DIE PROPHEZEIUNGEN DES HERRN VON CAZOTTE (1)
von J.F. La Harpe (Deutsche Übersetzung nach: Stadt Gottes, Steyl 1899)
Es geschah im Jahre 1763 zu Paris, daß sich bei einem der angesehensten Mitglieder der Akademie der Wissenschaften eine gewählte Gesellschaft zusammenfand. Hofleute, Parlamentsräte, die berühmtesten Akademiker und andere Herren vom Rechte, der Gelehrsamkeit und der Poesie saßen mit schönen geistreichen Damen, welche den Reiz des Gespräches erhöhten, an einer wohlbesetzen Tafel. Hier befand sich unter anderen der liebenswürdige Dichter Jakob Cazotte und Johann Franz von Laharpe, ein humoristischer Freigeist, der wegen seiner Spottschriften schon mit dem Innern der Bastille (des Staatsgefängnisses) vertraut geworden war.
Bereits hörte man damals den Sturm der Revolution aus der Ferne heranbrausen. Gerade von den höchsten Klassen der Gesellschaft, wo der Unglaube, der feine tödlich treffende Spott daheim war, begrüßte man ihn mit dem lebhaftesten Beifall. Wer dachte an die furchtbare Gewalt jenes Sturmes, der zwar die morschen Grundpfeiler des veralteten Staatsgebäudes wie Halme zerbrach, unter dessen Trümmern aber auch alles begraben werden sollte, was vornehm geistreich und elegant war?
Nalvasier und Capwein hatten die Leckereien des Desserts gewürzt und die Fröhlichkeit der Gesellschaft erhöht. Chamfort las einige seiner pikanten Erzählungen vor und die vornehmen Damen hörten sie an, ohne nur zu Fächern ihre Zuflucht zu nehmen.
Frivole Spöttereien über Kirche und Christentum folgten. Voltaires Verdienste, dessen Schriften man in den Vorzimmern lese wie in den Salons, wurden herausgepriesen. Diesem erleuchteten Geiste habe man es zu verdanken, hieß es, daß sich das Jahrhundert über die Finsternis der alten Religion emporgehoben habe. Laut lachend erzählte ein Gast von seinem Friseur, der während des Puderns zu ihm gesagt habe: "Sehen Sie, mein Herr, obgleich ich nur ein elender Geselle bin, so habe ich doch nicht mehr Religion wie ein anderer." Sofort wendete sich das Gespräch der herannahenden Revolution zu, deren erhabene Grundsätze auch in die Gemüter der unteren, verachteten Volksklassen bereits eingedrungen seien. Jedoch wann, fragte man sich, wird dieser Zeitpunkt eintreten, wo der Aberglaube und der Fanatismus der Philosophie Platz machen muß und das glänzende Reich der Vernunft beginnt? Jetzt fing man an, diesen Zeitpunkt zu berechnen und wer wohl von der Gesellschaft das Glück haben dürfte, diesen Sonnenaufgang der neuen Aufklärung zu schauen. Die Älteren bedauerten, daß sie sich dessen wohl kaum schmeicheln könnten; die Jüngeren drückten laut ihre Freude aus über das, was sie noch zu erleben hofften.
Mitten in dieser Lust, in dem Wettspiel der witzigen Plauderein, der boshaften Nachrede und des atheistischen Hohnes saß nur ein Gast trübe und schweigend da. Es war der alte Cazotte. Mit einem schwermütigen Lächeln um die feingeschnittenen Lippen hörte er alle diese Spottreden an. Solch düsteres, abgeschlossenes Wesen fiel niemanden auf, denn der bejahrte Cazotte überließ sich, wie man sagte, seit längerer Zeit zuweilen wunderlichen Träumereien. Unerwartet nahm er das Wort und sprach in sehr ernstem Tone:
"Meine Herren! freuen Sie sich, Sie alle werden die Zeugen jener großen und erhabenen Revolution sein, welche Sie so sehr wünschen. Sie wissen, daß ich mich ein wenig auf das Prophezeien verlege. Ich wiederhole es Ihnen: Sie werden sie sehen." "Dazu braucht man eben gar keine prophetische Gabe," rief man ihm zu.
