamtheit mit ihrem Oberhaupt. Das konkrete Wahlverfahren - so
Johannes von St. Thomas - ist in der Heiligen Schrift jedoch nicht
festgelegt. Lediglich das Kirchengesetz bestimmt, welcher Personenkreis
innerhalb der Kirche berechtigt ist, die Wahl durchzuführen. ...
Johannes von St. Thomas weist darauf hin, daß die Kirche keine
Vollmacht über den rechtmäßig gewählten Papst hat, sondern nur über die
Wahl als solche. Sie ist bevollmächtigt, alle notwendigen Maßnahmen zu
ergreifen, um ihre Durchführung zu gewährleisten. ... So wurde es zu
Zeiten des Konzils von Konstanz gehandhabt, wie ebendieser Johannes von
St. Thomas betont.“
5. Dom Grea, den Zins und J.
Daly zitieren. Dieser Gelehrte widerspricht allen anderen entschie-den:
„Die Wahl des Obersten Hirten ist das alleinige Recht der römischen
Kirche. Keine andere Macht, keine Versammlung, kein Konzil, nicht
einmal ein ökumenisches, kann sich darüber hinwegsetzen.“ (Vgl.
„L’Église et sa divine constitution, s. 176) Da Zins diese Meinung
widerlegt (a.a.O., S. 35), werde ich mir eine Auseinandersetzung mit
Greas schwerem Irrtum sparen.
6. Kardinal Louis Billot - Von Zins abgesehen berufen sich alle angegebenen Autoren auf ihn. Sogar Daly und Mock zitieren ihn ausführlich.
Im folgenden fasse ich Kardinal Billots Doktrin hinsichtlich dieser
Frage zusammen. Unter normalen Umständen läßt Billot keinen Widerspruch
gegen das päpstliche Gesetz zu, in dem das Wahlverfah-ren festgelegt
ist. Nur die Kirche selber ist bevollmächtigt, dieses Gesetz zu ändern.
Dann stellt Bil-lot die Überlegung an, was in dem hypothetischen Fall
zu tun wäre, daß eine Papstwahl aufgrund außerordentlicher Umstände
nach dem Gesetz nicht möglich wäre.
Billot kommt zu dem Schluß, daß man in diesem außerordentlichen Fall
(wie er nach Meinung eini-ger zur Zeit des Großen Schismas eintrat, als
Martin V. gewählt wurde), wenn es unmöglich ist, den Bestimmungen des
päpstlichen Gesetzes nachzukommen, ohne weiteres akzeptieren muß, daß
das Wahlrecht auf ein Generalkonzil übergeht. Denn das Naturrecht
selber erfordert, daß in einem sol-chen Fall die Macht an den
unmittelbar Untergebenen übergeht. Dies ist unumgänglich, um das
ge-sellschaftliche Überleben sicherzustellen und die Widrigkeiten einer
extremen Notlage zu vermeiden. Im Falle, daß Zweifel bezüglich der
Existenz echter Kardinäle bestehen, wie es zu Zeiten des Großen
Schismas geschah, kann man mit Gewissheit davon ausgehen, daß die
Macht, den Papst zu wählen, bei der Kirche Gottes liegt: „Für den Fall,
daß keine vom Papst ernannten Elektoren existieren, geht die Macht
anscheinend auf die Universalkirche über.“ (Hier beruft er sich auf
Cajetan.)
7. Mgr. Charles Journet -
Dieser Theologe wird von Zins und Mock zitiert. Letzterer weist darauf
hin, daß Journets Werk großen Respekt genießt, weil es den päpstlichen
Segen Pius’ XII. erhielt. Dieser Gelehrte, der sich auf die Doktrin der
großen Theologen Cajetan und Johannes von St. Thomas beruft, behauptet,
daß das Recht der Papstwahl in einem außerordentlichen Fall im Wege der
Restitution an die Kirche übergeht.
Journet befindet sich in völliger Übereinstimmung mit diesen beiden
Gelehrten. Sein eigener Verdienst besteht in der Erläuterung, wann und
warum sich diese Frage erstmals stellte: „Die Frage, wer das Recht hat,
den Papst zu wählen, kam im 15. und 16. Jahrhundert auf, nämlich im
Zusammen-hang mit den Kontroversen bezüglich der Autorität des Papstes
und der Autorität des Konzils.“
Aus dem vierten Kriterium, dem doktrinären, lassen sich folgende
Schlüsse ziehen: Von Dom Grea abgesehen sind sich die angeführten
Gelehrten einig, daß in dem außerordentlichen Fall, wenn kein nach
Kirchenrecht bestimmtes Wahlkollegium existiert, die Vollmacht und das
Recht der Papstwahl im Wege der Restitution an die Universalkirche, an
ein General- oder ökumenisches Konzil über-ginge. Selbst wenn wir die
klaren Erläuterungen Vitorias außer Acht lassen, kann es nur eine
Ant-wort auf die Frage geben, wer die rechtmäßigen Mitglieder eines
General- oder ökumenischen Kon-zils sind: die Bischöfe.
