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von Joachim May
I. Gibt es einen Ausweg aus der "Verkopfung", aus der geistigen Dressur, aus der Abirrung der Theologie in die Bereiche einer freischwebenden (naturwissenschaftlich ausgerichteten) Denkweise, aus dem Umherirren in intellektuellem Vagabundentum? Ja, es gibt diesen Weg! - theoretisch!
Die "raison du coeur", wie das Pascal nannte, oder "Man sieht nur mit dem Herzen gut", wie es Antoine de St. Exupéry formulierte - das sind viel umfassendere Prinzipien des Menschlichen als das bloße Hirn, das Verifiziertes, Fakten speichert, ohne sie in "einfache operationale Gestalten" zusammenzufassen. Das Menschenbild, das heute anvisiert wird, stimmt nicht mehr. Der verhirnte Mensch ist nurmehr eine Karikatur seiner selbst. Fakten, auch viele theologische, sind flach, sie entbehren einer sich hinter ihnen entfaltenden Perspektive, es mangelt ihnen, anders ausgedrückt, an einer betroffen machenden, Impulse auslösenden, den ganzen Menschen bis in seine letzte Tiefe ergreifenden Dimension.
Und das zweite: Je mehr Differenziertheit, desto mehr Komplexität, desto mehr Unsicherheit, Wirrwarr, Angst und Verzweiflung. Weite Teile der "modernen Theologie" überschlagen sich förmlich in immer neuen Verästelungen, Fußnoten, Anmerkungen, "Ja-aber"-Verklausulierungen, pluralistischen Wucherungen und Verwässerungen, Amputationen und Verdünnungen. Wäre das eine Art "l'art pour l'art", dann könnte das noch hingehen, aber die zahllosen Falschmünzer-Multiplikatoren niederer Ränge geben die verwickelten Lehren derer da oben in kleiner Münze weiter, und so ist ein Chaos des Glaubens, des Wertens, des Denkens eingetreten, in dem sich nur noch der zurechtfindet, der ohne Abstriche an der überlieferten Lehre und Disziplin festhält. Die Rückkehr zum einfachen "ja, ja" oder "nein, nein", zum "Du sollst" und "Du darfst nicht" ist das Gebot der Stunde.
II. Der "Jein"-Relativismus gilt sowohl für die Sprache der Theologen als auch die so manches Seelsorgpriesters, die sich nicht selten in einem Soziologen-Chinesisch ergehen, das Ausweis der Gelehrsamkeit sein soll, bei den Zuhörern und Lesern aber auf keine Resonanz stößt, abgesehen von den paar intellektuellen Eierköpfen, die Unklarheit für einen Erweis besonderer Tiefe einschätzen. Semantische Vernebelungen, Verfremdungen, "expatriierte Bedeutungen", ein "umbabeltes" Gerede - das alles baut nicht auf, sondern zerstört. Was unklar und verschlüsselt und intellektualisiert ist, formalistisch ambivalent oder gar multivalent, das hilft niemandem, das richtet nicht auf, tröstet nicht, ist nicht Führung und Geleit. Das von Herzen kommende Wort überzeugt. Nicht der, der bereit ist, um einer schönen Phrase willen die Wahrheit zu vertuschen oder gar zu verraten, "kommt an", sondern der, der einfach spricht, weil man spürt, daß sich hinter solchem Sprechen nicht eigene Unklarheit oder böse Absichten verbergen, sondern die persönliche Überzeugung und der eigene Lebensstil. Im Reden der Theologen aller Ränge muß ein umfassender Wandel stattfinden, hin zu einem von Herzen kommenden Sprechen.
