"Sie glauben noch an ein Paradies?"
(Wurzel, Stamm und Krone - XXV.)
von Dr. theol. Otto Katzer
Vor einigen Jahren traf ich den Komponisten Otto Albert Ticht in einer erregten Stimmung. "Stellen Sie sich vor", - sagte er mir - unlägnst besuchte mich der bekannte Ordensmann Dr. X. Wir sprachen über das Buch Genesis. Plötzlich überraschte er mich mit der Frage: "Und Sie glauben noch an ein Paradies?"!
In diesem Zusammenhange erinnerte ich mich an ein Erlebnis des verstorbenen Biologen J. von Uexküll: "Ich traf, -so schreibt er- auf der Insel Ischia, wo ich ein paar schöne Frühlingstage verbrachte, einen alten Bekannten, der mich nach dem Wege fragte. Ich gab ihm die Auskunft, er solle sich bei dem blühenden Rosenbusch nach links wenden. Zufällig traten wir uns später am besagten Rosenbusch, und mein Bekannter machte mir den Vorwurf, ihn irregeführt zu haben, er Rosenbusch trage gar keine Blüten. Da stellte es sich heraus, daß er farbenblind war und die roten Rosen, die aus dem Grün der Blätter hervorglühten, gar nicht sehen konnte."(1)
So wie es farbenblinde Menschen gibt, gibt es auch glaubensblinde, leider selbst unter dem Klerus.
Glauben heißt alles für wahr halten, was Gott geoffenbart hat und durch die heilige katholische Kirche zum Glauben vorlegt. Nun ist der Glaube nicht ein Endergebnis rein menschlicher intellektueller Tätigkeit, sondern eine Gabe Gottes, eine göttliche Tugend. Mit der heiligmachenden Gnade, die ein lebendiger Abglanz des dreieinigen Gottes ist, eine Teilnahme an der göttlichen Natur, feiern ihren Einzug in die Seele des Menschen, neben den sieben Gaben des Heiligen Geistes, die sieben Tugenden. Die Tugend ist ein übernatürliches Licht und eine übernatürliche Kraft, die uns dauernd fähig und willig macht, das Gute zu tun und das Böse zu meiden. Nun ist der Glaube die erste der drei göttlichen Tugenden, den die Hoffnung und die Liebe folgen. Eine Todsünde zieht den Verlust der heiligmachenden Gnade mit sich und damit sofort den Verlust der Liebe, wie auch aller sittlichen Tugenden, der Klugheit, Gerechtigkeit, Mäßigkeit des Starkmutes. Der Glaube und die Hoffnung vegetieren nun noch eine Zeit weiter, bis es zu einer Sünde gegen den Glauben oder die Hoffnung kommt, (welche nicht lange auf sich warten läßt), wo auch sie endgültig entschwinden. Es ist klar, daß mit demVerlust des Glaubens auch der der Hoffnung eintreten muß, da sie ohne ihn nicht bestehen kann. Wie kann ein solcher Mensch nun als Schiedsrichter in Sachen des Glaubens auftreten? In diesem Zusammenhange können wir weitere Worte Uexkülls gebrauchen:
"Grundsätzlich muß ich bemerken, daß es eine Irreführung ist, wenn man statt eines Kunsthistorikers einen Chemiker beauftragt, ein Bild zu beurteilen; wenn man statt einem Musiker einem Physiker die Beurteilung eines Symphonie anvertraut; wenn man statt einen Biologen heranzuziehen, einem Mechaniker das Recht zugesteht, die Realität der Handlungen aller Lebewesen nur soweit anzuerkennen, als sie dem Gesetz der Erhaltung der Energie gehorchen." (2) So ist es auch ganz verfehlt, wenn ein Literatkritiker in der Beurteilung der heiligen Schrift, das letzte Wort haben sollte, unbeachtet des unfehlbaren Lehramtes der heiligen Kirche. Er muß noch hoffnungeloser vor der Heiligen Schrift stehen bleiben als ein Chemiker vor der sixtinischen Madonna oder ein Physiker vor der neunten Symphonie. Dabei müssen wir ferner gut bedenken, daß selbst im Bereich der Naturwissenschaft es sich bewahrheitet, daß mit einer jeden neuen Erkenntnis, das Feld des Unbekannten sich in einer geometrischen Reihe erweitert, so daß wir mit dem Physiker L.de Broglie sagen müssen: qú ètant donné notre constitutin mentale, nous pourrions nous trouver un jour en face de phénomenes dont l`explication nous devient impossible, "nous heurter aux limites de comprèhension de notre esprit!" (Bei der Ausstattung unseres Geistes könnten wir uns eines Tages vor einer Erscheinung befinden, deren Erklärung uns unmöglich ist, also an die Grenzen der Faßbarkeit uneres Geistes stoßen.) Auf diese Worte des berühmten Physikers beruft sich beim zehnten internationalen Philosophenkongress in Amsterdam, 1948, Julien Benda in seinem Vortrag: Die Krise des Rationalismus. (3) Zu welchem Chaos es da auf dem Gebiet der Literarkritik kommen kann und auch kommt, wird wohl nicht notwendig sein näher zu beschreiben.
