SIE HABEN DEN DREIFALTIGEN GOTT GETÖTET
von Joachim May
(Fortsetzung)
Wer fühlt sich hier nicht an die Synodenvorlage ['Unsere Hoffnung ..." erinnert? Da ist doch Gott auch zu einem geschichtsmächtigen Prinzip aufgelöst, und das künftige Reich Gottes ist nichts anderes mehr als die Herstellung einer vollendeten Gesellschaftsordnung auf dieser Erde. Alle Bewegungen und Kräfte, die gesellschaftlichen Druck ausüben, alle zwischenmenschlichen Handlungen sind Gott. Der Mensch als Mensch, der Mensch in seiner Mitmenschlichkeit, impliziert Gott ... Gott wäre dann eine bestimmte Art von Mitmenschlichkeit (H. Braun). Gott ist ein "brauchbarer Begriff für alle möglichen zwischenmenschlichen Beziehungen", ein Begriff auch für Erfahrungen wie "Glück", "Befreiung", '"Freude" u.a.. Daß dieser Gott, auch in der Synodenvorlage nicht mehr der christliche personale, trinitarische Gott ist, ist klar. Dieser Gott ist bestenfalls nurmehr ein "Es", eine Kraft im Diesseits, zwischen den Menschen, eine Art Mitmenschlichkeit, das Jenseits ist leer.
Ohne den transzendenten Gott, der frei in das diesseitige Geschehen eingreifen kann und eingreift, der nicht zwischenmenschlich verfügbar ist, auf den vielmehr der Mensch optisch hingeordnet ist, wird der Mensch zum Nihilisten, der die Welt nicht nur u urteils- und gefühlsmäßig, sondern auch willentlich verneint. Daraus erwächst die Lust, alles Bestehende zu vernichten. Die anarchistischen Kräfte in unserer Zeit legen ein beredtes Zeugnis dafür ab. Schon im pausenlosen Zerstören aller gewachsenen Strukturen, in der Reformeuphorie ohne Sinn und Verstand, wird diese Lust an der Destruktion erkennbar. Die pausenlose Veränderung ohne wenigstens zeitweiliges Innehalten wird zum Prinzip: Veränderung um der Veränderung willen, hektisch, getrieben, sinnlos, weil der ruhende Pol in der Flucht der Erscheinungen fehlt, der Bezugspunkt, der alles entscheidet und ordnet, verlorengegangen ist, auch weitgehend in der katholischen Kirche, wo wir ja seit über einem Jahrzehnt eine wahre Reformflut erlebt haben und weiter erleben werden. Wenn die Synodenvorlage "Unsere Hoffnung ..." in die Praxis umgesetzt werden wird, wird die Veränderungseuphorie zur Zertrümmerung auch der letzten Festigkeit führen, das Ende kann nur ein total diffuses Chaos sein.
IV. Für den Einzelnen bringt der Verlust des personalen, trinitarischen Gottes auch noch andere Folgen mit sich, die das nackte Entsetzen signalisieren. Der Irrglaube, der autonome Mensch könne mit Hilfe der Humanwissenschaften alle Phänomene des Menschen und der Welt szientistisch erfassen und erklären, ist am Ende angelangt. Zu Ende ist auch der reine Monismus moderner theologischer Halbgötter wie Küng, und das Kuriose ist, daß dieses Ende nicht von metaphysischen Philosophen, auch nicht von modernen Theologen eingelautet wurde, sondern von Dichtern, Medizinern und Anthropologen, also Humanwissenschaftlern.
a) Der Einbruch des Atheismus in Christentun und katholische Kirche ist "seit langem mit seherischer Schärfe und mit wissenschaftlicher Akribie prognostiziert worden. Man erinnere sich an die Vision Jean Pauls, der den toten Christus vom Weltgebäude herab den Menschen zurufen läßt: 'Wir sind alle Waisen, ich und ihr, wir sind alle ohne Vater'. 'Diese dichterische Vision ist kein reines Phantasiegespinst eines frühromantischen Dichters. Sie ist vielmehr aus der divinatorischen Einfühlungsgabe eines für die Möglichkeiten der Neuzeit besonders sensiblen Geistes erwachsen, der mit dieser Möglichkeit genauso rechnet wie Paulus mit der Möglichkeit der Leugnung der Auferstehung innerhalb der christlichen Gemeinden. Dazu läßt sich heute nur feststellen. Was Jean Paul in einer schreckhaften Vision voraussah, ist eingetroffen. Christen lassen sich ihren Unglauben von Jesus selbst bestätigen" (Scheffczyk, S. 127).
