DIALEKTIK ALS PRINZIP DER REFORM
von
Günther Mevec
"Die
Religion Gottes, der Mensch wurde, hat sich nunmehr mit
derjenigen des Menschen, der zu Gott wurde, getroffen." (Paul VI., La
Croix, 9.2071)
Bis zur Reform durch das II. Vatikan. Konzil und pro forme noch für
eine gewisse Zeit danach galt nur die Aussage, daß Gott (in Jesus
Christus) Mensch geworden ist, als genuin (echt, unverfälscht)
katholisch. Nunmehr jedoch gilt angeblich auch, daß der Mensch zu Gott
geworden ist, als richtig. Die zweite Aussage ist, den jüngsten
Versicherungen Pauls VI. zufolge, eine Vertiefung der katholischen
Lehre. 1) Zu Gott ist der Mensch nach der von Paul VI. auf den Menschen
angestimmten Lobeshymne infolge seiner verschiedenen wissenschaftlichen
und technischen Errungenschaften geworden. 2)
Man beachte die mit dieser Aussage unternommene "dialektische"
Verkehrung des wahren Sachverhalts in sein genaues Gegenteil, d.h. in
einen direkten Widerspruch. Denn es liegt doch auf der Hand, daß man
die vormals, wie auch jetzt unveränderlich wahre Aussage nicht
einfach durch ihr Gegenteil ersetzen kann, weil es angeblich auch wahr
ist oder aus besonderen exegetischen Gründen wahr geworden ist. (Allein
der Gedanke eines Prozesses, der etwas wahr werden lassen könne, ohne
daß das durch die Wahrheit selbst geschieht, ist ein Ungedanke.)
Die gegenteilige Behauptung zu einer wahren ist mit dieser nicht
einfach gleichwertig, sondern negiert die wahre. Wäre sie gleichwertig,
d.h. könnte sie als gleichwertig gedacht werden, so gäbe es nur noch
die Möglichkeit einer relativen Unterscheidung zwischen wahren und
nicht wahren Aussagen. Das besagte, daß jede Behauptung zum Teil
relativ wäre. Sie wäre also zugleich Behauptung des Gegenteils und
Behauptung des Gegenteils vom Gegenteil usf. Jede strenge Bestimmungs-
und Unterscheidungsmöglichkeit fiele damit weg. Der Satz vom
Widerspruch wäre in seiner Gültigkeit aufgehoben.
Zur Widerlegung des Versuchs, den Satz vom Widerspruch in seiner
Gültigkeit zu entkräften, ist folgendes zu sagen: Denken zu wollen, daß
er aufgehoben werden kann, setzt nicht nur die Denkmöglichkeit dazu
voraus, sondern das noch wichtigere Moment einer aus sich absolut
zweifelsfreien und gültigen Position, in Bezug auf welche der
Widerspruch als solcher überhaupt gedacht und erkannt werden kann.
Etwas derart nur aus sich und kraft seiner selbst Gültiges ist die
Wahrheit. Gedacht ist sie als absolut frei zu sich entschiedener und
auch durch sich erfüllter und erfüllender Wille.
Die Gültigkeit des Satzes vom Widerspruch aufheben zu wollen, kommt
somit dem Appell an die Wahrheit gleich, sich selbst aufzugeben, für
sich ungültig zu werden. Das aber kann nicht einmal gedacht werden.
Wie die oben zitierte Aussage zeigt, mit der der Versuch gemacht wird,
zwei einander absolut ausschließende Behauptungen zu verbinden,
scheinen die Befürworter der Reform, allen voran ihr Oberhirte, genau
das erreichen zu wollen.
Es bedarf keines langen Fachstudiums, um feststellen zu können, daß die
Verkehrung wahrer Aussagen oder des Wahren überhaupt in sein Gegenteil
unweigerlich die Relativierung des Wahren bedeutet. Wohin die Anwendung
dieses "Denkens" (im alleruneigentlichsten Sinn) führt, tritt an den
Veränderungen des Glaubensgutes in krassester Form hervor. Es ist daher
lohnend, sich einmal prinzipiell klar zu machen, unter welchen
Voraussetzungen die dialektische Verkehrung und Relativierung des
Wahren (scheinbar) erreicht wird.
Die eigentliche Grundvoraussetzung für die Aufstellung der
dialektischen Grundprinzips ist, daß das Wahre (dasjenige, das aus sich
absolut gültig ist, d.i. das Gute) nicht mehr als das Wahre, als das
alles andere als unwahr abweisende Prinzip ernst genommen und in allem
Urteilen als der einzige Maßstab zugrunde gelegt wird.
Es nicht mehr in seiner ihm wesentlichen Geltungskraft anzuerkennen,
erfordert aber eine bestimmte Gemütseinstellung, besser eine
Werthaltung. Denn Wahrheit ist ein Wert, zu dem man sich nur positiv
(annehmend) oder negativ (abweisend) verhalten kann. Sich abweisend zu
verhalten ist gleichbedeutend mit der Relativierung des Wahren. Es wird
unter dieser Voraussetzung so hingestellt, als sei es eben eine unter
möglichen anderen Positionen, die insgesamt nur faktische Gültigkeit
haben, weswegen keine von Ihnen als letztgültig anerkannt zu werden
braucht.