Da müssen wir mit Karl Eschweiler auf das ausdrücklichste betonon. "Die Heilige Schrift ist nicht Theologie in dem Sinne von sermo sive ratio de Deo; sie ist verbum Dei (nicht ein Wort über Gott, sondern Gottes Wort! O.K.) Aber noch weniger ist Gottes Wort erbauliche Rede und Gelegenheit fur innere Erfahrungen (4). Gestatten wir doch dem Lieben Heiland, das gesagt zu haben, was wir in der Heiligen Schrift lesen, und noch etwas mehr dazu, was in ihr nicht enthalten ist! Joh. 21,25. "Die in Jesus Christus der Menschheit eingesenkte Wirklichkeit des ewigen Heils und der göttlichen Wahrheit ist jedem Individuum zugänglich, das guten Willens ist und das sich der äußersten Armut der Selbstvergötzung nicht noch rühmen will. Aber keine Seele, kein Volk, kein Zeitalter ist imstande, den unendlichen Reichtum der christlichen Offenbarungsgegebenheit weder in ihrer heiligenden Kraft auszuleben noch in ihrer Bedeutung als übernatürliches Vollendungsspiel des menschlichen Erkenntnislebens anzudeuten. Das universale und absolute Glaubensbewußtsein, in dem Christus lebt und dem die Individualität des Theologen um der Theoria willen zugeordnet ist, ist die UNA SANCTA CATHOLICA ET APOSIOLICA ECCLESIA. Das ist das "Urerlebnis", aus dem die wissenschaftliche Theologie denkt und erkennt!
Insofern die theologische Theorie auf die überindividuelle Wahrheit der christlichen Wirklichkeit gerichtet ist, muß ihr der Primat vor dem praktisch religiösen Erleben vorbehalten bleiben. Und insofern es die Aufgabe der Theologie ist, das DEPOSITUM FIDEI, wie es die katholische und apostolische Kirche bewahrt, gegenwärtig zu halten und dadurch die religiöse Praxis vor Ausschließlichkeiten und Verzerrungen zu schützen, - insofern ist der alte Satz zeitlos gültig: Theologia est necessaria ad humanm salutem! (Die Theologie ist für das menschliche Heil notwendig) (4a)
Da gibt es nun sehr wenig Platz für gewagte Theorien, welche das ganze Glaubensgut mit einem Strich verzerren: Völlig unanwendbar ist die Freiheit "Quot capita, tot sensus!" d.i. "Soviel Köpfe, soviel Sinn!" Auch läßt sich die Offenbarung nicht mit oft tollkühnen Ideen paaren. "Nein, der Gott der Heiligen Schrift, ist nicht der Gott der Philosophen!" (5)
Beim Provinzialkonzil zu Avignon (1725) wurde darauf aufmerksam gemacht, daß mehr Wert auf eine gründliche Kenntnis des Katechismus zu legen ist, als auf theologische Spekulationen, dazu noch von Unberufenen, wenn auch viele meinen, daß sie dazu berufen sind. Mystische Wahrheiten müssen in aller Ehrfurcht geglaubt werden, nicht neugierig durchforscht und Ungeschulten preisgegeben!(6) "Niemand kann Jesus sehen, der festgewurzelt ist in der Erde " (7) Diese Worte des hl. Ambrosius müssen sich alle die zu Herzen nehmen, die an die Heilige Sqhrift herantreten! Es ist zwar wahr, der Mensch will wissen: das ist ein erhabenes Bedürfnis. Gott wird auch nicht zögern, es zufriedenzustellen, da ja Er seine Quelle ist; aber Er fordert von seinem Geschöpf die Unterwürfigkeit des Glaubens, eine unumgängliche Bedingung, um zu wahrer Wissenschaft zu gelangen!"(8).