Hier wird etwas ganz Zentrales angesprochen, nämlich die Verurteilung einer!auf bloße wissenschaftlich richtige Fakten ohne Glanz und Leuchtkraft und Beglückung und Beseligung und Freude und Friede ausgehenden Theologie und Verkündigung. Vor allem die Exegese erfährt hier eine wohltuende Hinrichtung. All die Versteppung und Verdorrung und Rationalisierung theologischen Denkens, Redens in unseren Tagen, wodurch die Theologie zu einer Art religiösen Physik und Mathematik gemacht wird, läßt den suchenden und hörenden Menschen leer auagehen. Ein Musterbeispiel für die zahllosen und pausenlosen Versuche, Theologie zu einer Variante der Naturwissenschaften zu machen, Phantasie und Gefühl und Gemüt daraus zu verbannen, ist das Reden von einer "gesunden (!) Marienverehrung", vom "Rückschneiden von Wucherungen", was quasi einer Entmythologisierung des Geschehens um die Gottesmutter gleichkommt. Gerade in der Marienfrömmigkeit gewinnt das Verlangen des Menschen nach gefühlshaftem Ausdruck, sein Verlangen nach Mütterlichkeit, nach reiner Schönheit, nach fraulichem Ideal jenseits aller weiblichen konkreten Erscheinungsformen, nach Geborgenheit (Schutzmantelmadonna), nach Wärme und Liebe Erfüllung, und wer mit der szientistischen Sachvokabel "schwanger" lediglich einen biologischen Sachverhalt feststellen möchte, der nimmt dem Geheimnis um die Empfängnis der Gottesmutter alles, was der Mensch braucht, jenseits aller wissenschaftlichen Faktenfeststellung. Es ist schlechthin Irrsinn zu meinen, der "moderne" Mensch sei auf Nüchternheit, Sachlichkeit, Banalität, bloße Fakten, auf rein Meßbares, Wiegbares, Zählbares aus.
Der Mensch will nicht nur sehen, er will mehr noch schauen, will nicht nur Flachheit, sondern Tiefe, nicht nur Fakten, sondern Symbol, nicht nur theologische Information, sondern Erlebnis. Wenn das menschliche Auge nurmehr in einer Art Mischung von Yankee- und Wiederkäuerblick über diese Erde als Fakten-Welt schweift, verliert es den "uralt - schönen Tiefenglanz" und wird "flach verglast" (Carossa). "Stoffgebundene Führer überliefern ein ganzes Zeitalter der Stofflichkeit; ein einziger geflügelter aber segnet es mit Veredelung roher Liebeskraft und glühender Erkenntnis" (Carossa). Eine Theologie, die nur noch "entbergen" (Heidegger) will, verfehlt ihre vornehmste Aufgabe: den Menschen. Die Theologie müßte vor allem "die Möglichkeiten jenes Redens nutzen, wie es in den Gleichnissen Jesu und mehr noch in den johanneischen Ich-bin-Aussagen vorgebildet ist, wenn ihr an der Verständigung mit den Menschen dieser Zeit gelegen ist." Das aber wird nur geschehen, wenn sie wieder eine Theologie des Herzens wird.
III. Eine der schlimmsten Entartungen moderner Theologie ist die der Verkümmerung zur (eventuell noch religiös duftende) Ideologie. Jedes ideologische System, welcher Art auch immer, hat drei Aufgaben: Weltorientierung, Motivierung und Verhaltenssteuerung. Ideologien gibt es viele. Darunter sind manche, die außer der empirischen Erkenntniswahrheit noch über einen anderen Wahrheitsbegriff verfügen, den der Glaubenswahrheit. Daher sind sie nicht, wie die Naturwissenschaften, auf eine durch strenge Forschungslogik dauernd zu sichemde Wahrheit angewiesen. Die "urtümlichsten unter den ideologischen Systemen", die Religionen, "erfüllen das tiefste menschliche Bedürfnis, das nach einer transzendenten Welt, umfassender als spätere, auf das Innerweltliche reduzierte a-religiöse oder anti-religiöse Systeme". Das Heilsbedürfnis des Menschen ist auf mehr gerichtet als auf Brieftasche und Unterleib. Eine "Theologie des geprügelten Hundes" und eine "Theologie des offenen Hosentürls" (Kuehnelt-Leddihn) sind Pervertierungen, ebenso ist es der Marxismus. Was allen diesen (und anderen) Ideologien zu