"Das ist wahr," erwiderte er, "aber vielleicht etwas mehr für das, was ich Ihnen noch zu sagen habe. Wissen Sie, was aus dieser Revolution entstehen wird? Was sie für Sie alle, so viel Ihrer hier sind, sein, was ihre unmittelbare Folge, ihre unleugbare Wirkung sein wird?" "Laßt uns sehen," sagte Condorcet, indem er eine einfältige Mine annahm, "einem Philosophen ist es niemals leid, einen Propheten anzutreffen."
"Sie, Herr Condorcet," fuhr Cazotte fort, "Sie werden ausgestreckt auf dem Boden eines unterirdischen Gefängnisses den Geist aufgeben. Sie werden am Gifte sterben, das Sie verschlucken werden, um den Henkern zu entgehen, an demselben Gifte, welches das Glück jener kommenden Zeiten Sie zwingen wird, immer bei sich zu tragen. (2)
Diese sonderbare Rede erregte anfangs großes Erstaunen, doch bald erinnerte man sich, daß der gute Cazotte zuweilen wachend träumte, und ein unaufhörliches Gelächter erhob sich.
"Herr Cazotte", ruft einer der Gäste, "das Märchen, welches Sie uns da erzählen, ist lange nicht so lustig, als Ihr "Diable amoureux" (der verliebte Teufel). Was für ein Teufel hat Ihnen Gefängnis, Gift und Henker eingegeben? Was hat denn dieses mit der Philosophie und mit der Herrschaft der Vernunft zu thun?"
"Dieses ist es gerade, was ich Ihnen sage," versetzte Cazotte. "Im Namen der Philosophie, im Namen der Menschheit, der Freiheit und der Vernunft wird es geschehen, daß Sie ein solches Ende nehmen werden. Und die Vernunft wird doch alsdann herrschen, da sie Tempel haben wird. Ja, zu jener Zeit wird es in ganz Frankreich keine andern Tempel geben, als die der Vernunft." "In der That," sagte Chanfort, höhnisch lächelnd, "Sie worden keiner von den Priestern dieser Tempel sein."
"Das hoffe ich, aber Sie, Herr von Chamfort, der Sie einer derselben sein werden und würdig sind, es zu sein? Sie werden sich die Adern durch 22 Einschnitte mit dem Schermesser öffnen, und dennoch werden Sie erst einige Monate später sterben." (3) Man sieht sich an und lacht wieder. -
"Sie, Vicomte d'Azyr," fährt Cazotte fort, "Sie werden sich zwar die Adern nicht selbst öffnen. Allein Sie werden sich dieselben in einem Anfalle von Podagra an einem Tage sechsmal öffnen lassen, und in der Nacht darauf verscheiden. - Sie, Herr Nicolai! werden auf dem Schafott sterben. - Sie, Herr Bailly! auf dem Schafott. - Sie, Herr von Malesherbes! auf dem Schafott."
"Gott sei gedankt," ruft Herr Roucher, "es scheint, daß es Herr Cazotte nur mit der Akademie zu thun hat, unter welcher er soeben ein entsetzliches Blutbad anrichtete. Ich! - dem Himmel sei Dank" ... "Sie," fiel ihm Cazotte in das Wort, "auch Sie werden auf dem Schafott sterben." (4) "Es gilt eine Wette," ruft man auf allen Seiten, "Cazotte hat geschworen, alles auszurotten!" - "Ich bin es nicht," erwiderte ruhig der Greis, "der es geschworen hat." - "So werden wir denn von Türken und Tataren unterjocht werden," schreit man lachend.
"Nichts weniger," sprach Cazotte sehr ernst, ich habe es Ihnen schon gesagt. Sie werden alsdann allein unter der Herrschaft der Philosophie und Vernunft stehen. Diejenigen, welche Sie so behandeln, werden lauter Philosophen sein, werden immer dieselben Redersarten im Munde führen, welche Sie seit einer Stunde auskramen, werden alle Ihre Grundsätze wiederholen, werden, gleich Ihnen, die Verse Diderots und der Pucelle (5) citieren."