Hettinger läßt den hl. Apostel Petrus einem ihn ausfragenden Römer antworten: "Den Reichen verkünde ich, ihren Reichtum zu verachten und zu verlassen; den Philosophen, ihre Einsicht zu beugen unter das Joch des Glaubens; dem Kaiser abzulegen seiner Würde als Oberpriester und religiöses Haupt seines Volkes!" (9) Alle diese drei Forderungen sind heute auf das äußerste notwendig, besonders aber die zweite! "Die Sonne verliert nichts von ihrem Glanze, wenn auch von einer Lampe kein Gebrauch gemacht wird. Alles was Gott dem Menschen zum Glauben vorgelegt hat, will er, daß es nicht deshalb geglaubt werde, weil es der Vernunft entspricht, sondern weil es von Ihr, der die erste WAHRHEIT ist, geoffenbart wurde und zum Glauben vorgelegt!" (10) LOGICUS, so nennt Pertullian den Patriarchen aller Häretiker! (11) Nie darf sich Theologie allein mit der Vernunft begnügen, es ist der Glaube, der die Vernunft führen muß welchen sie mehr benötigt als ein Blinder den weißen Stab. Wehe, wenn sie auf den Glauben verzichtet, dann ist sie verloren" - wie wir es leider heute besonders auf dem Gebiete der sogenannten Meßtheorie erleben müssen. Die in tausende gehenden Spaltungen des Protestantismus und heute auch das modernistischen "Katholizismus" sind ein trauriger Beweis! Das Fleisch allein taugt zu nichts, es wird vielmehr zum Hindernis! Wenn schon der rein natürliche Bereich vom Menschen nicht erfaßt werden kann, geschweige denn restlos erklär, was erst wenn wir die übernatürliche Welt der Offenbarung betreten ! (12) Der hl. Paschasius Radbertus mahnt dringend, daß "keiner der Gläubigen beim Sakrament des Leibes und Blutes, wie es täglich dargebracht wird" in Unwissenheit sein darf, was in den Bereich des Glaubens, und was in den des Wissens gehört: denn weder kann der Glaube, was das Mysterium anbelangt, ohne die Vernunft entsprechend verteidigt werden, noch die Vernunft ohne den Glauben fortschreiten um das zu begreifen, was sie noch nicht erfaßt hat." (13) So erübrigt es sich, näher darauf einzugehen, warum alle Meßtheorien sofort zum Zerrbild werden, dort wo das Bild unserer Stammeltern im Paradies verschwommen wird. Es ist, als ob sich ein dichter Nebel über das Gesamtbild ausbreiten würde.Wie müssen wir da inbrünstig bitten, daß sich "vom erleuchteten Auge des Glaubens der Rauch der weltlichen Weisheit zurückziehe", (14) zu welcher das menschliche Wissen sofort wird, wenn vom Glauben Abstand genommen wird. Der Intellekt solcher Menschen ist in Finsternis versenkt, wie der hl. Thomas aufmerksam macht mit Bezug auf Röm 1,21, "ihr unverständiges Herz wurde verfinstert", und auf Psalm 81,5: "Sie erkennen es nicht, noch sehen sie es ein, im Finstern wandeln sie." Als Ursache gibt der hl. Thomas an "daß sie nicht teilhaftig sind des göttlichen Lichtes, des beleuchtenden und regelnden Gesetzes Gottes! Sie sind fern dem Leben Gottes, d.i. fern von Gott, der ja das Leben der Seele ist" (15). Da müssen sich bestimmte Theologen das Gewissen erforschen, ob sie nicht einen Meineid oder Eidbruch am Gewissen haben, bezugnehmend auf die Professio Fidei Tridentino-Vaticana und das Ius jurandum antimodernisticum. Daß Meineid und Ehebruch eine Todsünde sind sollte ihnen bekannt sein, nicht weniger, welche Folgen dies mit sich bringt, nämlich, daß ihr Geist nicht meht göttlich erleuchtet wird, klar sehen zu können und ihr Herz nicht mehr gemildert wird, um auf eine entsprechende Weise leben zu können (16). Bei solchen Menschen werden alle Grenzen des Übernatürlichen verwischt und zuletzt alles auf bloße Vernunftsgründe reduziert, denen ein unbegrenzter Spielraum zur Verfügung steht. Wie verherend sich das auswirken muß, davon bietet die Arithmetisierung der Geomotrie ein kleines, wenn auch sehr unvollkommenes Bild, was die Theorie anbelangt, von den praktischen Folgen dann das ganze 34 Kapitel des Propheten Ezechiel.