b) Eine andere Perspektive ähnlicher Art entfaltete Heinrich Heine vor mehr als hundert Jahren. "Wenn wir die Dienstbarkeit bis in ihren letzten Schlupfwinkel, dem Himmel, zerstören, wenn wir Gott, der auf Erden im Menschen wohnt, aus seiner Erniedrigung retten, wenn wir die Erlöser Gottes werden, wenn wir das arme, glückenterbte Volk und den verhöhnten Genius und die geschändete Schönheit wieder in ihre Würde einsetzen, wie unsere großen Meister gesagt und gesungene und wie wir es wollen, wir, die Jünger ..." - dann, wenn Gott durch den sich autonom setzenden Menschen "erlöst'' worden ist, ist die irdische Vollkommenheit angebrochene aber nur dann und erst dann. Nietzsche hat diese Proklamation von der Notwendigkeit, Gott durch den Menschen "erlösen" zu lassen, durch die von ihm vollzogene Hinrichtung Gottes realisiert.
c) In seinem Roman "Oblomow" hat der russische Schriftsteller Gontscharow das Schreckgespenst Langeweile (=leere, nichterfüllte "Zeit" der Seele) im 1,. Jahrhundert deutlich gemacht, hinter dem ein tödliches Nichts auftaucht.
d) In Dostojewski "Dämonen" sagt der Nihilist und Atheist Kirilloff einmal: ''Es gibt Gott nicht, aber er ist da." "Gott ist ein Nichts, aber ein Nichts,- das sehr wirksam ist", stellte Leo Scheffczyk dazu fest. Gott ist demnach "der Schmerz der Angst vor dem Tode, wie Kirilloff weiter sagt. Folgt denn auf den Tod das Nichts? (vgl. Leo Scheffczyk, Gott-loser Gottesglaube?)
e) Der Kardiologe Professor Dr. Grosse-Brockhoff sagte vor einigen Jahren, "die besondere Anfälligkeit der Großstadtbewohner für Herz- und Kreislaufkrankheiten sei nicht so sehr Folge der Technik und des 'Fortschritts' als des Zeitgeistes'', mit anderen Worten. Es handelt sich nicht in erster Linie oder keineswegs immer um ein medizinischwissenschaftlich diagnostizierbares Phänomen, sondern um ein paramedizinisches. Wörtlich: "Das Schreckgespenst der intellektuellen Schichten des 1. Jahrhunderts, die Langeweile (!), ist auch heute noch lange nicht gewichen. Nur haben die Menschen des technischen Zeitalters es verstandene die aufkommende Leere der Seele virtuos zu verdecken. Das ist vielleicht die folgenschwerste Selbsttäuschung unserer Epoche. Und in der Hast und in der Tarnung des wahren Seelenzustands wird der Körper in einen andauernden und rücksichtslosen Kampf widerstrebender Gefühle gestellt. Hier wird er bis ins Herz getroffen" (zitiert nach Fels, 1/1976).
f) In modernerer Zeit hat der Humanwissenschaftler Hermann Friedmann, unter Rückgriff auf Pascal, die Phänomene "Langeweile" und "Nichts") in eine Perspektive gestellt, die erschreckend ist. "Es gibt Sachverhalte, die sowohl physiologisch als auch pathologisch sehr realer Natur sind und von der Psychologie nicht gedeckt werden. Sie sind bereits jenseits der Psychologie und deuten mindestens eine Grenze der Psychologie an ... Die medizinische Anthropologie steht heute im Begriff , eine metaphysische Spekulation Pascals ... diagnostisch ... zu benutzen. Pascal hat den Begriff der 'Langeweile' (L'ennui) - dem anscheinend so trivialen Begriff - eine überraschende metaphysische Tiefe verliehen. Die 'Langeweile' ('ennui') bedeutet ihm nicht bloße 'Leere', sondern das transzendente Nichts, das hinter allen Leben und Erleben lauerte das Leben ergreift und es - zerstört. Die Redensart 'tödliche Langeweile' ist ihm tiefster Ernst, sie ist ihm 'tötende' Langeweile, im medizinischen Sinne tötend. Für Pascal ist sie der tiefste Grund menschlichen Elends - und für den anthropologischen Mediziner neuerdings höchste Lebensgefährdung. In mehreren Publikationen hat Professor Herbert Plügge, der Direktor der Heidelberger Poliklinik, sie neuerdings dargestellt. Es gibt ein Krankheitsbild, das - häufiger als man glauben möchte - als ein typischer Verlauf in Erscheinung tritt. Der Patient, im übrigen anscheinend eine normale Person, die ihren Berufspflichten nachgeht und deren Gebaren nichts Auffälliges zeigt, läßt es auf einmal an der durchschnittlichen Sorgfalt fehlen und