Die sonderbare Unterredung fing an, manchem immer unheimlicher zu werden. "Sehen Sie nicht," sagte man sich in das Ohr, "daß er den Verstand verloren hat?" - "O! er spaßt nur," entgegneten andere; "wissen Sie nicht, daß Cazotte in alle seine Scherze etwas Wunderbares einmischt?" - "Ja!" rief Chamfort, "allein ich muß gestehen, sein Wunderbares ist nicht sehr lustig, es ist zu galgenartig. Und wann soll all dieses geschehen?"
Cazotte: "Es werden nicht sechs Jahre vorbeigegangen sein, bevor alles, was ich sage, erfüllt sein wird." -
"Das sind viele Wunder - diesesmal nehm' ich das Wort", schreit Laharpe - "und mir sagen Sie nichts?" - "Bei Ihnen," erwiderte Cazotte, "wird ein Wunder geschehen, das wenigstens ebenso außerordentlich erscheinen wird. Sie werden alsdann ein Christ sein." "Ha," rufen alle voll Erstaunen. "Nun bin ich beruhigt," lacht Chamfort, "kommen wir erst um, wenn Laharpe ein Christ ist, dann sparen wir das Sterben." (6)
Diese bittere, gespannte Wendung des vorher so fröhlichen Tafelgesprächs begann die Damen zu beunruhigen. Die Herzogin von Grarmmont versuchte einzulenken. "Wir vom weiblichen Geschlechte," sagte sie fein lächelnd, "sind glücklich, daß wir bei Revolutionen für nichts gezählt werden. Wenn ich sage, für nichts, so heißt dieses nicht so viel, als ob wir uns nicht ein wenig drein mischten. Jedoch ist es so angenommen, daß man sich nicht deswegen an uns und unser Geschlecht hält." -
"Ihr Geschlecht," entgegnete der Greis, "Ihr Geschlecht, meine Damen, wird Ihnen diesmal nicht zum Schutze dienen, und mögen Sie auch noch so sehr in nichts sich mischen wollen, so wird man Sie doch gerade wie die Männer behandeln, ohne einen Unterschied zu machen." - Was sagen Sie da," rief die Herzogin, "Herr Cazotte? Sie predigen uns ja das Ende der Welt?"- Cazotte: "Das weiß ich nicht. Was ich aber weiß, ist, daß Sie Frau Herzogin werden zu dem Schafott gebracht werden, Sie und viele andere Damen mit Ihnen, und zwar auf einem Schinderkarren, die Hände auf dem Rücken gebunden." (7)
"In diesem Falle hoffe ich doch, daß ich eine schwarz ausgeschlagene Kutsche haben werde." - "Nein, Madame! vornehmere Damen als Sie, werden wie Sie auf dem Schinderkarren, die Hände auf den Rücken gebunden, geführt werden." - "Vornehmere Damen? Wie? Die Prinzessinen von Geblüte?" - "Noch vornehmere."
Diese Worte erregten in der Gesellschaft eine sichtbare Bewegung. Der Herr des Hauses nahm eine finstere Miene an. Man fing an einzusehen, daß der bedenkliche Scherz - wie man es annahm - zu weit getrieben werde. Nur die Herzogin von Grammont verlor nicht ihren liebenswürdigen Takt. Ohne die letzte Antwort zu berücksichtigen, sagte sie im scherzhaftesten Tone: "Sie werden sehen, daß er mir nicht einmal den letzten Trost eines Beichtvaters läßt." -
"Nein, Madame!" - entgegnete Cazotte düster - "man wird Ihnen keinen geben, weder Ihnen noch sonst jemanden. Der letzte Hingerichtete, welcher aus Gnaden einen Beichtvater haben wird" - hier brach er ab. - "Nun, wohlan!" rief jene, "wer wird denn der glückliche Sterbliche sein, dem man diesen Vorzug gönnen wird?"- "Es wird der einzige Vorzug sein, den er noch behält. Und dieses wird der König von Frankreich sein."
