DER HL. POLYKARP - PATRON ALLER GEGNER PAULS VI.
von Hermann Schrott
Zu dem Aufenthalt des hl. Polykarp, der vom Apostel Johannes als Bischof von Smyrna eingesetzt worden war, Mitte des 2. Jahrhunderts in Rom teilt uns der hl. Irenäus in einem Brief an Papst Viktor, der uns durch Eusebius zu einem Teil erhalten ist, etwas sehr Interessantes mit. Es war nämlich zwischen Papst Anicet und dem hl. Polykarp zu einer Meinungsverschiedenheit hinsichtlich der Feier des Osterfestes gekommen. Es ging dabei um Dinge, die uns heute zwar geringfügig erscheinen, wie etwa das Fasten in der vorösterlichen Zeit, die jedoch im 2. Jahrhundert sehr leidenschaftlich diskutiert wurden und später tatsächlich zu Abspaltungen von der römischen Kirche führten. Irenäus bemerkt dazu, es sei zwischen beiden zu keinem Zerwürfnis gekommen, sondern sie hätten sich schließlich den Friedenskuß gegeben.
Hatte also der hl. Polykarp auf die Beibehaltung jener Gebräuche, die er vom hl. Johannes und anderen Aposteln übernommen hatte, verzichtet? Oder hatte etwa Papst Anicet nachgegeben? Keineswegs! Vielmehr waren die Fronten von vorneherein auf beiden Seiten so klar abgesteckt, daß sich ein längerer Streit erübrigte ... "Denn weder konnte Anicet Polykarp überreden, seine Observanz aufzugeben, da er sie ja mit Johannes, dem Jünger unseres Herrn und den anderen Aposteln, mit denen er verkehrt hatte, immer beobachtet hatte, noch konnte Polykarp Anicet zu seiner Observanz überreden, da Anicet sich auf den Standpunkt stellte, er müsse an den Gebräuchen der Presbyter, die vor ihm gewesen seien, festhalten." Ja, Anicet gestand dem hl. Polykarp sogar noch "ehrenhalber" zu, in seiner Gegenwart Eucharistie zu feiern, offensichtlich um damit zu zeigen, wie hoch er den hl. Polykarp, der schon lange vor seinem Martyrium im Ruf der Heiligkeit stand, schätze und daß das Band der kirchlichen Einheit zwischen ihnen nicht verletzt worden sei.
So und nicht anders sah also eine Auseinandersetzung mit einem Papst zur Zeit der heute so vielzitierten Urkirche aus: sie wurde beiderseits auf dem festen Boden der apostolischen Tradition geführt! Um die ungeheuere Bedeutung dieses Ereignisses für die Gegenwart voll ermessen zu können, muß man sich vor Augen halten, daß Papst Anicet ebenso wie seine Nachfolger seinerzeit von der römischen Kirche auch hinsichtlich der Feier des Osterfestes Gehorsam verlangte. Umgekehrt faßte aber auch der hl. Polykarp diese Dinge nicht als Lappalien auf, denn sonst hätte er sicher um des lieben Friedens willen sofort nachgegeben. Er kannte nämlich Papst Anicet durchaus als Oberhaupt der Kirche an - unternahm er doch noch im hohen Greisenalter die beschwerliche Reise von Kleinasien nach Rom und war doch für den hl. Irenäus, einen seiner Schüler, der Primat der römischen Kirche die selbstverständlichste Sache der Welt gewesen! Und dennoch: es kann keinerlei Zweifel darüber bestehen, daß es damals zwischen den Kirchen von Kleinasien und der Kirche von Rom unweigerlich zum Bruch gekommen wäre, hätte Papst Anicet - auch ohne strikten Gehorsam zu verlangen - eine Irrlehre vertreten oder hätte er die Hl. Schrift gefälscht oder in die Liturgie fremde Elemente, die in der Tradition keinerlei Stütze fanden, hineingebracht, noch dazu etwa mit der Begründung, die Zeit der Apostel liege nun schon 100 Jahre zurück und es sei eine neue Zeit angebrochen, der es sich anzupassen gelte, damit die Kirche endlich aus ihrer Ghettosituation herauskäme. Eine solche Argumentation hätte der hl. Polykarp vermutlich auch im Osterfeststreit niemals gelten lassen. In all diesen Fällen wäre eine Spaltung der Kirche die Folge gewesen, vorausgesetzt natürlich, daß Anicet überhaupt Anhänger gefunden hätte und nicht sang- und klanglos das Feld hätte räumen müssen.