Hiemit kommen wir aber zur ungläubigen Theologie. "Eine ungläubige Theologie bietet tatsächlich nur einen krassen Fall der Kategorie vom hölzernen Eisen!" (17) Nicht selten wird behauptet, daß die Theologie eigentlich keine Wissenschaft sei, da ja ein jeder Theologe etwas anderes von seinem Objekt, von Gott, aussagt. Schlimm wäre es mit den Menschen bestellt, wenn sich so etwas bei der Medizin zeigen würde. Dies beruht auf Wahrheit bei der Theologie der verschiedenen protestantischen Richtungen, nicht aber bei der katholischen, welche ja DIE THEOLOGIE IST, die "sacrosancta". Wie es nur einen Gott gibt, so kann es auch nur eine Theologie geben. Entweder entspricht ihre Auffassung den Tatsachen, oder aber nicht. Wenn nicht, dann kann es aber auch keine Theologie geben, sondern nur ihren Schein. In einem solchen Falle haben wir es mit den verschiedensten Theosophien und Antroposophien zu tun. Das Verhältnis beschreibt näher Garrigou-Lagrange, O.P. "Die heilige Theologie ist kein wesentlich und innerlich übernatürlicher Habitus, sie wurzelt aber so fest im Übernatürlichen, daß bei Verlust des Glaubens auch sie zugrunde geht... Infolgedessen ist die Theologie der Häretiker keine wahre Theologie und spezifisch unterschieden von der katholischen Theologie, weil sie... ihre Schlüsse nicht aus Prinzipien, die auf Grund göttlichen Glaubens geglaubt werden, zieht, denn indem sie hartnäckig die Autorität Gottes und der Kirche in bezug auf eine Wahrheit verwirft, behält sie auch nicht den göttlichen Glauben, was andere Glaubensartikel betrifft, sondern nur einen menschlichen Glauben, oder menschliche Meinung, welche dem eigenen Urteil und dem eigenen Willen entspringt. (IIa II.ae q.5.a.3). Infolgedessen muß auch die heilige Theologie zerstört werden, wenn der Glauben verloren geht. Bei einem häretischen Theologen bleiben zwar die theologischen Begriffe materiell koordiniert, jedoch ohne das Licht des Glaubens, dem die formelle Bindung entspringt. Wie wenn die Seele den Körper verläßt, der Kadaver eine Zeit lang die Glieder des Körpers zwar materiell aufweist, jedoch kein menschlicher Körper mehr ist, da die substantielle Form fehlt, so kann auch bei den formalen Häretikern nur der Kadaver der heiligen Theologie sich zeigen, besser gesagt eine sophistische Dialektik, welche sich in göttliche Sachen einmischt. Da die äußere Autorität Gottes wie auch der Kirche verworfen wird und das innere Licht des Glaubens den Häretikern fehlt, entbehren sie jeder Regel und jedes Erkenntnisprinzips, um richtig in Glaubenssachen urteilen zu können. Deshalb vermischen sie übernatürliches mit Natürlichem, und verirren sich häufig. Kein Wunder wenn sie also sagen, die Theologie sei keine Wissenschaft nur eine Sammlung von verschiedensten Meinungen, was ihre Theologie auch wirklich ja ist" (18). Was das Verhältnis biblischer Studien anbelangt, so warnt die Enzyklika "Providentissimus" des Papstes Leo XIII. dringend vor ihnen. Wenn vernünftig von ihnen Gebrauch gemacht wird, können sie zwar behilflich sein, der unverletzte Sinn der heiligen Schrift ist aber außerhalb der Kirche nicht zu machen. Die Häretiker befassen sich nicht mit dem Kern, nagen nur an der Rinde. (19) Der heute sich in Reihen einst katholischer Theologen auffindbare Pluralismus ist diesem Meinungsgewimmel zuzuzählen.
