DIE ABSICHTEN UND DAS ZIEL DES BENEDIKTINERS ODO CASEL BEI DER GRÜNDUNG DES VEREINS ZUR PFLEGE DER LITURGIE-WISSENSCHAFT E.V. IM JAHRE 1921
von H.H. Walter W.E. Dettmann
Im 1. Band des Jahrbuchs der Liturgiewissenschaft schrieb Odo Casel zur Einführung, die wissenschaftliche Beschäftigung mit der christlichen Liturgie sei "aus einer Liebe und einer Sehnsucht hervorgegangen, dem Verlangen nämlich, die mystisch tiefen und künstlerisch schönen Formen der Frömmigkeit näher kennen zu lernen, wie sie die Kirche, besonders in der ersten Zeit, geschaffen hat".
Bei genauerem Zusehen erweisen sich diese Worte Odo Casels als ein Gerede, das entweder aus Träumereien hervorging oder aus der Absicht, die seit Papst Gregor I. dem Großen bestehende Form des hl. Meßopfers zu ändern.
Der Benediktiner von Maria Laach behauptete, die "mystisch tiefen und künstlerisch schönen Formen der Frömmigkeit" näher kennen lernen zu wollen, die die Kirche in der ersten Zeit geschaffen habe. Aber wie wollte er die eigentlichen Geheimnisse der Katakomben und der Urkirche ergründen? - Warum wollte er nicht zufrieden sein mit jenen vielen mystisch tiefen und künstlerisch schönen Formen der Frömmigkeit, die am Baum der Kirche gewachsen sind, je mehr sie nach der blutigen Zeit der Katakomben und der Völkerwanderung die Freiheit und den Schutz christlicher Fürsten genießen durfte?
Zuerst hatte Odo Casel in seiner Einführung behauptet, die wissenschaftliche Beschäftigung mit der Liturgie sei aus jener persönlichen Liebe und Sehnsucht hervorgegangen, die er selbst und seine Gesinnungsgenossen zu den alten Formen der Frömmigkeit hegten. Kurz darauf aber behauptete er, die Liturgie selbst wolle wieder "als Kanon christlich-kirchlicher Frömmigkeit lebendig werden". Aus diesen Worten geht hervor, daß Odo Casel die vorgeschriebene Liturgie der katholischen Kirche im Jahre 1921 als etwas Totes angesehen hat. Das war ein durch und durch irrtümlicher Ausgangepunkt.
Daß die bisherige Liturgie der Kirche nicht tot war, bezeugen Tausende und Millionen von Gläubigen, die die Mahnung Papst Pius 'X. zur häufigen hl. Kommunion mit Freude befolgten. Ebenso bezeugt z.B. die Einführung des Christkönigsfestes und des Herz-Jesu-Festes durch Papst Pius XI., daß die bisherige Liturgie nicht tot war, und schließlich sagte sogar noch Kardinal Josef Frings auf dem Katholikentag von Köln im Jahre 1956 vor hunderttausend Menschen, beim Gottesdienst der katholischen Kirche sei das in der Apokalypse des Apostels Johannes genannte Himmlische Jerusalem auf Erden gegenwärtig (Herder-Korrespondenz, November 1956, Seite 86).
Auf Seite 125 des 1. Bandes des Jahrbuchs der Liturgiewissenschaft schreibt Odo Casel über jene Form des hl. Meßopfers, die Papst Pius V. im Jahre 1570 vorgeschrieben hatte: "Durch diese Erstarrung der Liturgie zu einer Art Staatsaktion zog sich alle innerliche Frömmigkeit in andere Andachtsformen zurück". Es ist also offenkundig, daß jener Verein zur Pflege der Liturgiewissenschaft, der am 14. Dezember 1921 im Studienhause der Benediktiner in Bonn "im Beisein einer größeren Anzahl von Vertretern des Benediktinerordens, der geistlichen und weltlichen Wissenschaft und des Buchgewerbes" (!) gegründet wurde, kein anderes Ziel hatte, als das hl. Meßopfer total zu verändern. Bis zu dem genannten Datum der Vereinsgründung hatten sich bereits 71 Stifter und 513 Mitglieder angemeldet (gemäß Jahresbericht über das Geschäftsjahr 1921/22). Wie rasch und energisch der neue Weg beschritten wurde, ist daran zu erkennen, daß Abt Ildefons Herwegen von Maria Laach schon im Jahre 1930 das amtliche Meßbuch des Klosters so drucken ließ daß uralte Vorschriften der Kirche verschoben oder geändert wurden. Z.B. wurden im Kanon der hl. Messe die Worte "Per ipsum + et cum ipso + et in ipso" um drei Millimeter größer und stärker gedruckt als selbst die Wandlungsworte. Dies geht zurück auf eine persönliche Forderung von Odo Casel, der die Parole ausgegeben hatte, nicht "stumme Versenkung" sei der "Inhalt" der Liturgie und des Meßkanons, "sondern Handlung und Tat" (Jahrb. der Liturgiewissenschaft 1921, Seite 39).
