DIE LITURGISCHE REBELLION GEGEN PAPST PIUS XII.
von H.H. Walter W.E. Dettmann
VII.
Der Fastenhirtenbrief des Erzbischofs Montini von Mailand aus dem Jahre 58
Vorbemerkung: Das Rundschreiben Papst Pius' XII. über die Liturgie, das mit den Worten beginnt: "Mediator Dei", ist hier zitiert nach der "offiziellen deutschen Übersetzung" des Rex-Verlages in Luzern, mit Druckerlaubnis des Bischöfl. Ordinariates Basel-Lugano 1948.
Soviel Verdrehung und Entstellung gegenüber den Absichten des päpstlichen Rundschreibens "Mediator Dei" ist nirgends zu finden wie im Mailänder Hirtenbrief des Erzbischofs G.B. Montini vom Jahre 1958, sieben Monate vor dem Tode Papst Pius' XII.
Dieser Hirtenbrief mit seinem Titel: "Erziehung zur Liturgie" war ein Trompetensignal und ein Fanfarenstoß, womit zum Sturm gegen die Verteidiger der tridentinischen Messe geblasen wurde, weil man wußte, daß der letzte "tridentinische" Papst bald im Sterben liegen werde.
Das Trompetensignal wurde in ganz Europa gehört und verstanden: Der Hirtenbrief Montinis war bereits im gleichen Jahre 1958 ins Deutsche übersetzt und im Liturgischen Jahrbuch von Trier veröffentlicht worden. Als Montini dann im Jahre 1963 endlich Papst geworden war, ließ das Liturgische Institut in Trier ihm zu Ehren eine Sonderausgabe dieses Hirtenbriefes drucken. Darin stand im Vorwort jenes bekannte Zitat aus dem Brief Montinis an Bischof CarLo Rossi vom 30. Juni 1953 (dreiundfünfzig!), das zehn Jahre lang die Runde in der gesamten liturgischen Bewegung Europas gemacht hatte:
"Nichts ist in der Tat in dieser ernsten und doch an Hoffnungen reichen Stunde so dringend wie die Aufgabe, das Volk Gottes, die große Familie Jesu Christi, zu der kräftigen Speise der liturgischen Frömmigkeit zurückzurufen ..."
In dem Mailänder Hirtenbrief von 1958 ging es also nicht nur um die üblichen Ermahnungen eines Bischofs zur jährlichen Fastenzeit, sondern um etwas mehr. Es ging um die Vorbereitungen zur totalen Veränderung der tridentinischen Messe; es ging um die Beseitigung des römisch-katholischen Meßopfers und um die Einführung des ökumenischen Abendmahles.
Erzbischof Montini, dem Papst Pius XII. wohlweislich vier Jahre lang die Kardinalswürde verweigert hatte, wollte der Welt in eleganter Weise signalisieren: "Jetzt ist meine Stunde gekommen!". Er gab sich den Mailändern gegenüber "väterlich" und schrieb: "Wir wollen in diesem väterlichen Wort zur Fastenzeit uns nur einen einzigen Punkt aus dem überreichen Stoff vornehmen, denjenigen, den die Enzyklika Mediator Dei des gegenwärtigen Papstes mit einer autoritativen Deutlichkeit empfiehlt, ja befiehlt, wie es nicht beredter und verpflichtender geschehen könnte, nämlich die Mittätigkeit des Volkes bei der heiligen Liturgie" (Nr. 5).
Mit einer blendenden und weitausholenden Geste hatte Montini damit ein großes Programm angekündigt, das ganz im Sinne des beim Volke beliebten Papstes zu sein schien. In Wirklichkeit aber bekamen die Gläubigen in Mailand und in Europa die erste Kostprobe von der einmaligen Kunst Montinis, Papst und Kirche raffiniert zu hintergehen. "Mit autoritativer Deutlichkeit" hatte Papst Pius XII. gesagt: "Jene verdienen Anerkennung, die, um dem christlichen Volk die Teilnahme am eucharistischen Opfer leichter und heilbringender zu machen, bei passender Gelegenheit den Leuten das 'römische Meßbuch' in die Hand zu geben suchen, so daß die Gläubigen, dem Priester verbunden, mit denselben Worten wie er und mit den gleichen Gesinnungen der Kirche mitbeten ..." (Mediator Dei Nr. 81).
