BUCHBESPRECHUNG
Martin Mosebach:
"Häresie der Formlosigkeit. Die römische Liturgie und ihr Feind"
von
Werner Olles
Martin Mosebach 1): "Häresie der Formlosigkeit. Die römische Liturgie
und ihr Feind." Karolinger Verlag. Wien, Leipzig 2002. 157 S.
Am 7. März 1976, dem damaligen Fastensonntag, wurde von der
"Konzils-Kirche" die Zelebration der hl. Messe in dem vom hl. Pius V.
kodifizierten Ritus offiziell verboten. Es ist erhellend, was Kardinal
Ratzinger in seinem Buch "Mein Leben. Erinnerungen 1927-1997" über
diesen radikalen Bruch der Reformer mit der Tradition schreibt: "Ich
bin überzeugt, daß die kirchliche Krise, in der wir uns heute befinden,
zum großen Teil vom Zusammenbruch der Liturgie herrührt. Ich war
bestürzt über die Ächtung des alten Missale, zumal es eine solche
Entwicklung noch nie in der Liturgiegeschichte gegeben hatte."
Die kirchliche Unordnung, die seit nunmehr vierzig Jahren auf den
Katholiken lastet, und die eine Karikatur der katholischen Kirche
darstellt, die ja nichts anderes als den mystischen Leib Christi
verkörpert, hat ihren eigentlichen Ursprung in der Bischofsversammlung
von 1962 bis 1965, dem sogenannten Zweiten Vatikanischen Konzil. Damals
nahmen zahlreiche Gläubige an, in die - von starken Ausnahmen abgesehen
- oftmals von Engstirnigkeit, Moralismus und Pharisäismus geprägte
Seelsorge würde nun ein "frischer Wind" und mit ihm der wahre
gottmenschliche Geist in die Kirche einziehen. Es gab jedoch in der
Folge einen totalen Bruch mit der gesamten Tradition der heiligen,
katholischen, apostolischen und römischen Kirche. Man erfüllte der Welt
die "Versöhnungsbedingungen", die aus lauter Konzessionen und
Abstrichen bestanden, und gab den absoluten Wahrheitsanspruch der
Kirche auf. Ein Blick in die Hl. Schrift hätte jedoch genügt, um sich
in Erinnerung zu rufen, daß Welt und Kirche unversöhnliche Gegensätze
sind und bleiben (1 Joh 5,19: "Wir sind aus Gott, aber die Welt steht
unter der Macht des Bösen").
Die Abkehr des Konzils von diesem traditionellen Selbstverständnis der
Kirche zielte nicht zuletzt auch darauf, aus der Frontstellung
gegenüber anderen religiösen Gemeinschaften herauszukommen. Doch "auf
dem Vehikel dieser Illusion ritt frisch-fröhlich Satan in den Innenraum
der Kirche und zerstörte die Quelle der Erlösung, die Inhalte des
Glaubens" (H.H. Pfr. Milch). Inzwischen ist der offizielle Raum der
Kirche und ihr öffentliches Erscheinungsbild so weit heruntergekommen,
daß auf Katholikentagen das Kreuz, laut der Karfreitagsliturgie die
einzige Hoffnung des Menschen, durch ein Symbol aus der Meeresfauna
ersetzt wird.
Dieses Hintergrundgeschehen muß man kennen, um Martin Mosebachs Trauer
und Empörung über den unersetzlichen Verlust der überlieferten
römischen Liturgie zu verstehen. Es geht dem Autor in seinen
Betrachtungen, die er zum Teil auch als Vorträge gehalten hat, jedoch
weniger um die Wah-rung der dogmatischen Aussage als um die Form des
Ritus. Aber sein "Bekenntnis", ein Ästhet zu sein, der "aus der äußeren
Erscheinung auf die innere Beschaffenheit und womöglich Wahrheit oder
Verlogenheit einer Sache schließt", ehrt ihn, und ist durchaus
nachvollziehbar: "Die Lehre von den "inneren Werten", die sich in
schmutziger, verkommener Schale verbergen, kommt mir nicht geheuer vor.