Unter diesen Voraussetzungen gibt es keinen absolut einsichtigen Grund,
warum des Gegenteil zu irgendeiner Position oder Aussage auch
angenommen werden könnte, wenn man nur meint, daß daraus Interessantes
folgen würde. Wo diese Einstellung zum Denk- und Handlungeprinzip
gemacht wird, ist die Auflösung des geistigen Handelns, also auch die
des Denkens eine notwendige Konsequenz. Am Beispiel des Glaubens zeigt
sich das mit aller Deutlichkeit.
"Der Modernismus versteht die Tradition (im Grunde die Wirklichkeit
überhaupt) als ein fortwährendes Hervorbringen von Neuheiten ohne Regel
oder Festigkeit, gänzlich inspiriert durch den Wandel der weltlichen
Kultur. Hierdurch wird die falsche Idee einer "schöpferischen
Evolution" in Religion verwandelt, bei der der Verstand immer einen
Schritt hinter dem Leben herhinkt und deswegen gezwungen ist, die
unkontrollierbaren Neuheiten (unter anderem das Gegenteil der wahren
Religion und den dialektischen Bruch mit der Tradition der Kirche)
einfach hinzunehmen." (Abbé de Nantes, CRC, Nr. 39, Suppl. 1970).
Wenden wir uns nochmals der grundsätzlichen Betrachtung zu. Kann man
zur Wahrheit nur positiv oder negativ Stellung nehmen, d.h. m u ß man
eine Wertwahl treffen, so stellt das Negieren selbst eine Wertwahl dar.
Sich von der Wahrheit abzuwenden, muß demnach als etwas Erstrebens- und
Bejahenswertes angesehen werden. Somit ist die dialektische Verkehrung
des Wahren, bzw. die Abwendung vom Wahren und die Hinwendung zum
Gegenteil, von dem behauptet wird, daß es auch wahr sei, ebenfalls eine
Wertwahl. Mit ihr wird die Möglichkeit Wahrheit anzunehmen abgewiesen
und der Standpunkt ihr zu widersprechen bejaht. Insofern ist die
dialektische Verkehrung tätiger Widerspruch. Das will besagen, daß ein
solcher Standpunkt nicht einfach ist, sondern daß er im Willen
vollzogen ist.
Die mit dem Widerspruch gegen die Wahrheit notwendig verbundene
Relativierung der Werte überhaupt, also auch des auf die Wahrheit
gegründeten Glaubens, erscheint nur dann nicht als aktiver Widerspruch,
wenn nicht bedacht wird, daß die Relativität der Werte, der Erkenntnis
oder was immer sonst als nur relativ behauptet wird, als BEHAUPTUNG
(geistiges Handeln im umfassenden Sinn) einen absoluten Wert (Wahrheit)
unbedingt voraussetzt, ohne den geistiges Sein ganz undenkbar ist.
Auf diesen tätigen Widerspruch hat Jesus Christus explizit mit den Worten "Wer nicht für mich ist, ist gegen mich" hingewiesen.
Die Konsequenz der dialektischen Verkehrung des Wahren, die
Relativierung und Haltlosigkeit des geistigen Seins bedenkend, wird man
an ein weiteres Wort Jesu erinnert: "Wer nicht sammelt (nämlich zur
Wahrheit), der zerstreut."
Betrachtet man die durch die Reform in der Kirche angeregten Vorgänge,
so sieht man, daß sie sich unter das Prinzip der dialektischen
Verkehrung und Relativierung subsumieren (einreihen) lassen.
Bis zur Reform hat man das Argument verstanden, d.h. es hatte Geltung,
daß der Tabernakel ins Zentrum der Kirche gehört,weil Jesus Christus
Zentrum der Kirche ist. Einmal von der Wahrheit abgewandt und zur
gegenteiligen Position übergegangen, wird das vormals gültige Argument
nicht mehr ernst genommen. Da es auf die Wahrheit gar nicht ankommt,
ist es gar keine relevante Frage mehr, wo der Tabernakel steht oder ob
er überhaupt noch aufgestellt wird.
Aber er wird nicht einfach irgendwo in die Ecke gestellt, sondern es
wird noch versucht, die vormals triftigen Argumente mit historischen,
d.h. nur faktischen, uneinsichtigen Argumenten zu entkräften.
Beispielsweise damit, daß der Tabernakel nicht immer im Zentrum der
Kirche gestanden hat, sondern erst im Verlauf der Geschichte (Modern
ausgedrückt: durch die Evolution) der Kirche dorthin gestellt wurde.
D.h. soviel als: Der Tabernakel wurde nicht aus Einsicht die ihm
zukommende Bedeutung ins Zentrum der Kirche gestellt, sondern aus
irgendwelchen "Gründen", die nicht absolut zu sein beanspruchen können.