Der Erzbischof von Mailand und ehemalige Prostaatssekretär des Papstes hatte jedoch nicht das geringste Interesse daran, den Gläubigen das Römische Meßbuch in die Hand zu geben. Das kam nicht daher, weil in Mailand der Ambrosianische Ritus gleichberechtigt neben dem römischen Ritus existiert, sondern weil G.B. Montini schon Jahrzehnte vor seiner Mailänder Zeit mit jenen Kreisen der liturgischen Bewegung in Verbindung war, die das römische Meßbuch ganz beseitigen wollten.
Zwar sagt Montini in einem späteren Teil seines Hirtenbriefes: "Ich empfehle nach Möglichkeit den Gebrauch des Meßbuches, wenigstens des sonntäglichen" (Nr. 34). Aber dies waren nur leere Worte, die bloß für den damaligen Augenblick gelten sollten.
Denn der Erzbischof ging aufs Ganze. Er schrieb die verwegenen Worte: "Unsere Religion muß den Ausdruck wiedergewinnen, der ihrer wirklichen Natur angemessen ist" (Nr. 3).
Für Montini war die tridentinische Messe nicht mehr jener Ausdruck, der der wirklichen Natur unserer katholischen Religion angemessen ist. Er behauptete, es gebe zwei Hindernisse, die dem Verständnis der Liturgie beim Volk im Wege seien; das erste sei die lateinische Sprache, und das zweite sei "die Form, in die die Liturgie das Gebet der Kirche und die göttlichen Mysterien kleidet" (Nr. 34 u. 35).
Diese Sätze waren Trompetensignale für die liturgische Bewegung in Europa und Amerika, wo man auch schon seit 1948 trotz "Mediator Dei" die Messe mit dem Gesicht zum Volke las ("Liturgisches Jahrbuch 1951, Seite 27).
Papst Pius XII. hatte in seinem Rundschreiben gesagt: "Die Kirche führt getreu dem von ihrem Stifter erhaltenen Auftrag das Priesteramt Jesu Christi vor allem durch die heilige Liturgie weiter" (Med. Dei Nr. 3). Ferner hatte er gesagt: "Vor allem muß darauf gesehen werden, daß alle mit gebührender Ehrfurcht und mit schuldigem Glauben den Anordnungen nachkommen, die das Trienter Konzil, die römischen Päpste, die Ritenkongregation, erlassen und die liturgischen Bücher über den äußeren Vollzug des öffentlichen Kultes festgelegt haben" (Med. Dei Nr. 136).
Montini dagegen sagte den Mailändern und den deutschen Lesern seines "Hirtenbriefes", die Form, "in die die Liturgie das Gebet der Kirche und die göttlichen Mysterien kleidet", sei ein Hindernis für die Gläubigen!
Dabei wagte er es noch, sich auf "Mediator Dei" zu berufen. Dies ist das Unerhörteste, daß der einstige persönliche Mitarbeiter Papst Pius' XII. die Unehrlichkeit seines eigenen Vorgehens zur Grundlage der Erneuerung machen wollte.
"Die Liturgie stellt heute das Zentralproblem der Seelsorge dar" (Nr. 4), rief der Erzbischof von Mailand im Jahre 1958 in die Welt hinaus. - Für Montini und die liturgische Bewegung war die Einführung der neuen Liturgie und die Beseitigung der tridentinischen Messe freilich das "Zentralproblem".
Aber Montini wußte auch schon seit dem Jahre 1947 und sogar schon seit 1943, daß das "Zentralproblem der Seelsorge" für den höchsten und obersten Seelsorger der katholischen Kirche, nämlich für Papst Pius XII., darin bestand, alle Gläubigen vor den falschen Zielen und Irrtümern der liturgischen Bewegung zu warnen und zu schützen.