Daß die Seele dem Körper die Form und das Gesicht, seine Oberfläche
verleiht, glaubte ich schon, als ich noch nicht wußte, daß dieser Satz
eine Definition des kirchlichen Lehramtes war. Mit mediterraner
Primitivität glaube ich, daß eine unwahre, verlogene, gefühllose
Sprache keinen Gedanken von Wert enthalten kann. Was für die Kunst
gilt, muß in noch viel höherem Maße jedoch das öffentliche Gebet der
Kirche treffen; wo das Häßliche sonst nur auf das Unwahre schließen
läßt, bedeutet es im Bereich der Religion die Anwesenheit des
Satanischen."
Mosebachs Verteidigung der römischen Liturgie gipfelt in der
"unvernünftigen Hoffnung", das letzte Wort über den alten Ritus sei
noch nicht gesprochen. Er ahnt die Irreversibilität historischer
Prozesse und hofft dennoch, es werde sich ein neues, höheres
Mittelalter, ein neuer Ordo ereignen. Die katholische Messe in ihrer
seit über 1500 Jahren ununterbrochenen überlieferten Form begreift er
"als die Erfüllung aller Religionen, die sie sämtlich in sich
aufgesaugt hatte." Der Gnadenstrang, durch den uns Gott mit Leben
erfüllt, und in dem "jede Spur des Subjektiven vernichtet ist", wurde
jedoch durch die "Reform" der katholischen Liturgie zu einem
Trümmerfeld: "Die Rücksichtslosigkeit, mit der man einst Verehrtes, das
nun nicht mehr verehrt werden soll, profaniert, ausrangiert, abschafft,
wegwirft, einschmilzt und verhökert", nennt Mosebach mit vollem Recht
"vulgär". Tatsächlich war es die Absicht Pauls VI. in Bezug auf die
Liturgie diese in einem autokratischen Akt - und gegen den Rat vieler
Bischöfe - solcherart zu reformieren, daß sie mit der protestantischen
Liturgie nahezu übereinstimmte. Die Beschneidung all dessen, was die
Modernisten "mystisch" oder "magisch" nennen, führte aber nicht nur zu
einer Annäherung an das protestantische Abendmahl, sondern löschte fast
alles im traditionellen Sinne Katholische in der hl. Messe aus.
1968, das Jahr jener ungeheuren Manipulation der Geister, das einen
neuen Typus des Intellektuellen und eine neue herrschende Klasse
kreierte, war auch das Jahr der Liturgiereform. Die Studentenunruhen in
Deutschland, Frankreich, in den USA und die chinesische
Kulturrevolution mit Millionen von Toten, Bilderstürmerei, Verwüstung
von Tempeln und Kunstschätzen und der gnadenlosen Verhöhnung und
Zurschaustellung der Alten einerseits, und die Zerstörung der
Glaubensnormen der Kirche, die dem entchristlichten Jahrhundert noch
Zeichen zu geben vermochten, auf der anderen Seite. Mosebach erblickt
in diesen nicht zufällig gleichzeitigen Ereignissen einen "tiefen
Zusammen-hang" und spricht von einem "Achsenjahr im Sinne Karl
Jaspers."