Nun stand der Herr des Hauses rasch von der Tafel auf, und jedermann mit ihm. Er ging auf Cazotte zu und sagte in erschüttertem Tone: "Mein lieber Cazotte! Dieser unglückliche Scherz hat lange genug gedauert. Sie treiben ihn zu weit, und bis auf einen Grad, wo Sie die Gesellschaft, in der Sie sich befinden, und sich selbst gefährden." -
Ohne ein Wort zu erwidern, schickte Cazotte sich an, wegzugehen. Doch Frau von Grammont, immer noch in der Absicht, die grauenvolle Unterredung in Scherz zu wenden und die frühere Fröhlichkeit wiederherzustellen, trat auf ihn zu: "Nun, mein Herr Prophet! Sie haben uns alle gewahrsagt; aber von Ihrem eigenen Schicksal sagen Sie nichts." -
Cazotte schwieg, schlug die Augen nieder und sagte leise:
"Haben Sie, Madame! die Geschichte der Belagerung von Jerusalem im Josephus gelesen?" - "Allerdings! Wer wird sie nicht gelesen haben, doch thun Sie, als wenn ich Sie nicht gelesen hätte!"
"Wohlan, Madame! während dieser Belagerung ging ein Mann sieben Tage nacheinander auf den Wällen um die Stadt, im Angesichte der Belagerer und Belagerten, und schrie unaufhörlich mit kläglicher Stimme: "Wehe dir, Jerusalem! wehe dir, Jerusalem!" Am siebenten Tage aber rief er: "Wehe dir Jerusalem! Wehe aber auch mir!" In demselben Augenblick aber zerschmetterte ihn ein ungeheurer Stein, den die Wurfmaschinen der Feinde abgeschleudert hatten." Mit diesen Worten verbeugte sich Cazotte und verließ die Gesellschaft.
Der Ausgang und das Ende aller der in jener seltsamen Prophezeiung bezeichneten Personen ist, wie wir bemerkt, richtig eingetroffen. Es erübrigt uns noch, auch das traurige, ebenso richtig vorgefühlte Ende Cazottes kurz vorzuführen. Dieser rechtschaffene Mann, vormals Generalkommissar des Seewesens, als Märchendichter bekannt, wurde gefangen genommen, weil er den Jakobinern verdächtig war. Sein Charakter konnte ihn ebenso wenig wie seine dreiundsiebenzig Jahre retten. Er befand sich in der Champagne zu Pierey auf einem seiner Güter, wo seine schöne und tugendhafte Tochter ihm den Abend seines Lebens durch die zärtliche Sorgfalt zu erheitern suchte. Am 18. April 1792 umzingelte eine Abteilung der Bürgermiliz das Landhaus des Greises, und er sowohl wie die Tochter wurden nach Eperney ins Gefängnis geschleppt. Von hier brachte man sie am 2. Sept. in den Kerker der Abtei zu Paris.
Mit der größten Geduld trug Cazotte sein Unglück. Er war nicht nur gelassen, sondern aufgeräumt, so daß seine Heiterkeit den Mitgefangenen, welche den Tod nicht mit so heitrem Blicke herannahen sahen, wunderbar und fast störend erschien. Seine Rede war stets, daß nach der heiligen Schrift der Gerechte leiden müsse und die Niederlage des Gerechten glücklicher sei, als der Sieg des Ungerechten.
Am 2. September mußte Cazotte vor dem Präsidenten der Mörderbande Maillard, erscheinen. Vorher waren alle Gefangenen, die man vor dieses Blutgericht geführt hatte, ohne Mitleid ermordet worden, und auch ihm war daselbe Schicksal bestimmt. Cazotte wurde vorgeführt, Maillard fragte nach seinem Namen und untersuchte das Verzeichnis: kein Zeichen der Gnade war seinem Namen beigefügt. Er wurde den Mördern überliefert. In diesem Augenblick sprang die Tochter des Verurteilten, Elisabeth Cazotte, herbei. Sie warf sich ihrem Vater um den Hals und rief flehentlich um Erbarmen. Ihre Jugend und Schönheit rührte die Tigerherzen, und selbst der zuschauende Pöbel stimmte für Gnade. Die Mörder ließen ihr Schlachtopfer los. Elisabeth sprang auf, umarmte die bluttriefenden Unmenschen und führte unter dem Jubelschrei des Pöbels ihren alten Vater hinweg. Während er an dem Arme seiner Tochter heimwandelte, rief ihm das von der kindlichen Liebe Elisabeths wieder etwas zur Menschlichkeit zurückgekehrte Volk zu: "Wer sind deine Feinde? Nenne Sie, damit wir ihnen ihr Recht thun!" "Ach," erwiderte der Greis lächelnd, "wie sollte ich Feinde haben: Ich habe niemals irgend jemand etwas zu Leide gethan."
