STRUKTURVERÄNDERUNGEN VERSCHLEIERN DEN ZERFALL DER SUBSTANZ
von Joachim May
I.
"Autoritäre Strukturen in Kirche und Gesellschaft" (MkKZ 18.5. 1969) - "Um einheitliche Strukturen und Aussagen" (DT 1.4. 1969) "Paulus als Strukturveränderer" (RhM 24. 10. 1975) "Servatius: Schluß mit Strukturdebatten" (DT 8./9. 6. 1976) "Bischof Wittler kündigt neue Strukturen im Bistum Osnabrück an" (DT 20./21. 4. 1976) -
So und anders lauten seit anderthalb Jahrzehnten Überschriften in Presseerzeugnissen, und es sind nicht wenige. Sie signalisieren was zur Signatur der nachkonziliaren NEUKIRCHE geworden ist: die Zeitkrankheit der Reformitis, die Hirne und Herzen weitgehend erfaßt hat und die Menschen nicht mehr zur Ruhe kommen läßt. Die tiefste Wurzel dieser Krankheit ist der "Verlust der Mitte", also ein theologisches Phänomen. Geistige Orientierungslosigkeit und sittlicher und religiöser Wertverlust kennzeichnen die Führungsschichten, und wie bei einer Serie von Deichbrüchen mit Sandsäcken die Löcher gestopft werden sollen, so meinen sie, durch ständig neue strukturelle Maßnahmen die schlammigen Wasser des geistigen, kulturellen, religiösen, sittlichen, disziplinären Wirrwarrs in kontrollierbare Formen einfangen zu können. Je mehr Menschen sich mit diesem Anliegen befassen und die Zahl der strukturellen Heilsbringer wächst - ,desto verworrener wird die Szene, denn jeder neu Hinzukommende weiß wieder etwas Neues und weiß es besser. Daß wer mit Gerippen operiert, nur an Symptomen herumkuriert, nicht aber an der Substanz, wird nicht mehr bewußt. Um im Bilde zu bleiben: Wer Löcher in einem zerrissenen Deich stopft, baut diesen nicht mehr auf. Aber die Geschäftigkeit der strukturellen Macher ist rege, und wer ihre Reden vernimmt, spürt, daß sie zufrieden sind.
Veränderung ist modern, fortschrittlich, und wer wollte nicht im Geruch stehen "ganz vorn" zu sein? Wer heute etwas auf sich hält, der macht alles anders als die Älteren, als der Nachbar, als die anderen. (Beim Schreiben dieser Zeilen kommt dem Autor eine Schlagzeile unter die Augen: "Hochwürden kam als Hippie", NB 14.4. 1968. Der war in der Tat anders als seine Confratres.) Aber - gehen wir einen Schritt weiter: Strukturveränderung kann auch Systemveränderung sein.Mit Strukturveränderung werden die davon erfaßten Menschen neu gruppiert, anders organisiert, anderen Führungshierarchien in die Hand gegeben, neuen Beeinflussungs- und damit Manipulationsmöglichkeiten ausgeliefert, und darum muß es den Strukturveränderern - abgesehen von der krankhaften Lust am Basteln, an der bloßen Betätigung um ihrer selbst willen, abgesehen auch von der Beschäftigungstherapie, die sehr einträglich sein kann - doch gehen. Die NEUKIRCHE beispieleweise strebt danach, ihr System möglichst lückenlos zu gestalten,damit niemand durch die Maschen gehen kann. Jeder soll erfaßt werden in ihren Strukturen, und solche, die sich dem entziehen, werden unbarmherzig verfolgt. (Von den Maßnahmen Julius Döpfners gegen den "Fels" und DRM werden wir bei anderer Gelegenheit noch berichten). Was sich hinter so schön klingenden Vokabeln wie "Pastoralrat", "Pastoralplan" und überhaupt hinter dem Allerweltswort "pastoral" nicht selten verbirgt, ist ein auch sehr massives Machtdenken das von der vielzitierten "Liebe" ebenso weit entfernt ist wie von "Pluralismus". Da die NEUKIRCHE ihre Identität mit der katholischen Kirche bis zum II. Vatikanum weitgehend verloren hat, denken ihre Funktionäre sehr oft in rein weltlichen Bahnen. "Pastoral" heißt meist nurmehr erfassen, organisieren, gruppieren, in einem engmaschigen Netz einfangen, um strukturelle Geschlossenheit zu demonstrieren, um Fassade vorzuzeigen, um den Zerfall in der Substanz aufzuhalten bzw. nicht sichtbar werden zu lassen. Hinter dieser Fassade verbirgt sich ein riesiges Klinikum, in dem auch die Gesunden von den Krankenwärtern "strukturell" festgehalten werden (sollen), damit die vielfachen Schismen nicht offenbar werden. So wirft man ein engmaschiges Strukturnetz über dass zerbröckelnde Gemäuer und reibt sich die Hände ob dieses Tricks, der zwar die Kassen weiterhin zum Klingeln bringt, aber aus dem Krankenhaus und aus der Irrenanstalt kein Sanatorium, geschweige denn eine gesunde Institution macht, weil die Substanz verfault ist und sich der völligen Zersetzung nähert. Die Sanierung eben der Substanz aber statt des Einbaus neuer Halteseile und frischer Korsettstangen wäre der einzige Weg, die NEUKIRCHE wieder katholisch zu machen.