Schon der erste Aufsatz im Jahrbuch des Vereins zur Pflege der Liturgiewissenschaft trug den Titel: "Das 'Communicantes' und seine Heiligenliste". Der Verfasser, Prof. Anton Baumstark aus Bonn, behauptete darin, das Gebet "Communicantes" im Kanon der hl' Messe könne "nicht von jeher mit der fast erdrückenden Last von Namen beladen gewesen sein", und auch der 'mariologische Passus' in diesem Gebet, der durch den Zusatz "Genetricis Dei" (Gottesgebärerin) "beschwert" (!) sei, gehöre nicht zur "Urgestalt des Communicantes" (Seite 5 und 15). Der Verein zur Pflege der Liturgiewissenschaft begann also mit einem Angriff auf den Kanon der hl. Messe, der umso ruhmloser war, als jeder Anfänger leicht begreift, daß die heutige Form des "Communicantes" selbstverständlich nicht aus jener Zeit stammen kann, in der noch der Apostel Petrus lebte und die Namen der nach ihm folgenden Päpste und Martyrer niemandem außer Gott allein bekannt sein konnten.
Übrigens: Welchem gläubigen Priester sind jemals die Namen der Gottesmutter, der 12. Apostel und die Namen der übrigen 12 Martyrer im "Communicantes" als eine "erdrückende Last" erschienen?
Odo Casel hatte in seiner Einführung behauptet, er habe eine "Sehnsucht" und ein "Verlangen" danach, die "mystisch tiefen und künstlerisch schönen Formen der Frömmigkeit näher kennenzulernen, wie sie die Kirche besonders in der ersten Zeit geschaffen habe", und so ließ er den Prof. Anton Baumstark in einem fast dreißig Seiten langen Aufsatz verkünden, daß die "Urgestalt des Communicantes" anfangs "ohne Nennung irgend eines Heiligennamens" existiert habe!
Wie will uns der Mönch aus Maria Laach beibringen, daß diese von Professor A. Baumstark nur angenommene, nicht bewiesene "Urgestalt des Communicantes" eine "mystisch tiefere und künstlerisch schönere Form" des Gebetes sein soll als jene, die Papst Gregor I. der Große vorgeschrieben hat?
Odo Casel hat in seiner Einführung geschrieben, das Jahrbuch der Liturgiewissenschaft "möge mithelfen, daß der Kult der Kirche immer mehr zu einer wahren, vernunftgemäßen Gottesverehrung ('logiké latreia') werde". Aber bereits der erste Band des Jahrbuches zeigt, was der Benediktiner unter "wahrer vernunftgemäßer Gottesverehrung",versteht: Er meint damit die Änderung und Abschaffung jener wirklich mystisch tiefen und künstlerisch schönen Formen und Teile des hl. Meßopfers, die das Konzil von Trient in feierlichster Weise für alle Zeiten festgelegt und vorgeschrieben hat.
Im Kloster Maria Laach wurden im Jahre 1921 die ersten Voraussetzungen dafür geschaffen, daß bis zu dem sogenannten Zweiten Vatikanischen Konzil Tausende von deutschen Priestern in der Liturgie falsch unterrichtet wurden, so daß Paul VI. wirklich ein leichtes Spiel mit der völligen Zerstörung des hl. Meßopfers haben konnte.
Es bleibt einer späteren Forschung vorbehalten, herauszufinden, wie es dazu kam, daß Papst Pius XII. in seinem bekannten Rundschreiben über die Liturgie "Mediator Dei" vom Jahre 19471 die Benediktinerklöster wegen ihres besonderen Eifers in liturgischen Dingen lobte, während in Maria Laach, in Beuron und in mehreren ausländischen Klöstern desselben Ordens schon jahrzehntelang rastlos an der Änderung und Zerstörung des tridentinischen Meßopfers gearbeitet worden war. - Odo Casel, der im Jahre 1948 starb, konnte sich gerade noch über dieses Lob freuen; er soll gesagt haben, daß die Enzyklika "Mediator Dei" eine Bestätigung seines Werkes sei.
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