WIE IM ALTEN ROM
von Karl-Heinz Jütting
Von Decimus Junius Juvenalis (58 - 138 n.Chr.), dem großen römischen Satiriker, allgemein kurz Juvenal genannt, stammt das geflügelte Wort: "difficile est saturam non scribere" ("es ist schwierig, keine Satire zu schreiben"), keine Satire zu schreiben angesichts des Sittenverfalls im Rom der Kaiserzeit, als man die altrömische virtus mit der libido, die alten römischen Tugenden weithin mit der Lust am Laster vertauscht hatte.
Was Juvenal sagt, gilt auch heute: es ist schwer, keine Satire zu schreiben angesichts der Mediokrität, Primitivität und pharisäerhaften Aufgeblasenheit derjenigen, die für den religiösen und sittlichen Verfall des Neuen Rom, unserer Kirche, verantwortlich sind.
"Willst du was sein, dann wag ein Verbrechen, das Kerker verdient und eine Verbannung! Rechtlichkeit preist man und läßt sie doch frieren! Frevlerischen Taten verdankt man Paläste und Gärten und Tische, uraltes Silber und Becher". (Juvenal, Satiren I,1)
In der Tat! Wer heute nicht zumindest frech eine Glaubenawahrheit leugnet, ein Dogma in Zweifel zieht, wer heute nicht die alte Liturgie schändet und Dinge sagt oder praktiziert, für die er vor kurzem noch exkommuniziert und vormale verbrannt worden wäre, der gilt nichts in den Augen dieser Toren, die ihre Schandtaten als aua brennender Sorge um die "christliche Botschaft heute" und den "Menschen von heute" geboren darstellen und sich mit dem Mantel der Rechtlichkeit und des Edelsinns umkleiden, inwendig aber reißende Wölfe sind. Sie sind auf religiösem Gebiet Gesinnungsgenossen derjenigen, von denen Gaius Sallustius Crispus (86 - 35 v.Chr.) schreibt:
"Denn um kurz die Wahrheit zu sagen: wer damals den Staat in Unruhe versetzte, tat es unter ehrenvollem Vorwand, der eine, als wollte er des Volkes Rechte schützen, der andere, als wolle er die Macht des Senats möglichst stärken. Jedoch kämpfte jeder von ihnen, des Wohl der Allgemeinheit vortäuschend, für seine eigene Macht." (Sallust, Die Verschwörung d. Catilina, 38)
Und Satan hat sie ihnen verliehen, die Macht, die Paläste, die Gärten irdischer Glückseligkeit, die Tische persönlichen Wohlstandes, das uralte Silber und die Kelche unserer Kathedralen und Heiligtümer, Satan, vor dem sie, Rechtlichkeit und das Wohl der Allgemeinheit im Munde, anbetend niedergefallen sind, Satan, den sie, unempfänglich für das Wehen des Heiligen Geistes, als "frischen Wind" bezeichnen und dem sie Tür und Tor ihres Herzens weit geöffnet haben.
"Was noch sollt ich in Rom?" fragen wir uns angesichts dieser Situation mit Juvenal.
"Was noch sollt ich in Rom? Zu lügen verstehe ich nicht, auch kann ich ein schlechtes Buch nicht loben und fordern zur Abschrift; Laie bin ich in Astrologie (...) als Kuppler Briefe, Geschenke zu bringen, dazu eignen sich andere; nie wird mich ein Dieb zum Gehilfen haben, keiner nimmt mich daher als Begleiter, drum geh' ich, gleichsam ein Krüppel und unnützer Leib, dem die Rechte erstorben. Wer wird heute noch geschätzt, der nicht mitschuldig ist, dem die Seele glühend nicht brennt von verborgenem und stete zu verschweigendem Frevel"? (Juvenal, Satiren, I,3)
Ja, was sollten wir noch in einem solchen Rom, was haben wir mit diesen Menschen noch gemein? Die Wahrheiten unseres Glaubena "neu zu interpretieren", also in andere umzufügen, verstehen wir nicht; die Schandkladden mit den Texten blasphemischer Neuliturgie zu loben und anzunehmen, können wir nicht gegen unsere Überzeugung und die bessere Einsicht; von Astrologie verstehen wir ebenso nichts, auf Grund deren Paul VI. in unglaublich blasphemischer Nachäffung des Gloria den Menschen zum "Fürsten des Himmels und der Erde" erhob. Um aber Briefe und Geschenke denjenigen zu überbringen, die wir als erbitterate Feinde des Kreuzes und unseres Herrn noch nicht einmal grüßen sollten, dazu eignen sich andere, dieselben nämlich, die sich auch sonst gerne beteiligen am Diebstahl dessen, was uns bisher das kostbarste war: unseres Glaubens und Gottvertrauens, unsere Liturgie und des hl. Meßopfers.
