Buchbesprechung:
Denker des Absoluten
Die katholischen Schriftsteller Léon Bloy und Nicolás Gómez Dávila
Biographica im eigentlichen Sinne sind die beiden hier vorzustellenden Bände nicht. Eher schon darf man Till Kinzels Büchlein über den kolumbianischen Philosophen Nicolás Gómez Dávila und Alexander Pscheras Porträt des in Deutschland weithin in Vergessenheit geratenen französischen Autors Léon Bloy als politiko-historische Verortungen bezeichnen. Wobei Gómez Dávila, der "Parteigänger verlorener Sachen", wie Kinzel ihn nennt, zwar gut vier Jahre vor Bloys Tod 1917 geboren wurde, aber allein dadurch keineswegs in irgendeiner Nachfolge des ältesten der "vier Kirchenväter des zwanzigsten Jahrhunderts" (vor Peguy, Claudel und Bernanos) steht.
Nicolás Gómez Dávila wurde am 18.Mai 1913 in Santafé de Bogotá als Sohn eines Bankiers und Teppichhändlers geboren. Als Kind zog er mit seinen Eltern nach Paris, besuchte dort eine Schule der Benediktiner und verbrachte seine Sommerferien in England. Eine schwere Lungenentzündung zwang ihn in dieser Zeit zwei Jahre im Bett zu verbringen. Von Langeweile geplagt lernte er die klassischen Sprachen und entwickelte eine ausgeprägte Sucht nach jeglicher Art von Lektüre. Im Alter von 23 Jahren kehrte er nach Kolumbien zurück. Abgesehen von einer sechsmonatigen Europareise mit seiner Gattin Maria Emilia Nieto, hat Gómez Dávila bis zu seinem Tod das Land nicht mehr verlassen. Die Welt, in der zu reisen sich lohne, gebe es ohnehin nur noch in alten Reisebeschreibungen, kommentierte er seine mobile Unlust.
Die meiste Zeit seines Lebens verbrachte er in seiner immensen, 30.000 Bände umfassenden Bibliothek. Hier las und schrieb er und hier entstand auch sein erstes Buch als Privatdruck in einer winzigen Auflage von ca. 100 Exemplaren. Als man ihm nach der Militärdiktatur 1958 den Posten eines Präsidentenberaters anbot, lehnte er dies ebenso ab wie 1974 das Angebot als kolumbianischer Botschafter nach London zu gehen. Vielmehr zog er das Leben mit seiner Familie und die Gespräche mit einem kleinen Freundeskreis politischen Aktivitäten vor. "Klarsichtig, ein schlichtes, verschwiegenes Leben führen, einigen wenigen Geschöpfen in Liebe zugetan" nannte er diese Lebensform.
Gómez Dávilas Aphorismen und Texte sind von geradezu schneidender Schärfe. Als philosophischer Reaktionär weiß er dabei um seine Einsamkeit auf verlorenem Posten. Während der Nationalist gemeinsame Sache mit dem Volke macht und der Konservative - frei nach Spengler - versucht Werte zu schaffen, die zu erhalten sich lohnt, erkennt der Reaktionär wie die Entzauberung der Welt mit Riesenschritten fortschreitet und von links bis rechts und oben bis unten alle Lager, Klassen und Schichten an der tiefgreifenden Verderbnis des Menschen teilhaben. "Mit meinen Landsleuten von heute habe ich nur den Reisepaß gemeinsam" notiert Gómez Dávila daher.
Der vermasste Mensch der Moderne hängt gnostischen Ideen an und glaubt an seine Selbsterlösung. Wenn er jedoch die Realität der Sünde leugnet und sich gefährlichen Illusionen über die vermeintliche Güte des Menschen hingibt, wird er für Gómez Dávila zu einem Wesen, dessen Existenz absurd ist. Es ist der Glaube an die Erbsünde und an die Souveränität des allmächtigen Gottes, die die theologische Fundamentierung dieses Denkens ausmacht. Autorität Gottes oder Autonomie des Menschen, dazwischen gibt es nichts. So bedeutet Reaktionär zu sein für ihn in erster Linie die Verteidigung des Christentums gegen seine Verächter und Verderber, um schließlich zu begreifen, "dass der Mensch ein Problem ohne menschliche Lösung ist" und nur in seiner Hinordnung auf Gott überhaupt verstanden werden kann: "Der Mensch ist nur wichtig, wenn Gott zu ihm spricht, und während Gott zu ihm spricht".