Wie ernst es die heutige Kirche mit ihrem kostbarstem Schatz, der Eucharistie, genommen hat und auch weiter nimmt, ist schon daraus ersichtlich, daß z.B. in dem von uns schon öfters zitiertem Werk Lepins "L' Idée du Sacrifice de la Messe..." welches 800 Seiten aufweist, fast ein halbes tausend von verschiedenen Autoren berücksichtigt.
Wir können uns hier nicht mehr mit der so interessanten wie auch wichtigen Angelegenheit befassen und müssen zu unserer subjektiven Intention zurückkehren. Da zeigt es sich als allererst unbedingt notwendig, unserem "Ich" etwas mehr Aufmerksamkeit zu widmen.
Der Leser möge jetzt seinen Personalausweis in die Hand nehmen, oder wie anders gesagt wird, Identitätsausweis oder Kennkarte. Die in ihm befindliche Photographie mag sie auch neuesten Datums sein, zeigt uns nicht mehr das, was er ist, sondern nur das, Was er war, ein Bild, welches uns auch der Gesichtssinn ermöglicht. Übereinstimmend müssen wir jedoch sagen, daß das, was wir vor die Augen bekommen haben, bereits der Vergangenheit angehört, und die Wirklichkeit, von welcher wir gleich eingehender werden sprechen müssen, uns entgeht. Es ist sicher allen bekannt, daß wir am Himmel gewisse Sterne sehen, welche in der Wirklichkeit nicht mehr existieren, da in der langen Zeit, welche die Strahlen brauchten, um zu uns zu kommen können, ihre Vernichtung bereits eingetreten ist, und wir also das sehen, was in der Wirklichkeit nicht mehr ist. Wenn wir unseren Körper mit den Augen eines Physikers betrachten würden, dann hätten wir vor unseren Augen eine wunderbare Welt von einigen hundert Quintillionen von Elektronen, welche projiziert in die Sternenwelt, eine Staunen erregende Galaxie zeigen würde. Die befindet sich natürlich keinen Augenblick in Ruhe. Es dürfte also dem Leser schon etwas klarer sein, daß in der Zeit, welche der Reiz benötigt, um durch unsere Sinne das Wahrnehmungsbild hervorzurufen, wie gering diese auch schon ist, es in dieser "Sternenwelt" zu Veränderungen gekommen war, die wir überhaupt nicht wahrnehmen können, und wir also etwas sehen, was nicht mehr ist, sondern war. Das Bleibende, die Seele, können wir nun überhaupt nicht sehen, wenn wir auch schließen müssen, daß sie da sein muß, wenn auch auf eine unvorstellbare Weise. Naher an die Wahrheit heran kommt der hl. Gregor von Nyssa, wenn er bemerkt, es sei richtiger zu sagen, der Körper ist in der Seele, als die Seele ist im Körper. Natürlich ist der Körper wegen seiner kausalen Abhängigkeit in der Seele! (20)
Doch kehren wir zu unserem Identitätsausweis zurück, der, wenn wir wir von der unsichtbaren Seele absehen, ein Substrat nach augenblicklich sind. Doch müssen wir noch ein Stückchen weiter gehen. Besteht denn gar keine Verbindung mit dem, was war? Sind wir wirklich so weit dem Augenblicke unserer Geburt entfernt, wie es uns die Jahre vortäuschen. Ja sie täuschen es uns nur vor, denn die Verbindung mit diesem Augenblicke, wie auch mit allen den aderen, bleitt erhalten und wir haben es zu einem jeden von ihnen genauso "weit" wie zu dem Augenblicke, in dem wir uns soeben befinden. Eine kleine graphische Darstellung kann uns dabei behilflich sein:
Geburt –––––––––––––––––––––––– ICH––––––––––––––––heute
