Ehe, Familie und Erziehung
11. Fortsetzung
von Dr. theol. Otto Katzer
Die Aufhebung der häuslichen Gemeinschaft
Es kann vorkommen, Gott bewahre, daß das eheliche Leben einem Aufenthalt am Schutthaufen ähnlich wird. Ein jedes unangenehme Erlebnis erweckt ihm entsprechende unangenehme Vorstellungen, und so geht es in einer Kettenreihe weiter. Das Gemüt wird in Unruhe versetzt, mit immer mehr ekelerregenden, unangenehmen Gefühlen erfüllt, welche wieder weitere derselben Qualität hervorrufen. Hiemit gelangt der Mensch in einen verhexten Kreis, aus dem er nur schwer entrinnen kann, in welchem es leicht zur Sünde kommt.
Die Schlange der Eigenliebe fesselt mit ihren faszinierenden Augen ihr Opfer und gestattet ihm nicht, die uns überall umgebenden Schönheiten der Welt zu sehen. Mit ihren Lockmitteln erreicht sie, daß wir sie ohne jede Rücksicht wählen, wie auf den Nächsten, so auf die uns umgebende Harmonie des Seins, so daß lngsam, ein, wie uns, so auch der ganzen Umgebung äußerst unangenehmes Leben entsteht. Die egoistische, disziplinlose Begierde stört in einem fort den so notwendigen Einklang, zwingt den Menschen auf der Oberfläche des Alltags zu verbleiben, der sich ja von Augenblick zu Augenblick ändert, und erlaubt es nicht an eine ernste, ruhige Überlegung zu schreiten. So bleiben die in den Tiefen des Familienlebens verborgenen Schätze dem geistigen Blicke für immer verschleiert. Unbeherrschte Leidenschaften erschöpfen die sowieso schwachen Kräfte des Menschen, und gestatten es ihm nicht mehr, jene Opfer darzubringen, welche allein es ihm ermöglichen würden, durch die ob der Erbsünde so verletzte Natur zu dringen, und zu jenen Schönheiten zu gelangen, welche ihm die größte Belohnung wären.
Die strahlenden Tugenden, welche mit ihrem Zauber immer mehr das Familienleben bereichern, verkümmern, verwelken und sterben zuletzt gänzlich ab. Auf solch einem dürren Boden kann aber nichts gedeihen und doch muß das eheliche Leben, wenn es wirklich ein eheliches Leben sein soll, schöpferisch sein, besonders bei der Schaffung eines neuen menschlichen Lebens, wie das seine körperliche, so auch geistige Seite erfordert. Wenn es den Eheleuten nicht gewährt ist, an dieser ihnen eigener biologischen Sendung zu arbeiten, so bleibt immer noch die schwere Aufgabe, sich der Vervollkommnung des eigenen Charakters zu widmen, um jenes Bild zu erreichen, welches Gott von uns hat. Daß dies ohne gegenseitige Hilfe nicht möglich ist, muß nicht besonders betont werden. Warum könnten die Eheleute nicht, aus Liebe zu Christus, sich eines fremden, verlassenen Kindes annehmen, damit sie es, wenn es schon dem Leibe nach nicht möglich war, geistig für Gott gebären. Das alles ist dort unmöglich, wo die Eigenliebe den Tau des Opfergeistes für ihre selbstischen Zwecke ausgesogen hat, wodurch es zu einem Leben kommt, welches, wenn es sich auch bei den Ehepartnern verschieden gestaltet, für beide nur ein Dahinsiechen ist. Noch schlimmer ist es aber, wenn dieser Zustand nach mehreren Jahren des Zusammenlebens eintritt, wenn schon Kinder da sind, die auf eine solche Weise das süße Geborgensein des Heimes nicht erleben können und mehr als Vater uder Mutter dort leiden, wo die Schuld bei den Eheleuten nicht auf beiden Seiten ist.
Unter solchen Umständen, welche entweder überhaupt nichts mehr versprechen, oder keine Aussicht mehr da ist, daß in Bälde diesbezüglich eine Besserung eintreten könnte zwingt die Heilige Kirche die Eheleute nicht zum weiteren gemeinsamen Leben, welches auf diese Weise nicht nur nicht zur Erlangung des ewigen Zieles verhilft, wozu wir erschaffen wurden, sondern zur sehr ernsten Gefahr wird, besonders dort, wo Kinder sind. Es muß zwar ein jeder Mensch in erster Linie sich selbst retten, hat sich aber auch dafür zu verantworten, womit er dem Nächsten die Erfüllung seiner spezifischen Lebensaufgabe erschwerte. Im Falle, daß ein Ehepartner dem anderen auf dem Wege zu Gott oder bei der Erfüllung der Standespflichten zum Hindernis wäre, ermöglicht es ihnen die Kirche, getrennt zu leben, wenn sie auch das Band nicht lösen kann, was erst beim Tode geschieht.
Die Aufhebung der häuslichen Gemeinschaft bei weiterbestehendem Ehebande kann geschehen:
1) Aus jedem gerechten Grunde, z.B. wegen Eintritts in einen Orden, mit Zustimmung des anderen Gatten.
2) Wegen Ehebruchs des einen Gatten hat der andere - unter Fortbestand des Ehebandes - das Recht, die Lebensgemeinschaft dauernd aufzulösen, wenn er dem Verbrechen nicht selbst zugestimmt oder es verursacht oder es verziehen hat (ausdrücklich oder stillschweigend) oder selbst auch des Ehebruches sich schuldig gemacht hat.
3) Für eine gewisse Zeit kann ein Gatte - sei es durch Anordnung des Ordinarius eigener Vollmacht - den andern rechtmäßig in folgenden Fällen verlassen:
a) Wenn der andere Gatte zu einer akatholischen (auch atheistischen) Sekte übertritt; b) die Kinder akatholisch erzieht; c) einen verbrecherischen und schimpflichen Wandel führt; d) die Seele oder den Körper des Gatten schwer gefährdet (Mißhandlung, Verführung, ansteckende Krankheit); e) das Zusammenleben durch Beleidigungen allzu schwer macht und f) aus anderen ähnlichen Gründen.
Die Trennung kann ohne die kirchliche Behörde erfolgen, wenn die Gründe dazu offenkundig sind, sonst hat sie durch den Ordinarius auf gerichtlichem oder Verwaltungswege zu erfolgen. Indes ist in diesen Fällen die Lebensgemeinschaft wieder herzustellen, wenn der Grund der Trennung weggefallen ist. Bei Ehebruch jedoch hat der unschuldige Teil niemals mehr die Pflicht, wohl aber das Recht, die Lebensgemeinschaft wieder zuzulassen.
Die Kinder sind beim unschuldigen Teil zu erziehen, den Fall ausgenommen, daß der unschuldige Teil verschiedener Konfession oder Religion ist, in welchem Falle die Kinder selbst dem schuldigen Teile zukommen.(1)
Es ist aber gar nicht notwendig, daß es so weit kommt, da die Eheleute völlig ausreichende natürliche und übernatürliche Mittel zur Verfügung haben, um das zu werden, was Gott will, daß sie sind.
Anm.: (1) A. Retzbach, Das Recht der katholischen Kirche, Herder, S. 266-267.
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