Das ist in der Tat politische Theologie von hohen Graden, die an einen Juan Donoso Cortés heranreicht. Der unergründliche Schöpfergott als unabweisbares Zentrum jeglichen ernsthaften Denkens steht für Gómez Dávila völlig außer Frage. Alles andere wäre reine Torheit: "Es gibt keine Dummheit, an die der moderne Mensch nicht imstande wäre zu glauben, sofern er damit nur dem Glauben an Christus ausweicht". Ist das Christentum erst einmal verschwunden, "erfinden Habsucht, Neid und Geilheit tausend Ideologien, um sich zu rechtfertigen". Zwar ist der Mensch von Natur aus ein religiöses Wesen, weshalb der Atheismus auf Dauer nicht siegreich sein kann, doch die Verleugnung der Idee Gottes führt unweigerlich zur Götzenverehrung, und die von den Göttern verlassenen Altäre werden bekanntlich von Dämonen bevölkert.
Diese Einsicht führt Gómez Dávila, dessen Denken Martin Mosebach als "katholische Philosophie der Desillusionierung" bezeichnet, dazu, im Katholizismus seine eigentliche Heimat zu sehen. Umso schärfer fällt seine Kritik am Zweiten Vatikanischen Konzil und dessen unseligen Folgen aus. Zwei Jahrhunderte hatte der kolumbianische Klerus gegen eben jenen Modernismus gekämpft, der nun durch das Konzil offiziell in die Römisch-katholische Kirche eingeführt wurde. Gómez Dávila beklagt nicht allein das Verschwinden der lateinischen Sprache aus der Liturgie, er sieht als katholischer Traditionalist im Rituellen geradezu ein Vehikel des Heiligen, das durch die sogenannten Reformen entweiht wurde: "Wer einen Ritus reformiert, verletzt einen Gott!" Mit der Betonung der menschlichen Natur Christi, der Anpassung an den Zeitgeist und der Versöhnung mit der Welt entledigt sich die modernistische Theologie der Göttlichkeit Christi und endlich der Existenz Gottes selbst. Das Christentum wird zum humanitären Agnostizismus mit lediglich christlichem Vokabular.
Ebenso hart fällt Gómez Dávilas Kritik der politischen Linken aus, die nach seinen Worten zwar nicht morde, aber immer lüge. Nehme sie jedoch die Wirklichkeit in den Blick, bestehe noch Hoffnung: "Der überzeugteste Reaktionär ist der reuige Revolutionär, das heißt, derjenige: der die Realität der Probleme kennengelernt und die Lügenmärchen der Lösungen erkannt hat". Er muß allerdings zunächst verstehen lernen, daß der Gegensatz zum Despotismus nicht der Liberalismus oder die Demokratie ist, sondern die Autorität. Christentum und Demokratie sind daher Gegensätze, die sich auf den fundamentalen Unterschied zurückführen lassen, daß der Christ an Gott, der Demokrat aber an den Menschen glaubt. So kann der Reaktionär zwar Krankheit und Gesundheit der Gesellschaft diagnostizieren, der einzige Therapeut jedoch ist Gott. Gómez Dávila, der als "Parteigänger verlorener Sachen" gewohnt war, in der fahlen Dämmerung des Niedergangs zu leben, starb am 17.Mai 1994 - einen Tag vor seinem 82. Geburtstag - in Bogotá.