Wir sind nicht am "heute" festgenagelt, sondern befinden uns im Gipfelpunkt einer Pyramide, wo gestern und heute und alles was dazwischen liegt ineinanderfließt. Daß dem in der Wirklichkeit so ist, davon hat sich ein jeder von uns sicher mehrmals im Leben überzeugen müssen, da er neu auf alte Ereignisse stärker reagierte, als er es tat an dem Tage, an welchem sie sich zugetragen haben. Wir dürfen uns also mit einer zweidimensionalen Photographie keineswegs begnügen, ja nicht einmal mit einer dreidimensionalen Statue, wir müssen noch eine andere Dimension heranziehen, die Zeit und alle Augenblicke unseres Lebens ineinanderfließen lassen, ja wir müssen noch weiter gehen und die Wirkursache als eine weitere "Dimension" berücksichtigen, denn wir haben in unserem Leben so manches verursacht. Keine von unseren Lebensäußerungen ist spurlos an der Umwelt vorübergegangen und niemand kann wissen, wie sie sich in der Zukunft noch auswirken werden. Da sollte es schon einem jeden klar sein, von welcher Bedeutung die Qualität unserer Persönlichkeit ist, ob wir einen gediegenen Charakter aufweisen, die heiligmachende Gnade besitzen und im welchen Ausmaße, ob wir einen Schatz von Tugenden und guten Werken haben. Da wir nun von einem jeden unnützen Worte am Tage des Gerichtes werden Rechenschaft ablegen müssen, müssen wir mit den Äußerungen unseres Lebens auf das äußerste vorsichtig vorgehen. Daraufhin soll unser ganzes Bestreben gerichtet sein, daß wir so viel wie nur möglich die heiligmachende Gnade zu vermehren trachten, also nicht allein uns damit begnügen, daß wir sie überhaupt besitzen, was ja niemand wissen kann! Konnten wir uns doch so richtig ihre Wirkungskraft vorstellen! Es wird die Stunde des geheimen Gerichtes kommen. Da wird man neben anderem aus dem Buche unseres Lebens lesen z.B.: Am ersten Jänner 1975 haben wir dir die Person X in den Weg geschickt, daß du sie mit so und so viel Einheiten der heiligmachenden Gnade bestrahlst, und ihr somit behilflich bist, den Weg aus ihrer inneren Finsternis zu finden, und es geschah nicht! Wie kannst du dich verteidigen? Da gibt es keine Ausrede, daß ich die Person überhaupt nicht wahrgenommen habe, wie auch sie mich nicht. Das war ja überhaupt nicht notwendig!
"Und das Buch wird aufgeschlagen, darin ist alles eingetragen, Welt, daraus dich anzuklagen! Sitzt der Richter dann zu richten, wird sich das Verborgene lichten, Nichts kann vor der Strafe flüchten. Ach was werd, ich Armer sagen, welchen Anwalt mir erfragen, wo Gerechte selber zagen?"
Sollten wir denn nicht mit Christus am Altare sterben, um zu einem neuen Leben aufzuerstehen, in welchem unsere Lebensäußerungen, Gedanken, Worte und Werke nicht mehr unsere Gedanken, Worte und Werke sind, sondern Christi? Vielleicht dürfte es jetzt schon etwas klarer sein, weshalb der liebe Heiland das unblutige Opfer eingesetzt hatte, welches eine so große Wandlung in unserem Leben erwirken soll. Daß dies nicht ohne unsere Mitarbeit, ohne Darbringung aller unserer Lebensäußerungen geschehen kann! Unsere subjektive Intention, wie auch aktive Beteiligung am hochheiligen Opfer fordert also als eine unumgängliche Bedingung, das Offertorium! Wir sagten aller unserer Lebensäußerungen, der angenehmen wie auch der unangenehmen, der guten wie der schlechten. Nichts dürfen wir ausschließen, noch uns bei der Auswahl aufhalten, als ob wir über ihren Wert überhaupt entscheiden könnten! Nicht selten in unserem Leben betrachteten wir gewisse Augenblicke als äußerst unwichtig, und doch zeigte es sich später, von welch weitgehender Bedeutung sie waren! So manches schien uns gut, in der Tat jedoch war es nicht, wie aber auch umgekehrt. Ist es in unserem Leben nicht vorgekommen, daß wir etwas als verfehlt und für die Aufgabe ungeeignet betrachtet haben, wobei es sich später herausgestellt hat, daß es gerade das war, was geschehen sollte? Ja, wenn wir auch alles so getan hätten, wie wir es sollten, müßten wir dennoch sagen: "Wir sind geringe Knechte, wir haben nur unsere Schuldigkeit getan!" (21 )