Daher sind wir in den Augen jener Menschen zum Auswurf geworden, zum Abschaum, zu Unpersonen, deren Ausrottung die Zeit oder man selbst besorgen wird. Erst wenn wir bereit sind, uns in irgendeiner Weise mitschuldig zu machen an ihrem Frevel, und sei es auch nur durch die stillschweigende und widerspruchslose Annahme ihrer Kulte und Häresie, werden wir wieder als Partner geschätzt für ihren "Dialog", der ein Dialog zwischen Mephisto und Beelzebub ist.
"Fragst du jedoch, woher die Entartung und wo ihre Quelle? Einfaches Leben hat keusch einst bewahrt die latinischen Frauen. Lastern verwehrten den Eingang das niedrige Dach und die Arbeit, kürzerer Schlaf, die Hände rauh von tuskischer Wolle, Hannibal dicht vor den Toren der Hauptstadt und schließlich noch ihre Männer, die im Collinischen Turm auf Wache gestanden. Jetzt erdulden wir die Last des lange dauernden Friedens, Üppigkeit brach viel schrecklicher ein als ein Krieg (...). Es fehlt kein Verbrechen, kein Laster der Sinne, seit die Armut aus Rom entflohen ist." (Juvenal, Satiren, II,6)
Wie konnte es soweit kommen? hören wir oft. Nun, fragen wir uns selbst! Die Quelle der Entartung ist auch in uns schon aufgebrochen und wir sind nicht frei von Schuld in dem Maße, in dem wir uns mit der Welt und ihren Freuden, mit ihrer Augenlust, ihrer Fleischeslust und ihrer Hoffart des Lebens, wie man früher sagte, zu arrangieren suchten. "Liebes nicht die Welt noch das, was in der Welt ist" sagt uns unser Herr. Und was taten wir? Auch wir haben in vielen Bereichen das einfache Leben, das uns als Christen, als Pilger aufgetragen ist, eingetauscht gegen die Üppigkeit "ces lange dauernden Friedens", den wir in unserem Herzen so halb schon mit der Welt und dem Geist der Welt geschlossen haben. Und vielleicht hatten wir schon halb vergessen, daß uns aufgetragen ist, nüchtern und wachsam zu sein, weil unser Widersacher, der Teufel, umhergeht wie ein brüllender Löwe und sucht, wen er verschlingen kann. Seit wir die Armut im Geiste verloren haben, sind wir nicht ohne Schuld an dem, was um uns herum vorgeht. Bei uns selbst müssen wir anfangen, nicht bei der "Welt in der wir leben", den sozialen Umständen und ähnlichem.