Es ist ganz offensichtlich, daß sich der Primatsbegriff des hl. Polykarp und überhaupt der Urchristen in einem Punkt ganz wesentlich von dem heute unter sog. "prominenten Katholiken" verbreiteten unterscheidet. Denn der Primat erstreckte sich damals, wie wir sehen, noch nicht auf die Tradition, während er heute von der überwältigenden Mehrheit der Katholiken so aufgefaßt wird, als seien sowohl Kirche als auch Tradition auf Gedeih und Verderb der päpstlichen Willkür ausgeliefert. Man tut heute meist so, als sei unser erstes Denkprinzip, mit dessen Hilfe wir die Wahrheit, beispielsweise daß zwei und zwei vier ist, erkennen, der Gehorsam gegenüber dem Papst. Man meint, Gott damit einen Gefallen zu erweisen, wenn man an die Gottheit Christi deshalb glaubt, weil dies eben der gegenwärtige Papst zu glauben befiehlt! Dabei ist doch für jeden, der noch einigermaßen bei Sinnen ist, sonnenklar, daß der päpstliche Primat niemals unser erstes Denkprinzip sein kann, weil er ja erst abgeleitet werden muß. Zuerst kommen wir doch im Glauben zu Erkenntnis, daß Christus Gottes Sohn ist. Damit wird die Hl. Schrift für uns zu einer absoluten Autorität. Dann lesen wir dort, daß Christus einst zu Petrus gesagt hat: "Weide meine Lämmer, weide meine Schafe!" Dabei erkennen wir gleichzeitig, daß hierzu etwa der Satz: "Meine Herde soll ein hirtenloser Haufen bleiben" im Widerspruch steht, d.h. die Wahrheit des ersten Satzes schließt die des zweiten aus. Aus der Betrachtung der Geschichte der Kirche, die vom Hl. Geist durch die Jahrhunderte geleitet wird, erkennen wir dann, wie Gott die Verwirklichung des Satzes: "Weide meine Lämmer, weide meine Schafe!" gewollt hat, die ja durch diesen Satz noch nicht in allen Einzelheiten bestimmt ist, und so kommen wir dann zu unserem Primatsbegriff, der also die Wahrheit von Schrift und Tradition voraussetzt. Ein Papst, der z.B. Worte Christi ändert oder eine neue Messe erfindet oder sich sonst gegen die Tradition irgendwie auflehnt, sägt doch den Ast ab, auf dem er sitzen möchte! Es ist nicht einzusehen, inwiefern Gott seine Freude daran haben soll, wenn jemand völlig blindlings, also ohne jemals die oben angedeuteten Gedankengänge in irgend einer Weise vollzogen zu haben, dem Papst in allem gehorcht. Christus um seines Stellvertreters willen nachzufolgen und zu gehorchen - so etwas wäre zur Zeit der Urkirche völlig undenkbar gewesen!
Wir setzen im übrigen bei unseren Lesern die Kenntnis dessen voraus, was Paul VI. vor einigen Monaten in Bezug auf Erzbischof Lefèbvre geäußert hat. Er sagte nämlich u.a.: "Man lehnt die Autorität von heute im Namen jener von gestern ab." (vgl. Mü. Merkur 1976/Nr.121) Er faßt also seine Autorität als etwas Absolutes auf und stellt sie sogar noch über die Autorität "von gestern", von der sie sich doch herleitet und der sie sich unterzuordnen hat. Papst Anicet wäre es seinerzeit nicht im Traum eingefallen, unter Berufung auf eine "Autorität von heute" den hl. Polykarp zum Gehorsam zu zwingen, stützte er doch seinen Standpunkt ebenfalls auf die Tradition Hier sieht man deutlich den Unterschied zwischen einem Papst, der seine Aufgabe darin sieht, die Tradition rein zu bewahren, und einem, der über die Tradition herrschen möchte und eben dadurch sich als "papa haereticus" zu erkennen gibt. Jeder Katholik sieht sich also nunmehr unerbittlich vor die Frage gestellt, welchem Christus er folgen will, dem "von gestern" oder dem "von heute". Hier muß man sich einfach entscheiden und es ist unmöglich, weiter auf beiden Beinen zu hinken. Die Dreiteilung der Kirche in eine triumphierende, eine leidende und eine streitende ist ja keine ewige, vielmehr gibt es am Ende nur noch eine triumphierende und dort regieren nun einmal Bischöfe wie der hl. Polykarp in alle Ewigkeit. Streben wir deshalb danach, Mitglieder jener Kirche zu werden, die ewig bestehen bleibt, und folgen wir dem Beispiel, das uns der "Lehrer Asiens" gegeben hat, der sich unbeirrbar zur "Autorität von gestern" bekannte! Wie richtig wir dann liegen, wenn wir uns den Biachof von Smyrna zum Vorbild nehmen, können wir aus dem Sendschreiben an die Gemeinde von Smyrna (Apok 2,8-11) ersehen, die als einzige der sieben Gemeinden ohne Fehl und Tadel vor dem erscheint, der "der Erste und der Letzte", also "die Autorität von gestern und von morgen" in einer Person ist und vor dessen Angesicht letztlich keine von dieser Autorität sich absondernde "Autorität von heute" bestehen kann!
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