Montini, der gesagt hatte: "Unsere Religion muß den Ausdruck wiedergewinnen, der ihrer wirklichen Natur angemessen ist", schrieb: "Ich möchte euch auffordern, über unsere liturgische Erziehung nachzudenken und einiges davon in die Tat umzusetzen" (Nr. 4).
Ferner schrieb er: "Sie sollten den Eindruck gewinnen, daß ich die bessere Bildung aller, der Priester und der Gläubigen, in Richtung auf den heiligen Kult wünsche. Ein solches Vorhaben genügt, um unser Denken mitten in ein erregendes, weitreichendes Gegenwartsproblem hineinzuführen, nämlich die Beziehung zwischen Seelsorgetätigkeit und Liturgie, das Liturgiewissenschaftler und Vertreter der liturgischen Bewegung lang und breit erörtern und das den Kennern dieses überaus fesselnden religiösen Gebietes noch weiterhin zu erforschen, zu diskutieren und zu verbreiten bleibt, zum offenkundigen Nutzen der religiösen Kultur und der Frömmigkeit des christlichen Volkes" (Nr. 5).
Eigentlich hätte Montini sagen müssen: "Ich möchte euch auffordern, mit mir zusammen das Rundschreiben Mediator Dei von Papst Pius XII. über die Liturgie Seite für Seite genau zu lesen".
Er hätte sagen müssen: "Die bessere Bildung aller Priester und Gläubigen wird gewährleistet, wenn wir unser Denken ganz und gar vereinigen mit den Wünschen des obersten Seelsorgers der römisch-katholischen Kirche und wenn wir uns fernhalten von den absonderlichen Gedanken, die die sogenannten Liturgiewissenschaftler und Vertreter der liturgischen Bewegung schon viele Jahrzehnte lang und breit erörtern. Diese Leute haben kein Recht, hinter dem Rücken des Papstes die tridentinische Messe abzuschaffen und das ökumenische Abendmahl einzuführen".
Aber Montini sah schon den Sterbetag des Papstes kommen; er sah den Tag, an dem "unsere Religion einen neuen Ausdruck" bekommen sollte. Darum deutete er an, daß er Kenntnis von geheimen Plänen der "Liturgiewissenschaftler und Vertreter der liturgischen Bewegung" besaß. Durch das Trierer Liturgische Jahrbuch von 1954 ist schwarz auf weiß bewiesen, daß Montini zur Zeit seines Mailänder Hirtenbriefes mindestens schon vier Jahre lang Kenntnis von allen Plänen zur radikalen Änderung der tridentinischen Messe auf der ganzen Erde hatte.
Der Erzbischof von Mailand behauptete, diese geheimen Pläne seien "ein überaus fesselndes religiöses Gebiet, das man zum offenkundigen Nutzen der religiösen Kultur und der Frömmigkeit des christlichen Volkes noch weiterhin erforschen, diskutieren und verbreiten" müsse.
Alle diese Dinge besprach Montini aber nicht mit dem obersten Seelsorger der katholischen Kirche, sondern hielt sie vor diesem geheim. Erst kurz vor dem Tode des Papstes trat er damit unter Berufung auf "Mediator Dei" an die Öffentlichkeit!
Der Erzbischof von Mailand hat das Rundschreiben Mediator Dei derartig "umfunktioniert", wie man heute zu sagen pflegt, daß es kaum noch einen Zweifel daran geben kann, daß er die Hand dabei noch mehr im Spiele hatte, als bisher bekannt war. Er hat das Rundschreiben gegenüber den Anhängern der liturgischen Bewegung "entschärft"; er hat es verharmlost und ihm eine ganz andere Zielrichtung gegeben. Die Warnungen Papst Pius' XII. vor den Irrtümern der liturgischen Bewegung hat Montini praktisch in ein Nichts aufgelöst. Er überschlug sich beinahe in einer Menge von allgemeinen Lobsprüchen über die Enzyklika, ohne auch nur auf eine einzige wichtige Einzelheit einzugehen.
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