PAUL VI. UND DIE LAGE DER KIRCHE
von Joachim May
Immer wieder ist in letzter Zeit in Flugblättern, Broschüren und in Privatäußerungen, deren Quellen meist unbekannt bleiben, davon die Rede, daß sich Paul VI. in Not befinde. Da wird behauptet, der "Papst" werde von seiner Umgebung in mannigfaltiger Weise hintergangen, man lege ihm keine oder falsche Nachrichten vor, informiere ihn nicht richtig, veranlasse ihn zu falschen Entscheidungen, er sei konfiniert (= "Gefangener des Vatikan"), ja sogar, er werde geschlagen und dem Einfluß von Drogen ausgesetzt. Freimaurer im Kardinalsgewand lenkten alles, seine verbalen Äußerungen als auch seine Entschlüsse, und was dergleichen Äußerungen mehr sind. Die abenteuerlichste Variante dieser Spekulation ist die: Wenn Paul VI. im Fernsehen oder in der Öffentlichkeit auftrete, dann sei das ein Double (= Doppelgänger), der auf Paul VI. kosmetisch zurechtgemacht sei.
Was damit gesagt werden soll, ist dies: Paul VI. ist für all das, was in der Kirche heute vor sich geht, nicht verantwortlich. Man gibt gerne die zahllosen Zerstörungen und Verfallserscheinungen in der nachkonziliaren Kirche zu, aber der "Papst'' soll ausgespart bleiben. Das geht nach dem Motto des III. Reiches: "Der Adi weiß das nicht" vor sich. Die Umgebung ist schuld. Der "Papst" leidet. Zu diesen weit verbreiteten Meinungen kann nicht oft genug Stellung genommen werden, treiben sie doch die, noch vom Herzen her gesehen, Rechtgläubigen total in die Irre und machen jeden Widerstand unmöglich.
1. Daß sich in der Kirche freimaurerisches Gedankengut zusehends ausbreitet, steht außer Zweifel (Vgl. Fritz Feuling, Die Freimaurer - unsere Brüder?, Miriam-Verlag, Jestetten 1975). Wer von den "katholischen" Funktionären (z.B. Bischof, Kardinal) effektiv Mitglied einer Freimaurerloge ist, weiß man nicht. Nach Ansicht Feulings ist es auch gar nicht entscheidend, ob von diesem Personenkreis jemand eingeschriebenes Mitglied einer Loge ist. Wichtig - und auch nicht zu bestreiten ist allein die Tatsache, daß freimaurerische Ideen schon weit in der Kirche an Boden gewonnen haben und dies jeden Tag mehr tun. Bestes Beispiel. Die zentrale Vorstellung der Freimaurer, daß es keine erkennbare, endgültige Wahrheit gebe, daß vielmehr alles relativ sei, ist ja in katholischen Professoren- und Klerikerhirnen weit verbreitet.
2. Die oben erwähnten Behauptungen über Paul VI. als Gefangenen des Vatikans würden, wären sie wahr, bedeuten, daß die katholische Kirche nicht mehr von einem Papst gelenkt und regiert werde, daß vielmehr Kurienmitglieder in Rom (und vielleicht hohe Funktionäre anderswo) de facto (nicht de jure) die Leitung der Kirche übernommen hätten. Sind sich diejenigen, die in Paul VI. einen "Gefangenen" sehen, darüber im klaren, was das bedeutet? Das heißt grundsätzlich nicht mehr und nicht weniger als dies: Der Papst wäre entmachtet, es gäbe viele "Päpste", die katholische Kirche wäre eine (wenn es auch nicht immer und jederzeit deutlich zutage tritt) zerfallene und weiter zerfallende Organisation schismatischen Charakters. Wollen das die Vertreter oben angeführten Meinungen über Paul VI. wirklich behaupten? Ohne einen gültig gewählten und rechtmäßig und wirklich amtierenden und handelnden und dem depositum fidei treuen Papst hat die katholische Kirche zumindest strukturell zu bestehen aufgehört. Ein Papst, der nur eine Marionette ist, ist nur noch de jure, aber nicht mehr de facte im Amt. Soll das behauptet werden, um die mäßigen Zerstörungswellen, die die Kirche seit Jahren erschüttern, der Umgebung Paul VI. anzulasten und diesen selbst für unschuldig zu erklären?
