KREUZ OHNE VERTIKALE
von Joachim May
I. Der große Irrglaube unserer Zeit ist der Scientismus, der Glaube an die Allmacht und alleinige Zuständigkeit der sogenannten Wissenschaft. Besonders gefährlich und absurd ist diese Irrmeinung im Bereich des Religiösen. Hier haben sogenannte Wissenschaftler (Theologen) sich vielfach als Paramagisterium etabliert. Ganz zu Unrecht, denn "... Gering ist die Bedeutung der Theologen in der Kirchengeschichte gewesen, wenn sie nicht zugleich Heilige waren" (SB, 16/1975, so auch die folgenden Zitate). Wer ist das schon unter den "modernen" Theologen - ein Heiliger? Wenn man nicht Bild und Wesen des Heiligen, wie es uns die Kirchengeschichte bietet, ins Gegenteil verzerren will, wenn man nicht Intellekt, Zweifelsucht, Rationalismus, Lust am interpretatorischen Gag zu Höchstwerten hochstilisieren sondern den schlichten Glauben des Herzens als entscheidendes Kriterium beibehalten will; dann kann die Antwort nur lauten: Keiner von denen, die heute als Theologen die erste und zweite Geige spielen, ist ein Heiliger. "Der unheilige Amtsträger hat immer noch Gnade vermittelt. Der unheilige Theologe war meist Sand im Getriebe, wenn er nicht gar Unheil gestiftet und Spaltungen erzeugt hat. Keine einzige Reform ist durch Theologen begonnen oder auch nur wesentlich vorangetrieben worden ...."
Und dies ist die Denkungsweise der "modernen" Theologen: "Der Pastoraltheologe fragt selten die Kirche, was sie tun will und muß zum Heil der Seelen, um es dann zu übersetzen in zeitbedingte Methoden, sondern schreibt der Kirche vor, was sie zum Zeitgeschehen beizutragen hat, ob es ihr paßt oder nicht, ob das Heil der Seelen gefördert wird oder nicht, wenn er nur selbst von der Welt akzeptiert wird. Der Moraltheologe fragt nicht die Kirche nach den Geboten und deren Auslegung, sondern leitet seine Moral von den Forderungen des Zeitgeistes ab, um sie dann der Kirche anzubieten oder möglichst : aufzuzwingen. Der Applaus der sittlich Angeschlagenen ist ihm gewiß. Der Dogmatiker fragt nicht, wie er die Lehren der Kirche verständlich machen kann, sondern wie nach seiner Auffassung die Kirche ihre Lehren umzudeuten und anzupassen hat. Der Ökumeniker hat schon die fertigen Rezepte für eine große Wiedervereinigung, indem er die katholische Kirche so darstellt, daß sie sich vom Protestantismus nicht mehr unterscheidet uns sein Kirchenbild als gültig, weil modern hinstellt." (Hervorhebung nicht im Original).
Und weil die Bedeutung der Theologie maßlos überschätzt wird, weil sie zu einem "Kontrollorgan der Kirche" geworden ist, "... spielt diese Theologie in der Priesterausbildung eine viel zu große Rolle. Die Priester suchen das neue Priesterbild, die Norm ihres Lebens, nicht von der Kirche zu erfahren, sondern von den Professoren. Daher wissen viele kaum noch, wer sie sind. Schüler von Professor Sowieso zu sein, ist wichtiger als die Weihe, so man überhaupt noch an diese glaubt (!). Von der Hl. Schrift wissen die meisten oder meinen es zu wissen, was sie in ihren Texten nicht aussagen will. Was sie tatsächlich an Offenbarung enthält, ist weniger wichtig. Moderner Theologe zu sein, der nicht mehr die Schmach des Gekreuzigten an sich hat, dafür aber unter Soziologen und Politologen fachmännisch mitsprechen kann, ist das ersehnte Ziel ihrer Karriere. Wenn noch etwas Psychologie hinzukommt, ist das wichtiger als Seeleneifer. Man will doch Lebenshilfe bieten, nicht das Heil vermitteln. In einem ganzen Hirtenbrief über die Angst (Limburg Anm. d. Verf.) kam die Empfehlung des Gebets nicht vor. Die modernen Rabbis haben ihr Gegenstück kaum bei den Pharisäern des AT, eher bei den Sadduzäern, die von Christus selten als Diskussionspartner anerkannt wurden", weil sie in einer weitgetriebenen Liberalisierung von der Offenbarung nicht mehr viel übrigließen und in Anpassung an die Welt die Rettung Israels sahen.
II. Ein anderer kluger Beobachter der Szene (Anton Böhm, Leben im Zwiespalt, Herderbücherei 500) hat davon gesprochen, daß "das Christliche seine metaphysische, seine eigentlich religiöse Dimension" immer mehr verliert. "Man hat das als 'Horizontalismus' bezeichnet; wenn aus dem Kreuz die Vertikale weggenommen wird, ist es kein Kreuz mehr und ein Christentum, von dem nur die politisch-gesellschaftlichen Aufgaben übriggeblieben sind, ist kein Christentum mehr. Die Vertikale ist das personale Verhältnis zu Gott, Erlösung, Nachfolge Jesu, Gebet, Buße, Heiligung - der andere Teil des Evangeliums, der von den Vernünftigeren ignoriert wird. Aber er macht das Wesen des Christentums aus; alles 'Horizontale' wird erst durch eine Vertikale auf Gott und die Heiligkeit hingeordnet. Geschicht das nicht, dann verweltlicht das Christentum. Es ist dann nur noch eine Philosophie, eine Soziallehre, eine Ethik, und seine Bekenner bilden keine Kirche, sondern eine Gesinnungs- und vielleicht auch eine Handlungsgemeinschaft. Der Verdacht muß geäußert werden, daß es diesen Hintersinn hat, wenn 'Gemeinde' gegen Kirche ausgespielt wird und eine Richtung der 'Theologie der Gemeinde' - es gibt kaum noch etwas, was nicht seine eigene Theologie hätte - die Eine Kirche in einen lockeren Bund von Gemeinden auflösen möchte - mit 'Vorstehern' statt Priestern, 'Liebesmahl' statt Eucharistie, sozialem Engagement statt Glauben und dem Papst als Generalsekretär. Der Unglaube will sich nicht immer gleich offenbaren, er hat tausend Verkleidungen, die es ihm möglich machen, sich in die Kirche einzuschleichen" (S. 52).
In diesem großartigen, erschütternden Bild vom Kreuz, aus dem der vertikale (Längs-) Balken weggenommen ist, ist die Situation der katholischen Kirche weithin gekennzeichnet. Ist Mission denn nicht schon vielfach, im Bewußtsein der Gläubigen und in der Praxis, zu einer Art Entwicklungshilfe entstellt worden? Sind denn nicht schon vielerorts "social activities" wie Altmaterialsammlungen, Altennachmittage mit Hähnchen und Kaffe und Kuchen, Herausgabe von Presseerzeugnissen auf gemeindlicher und regionaler Ebene, Organisation von Tanzveranstaltungen, Stehempfängen und dgl. wichtiger geworden als Gebet, Buße, Heiligung?
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