II.
"Veränderung der gesellschaftlichen Umwelt ist noch nicht ihre Verbesserung und schon gar nicht die absolute Erfüllung menschlicher Erwartungen, welche die Schrift 'Erlösung' nennt. Es ist auch ein Trugschluß zu meinen, das Böse läge nur in den Systemen, nicht im Menschen. Jesus ist diesem Trugschluß nicht erlegen. Er hat kein sozialpolitisches Programm entworfen. Er hat auf der Grundlage des göttlichen Heilsangebotes zur radikalen Veränderung der Herzen aufgerufen. Das ist keine Revolution von unten, sondern eine Revolution von oben. Der neue Mensch wird nicht aus Veränderungen von Strukturen, sondern aus Gott geboren."
Diese Einsichten sind treffend und legen den Kern der Misere in der nachkonziliaren NEUKIRCHE bloß. Sie stammen,was verwunderlich,ist von einem Bischof, nämlich von Dr. Hengsbach (RhM 11.6. 1976). Verwunderlich ist dies deswegen, weil er dem Gremium angehört, das sich seit über einem Jahrzehnt pausenlos mit "Strukturveränderungen" befaßt, in denen das Heil des Menschen erblickt wird, nämlich der Deutschen Bischofskonferenz. Aber es könnte ja sein, daß dem einen oder anderen der Hirten vielleicht doch ein Licht darüber aufgeht, daß die Mentalität von Sozio-Ingenieuren nicht die von Hirten der katholischen Kirche sein kann.
III.
Seit Jahren vergeht fast keine Bischofskonferenz ohne daß nicht irgendeine organisatorische Maßnahme verfügt worden wäre. Die Herbsttagung 1975 und die Frühjahrstagung 1976 waren besonders ergiebig in dieser Hinsicht. Auch die sich über Jahre hinschleppende Würzburger Synode war eine Struktur-Veranstaltung, die regionalen Bischofskonferenzen, die eine neue Instanz zwischen Hl. Stuhl und den Einzelbischof erbrachten (Absicht: Schwächung der päpstlichen Gewalt), ja letzten Endes auch das Vatikanum II sind in diesen Rahmen einzuordnen..
Auf der unteren Ebene wurde das Räte-System geschaffen: Pfarrgemeinderäte, Bezirks-, Diözesanräte, solche von Laien und solche von Klerikern. Neuerdings wurde eine "gemeinsame Rahmenordnung für Dekanate in den sieben bayerischen Bistümern"; geschaffen (DT 15.6. 1976). Kurzum: Es wird ständig organisiert, erfaßt, verwaltet, diskutiert, getagt, beschlossen .... Erwähnt seien noch strukturelle Veränderungen in einzelnen Diözesen, die auf die Zusammenlegung von Einzelpfarreien zu Pfarrverbänden hinauslaufen. Niemand wird bestreiten können, daß in einer großen Organisation wie es eine Kirche ist, gelegentlich organisatorisch-strukturelle Neuerungen vonnöten sind. Die von der Sache her auftretenden Wandlungen, z.B. Bevölkerungswanderungen, Vermehrung oder Verminderung der Gläubigenzahl (Zusammenlegung alter oder Ausklammerung von Pfarreien) u.a. veranlassen neue Planungen und Organisationsformen. Von solchen Notwendigkeiten soll hier nicht gesprochen werden, obwohl auch sie anfällig sein können für Macherglüste und ideologische Verzweckung.
Vielmehr muß hier klargestellt werden: Die nachkonziliaren strukturellen Änderungen sind für das religiöse Leben, für dessen Intensität und Quantität, wirkungslos geblieben. Auch wenn man zur Ergänzung die im politisch-staatlichen Bereich durchgeführten gesellschaftlichen Veränderungen ins Auge faßt, wird man die Frage, ob denn die Menschen glücklicher, zufriedener, für höhere Werte aufgeschlossener, bessere Staatsbürger geworden seien, verneinen müssen. Und wenn man die Einkommens--und Vermögensstrukturen so ummodeln würde, daß jedem der Bau eines Eigenheimes und der Erwerb eines (Zweit-)Autos möglich wäre, eine Verbesserung des Menschen wäre damit nicht zu erreichen. Warum?