weist eine Reihe von Fehlleistungen auf. Eine Mutter etwa verbrüht auf einmal beim Baden ihr Kind, bald darauf führt ihre Unachtsamkeit gegen sich selbst zu einer Fehlgeburt usw. Und schließlich verübt sie Suizid, sie nimmt sich das Leben. Gegen diesen - wie gesagt typischen Ablauf - gibt es, so scheint es, keine Abwehr. Weder die Beratung durch den Arzt noch der eigene Wille des Patienten scheinen hier etwas auszurichten. Der - doch seiner geistigen Haltung nach im allgemeinen von Metaphysik unbeschwerte - Arzt kann nicht umhin, dem Metaphysiker Pascal beizupflichten, daß es das hinter allem Leben stehende vernichtende 'Nichts' (Le Néant) sei, das hier nach dem Menschen greift. - Mit dem Freudschen "Todestrieb" bringt man hier keine Erklärung bei, da es sich hierbei nicht um einen "aus der Seele aufsteigenden 'Trieb', ... also um nichts Psychologisches" handelte "was den Menschen zerstört, sondern um eine transzendente Macht, der das menschliche Wesen verfällt". Wer denkt hier nicht sofort an den Nihilismus? (von lateinisch nihil - nichts). Wenn der Mensch, der optisch angelegt ist auf seinen Schöpfer hin, seinen Horizont auf das Diesseits verengt, wenn er alle Transzendenz abschneidet, wenn er Gott erschlägt und ihn immanentisiert - dann entsteht ein Hohl- und Leerraum, das Nichts. Wenn die Transzendenz, die wesenhaft zum Menschen gehört, leer ist, greift sie nach ihm als Nichts und tötet ihn. Daß es keine humanwissenschaftliche Erklärung dafür gibt, ist ein schlagender Beweis für die Begrenztheit alles monistischen Denkens, und auch dafür, daß dem Menschen letzter Sinn und letzte Erfüllung nur zuwacheen, wenn die Transzendenz erfüllt ist - mit Gott, dem trinitarischen Gott, von dem aus erst alle menschlichen Handlungen als sittlich gut oder sittlich böse einzustufen sind, von dem aus christliche Moral erst ihren Sinn nicht als Weltverneinung, sondern als Weg zur Weltüberwindung erfährt das Himmlische mehr lieben als das Irdische.
V. Nietzsche entwarf nach dem von ihm proklamierten "Tod Gottes" eine Diesseitsreligion. Dasselbe tun die Verfasser der Synodenvorlage "Unsere Hoffnung ...", dasselbe tut Küng, dasselbe tun all jene modernistischen Theologen, die heute als "führend" bezeichnet werden (z.B. Hasenhüttl). "Wenn ich nicht verstehe, dann bete ich nicht" - dieser Satz wird von Kardinal Kercaro überliefert (Raffalt, Wohin steuert der Vatikan?)". Gott wird als die in der Menschheitsgeschichte zum Austrag kommende Funktion zur Steigerung des Humanum verstanden, deren Wirkung einfach heißt: 'Höhere Humanität'. Hier geht Gott in der als Totalsubjekt verstandenen Menschheit, in deren Geschichte und im Prozeß der höheren Hominisation auf. Es gibt keinen 'Gott an sich' und keinen 'Gott in sich' mehr ..." (Scheffczyk, a.a.O.) Damit wird der Mensch in eine letztliche Sinnlosigkeit geführt und in schauderhafter, verantwortungsloser Weise betrogen und getäuscht. Auch wenn Theologen glauben, die Zukunft gehöre dem Unglauben (vgl. Cornelis, Miskotte, Wenn die Götter schweigen), auch wenn sie verkünden, die "Sache Jesu" gehe weiter auch nach dessen endgültigem Tods auch wenn sie von einem totalen Bewußtseinswandel sprechen sie sind eben selber Kranke, und als solche völlig ungeeignet, der kranken Menschheit als Helfer und Heiler zu dienen. Die Synodenvorlage "Unsere Hoffnung ..." ist Dokument von Kranken, von, gemessen am christlichen Credo, Schwach- und Ungläubigen, die ("Die Synode ist beendet - die Synode beginnt!") ihre Schwach- und Ungläubigkeit nunmehr in die Masse des Volkes hineintragen werden als innerweltliche Heilslehre, die den optisch gottbezogenen Menschen immer unbefriedigt, leer, ohne Sinnerfüllung lassen muß. Der Mensch kann sich nur mit Gott entfalten, niemals ohne oder gegen ihn, mit dem trinitarischen Gott, der in unzulänglichem Lichte wohnt. Das entscheidende Wahrheitskriterium ist um keinen Preis die Macher-Mentalität, nicht die Mitmenschlichkeit, nicht das Gott Auf-die-Schulterklopfen, nicht die