Alexander Pscheras in der gleichen Reihe erschienener schmaler Band über Leon Bloy, den "Pilger des Absoluten", stellt dagegen einen Autor vor, der seine Jugend in Périgueux, wo er am 11.Juli 1846 geboren wurde, in wachsender religiöser Indifferenz verbrachte. Mit seiner Übersiedlung nach Paris wandelte sich diese gar in einen aggressiven Atheismus. Erst die Begegnung mit dem großen französischen Traditionalisten Barbey d'Aurevilly und die ersten Heimsuchungen des Elends führten ihn im Alter von 23 Jahren zum Glauben zurück. Mit dem Glauben erwachte das Bewußtsein seiner Berufung zum "promulgateur de l'Absolu", der er nun immer ausschließlicher sein ganzes Dasein und künstlerisches Schaffen unterwarf. Sein Schriftstellertum war damit jedoch in einer Welt des Relativismus zur Erfolglosigkeit verurteilt; die damit verbundene physische Armut, das totale Elend ertrug er bis an sein Lebensende. Unter dem Eindruck der apokalyptischen Ereignisse des Ersten Weltkrieges starb Léon Bloy am 3. November 1917 in Bourg-la-Reine im Kreise seiner Familie.
Es liegt in der Natur religiösen Schriftstellertums (im Sinne Kierkegaards), insofern es durch das eigene Dasein Zeugnis ablegen will, daß das literarische Werk Bloys in großem Umfang Selbstdarstellung ist. Bereits seine früheren Essays und Bücher über Christoph Columbus und Marie Antoinette wirkten durch die Unmittelbarkeit der persönlichen Aussage. Noch stärker schlägt dieses Persönliche durch in der Sprache seiner Pamphlete, wo er als Künder des Gerichtsspruchs spricht, den Gott über seine Zeit gefällt hat, so in der antibürgerlichen Polemik gegen die Moral und Religion der Mediokrität: "Exegese der Gemeinplätze". Auch die Romane "Der Verzweifelte", über die Begegnung mit Anne-Marie Roulé, einem von Bloy bekehrten Straßenmädchen, das nach apokalyptischen Visionen dem Wahnsinn verfiel, und "Die Armut und die Gier" sind kaum verschlüsselte Darstellungen seiner extrem schwierigen Lebensumstände, doch gleichzeitig überhöht durch großartige Entwürfe einer symbolischen Weltschau.
Die ganze Dimension seines absoluten, unbürgerlichen Katholizismus äußert sich jedoch in Berichten, Betrachtungen, eingestreuten Briefen, Aufsätzen und Entwürfen in Bloys Tagebuchwerk. Dabei ist sein religiöses Denken keineswegs durch eine reflektierte theologische Konzeption geprägt, sondern eher von dem Grundmotiv im französischen Volke das Bewußtsein seiner besonderen Berufung als Vorkämpfer für die Christenheit zu wecken. Nur so ist auch ein Buch wie "Die Seele Napoleons" zu verstehen, wo historische Zusammenhänge erst durch ihre geschichtstheologische Ausdeutung ihre tiefere Wahrheit offenbaren.
Schon zu seinen Lebzeiten hat Bloy durch seine Freunde großen Einfluß auf die katholische Erneuerungsbewegung "Renouveau catholique" gehabt, die als eine der wichtigsten gegen-aufklärerischen Strömungen des 19. und 2O.Jahrhunderts dem positivistisch-rationalistischen Denken die Ordnung des Göttlichen entgegensetzte. So stand er am Anfang zahlreicher Konversionen wie der von Jaques und Raissa Maritain. Er, den man auch den "christlichen Céline" nannte, wütete kompromißlos gegen seine Zeitgenossen, die Journalisten, die Reichen, die Protestanten ("stinkende Lutheraner"), gegen England ("das schmutzigste Volk der Erde"), gegen die religiöse Dekadenz eines modernisier-ten Katholizismus und gegen seine Schriftstellerkollegen. Als einer der "großen Polemiker der Weltliteratur" (Alexander Pschera) plagte ihn der Durst nach Absolutem in einer Gesellschaft, in der er vor allem eins vermißte: "christlichen Heroismus". Für die Demokratie hatte er nicht allzuviel übrig, vielmehr stellte er sich bewußt auf die Seite der Autorität: "Es ist ganz sicher, daß bis zur Herabkunft des Heiligen Geistes, der das Angesicht der Erde erneuern wird, die Menschen im allgemeinen mit dem Stock beherrscht werden müssen - sei dies der Knüppel eines Bandenchefs oder ein Bischofsstab".