II. Unbestreitbar ist die im Zusammenhang mit dem letzten Konzil aufgekeimte Tendenz, den päpstlichen Jurisdiktionsprimat zu schwächen. Immer wieder ist in den letzten zehn Jahren beispielsweise eine Änderung des Papstwahlmodus von Theologen - und wohl auch von Bischöfen - gefordert worden - hin bis zur demokratischen Wahl des Statthalters Christi sogar durch das Volk von Rom. Die Kardinäle ab 80 Jahren wurden von Paul VI. selbst von der Wahl seines Nachfolgers ausgeschlossen. Andererseits hat Paul VI. erst vor kurzem an der Papstwahl durch die "Kardinäle" der Weltkirche festgehalten und somit demokratischen Tendenzen eine Absage erteilt. -
Eine zweite, durchaus geglückte Methode, die päpstliche Primitialgewalt zu schwächen, war das Zugeständnis größerer (rechtlicher) Kompetenzen an Einzelbischöfe (Ortsbischöfe) und besonders an die sogenannten "regionalen Bischofskonferenzen"! Diese haben sich inzwischen als Institution etabliert und arbeiten in machen Fällen, was ihnen auch vom Vatikan teilweise zugestanden worden ist, recht selbständig, um nicht zu sagen massiv (in Deutschland z.B. in Sachen der obligatorischen Einführung der "Neumesse"). Die "römischen Bischofssynoden", ebenfalls eine zwischen dem Einzelbischof und dem Papst aufgetauchte Einrichtung, die periodisch zusammenkommt, bedeuten nicht minder eine Schwächung der päpstlichen Gewalt.
Das Etikett, sehr publikumswirksam, unter dem diese Dezentralisierung läuft, heißt "Pluralismus" bzw. "Einheit in der Vielfalt", das auch Paul VI. wiederholt im Munde führte, der mit dieser Dezentralisierung durchaus einverstanden war und ist. Er kann niemals geglaubt haben, daß die Stellung des Papstes durch solche "Lockerungsübungen" keine Einbuße erleiden werden, und nur ein Narr kann annehmen oder behaupten, daß er sich über die Konsequenzen seines Tuns nicht im klaren gewesen oder zu diesem Tun gezwungen worden sei.
Daß es auch im Vatikan Parteien und Parteienwirtschaft gibt, ist selbstverständlich. Aber auch bei der Berufung in den Vatikan entscheidet Paul VI., und wenn er dabei überfahren worden wäre und wird, dann geht das zu seinen Lasten. Daß die von Paul VI. berufenen "Episcopi" einen "anderen Geist" haben, daß unter ihnen (z.B. von "Erzbischof" Descamps) sogar die Unsterblichkeit der Seele bezweifelt oder geleugnet wird, daß die durch "Kollegialität" und die genannten Zwischeninstanzen aufgewerteten "Bischöfe" aus der gewonnenen Freiheit einen cleveren Gebrauch machen, der keineswegs der Stärkung der "päpstlichen" Primitialgewalt dienen muß, kann nicht verwundern: Paul VI. sprach einmal von einem "Spalt", durch den der Satan in die Kirche eingedrungen sei. Er hat diesen Spalt selber geöffnet und ihn offen gehalten bis zum heutigen Tag. Seine Klage: ist unverständlich. Vielmehr muß er klar gesehen und gewollt haben, und sein pausenloses Anheizen des Ökumenismus (nur gelegentlich etwas gemildert) bis hin zum Kniefall vordem Stellvertreter des orthodoxen Patriarchen von Konstantinopel (Dezember 1975), lassen keinen anderen Schluß zu, als daß, de facto, die Funktion des Papsttums mit Willen Pauls VI. zu einem "integrierenden Präsidialpapismus" umgemodelt wird, bei dem jeweilige Vorsitzende nurmehr eine Vermittler- und Schiedsrichterrolle zwischen den zahllosen sich christlich nennenden "Kirchen" und Sekten und Denominationen ausübt, die im übrigen selbständig ihre eigenen Wege gehen, wobei der quantitativ kleinste Nenner, Jesus Christus, qualitativ zahllosen Auslegungen und Auffassungen offensteht.