Was ist unter „im Wege der Restitution an die Universalkirche“ zu
verstehen? Ohne erläuternde Zu-sätze kann der Begriff „Ecclesia“ zwei
verschiedene Bedeutungen haben:
a) die Gesamtkirche (discens and docens: Gläubige und Würdenträger, Laien und Klerus);
b) im eingeschränkten Sinn der kirchlichen Hierarchie oder Obrigkeit.
In diesem zweiten Wortsinn können wir sagen: „Die Kirche lehrt“ oder
„Die Kirche schreibt vor“, ohne daß wie im ersten Fall der Konsens der
Gläubigen nötig wäre, um ihren Vorschriften Nachdruck zu verleihen.
(Vgl. hierzu DS 3074)
Um es aber noch klarer werden zu lassen: Cajetan selber, der diesen
Ausdruck geprägt hat (den die übrigen Gelehrten übernehmen), erklärt
ihn als die Übergabe einer Macht oder Bevollmächtigung der Obrigkeit an
den unmittelbar Untergebenen. Und es besteht kein Zweifel daran, daß in
der kirchli-chen Hierarchie der Episkopat dem Papst unmittelbar
untersteht. Daraus erschließt sich, daß unter den heutigen Umständen
dem Sedisvakantistischen Bischofsstand alleine die Pflicht und das
Recht der Papstwahl zusteht. Er ist - relativ - souverän in der
Entscheidung über diese äußerst schwerwiegende Frage.
Diese Schlußfolgerung ergibt sich als Ersatznorm aus der Doktrin der
zitierten Gelehrten, die sich als Autoritäten ersten und zweiten Ranges
auf dem Gebiet der katholischen Theologie mit dieser Frage befaßt
haben. Dagegen ist Dom Grea, der dieser Schlußfolgerung widerspricht,
nicht einmal in der Bibliographie bedeutender Autoren aufgeführt, die
Salaverri seinem „Tractatus de Ecclesia Christi“ voranstellt.
Die vier Kriterien, die das Gesetz festlegt (das legale, das
juristische, das praktische und das doktri-näre), führen in
erstaunlicher Harmonie zu derselben Ersatznorm: Unter den gegebenen
Umständen sind die rechtgläubigen Bischöfe die Elektoren, die nach
göttlichem Recht die Papstwahl durchzu-führen haben.
Bezüglich der zweiten Frage - welches Verfahren sie zu befolgen haben -
gibt es meinerseits sehr wenig zu sagen, denn das Bischofskolleg hat
neben dem Wahlrecht auch die Souveränität, das konkrete Wahlverfahren
zu bestimmen.
Ich bin der Meinung, daß dem Bischofskollegium weitgehend freie Hand
gegeben ist, über nebensächliche Fragen zu entscheiden, solange das
Wesentliche eingehalten wird, etwa die Durchführung der Wahl durch
Abstimmung oder einstimmige Akklamation oder durch eine Mehrheit von
zwei Dritteln und einer Stimme.
Pius VI. sah sich unter sehr widrigen Umständen genötigt, Vorkehrungen
zu treffen, um das Risiko eines Schismas oder eines Zögerns in der
Ausübung der äußerst schwerwiegenden Pflicht, der Kirche ein Oberhaupt
zu verschaffen, zu vermeiden. In einem Päpstlichen Breve vom 11.
Februar 1799 („Attentis Pecularibus Praesentibus Ecclesiae
Circunstantiis“) hob er gewisse gesetzliche Bestimmungen auf. Als
Gefangener Napoleons gab er den Kardinälen sehr weitreichende Gewalten,
über das Gesetz des Konklaves sowie über weitere Zeremonien, Gebräuche
und Formalitäten zu ent-scheiden, die für das Wahlverfahren nicht
wesentlich sind. Sein Nachfolger Pius VII. folgte seinem Beispiel.
Infolge der Invasion des Kirchenstaats schrieb Pius IX. eine
Sonderregelung als Alternative für den Fall fest, daß die Ordentlichen
Normen nicht angewandt werden konnten. In seiner Constitutio
„Praedecessoris Nostri“ erneuerte Leo XIII. Pius’ IX. Bulle
„Consultori“ („Dictionnaire de la Théologie Catholique“, Art.
Conclave).
Wir können in dieser Frage nicht päpstlicher sein als die Päpste. Aus
der Lektüre der angeführten Dokumente erschließt sich, daß die Päpste
dem Elektorenkolleg sehr weitreichende Gewalten und Kompetenzen
erteilten, den Wahlmodus zu verändern (solange das Wesentliche
eingehalten wurde), wenn sie Schwierigkeiten vorhersahen.
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