Also, so wie alles geschehen war selbst unsere Sünden, ja gerade die natürlich in Verbindung mit der entsprechenden Reue müssen wir es in einem fortdauernden Offertorium vorlegen und die endgültige Bewertung der Zeit der Ernte überlassen, welche im Augenblicke der hl. Wandlung eintritt. "Zur Zeit der Ernte, so sagt der Herr, will ich dann den Schnittern sagen -den Engeln- : Sammelt zuerst das Unkraut und bindet es in Büschel zum Verbrennen, den Weizen aber bringt in meine Scheune!" So wie der Herr den Aposteln es nicht gestattet hatte, das Unkraut selbst auszureißen, damit sie dabei nicht etwa auch den Weizen herausreißen, gestattet es der Herr auch uns nicht (22). Dies wollen wir ebenfalls graphisch näher bringen.
Alle Menschen haben zu Hause zwei Säcke, in welche sie, die Qualität der Lebensäußerungen entsprechend, diese hineinlegen. Das Gute und Angenehme wird positiv gewertet +, das Schlechte und Unangenehme negativ-. Werfen wir nun einen Blick auf einen Zeitabschnitt unseres Lebens, etwa einen Tag, so bietet sich ein Bild wie folgt:
--+++ -----+++------------+----------+++------- +----+--------------++-----++----------+++--+
und so geht es weiter Tag für Tag. Kein Wunder, wenn man in Mißstimmung den Tag beendet. Setzt sich dies eine zeitlang fort, so kann das Negative den Menschen lawinenartig verschütten und alles kann ein tragisches Ende nehmen. Mit bezug auf die hl. Messe und unsere aktiveTeilnahme am hochheiligen Opfer wird aber alles, und kann nicht anders, positiv enden, denn "denen, die Gott lieben, gereicht alles zum Besten!" (23) Im Augenblicke der hl. Wandlung überschattet das hl. Kreuz, verstärkt das positive und verwandelt das Negative in die Edelsteine der Tugenden und guten Werke. So soll und kann der Tag und einmal das Leben des Menschen enden:
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Wenn auch die Gewissenserforschung vor dem Tagesende unumgänglich notwendig ist, muß sich der aktive Christ stets auch die Frage stellen: Welches Gute hast Du, oh Herr, mit all dem das sich heute zugetroffen hat, beabsichtigt?" Selbst unsere Sünden wirken sich zuletzt in Verbindung mit dem Kreuzesopfer, und unserer aktiven Teilnahme an ihm, indem wir den sündhaften Menschen in uns erneut mitsterben lassen, positiv aus. Das was uns in den Abgrund des ewigen Verderbens schleudern sollte, wird durch unsere Buße zur Kraft, die uns in die schwindelnden Höhen der Heiligkeit treibt. Sicher war der Verlorene Sohn, als er noch ein folgsames Kind im Vaterhause war, eine schöne Gestalt, bei weitem aber nicht so schön, wie er war, als er mit Fetzen bekleidet in Reue nach Hause zurückkehrte, und der Vater ihn in das beste Kleid kleiden ließ. Als unschuldiges Mädchen war Maria Magdalena sicher von reizender Schönheit. Als Büßerin unter dem Kreuze ist sie jedoch viel viel schöner, so schön betonen so manche Kirchenväter, daß sie an Schönheit im Himmal nur Maria, die Mutter Gottes überragt. Das alles sagen wir nicht, um ein freventliches Vertrauen in die Barmherzigkeit Gottes in uns zu erwecken, sondern um uns vor der Verzweiflung zu schützen, wenn wir schon das Unglück hatten, eine Todsünde zu begehen.