Sobald Petion seine Freilassung erfuhr, ließ er ihn sogleich wieder in Verhaft nehmen. Cazotte hatte nämlich in einigen Briefen an Herrn la Porte, die in den Tuilerien gefunden worden waren, den Charakter Petions zu treu nach der Natur geschildert, um das Porträt diesem schön erscheinen zu lassen. Um sich deswegen zu rächen, hatte Petion den Tod Cazottes beschlossen und wollte nicht, daß die erfolgte Freilassung ihm diese Freude verderbe.
Neun Tage blieb Cazotte in Freiheit. Am 12. September wurde er zufolge eines von Petion und einigen anderen unterschriebenen Verhaftsbefehls wieder gefangen genommen und nach dem Gefängnisse der Conciergerie gebracht. Seine Tochter folgte ihm nach, doch man stieß sie an der Thüre des Gefängnisses auf grobe Art zurück. Sie lief nach dem versammelten Bürgerrate und erhielt durch Jammern und Flehen die Erlaubnis, sich zu ihrem Vater einsperren lassen zu dürfen. Cazotte antwortete in dem Verhöre, wo er als Verschwörer angeklagt wurde, mit der größten Gelassenheit auf alle ihm vorgelegten Fragen. Was half vor einem Tribunal eine Verteidigung? Cazotte wurde verurteilt, nach drei Stunden zu sterben. Ehe er zum Richtplatz geführt wurde, verlangte Cazotte Tinte und Feder. Er schrieb: "Meine Frau und meine Kinder, beweinet mich nicht und vergesset mich nicht! Hütet euch vor jeder Sünde gegen Gott!" Dies war sein Testament.
Ein unerschütterlicher Mut hat ihn selbst auf dem Richtplatze nicht verlassen. Er ließ sich die Silberlocken abschneiden, legte dieselben zusammen und bat, daß man sie seiner Tochter überreichen möge. Diese Botschaft bestellte er mit stammelnder Zunge, so sehr schmerzte ihn die Vorstellung ihres Grames. Dann kehrte er sich zum Scharfrichter, blickte denselben gefaßt an und bat ihn, seine Schuldigkeit zu thun. So starb ein rechtschaffener Christ.
Anmerkungen:
(1) Anm. d. Red.: Viele in ihrer Verblendung glauben mit Ideen jonglieren zu können wie mit Bällen, und sie nehmen weiterhin an, die Ideen, denen sie anhangen, nach Belieben wieder abschütteln zu können, daß aber eine Idee Macht hat und in ihrer Konsequenz auf diese Hochmütigen zurückschlagen und sie sogar erschlagen kann, kommt niemandem in den Sinn. Was gilt, bzw. gelten soll, glaubt jeder der höflich lächelnden, aber vor Arroganz berstenden Liberalen festlegen zu dürfen. Dabei ist alles so einfach: nicht ich in meinem Hochmut und Stolz bestimme, was vernünftig ist, sondern die Vernunft steht in sich, und ich kann mich ihr nur hingaben. Entweder dient man Gott in Gehorsam, oder man zerstört sich selbst. Wer sich einmal den Tod geholt hat, stirbt. Da hilft dann auch nicht mehr die Absicht, andere Lebensgewohnheiten anzunehmen. Diejenigen, die Gottes Willen bewußt fälschen, um dadurch auch andere in die Irre zuführen, werden schon hier durch die Folgen ihres eigenen Stolzes und Ungehorsams gestraft. Ein schlagendes Beispiel dafür ist dieser Bericht.