1. Veränderung muß an sich nicht schon Verbesserung sein. Sie kann ihren Zweck auch in sich selbst haben. Sie kann auch verschlechtern. 2. Das Nicht-Funktionieren eines Systems braucht nicht an dessen Strukturen zu liegen, und hier tritt der falsche Ansatzpunkt in der postkonziliaren NEUKIRCHE voll ans Tageslicht.
Offensichtlich waren die neukirchlichen Funktionäre der Ansicht, und sind es noch, daß Glaubensschwäche, Glaubensschwund, mangelnde religiöse Aktivität, z.B. schwindender Gottesdienstbesuch, rapider Rückgang der Beichten, u.a. in den"vorkonziliaren" Strukturen begründet seien, daß der "Teufel" also im "Detail", das Böse in der verfaßten Form zu suchen sei. So macht man sich also, gespornt von der szientistischen Macherlust und der Neigung, alles sei machbar, an die Zerstörung alter bzw. die Errichtung neuer Strukturen, neuer Organisationsformen. So etwa glaubte man, durch die Demokratisierung der NEUKIRCHE könne man die Gläubigen "heranholen": das Rätesystem wurde etabliert. Die "Kollegialität der Bischöfe" wurde institutionalisiert, Regionen wurden in den Diözesen geschaffen mit "Regionalbischöfen" an der Spitze, die überregionalen "Korsettstangen" wurden mehrfach verändert (s. Deutsche Bischofskonferenz Herbst 1975) und wer weiß, was alles noch - bis hinein in die Praxis des Glaubensvollzugs, etwa zur Einrichtung der Samstagabendmesse, der Bußandachten mit Generalabsolution usw. Auch sog. ökumenische Gremien sind hier zu nennen.
Der Erfolg? Das Glaubensleben, die religiöse Praxis wurden nicht besser, sondern sind ständig zurückgegangen. Wenn man schwindende und zersetzende Substanz auf andere Strukturen verteilt, wird sie nicht gehaltvoller.
IV.
Nehmen wir die Pfarrgemeinde und andere Räte!
Dort wird wie überall, geplant, organisiert, "gemanagt", gebastelt - und endlos diskutiert, was von anderen zu tun ist. Das mag ja ganz erfolgreich sein, wenn es um die Gestaltung eines Jubiläums, eines festlichen Ereignisses innerhalb der Pfarrgemeinde geht, aber der Auferbauung des täglichen religiösen Lebens dient es nicht. Kein Mensch wird deswegen mehr beten, niemand wird dieserhalb das Fluchen lassen, kein junger Mensch wird aus solchem Anlaß die Intimbeziehungen zu seiner Freundin aufgeben, kein Säufer das Trinken einstellen, die eucharistische Ehrfurcht wird nicht wachsen, die Hinwendung zur Gottesmutter nicht inniger werden. Wo ist der Pfarrgemeinderat, der jemals "beschlossen" hätte, an jedem Mai-Abend eine Marienandacht zu halten und selbst daran teilzunehmen? Wo ist der Gemeinderat, der an seinen Pfarrer mit dem Verlangen herangetreten wäre, am Sonntag, wie viele Jahre üblich, (wieder) zwei Messen zu halten? Wo ist der Pfarrgemeinderat, der seinen Pfarrer ersucht hätte, am Samstag und vor Feiertagen jeweils zwei Stunden im Beichtstuhl zu sitzen und selbst zur Beichte zu gehen? Eine Strukturform, die weithin nichts anderes als gesellschaftliche Aufgaben wahrnimmt, die vielfach von Leuten besetzt ist, die, Aktivisten, die sie sind, ihren Tätigkeitsdrang auch in jedem Verein abreagieren könnten und dies, nicht selten mit Ämtern und Pöstchen überhäuft, auch tun, die nicht selten alles andere als religiöse, fromme Leute, vielmehr abständig oder Minimalisten sind, die ihre Unreife und Pubertät in diesen Pfarrgemeinderat hinein verlängern - eine solche Strukturform trägt zwar einen wohlklingenden demokratischen Namen, ist aber für eine "Revolution von oben", wie Bischof Hengsbach sagte, ungeeignet, ja hinderlich.
"Der neue Mensch wird aus Gott geboren und nicht aus Veränderungen von Strukturen." Der neue Mensch kann nicht aus Revolution und gesellschaftlicher, struktureller und auch nicht aus biologischer Evolution kommen, sondern einzig und allein aus Umkehr und Bekehrung.
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