Grunde liegt, ist das: den Menschen ein System von Vorstellungen zu geben, ihm die Welt zu erklären, ihm eine Rolle darin zuzuweisen, sein Verhalten in bestimmte Formen zu bringen, sein Handeln zu motivieren. Immer wieder haben wirtschaftliche, politische, seelisch-geistige Verhältnisse Heilslehren, Messianismen, chiliastische Vorstellungen, Ideologien erzeugt, und viele von ihnen "bringen quasireligiöse Institutionen und Verhaltensweisen hervor. Auch sie verkünden eine Lehre, die sie, unter bestimmten Voraussetzungen, in Dogmen fassen. Sie haben dazu eine "Hl. Schrift", deren richtige Interpretation von einer priveligierten, aber auch schärfer kontrollierten Elite-Priesterschaft oder Parteihierarchie - überwacht wird. Sie verwenden eine Eschatologie - eine Lehre von den letzten Dingen -, ob das nun die ausgleichende Gerechtigkeit im Jenseits ist oder die klassenlose Gesellschaft des kommunistischen Endzeitalters" (Lemberg), sie haben Missionseifer, Propheten, Heilige und Märtyrer, sie kennen Intoleranz und Ketzer, Scheiterhaufen und das öffentliche Schuldeingeständnis, sie haben ein Ritual mit Zauberformeln, kultischen Tänzen usw.. Auch der bundesrepublikanische Sozialismus hat ein solches quasireligiöses Ritual entwickelt mit W. Brandt als "Heiligem" ("Christus würde Willy wählen"), Kniefall (in Auschwitz), religiös klingendem Wortschatz, Wehner auf der Kanzel und Schmidt an der Orgel, "Wallfahrt" Wehners nach Rom zum "Hl. Vater" (mit G. Leber als "religiösem Lendenschurz") u.a.m..
Je schwächer die christliche Botschaft (verkündet) wird, je mehr sie verharmlost und dem Zeitgeist angepaßt wird, desto üppiger blühen andere Systeme und Ideologien, weil der Mensch etwas braucht, das ihm Sicherheit gibt. Das Abwandern so vieler Jugendlicher und Intellektueller zum Sozialismus und Marxismus, zu "Neureligionen", "charismatischen Bewegungen", und auch zu Rauschgift und anderen Drogen (z.B. Rock-Musik) hat seinen Grund darin, daß das Christentum nicht mehr klingt, und es klingt nicht mehr, weil es durch Theologen aller Grade (seit dem II. Vatikanum) abgeschwächt, verwässert, verniedlicht, zu einer innerweltlichen Heilslehre heruntergestuft wird und damit das innerste Bedürfnis der Menschen nicht mehr erfüllt. "Da die Menschen nicht ohne Antwort auf die Frage nach dem Sinn des Lebens existieren können, bedeuten ein völliger Ausfall, aber auch das Schwächerwerden, die zunehmende Unsicherheit und Unbestimmtheit der Antworten auf die Frage nach dem Sinn des Ganzen eine unmittelbare Bedrohung für die seelische Gesundheit aller Menschen in einem Kulturkreis, auch derer, die sich keiner Kirche zurechnen." (RhM). Theologie und Kirche verweigern "ihren Beitrag zur Erhaltung und Weiterentwicklung der Grundlagen der Zivilisation", die Wissenschaften wissen keine Antworten auf Fragen jenseits des empirischen Horizontes; wo also finden die Menschen Antwort, Richtlinien, Hilfen?
"Die erstaunliche Anziehungskraft, die der Marxismus auf Intellektuelle, zumal auf Studenten, ausübt, ist weithin dadurch erklärbar, daß seine Anhänger in der Lage sind, sowohl das Ziel zu nennen, zu dem die Völker unterwegs sind, nämlich die klassenlose Gesellschaft durch die kommunistische Weltrevolution, als auch den Weg zu diesem Ziel unter der Führung der allwissenden Partei, der jedermann sich zu unterwerfen hat. Weil die christlichen Kirchen das in den jungen Menschen angelegte Glaubenspotential und Glaubenabedürfnis nicht mehr genügend herausfordern, schließen diese sich einer Lehre an, die zwar durch die Praxis vieler Jahrzehnte widerlegt, doch durch ihre Geschlossenheit, ihre Selbstsicherheit und Radikalität immer noch zu überzeugen vermag" (RhM).
(Fortsetzung folgt)
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