Auch die "Liturgiereform" ist das Werk Pauls VI. Schon als Erzbischof von Mailand hat Giovanni Montini sich als eifriger Verfechter liturgischer Neuerungen hervorgetan. Er war durchaus Progressist. Die 1968 verabschiedete Liturgiereform, die freilich noch weiteren Veränderungen zugänglich ist, wurde gegen die Intentionen der Mehrheit der Konzilsväter von Paul VI. gebilligt. Die "Neumesse' paßt auch durchaus in das pluralistische Konzept Pauls VI. Da findet jeder etwas ... . Angesichts dieser Fakten und Überlegungen ist es schleierhaft, wie sich als konservativ betrachtende Personen und Gruppen immer wieder Paul VI. als unschuldig an der Misere und dem Chaos in der katholischen Kirche hinstellen wollen. Wollen denn jene Leute und Gruppen behaupten, die "Freimaurer" und "Apostaten" und Schwachgläubigen in der Umgebung Pauls VI. hätten den Hl. Geist, der doch grundsätzlich in besonderer Weise einem Papst beisteht, ausgespielt und übertrumpft? Wollen sie behaupten, die Maßnahmen, Worte und Verlautbarungen Pauls VI., auch die, die jenen Leuten und Gruppen nicht gefallen, seien nicht vom Hl. Geist gesteuert? Wollen sie behaupten, daß Paul V,., der schon vor Jahren bei der Wandlung "per tutti" (= "für alle") sagte, von nichts eine Ahnung habe?
III. Wir sind in der Lage, diese Vorstellungen in etwa zu korrigieren.
a) Im "Osservatore Romano" vom 12.9. 1975 (vgl. Einsicht" V(4)165, "Fels" 9,1975) wird auf ein Rundschreiben Kardinal Höffners (Köln) hingewiesen, in dem Höffner auch der verbreiteten Meinung entgegentritt, "die eingesetzten Kommissionen hätten weitgehend selbständig die neuen Texte geschaffen" (a.a.O.). Der Kölner "Kardinal" sagt ganz klar: "Der Hl. Vater hat die Beschlüsse der beratenden Gremien nicht etwa blind unterschrieben. Er hat sie aufs sorgfältigste durchgearbeitet. Keine Seite der Manuskripte, die in die Vatikanische Druckerei gegeben wurden, blieb ohne die handschriftlichen Korrekturen des Papstes." (Hervorhebung von uns).
b) Noch klarer und eindeutiger äußert sich Pfarrer A. von Raab-Straube in dem Rundbrief 28 von "Die Frau aller Völker" (Kirchlich empfohlene Vereinigung!). Er schreibt unter Bezugnahme auf umlaufende Flugblätter, besonders die, die sich auf Clemente Dominguez berufen und Paul VI. als "in Not" befindlich darstellen: "... . Die in diesem Flugblatt behauptete persönliche Situation von Papst Paul VI. ist mit Sicherheit falsch gezeichnet, wenn man ihn als den 'Gefangenen des Vatikans' schildert" (Hervorhebung von uns).: Und noch deutlicher und unmißverständlicher wird gesagt: "Ganz im Gegenteil hat der Papst, wie Kenner immer wieder übereinstimmend betonen die Zügel ziemlich fest in der Hand. Zum Vergleich sei seine umstrittene Ostpolitik angeführt, die aber zweifellos originär 'Paulinisch' ist. Auch die meisten seiner Enzykliken verraten unverkennbar seine höchstpersönliche Handschrift. Man hat Papst Paul VI. lange Zeit als eine Art 'Hamlet' gekennzeichnet. Die Wahrheit aber ist, daß er sehr gut zuhören kann, dann aber, nach gründlichem Überlegen, auch zu handeln weiß und handelt(!), und zwar sehr energisch (!!) ..." (Hervorhebung nicht im Original).
Vor kurzem hat der Schreiber dieser Zeilen eine Reihe erfahrener katholischer Priester verschiedener Ränge befragt, Priester, die von ihrer Erziehung und Ausbildung her, von ihrer Liebe und Treue zur Kirche her den Papst eher zu verteidigen bereit sind, rechtgläubig einer wie der andere. Sie erklärten übereinstimmend: Alle die Behauptungen vom behinderten, konfinierten, falsch informierten, belogenen Papst seien reine Schutzbehauptungen, damit Paul VI. nicht kritisiert werde, "wie er es verdient" (so wörtlich).
Wenn es immer noch nicht genügt, der höre, was Paul VI. zum Pariser Weihbischof Pezeril einmal sagte: "Manchmal lese ich, daß ich unentschieden, unruhig, ängstlich, unschlüssig zwischen verschiedenen Einflüssen sei. Vielleicht bin ich langsam, aber ich weiß, was ich will. Und schließlich ist es mein Recht, nachzudenken ..." (Die Zeit, 11.8. 1972 - Hervorhebung von uns).
