DAS PROGRAMM
von Reinhard Lauth
Aus einem vor der Revolution geschriebenen Brief des Aufklärers d'Alembert an den Prinzen Ludwig von Württemberg (späterem Herzog):
"Sie können uns helfen, eine Unternehmung zuende zu bringen, mit der wir schon seit mehreren Jahren umgehen. Es geht darum, alle Köpfe zu reformieren. Sie zweifeln nicht daran, daß unsere Absichten weise und unsere Ziele groß sind. Es geht um das Glück der Menschheit, und alles bestätigt uns, daß es dem Jahrhundert, in dem wir leben, vorbehalten ist, diese Epoche heraufzuführen. Um eine weltweite Sinnesänderung herbeizuführen, brauchen wir einzig die Vernunft des Menschen. Vernunft und Natur, das sind die Götter der (Aufklärungs)Philosophie. Machen wir unsere Mitmenschen glücklich, stürzen wir die Vorurteile der Nationen; ersticken wir eine Religion (d.i. die katholische), die barbarisch ist und die Gesellschaft schädigt. (...) Unsere richtig verstandenen Grundsätze gestatten es uns, uns über alles hinwegzusetzen; und könnten wir böse und verderbt werden, so würden sie dann unsere Gewissensbisse zum Verstummen bringen, die ja doch nur eine unnütze Qual kraftloser Seelen sind, die zu nichts taugen.
(...) Nur diejenigen haben Genie, die mit einer sicheren und kühnen Hand die Stufen des Thrones untergraben, während sie mit der anderen den Grund zu einer Universal-Republik legen (...) Das Wenigste, worauf die Aufklärungs(Philosophie) ausgehen muß, ist früher oder später die Altäre (...) umzustürzen. Von dergleichen Dingen kann man nur bei verschlossenen Türen reden. (...)
Es bleibt immer ungewiß, ob es einem gelingen wird r ein Reich zu erobern. Es hängt immer vom Glück und den Umständen ab. Aber unsere Herrschaft wird allein durch den Geist begründet. (....) Das persönliche Interesse, das Vergnügen, die Freiheit, sehen Sie, das sind unsere Kohorten und Legionen. Und welche Macht könnte so mächtig befehlenden Waffen widerstehen? Übrigens ist "alles wagen und nichts fürchten" unsere Devise. Wir scheinen ganz isolierte Bürger zu sein; aber in Kurzem sind wir die Könige, und dann wird sich alles nur nach unserem Willen bewegen. Um sich einen richtigen Begriff von unserer Macht zu machen, müßte man fähig sein, die Kraft des Genie, der Leidenschaften und des Wunsches nach Unabhängigkeit zu berechnen.
Ja, wenn unsere Aktionen nicht durchkreuzt werden und man uns nur noch zehn Jahr läßt, zu bestimmen, wer literarisch an erkannt wird, so werden wir, das behaupte ich, nicht mehr vernichtet werden können, sondern dann wird jeder abergläubische Kult (d.i.'vor allem: der katholische Kult) aus Frankreich verbannt sein; und wenn doch ja das Volk eine Religion haben muß, so werden wir eine tolerantere und bequemere einführen."
(Übers. aus Proyat, Louis XVI détrôné avant d'être Roi. Mannheim 1800, S . 89 fg.)
Zu vergleichen mit Joh. Erich Biester in der Neuen Berlinischen Monatsschrift vom 1. Jan. 1801.
"Ein deutscher Dichter unserer Zeit sagt:
Lächelnd wog in der Hand ein römischer Pfaff die Oblaten. Welchen, sprach er von euch, Dingelchen, mach' ich zum Gott?
Auch, die Verkehrtheiten des menschlichen Verstandes sind sich allenthalben gleich. Aber diese Verkehrtheiten werden nicht dadurch ausgerottet, wenn man die Bäume mit andern Rinden und Blättern bekleidet. Bei der Wurzel fange man an; man gebe ihr einen reineren Boden, man verschaffe ihr bessere Säfte, so wird sie edlere Früchte treiben. Wenn nicht der Verstand der Menschen aufgeklärt (...), ein würdiger Begriff von der Gottheit bei ihnen entwickelt wird, so hilft der beste Kultus nichts; sie stehen doch immer der Täuschung jedes Gauklers offen. Hat man hingegen nach und nach ihr Inneres veredelt, so braucht man weder Windmühlenflügel und Kaffetrommeln, noch Bildsäulen und Hostien zu zertrümmern. Das Äußerliche wird dann keinen Schaden mehr wirken: eine Zeitlang wird es noch als alte Sitte fortbeobachtet, wobei sich doch auch mancher gute Gedanke anbringen läßt (denn wo ließe sich das nicht, Dank sei der glücklichen Biegsamkeit des menschlichen Vorstellungsvermögens!); bis es endlich, wenn es gar zu schaal und abgestanden ist, durch eine neue Liturgie ersetzt wird."
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