(2) Marie Jean Antoine Nilolas, Marquis de Condorcet, war geboren im Jahre 1743 zu Picardie und starb am 28. März 1794 zu Bourg-la-Reine. Im Jahre 1769 in die Akademie der Wissenschaften aufgenommen, wurde Condorcet einige Jahre später zum beständigen Sekretär der Anstalt ernannt. Er lieferte unzählige Artikel zur Encyklopädie. Zur gesetzgebenden Versammlung in Paris erwählt, war er erst Sekretär, dann Präsident derselben. Im National-Konvent stimmte er fast immer mit den Girondisten. Da er sich ohne Rückhalt gegen die Konstitution von 1793 aussprach, wurde er in den Anklagestand versetzt und mußte fliehen, um seinen Kopf zu retten. Mitte März 1794 verließ er Paris ohne Paß, in einfachem Kleide und einer Mütze und verbarg sich während einiger Nächte in verlassenen Steinbrüchen. Der Hunger trieb ihn in eine Kneipe zu Clamart, wo er einen Eierkuchen von sechs Eiern verlangte und sich für den Diener eines eben gestorbenen Herrn ausgab. Sein unruhiger Blick, sein langer Bart machten die Wirtin um die Bezahlung seiner Zeche besorgt. Dies merkte er, und um ihr diese Furcht zu nehmen, zog er sein Portefeuille, dessen Eleganz so mit seinem Äußern kontrastierte, daß ein Mitglied des revolutionären Ausschusses ihn festnehmen und nach Bourg-la-Reine bringen ließ. Hier wurde er eingesteckt, doch fand man ihn am andern Morgen nach Aufschließung des Gefängnisses tot. Er hatte Gift genommen, welches er beständig bei sich getragen, um sich der öffentlichen Hinrichtung, wenn sie ihm drohe, zu entziehen.
(3) Sebastian Nikolas Chamfort, Mitglied der französischen Akademie und ein Hauptapostel der Revolution, war geboren im Jahre 1761 und starb 1794, genau wie Cazotte es vorher gesagt; ebenso bestätigte das Ende Nicolais und Malesherbes' die Vorhersagung Cazottes. Vicomte d'Azyr ließ sich im Wahnsinne bis zur völligen Verendung Blut abziehen. Bally, Mitglied der französischen Akademie und der Wissenschaften, war 1736 in Paris geboren und starb am 12. Nov. 1793 unter dem Fallbeil. Bekannt sind seine Worte, die er zu dem Henker sprach, als dieser zu ihm bemerkte: "Du zitterst, Bally." - "Ja", sagte er, "aber vor Kälte"; doch möchte man sich irren, wenn man dieselben als Zeichen wahren Todesmutes nehmen wollte, den man in Cazotte bewundern kann.
(4) Jean Antoine Roucher, zu Montepellier 1745 geboren und gestorben auf dem Schafott am 7. August 1794, war ein ausgezeichneter Dichter. Während seiner zehn Monate dauernden Gefangenschaft beschäftigte er sich fortwährend mit schriftstellerischen Arbeiten und war an einer Übersetzung der "Seasons" von Thomson, als er vor das Tribunal gefordert wurde. Leroy, einer seiner Unglücksgenossen, hatte im Kerker am 6. August sein Porträt verfertigt, welches er seiner Familie zustellen ließ. Am anderen Tage, den 7. August, um 11 Uhr erschien er vor seinen Richtern und am Abend 5 Uhr war er gewesen.
(5) Bekanntlich ein Machwerk Voltaires in Versen über die Jungfrau
(6) Johann Franz von Laharpe, Mitglied der französischen Akademie, war geboren 20. November 1730 und starb am 11. Februar 1803. Im Beginn der Revolution eifriger Demokrat und Freidenker, kehrte er im Gefängnis zum Glauben der Kirche und zur Idee des Königtums zurück.
(7) Auch ihr Geschick bestätigt die Vorahnung Cazottes.
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