Bedenken wir nun unsere so mangelhafte Teilnahme am hochheiligen Opfer, wie gedankenlos wir den Augenblick des Offertoriurns übergingen ohne unsere Lebensäußerungen im Brot die Arbeit und im Wein das Leid, auf den Altar zu legen so muß sich unser ein unangenehmes Gefühl bemächtigen. So manche Seele hätte gerettet werden können, so manches Leid verhindert werden, so mancher Armen Seele geholfen werden, so viel Freude vermehrt, so manches zur größeren Ehre Gottes getan, bedenken wir nur die Werke der leiblichen und geistigen Barmherzigkeit, von denen die meisten Menschen überhaupt nicht wissen, welche es sind! Dies alles und noch viel mehr hätten wir tun sollen und konnten es auch, wenn wir uns nur wirklich aktive am Opfer welche sich über unser ganzes Leben erstrecken soll, beteiligt hätten. Nicht nur daß das Brot in Jesu Leib und der Wein in Jesu Blut verwandelt wird, auch wir, unser "Ich" die wir uns im Brot und Wein zugleich mit Christus als Opfer anbieten werden in Christus verwandelt wenigstens der Möglichkeit nach nicht mehr unser, sondern Sein Leben zu leben!
Das Leben des Menschen läßt sich mit einer Symphonie vergleichen. Der erste Satz verläuft im Schoße Gottes (nicht etwa aber im Sinne der Zeit, sondern der Abhängigkeit; origine prius), der zweite im Schoße der Mutter, der dritte von der Wiege zur Bahre, und der letzte wieder im Schoße Gottes! Eine Symphonie können wir nur dann beurteilen, wenn wir sie wenigstens zweimal gehört haben oder die Partitur durchstudiert haben, so daß wir im ersten Ton den letzten bereits hören und im letzten noch den ersten, wie auch alle anderen in gegenseitiger Abhängigkeit. Wir begehen den Fehler, daß wir uns meistens mit einem oder einigen (gewöhnlich dem unangenehmen) des dritten Satzes begnügen, weshalb unsere Klagen kein Ende nehmen wollen. Wir erfassen nicht die Bedeutung der hl. Wandlung, bei welcher der Komponist des Weltalls selbst aus Disharmonien die herrlichsten Harmonien weben kann und auch webt!
Anmerkung:
(1) Bios, Band X. Bedeutungslehre von J. von Uexküll, Barth Leipzig 1940, S.1 (2) ebendort7 S. 2 (3) Proceedings of the tenth international Congress of Philosophy, North-Holland publishing Company, Amsterdam 1949, S. 606. Vgl. L. de Broglie, Physique et microphysique S. 285. (4) Karl Eschweiler, Die zwei Wege der neueren Theologie, Benno Filser, Augsburg 1926, S. 258. 4a) ebendort, S. 260. 5) Augustin Jakubisiak, La pensée et le libre arbitre, Paris, Vrin 1938, S. 289. 6) Acta et decreta Sacrorum conciliorum, Collectio Lacensis, Tom.I.col. 475 7) Breviarium, Commune Dedic. Eccae. Lectio VII. 8) Elévations sur la Sainte Vierge.D.Bernard Maréchaux OSB, Paris, Beauchesne 1909, S. 145. 9) Apologie des Christentums, Dr. Franz Hettinger, II.Band, S. 407. Herder 1899. 10) De recto et perverso usu Theologiae Scholasticae auctore P. Martino Gerbert, Litteris San-Blasianis 1758, S. 149. 11) ebendort, S. 152. 12) vgl. S.Dionysii Areopag. De mystica Theologia. PG 1007/1008. 13) PL 120, Liber S.Paschasii Radberti de Corpore et Sanguine Domini. 14) S. Leo, lectio IV. In Circumcisione Domini. 15) Ad Ephesios 233-234, S. Thom. Aqu. Super epist. S. Pauli. 16) Summa Ia IIae q.79. a.3; IIa IIae q.15 a.1. 17) Eschweiler, op. cit. 200. 18) De Revelatione, Garrigou-Lagrange, Vol.I.4a Editio Romae 1945, S.16-17. 19) ebendort, S. 18 20) PG 45 S.Gregorri Nyss. De anima 217 B/218 B. 21) Luk. 17,10.22) Matth. 13,24 ff. 23) Rom 8,28.
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