In der Affaire um den jüdischen Hauptmann Dreifus, einem patriotischen Franzosen, der wegen angeblicher Spionage angeklagt und verurteilt wurde, schlug Bloy sich weder auf die Seite der bornierten Antisemiten noch der heuchlerischen Philosemiten. Vielmehr sah er sich außerhalb jener "Schweine-Gesellschaft", als deren intellektuellen Protagonisten er seinen Intimfeind Emile Zola ausmachte, der die Justiz hart attackiert hatte. Bloy selbst stand dem in Frankreich der Dritten Republik verbreiteten Antisemitismus eher ablehnend gegenüber. In einem seiner Hauptwerke "Das Heil durch die Juden" schildert er aus der Sicht einer mystischen Theologie die heilsbringende Rolle der Juden, indem er ihre besondere Rolle nicht als Mörder Christi, sondern als Bedingung für die Erlösung der Menschheit erkennt. Der Weg zur Wahrheit führt notwendigerweise durch den Abgrund.
Bloys Absolutheit und Kompromißlosigkeit sind auch als Reflex auf den Absolutheitsanspruch der Französischen Revolution zu verstehen, die die Menschenrechte und die Demokratie an die Stelle der göttlichen Ordnung setzte. Die Niedertracht der Revolution, die den Pöbel an die Macht brachte und selbst vor einem Völkermord an den katholischen, royalistischen Bauern in der Vendeé‚ nicht zurückschreckte, ekelte ihn: "Alles, was nicht durch und durch katholisch ist, hat kein anderes Recht als zu schweigen, und es ist kaum würdig, die Nachttöpfe eines Krankenhauses auszuspülen oder die Latrinen einer deutschen Infanteriekaserne auszukratzen". Die süßliche Frömmigkeit der bürgerlichen Gesellschaft, die das Göttliche vermenschlicht und somit abwertet, konfrontierte er mit der ehrfurchtsvollen Durchdringung des Leidensgeheimnisses Christi. Eines seiner wichtigsten religiösen Kraftfelder war die Marienerscheinung im südfranzösischen La Salette am 19.September 1846. Nur zwei Monate nach Bloys Geburt erschien die Muttergottes dort den beiden Hirtenkindern Mélanie Calvat und Maximin Giraud. Sein Buch "Die Weinende - Unsere liebe Frau von La Salette" ist nicht nur eine einzigartige Huldigung der Heiligen Jungfrau, sondern markiert in jeder Beziehung einen Einschnitt. Bloy macht dem Leser klar, daß nur eine radikal auf Christus ausgerichtete Existenz den Menschen dazu befähigt, das Jammertal seines irdischen Daseins zu ertragen. Dem "Schweinetum der Moderne" steht Christi Barmherzigkeit gegenüber, doch, wie die Heilige Jungfrau zu den Hirtenkindern sagt: "Wenn mein Volk sich nicht unterwerfen will, bin ich gezwungen, die Hand meines Sohnes fallen zu lassen. Sie ist aber schwer und so drückend, daß ich sie nicht mehr zurückhalten kann. Wie lange leide ich schon für euch! Wenn ich will, daß mein Sohn euch nicht aufgibt, bin ich gezwungen, ihn unaufhörlich zu bitten!"
Léon Bloy, der Pilger des Absoluten, der von so unterschiedlichen Autoren wie Ernst Jünger und Heinrich Böll verehrt wurde, machte den bitteren Schmerz der Muttergottes zur Grundlage seines Christentums: "ER möge mich so leiden lassen, wie je nur ein Mensch gelitten hat, möge mir die Gnade gewähren, daß ich mich vor Schmerzen winde, unter den Tritten aller höllischen Geister mich zusammenkrümme, möge es zugeben, daß ich der Ungerechtigkeit, der Lächerlichkeit, der Schande verfalle und unerkannt bleibe selbst denen, für welche ich mich hinopfern wollte. Wie wunderbar ward mein Gebet erhört!"
Werner Olles
Till Kinzel: Nicolás Gémez Dávila. Parteigänger verlorener Sachen. 3.Auflage. Edition Antaios, Schnellroda 2006. Bd. 7 der Reihe Perspektiven. 154 S., 12 Euro Alexander Pschera: Léon Bloy. Pilger des Absoluten. Edition Antaios, Schnellroda. Bd.8 der Reihe Perspektiven. 135 S., 12 Euro
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