Verdiesseitigung Gottes, sondern die Anbetung des Allmächtigen. Ohne sie wird der Hirte der Herde zu einem Mietling, werden Theologen aller Disziplinen zu antichristlichen Vortänzern, wird ein Kult des närrischen Zweifels und des Wirrwarrs etabliert. Aber - und das ist das Bedrückende auch an der Synodenvorlage "Unsere Hoffnung ..." - die berufsmäßigen Killer Gottes füllen, ihre Kader von Tag zu Tag, dringen auch in unserer Kirche in immer mehr Positionen ein, züchten ihren Nachwuchs ungehindert heran. Sind sie nicht auch auch schon in die Gotteshäuser eingedrungene wie jener tollgewordene Mann Nietzsches, um Gott ein Requiem zu singen? "ICH SEHE DIE FLUT DES NIHILISMUS STEIGEN." So rief Friedrich Nietzsche vor weniger als hundert Jahren von einem Fels des Engadins. Und die Flut stieg und stieg ... Kein Zweifel Nietzsches "Botschaft" vom Tode Gottes ist heute angekommen. Nachdem er seine Tat vollbracht hatte, hatte er sie gepriesen als größte und schrecklichste Tat der Weltgeschichte und ausgerufen "Dieses ungeheure Ereignis ist noch unterwegs und wandert." - "Ist es unzutreffend zu sagen, daß dieses Ereignis heute eben auch bei den Menschen innerhalb der christlichen Kirche angekommen ist? Bis zu unserer Gegenwart hin konnte man Nietzsches Erschrecken vor diesem ungeheueren Ereignis als etwas überzogenen literarischen Ausdruck verstehen, der von einem Christen nicht wirklich nachenpfunden zu werden brauchte und vielleicht gar nicht nachempfunden werden konnte. Angesichts des heutigen Aufbruchs des Atheismus im Christentum können wir Nietzsches Ausruf erst recht verstehen und nachvollsiehen. Und das ist gut so, weil dieser realistische Nachvollzug und der damit verbundene Schmerz reinigend wirken können" (Scheffczyk, S. 128) Die schwach- und ungläubigen, Macher, ob Theologen oder Laien, und auch ihre bischöflichen Zustimmer könnten von Nietasche lernen, wenn sie!wollten. Dieser hatte Gott totgeschlagen und jubelte: "Das Heiligste und Mächtigste, was die Welt bisher besaß, es ist unter unseren Messern verblutet ... Welche Sühnefeiern, welche heiligen Spiele werden wir erfinden müssen? Ist nicht die Größe dieser Tat zu groß für uns? Müssen wir nicht selbst zu Göttern werden, und nur ihrer würdig zuerscheinen? Es gab nie eine größere Tat - und wer nur immer nach uns geboren wird, gehört um dieser Tat willen in eine höhere Geschichte, als alle Geschichte bisher war!" (Fröhliche Wissenschaft). Im Anhang zu diesem Buch verfaßte er ein Gedicht "An Goethe", in dem es heißt. "Das Unvergängliche ist nur ein Gleichnis! Gott der Vergängliche, ist Dichter-Erschleichnis .. Welt-Rad, das rollende, streift Ziel auf Ziel: Not - nennts der Grollende, der Narr nennts - Spiel ... Welt-Spiel , das herrische mischt Sein und Schein. - Das Ewig-Närrische mischt uns hinein! ..."' Jubel, Hochmut, Spott, Ironie - ihrer aller und der Tötung Gottes wurde Nietzsche zeit seines Lebens nicht froh. Spätere Auslassungen zeugen davon, daß er an der Ermordung Gottes litt, daß er letzten Endes von Gott nicht loskam, wie kein Mensch, auch unserer Tage, den "Tod Gottes" als "Befreiung", als Glück, als Erfüllung empfinden kann. Eine Zeitlang mag es vielleicht so scheinen, als brauche der Mensch, die Menschheit keinen transzendenten Gott, als genügten Ersatzkonstruktionen, als könne er, Macher, der er zu sein meinte alles und jedes selber, als sei die Leugnung seiner Gebote lediglich Abwerfung lästiger Fesseln, die den autonomen Menschen hemmen. Aber das ist nur Mode, und wie jede Modeerscheinung, wird sie vergehen. Gott bleibt der Ewig-Seiende, und so kann man nur mit Erschütterung lesen, wie Nietasche nach der Vertreibung Gottes gegen Lebensende klagt: "... - Nein! Komm zurück. Mit allen deinen Martern! Zum letzten Einsamen o komm zurück! All meine Tränenbäche laufen zu dir den Lauf! Und meine letzte Herzensflamme - Dir glüht sie auf! 0 komm zurück, mein unbekannter Gott! Mein Schmerz! Mein letztes - Glück!"
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