IV. Die Position Pauls VI. und des Vatikans gerät aber durch einen anderen Vorgang in geradezu apokalyptische Perspektiven.
"Höher als die Peterskuppel" - so lautet die Schlagzeile einer Ausgabe des "Weser-Kuriers". Gemeint ist: In Rom, dem Zentrum der Christenheit, ist eine gigantische Moschee geplant, für die die Öl-Länder das Geld bereitstellen, und deren Kuppel mit 55 Metern die Kuppel des Petersdomes überragen wird. Von den sieben Minaretten, die an die sieben Hügel Roms erinnern sollen, "wird das höchste seine Halbmondbekrönung 80 Meter hoch (!) in den römischen Himmel halten." Ein zweites Minarett ist 70 Meter hoch, Brunnen und Wasserspiele sind eingeplant. Von der Auflage des Vatikans bei der Zustimmung zu dem Vorhaben, St. Peter dürfe in der Höhe und Sichtbarkeit nicht übertrumpft werden, hat der Architekt offenbar keine Notiz genommen.... Daß die Stadtväter Roms dieses Multimillionengeschäft ausschlagen könnten, wagt man nicht zu hoffen. Warum auch? Was sich hier dokumentiert, ist: Die nichtchristlichen Weltreligionen (und auch kleinere Sekten) dringen unaufhaltsam vor, während und weil die Anziehungskraft der katholischen Kirche rapide im Schwinden ist. Die anderen sind attraktiver und werden es jeden Tag mehr, und die St. Peter überragende Kuppel der geplanten Moschee hat mehr als symbolischen Aussagewert. Der Islam in Rom, die kommunistische Partei in der Stadt der katholischen Kirche stärkste Partei, freimaurerische Gedankengänge in der Kurie (weit) verbreitet - das ist das Ergebnis der Pontifikate Johannes des "Guten" und Pauls VI. "So war es nicht gemeint!" soll Johannes XXIII. gesagt haben als ihm nach dem Adschubej-Besuch die kommunistischen Jugendlichen auf dem Petersplatz mit roten Fahnen ein Ständchen darbrachten. Das einzige "Unternehmen", das Sicherheit und Halt gegen ungläubige, glaubensfeindliche, antichristliche Kräfte in den Jahrhunderten der Kirchengeschichte bot, die römisch-katholische Kirche, steht vor dem Bankrott, ja vor der Liquidation als Institution und weithin auch in der Substanz. Man glaubt in einem Tollhaus zu sein, wenn man angesichts dieser Situation immer wieder triumphalistische Laute von Bischöfen, Klerikern, Professoren und Laien über das "neue Pfingsten", den "Aufbruch zu neuen Ufern", die "Theologie der Hoffnung" u.a. vernimmt.
Angesichts dieser tödlichen Bedrohungen der katholischen Kirche, von denen Paul VI. Kenntnis haben muß (nur ein Wahnwitziger kann das Gegenteil behaupten), ist es sinnlos, Paul VI. in eine Märtyrerrolle hineinzudrängen, wie das vielfach geschieht. Daher setzen wir uns mit aller Entschiedenheit zur Wehr, wenn immer wieder der Versuch unternommen wird, Paul VI. auf Kosten seiner Umgebung, der man alles und jedes anlastet, reinzuwaschen!
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RÖMISCHE WARTE ("DT" vom 10.8.1976):
"Die Ordinierung von Frauen zu Priestern der anglikanischen Kirche würde nach den Worten Papst Paul VI. ein Hindernis und eine Gefahr auf dem Weg zur christlichen Einheit darstellen. Dies geht aus einem Briefwechsel zwischen dem Erzbischof von Canterbury und Primas der anglikanischen Gemeinschaft, Dr. Frederick Donald Coggan, und dem Papst hervor, der aus Anlaß der Generalsynode der "Church of England" in London veröffentlicht wurde." Anm. d.Red.: Keine Sorge,es gibt keine Hindernisse auf dem Weg zu dieser: "christlichen" Einheit. Man hat sich längst arrangiert: Natürlich werden Frauen demnächst "ordiniert" - sie sind doch gleichberechtigt, und das weiß der "Hl. Vater" doch!
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