Damit ist dieser Akt relativiert und gleichermaßen das, worauf er sich
bezieht: Jesus Christus als lebendiges Prinzip der Kirche. Ist es nicht
augenscheinlich, daß eine solche Argumentation zerstreuend, auflösend
ist?
Auch die anderen, im Zuge der Reform durchgeführten Änderungen werden mit den gleichen Argumenten verteidigt.
Das Herumdrehen des Altars, ist das nicht das sichtbare Abwenden vom lebendigen Prinzip?
Die Partizipation des Volkes an der heiligen Wandlung? Aus welchen
(relativen Gründen kann jetzt auch das Volk an dem mitwirken, was
vormals nur den geweihten Priesterhänden vorbehalten war? Doch wohl
nur, weil die Absolutheit der Wahrheit nicht mehr ernst genommen wird,
weil Wahrheit relativiert wurde. Die dialektische Verkehrung entdeckt
sich somit als direkter Frevel gegenüber dem Wahren.
Und die Änderung bzw. die vorgesehene Unterdrückung der Messe des
hl.Pius V., welche die Kirche alle Jahrhunderte hindurch gefeiert hat?
Aus welchen Gründen wird sie oder soll sie abgeschafft werden, wenn
nicht aus dem einzigen Grund der Abkehr von der Wahrheit und der
Verachtung derselben!
Der dialektische Angriff ist keine Nebensache, sondern zielt auf die
Vernichtung der wahren Religion und der Wahrheit selbst ab. Wie anders
ist es zu verstehen, daß man bei den auf breiter Front versuchten
dialektischen Entstellungen noch nicht einmal vor den vom Herrn selbst
gesprochenen Opferworten halt macht? Weil die Wahrheit nicht gelten
soll! Daher durfte Jesus Christus nicht gesagt haben, was er gesagt
hat, sondern er mußte sich relativiert haben. Und hat er es nicht
getan, so holt der zu Gott gewordene Mensch des 20. Jahrhunderts das
"wissenschaftlich" geschickt nach. Er entscheidet, daß die Religion
Gottes mit der des Menschen eins ist und daß daher die Worte nicht "für
viele", sondern "für alle" lauten müssen.
Der Versuch, die Wahrheit selbst zu manipulieren, d.h. sie mit sich in
Widerspruch bringen zu wollen, kann nur dort unternommen werden, wo man
ihr von Herzen abhold ist, wo man sie ablehnt und verabscheut.
Oben wurde gesagt, daß mit der dialektischen Umkehrung der wahren
Aussage der Widerspruch wahr würde. Doch das ist nur in ganz
uneigentliche Hinsicht gesprochen. Denn was wahr ist, kann durch keinen
Umstand je unwahr werden, da die Wahrheit überzeitlich und
unerschütterlich gültig ist. Deshalb kann kein geschichtliches Ereignis
ihre innere Gültigkeit schmälern. Im uneigentlichen Sinne wird sie nur
für den ungültig, der sie in ihrer Gültigkeit ernst zu nehmen nicht
gewillt ist.
Nur er, nicht das Wahre, verliert für sich und sein Urteilen den gültigen Maßstab.
Daß er den Befürwortern der Reform in der Tat verloren gegangen ist,
d.h. daß sie ihn aufgegeben haben, zeigt sich an ihren Argumenten, mit
welchen sie ihr Tun verteidigen und ebenso an den Früchten ihres Tuns.
Was durch die Leugnung und Verdrehung der Reform noch alles betroffen
werden wird, damit der Glaube untergeht, läßt sich nicht sagen. Doch
was immer geschehen mag, vergessen wir nicht das Tröstliche inmitten
aller Verheerung: daß die Abwendung von der Wahrheit nur möglich ist, weil Wahrheit ist;
und vergessen wir auch nicht, daß sie unerschütterlich ist und daß auf
dieser Unerschütterlichkeit das unwandelbare Versprechen Jesu Christi
besteht: "... und die Pforten der Hölle werden sie nicht überwinden.!"
Anmerkungen:
1) Am 12.1.1966 erklärte Paul VI. selbst: "Die
katholische Lehre ist durch das Konzil weder in Zweifel gezogen, noch
grundlegend modifiziert worden. Ganz im Gegenteil, das Konzil bestätigt
sie, erklärt sie näher, verteidigt und entwickelt sie". (Zitiert aus
FORT DANS LA FOI, Nr.17, Mai 1970, S.309) Vor fünf Jahren war es Paul
VI. noch halbwegs möglich, diese Aussage zu machen . - Nach den
Ereignissen, die inzwischen eingetreten sind, dürfte es jedoch keinem
Zweifel mehr unterliegen, daß die Vorgänge in der Kirche die Aussage,
das KonziI habe die traditionelle Lehre vertieft oder verteidigt,
tausendfach Lügen gestraft haben.
2) vgl. CRC, Suppl. 2/71 zur Nr. 43, April 1971, Tract. No. 3, Rücksete
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