Wer wie der Autor die Liturgie als "Kunstwerk" betrachtet und weniger
unter dem Gesichtspunkt der "Gültigkeit" - letzteres nennt er leicht
ironisch "römisch-juristischen Stil" - kann das Erscheinungs-bild der
öffentlichen Akte der Kirche nur mit Grauen betrachten und den Verlust
der "großen kultu-rellen Schöpferkraft der Liturgie" und ihrer
"ästhetischen Substanz" nur als Verarmung und Reduk-tion der
"geistlichen öberlegenheit des klassischen Ritus" empfinden. Seine
Beschreibung dieses einzigartigen liturgischen Traditionsbruches als
"Häresie der Formlosigkeit" wird vielleicht nicht bei allen Lesern auf
Verständnis stoßen. 2) Mancher, der angesichts der Problematik eines
häretischen Papstes ("Papa haereticus depositus est" ) und der
allgemeinen Apostasie fast des gesamten Klerus bereits resigniert hat
oder dem katholischen Traditionalismus eine inkonsequente Haltung
vorwirft, mag sich daran stoßen, daß Mosebach die von Johannes XXIII. -
einem dezidierten Freund der Freimaurerei - reformierte Messe von 1962
, die zwar keine dogmatischen Defizite aufwies, aber immerhin den
Auftakt oder zumindest die Stimmung zur schrittweisen Einführung der
Neuen Meß-ordnung (N.O.M.) einleitete bzw. herbeiführte, unerwähnt
läßt, und sich gänzlich auf die endgültige Zerstörung der römischen
Liturgie durch Paul VI. konzentriert.
Aus dem Blickwinkel des Künstlers betrachtet ist die Ritenfrage jedoch
keineswegs unwesentlich, und in der Tat stützen sich die Modernisten
primär auf Formen und weniger auf Inhalte. Daß man diese jedoch immer
im Auge zu behalten hat, steht - wie man an der orthodoxen Kirche sehr
gut sehen kann - durchaus nicht im Widerspruch zu einer zur Ehre Gottes
und zum Heil der Seelen vom Weltlichen gereinigten Liturgie. Mosebach
erwähnt in diesem Zusammenhang das Ende des Ikonoklasmus, den die
orthodoxe Kirche am ersten Fastensonntag mit dem großen "Fest der
Wiederherstellung der Orthodoxie" feiert. Und er träumt von den
"wiederaufgerichteten Hochaltären" und der Rückkehr der lateinischen
Orthodoxie, deren Ausstrahlungskraft in ihren Ikonen, in den Reliefs
der alten Kathedralen und in den Wandbildern von Giotto und Leonardo,
den Spätwerken Raffaels und den Kompositionen El Grecos das Antlitz
Jesu erahnen läßt. Wenn ein Traum es verdient Wirklichkeit zu werden,
dann ist es dieser, weil er wohl zu den schönsten Träumen gehört, die
ein Mensch überhaupt träumen kann. Denn dann wird die katholische
Kirche endlich wieder gemäß der Vater-unser-Bitte denken und handeln:
Zu uns komme Dein Reich!
***
Anmerkungen:
1) Mosebach, Martin, geb. 1951, wohnhaft in Frankfurt
a.M., Publizist (Theaterstücke, Gedichte, Essays und Romane - "Der
Nebelfürst" 2001; "Das Grab der Pulcinellen" 2001). Auszeichnung mit
dem Kleist-Preis, eine der bedeutendsten literarischen Ehrungen in
Deutschland, durch die Heinrich-von-Kleist-Gesellschaft am 30.
November 2002.
2) Mosebach vergleicht den sog. 'Volksaltar' mit einem "Vorstandstisch
bei der Partei- oder Vereinsversammlung mit Mikrophonen und Papieren,
links steht eine Ikebana-Schale mit alter Wurzel und bizarrer
orangefarbener exotischer Pflanze, rechts befinden sich zwei
Fernsehkerzen in handgetöpfertem Leuchter. (...) Eine solche
Vereinssitzung mit demokraktischer Geschäftsordnung ist der Phänotyp
der neuen Liturgie, und das ist auch nur konsequent, denn wer das
überzeiliche Mysterium nicht will, der wird unvermeidlich in der
politischen und gesellschaftlichen Wirklichkeit landen. Einen dritten
Weg gibt es nicht."
Hinweis: Eine weitere Rezension
dieses Buches von Günther Zehm ist in der JUNGEN FREI-HEIT vom 6.
Dezember 2002 erschienen. Bestellung über Leserdienst-Tel.: 030/86 49
53 19.
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