"Die Schuldigen", sagt Sallust, "wälzen nämlich die eigne Schuld ab auf die Umstände. Wenn aber die Menschen um das Gute sich in dem Maße kümmerten, in dem sie eifrig Fremdes und Unnützes und zum großen Teil sogar Gefährliches und Verderbliches erstreben, würden sie von den Umständen nicht mehr beherrscht werden, als sie diese beherrschen. Denn wie das Menschengeschlecht aus Körper und Geist zusammengesetzt ist, so folgen alle unsere Handlungen und Neigungen teils des Körpers, teils des Geistes Natur. Folglich vergehen hervorragende Schönheit, großer Reichtum, Körperkraft und alles derartige in kurzer Zeit; aber die außerordentlichen Leistungen des Geistes sind unsterblich wie die Seele. Schließlich, wie die körperlichen Vorzüge und Glücksgüter sich entwickeln,;so enden sie auch. Alles Entstandene vergeht, und das Herangewachsene altert. Der Geist, unverfälscht und ewig, handelt als Lenker des Menschengeschlechts, beherrscht) alles und wird~nicht beherrscht." (Sallust, Der Iugurthinische Krieg, 2)
Wer mit christlichen Augen sozusagen die großen alten Schriftsteller liest, so wie der hl. Albert der Große oder der hl. Thomas von Aquin beispielsweise, wird finden, daß die modernistischen Theologaster unserer Tage selbst Wahrheiten leugnen oder verdrehen, die schon von den großen heidnischen Autoren der Antike erkannt oder erahnt worden sind. Weder die Materie, noch die Umstände, vielmehr der Geist Gottes, der Heilige Geist, wahrer Gott, ewig und unverfälscht, der ist es, der das Universum beherrscht und erhält. "Der Geist des Herrn beherrscht den Erdkreis, er der das All erfüllt, kennt jeden Laut" beten wir mit der wahren katholischen Kirche, die nicht identisch mit der Neu'kirche' ist, am hohen Pfingstfest. In dem Maße, wie wir dem Geist, dem Mitwirken mit der Gnade, untreu werden, verfallen wir den sogenannten Umständen, der Welt und ihrem Fürsten, der uns beherrscht und dem wir dienen müssen, wenn anders wir uns unserer Berufung, Kinder Gottes zu sein, nicht wieder bewußt werden. "Was nützt es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewinnt, aber Schaden leidet an seiner Seele?" ruft uns der Erlöser zu. Juvenal empfindet in seiner anima naturaliter christiana ähnliches, wenn er sagt: "Acht es als großes Verbrechen, dem Leben zu opfern die Ehre und um des Daseins Preis des Daseins Zweck zu verlieren!" (Juvenal, Satiren, III,8)
Unsere Ehre als Kinder Gottes durch die Sünde zu verlieren, ist das schlimmste, was uns zustoßen kann. Unseres Daseins Zweck ist, nach dem Katechismus "Gott zu lieben, Gott zu dienen und endlich in den Himmel zu kommen", kurz gesagt: Gottes Willen zu erfüllen, selbst um den Preis unseres Lebens.
Rette Deine Seele, ja, aber auch die Deines Nächsten, dm Du ja lieben sollst wie Dich selbst!
"Halte darum dich fern vom Sträflichen! Wichtig allein schon ist als Beweggrund, daß nicht unseren Lastern auch folgen unsere eigenen Kinder, denn alle ja sind wir gelehrig nachzuahmen, was häßlich und schlecht. Höchste Rücksicht gebührt dem Kinde, auch wenn du im Sinn hast, Böses zu tun; mißachte ja nicht sein jugendliches Alter". (Juvenal, Satiren V,14)
Diese Sätze Juvenals klingen heute wie ein Hohn, wo eine saubere katholische Theologen- und Laienmaffia einverstanden ist mit der Ermordung der Kinder im Mutterleib, wo Kinder in der Schule restlos verdorben werden durch eine Erziehung, die für ein Bordell passend ist, wo Kinder rücksichtslos einer Sex- und Pornowelle auageliefert werden ohne die Kraft einer Gegenwehr zu haben, wo Kinder seelisch geschändet und ruiniert werden wie nie zuvor. "Höchste Rücksicht gebührt dem Kinde", ja, im alten Rom vielleicht, aber nicht mehr bei den Schändern und Abbruchmatadoren von heute.
Decimus Junius Juvenalis, der Schriftsteller und Gaius Sallustius Crispus, Quästor, Volkstribun, Statthalter von Syrien, später Mitarbeiter Cäsars, Prokonsul von Neuafrika, Senator und Historiker erscheinen uns, obwohl sie Heiden waren, geistesverwandter und der christlichen, Moral näher stehend zu sein als der degenerierte hohe und niedrige Klerus unserer Zeit, ein Symptom, das den ungeheuren Verfall und Substanzverlust christlicher Denk- und Lebensart deutlich werden läßt. Die Irrtümer der Heiden waren menschlich und verständlich, ihr Suchen nach Licht und Wahrheit ehrlich; die Irrtümer der postkonziliaren Neuheiden aber sind satanisch und gemein. Wo finden wir heute noch so herrliche Worte über das Gebet wie sie Juvenal, der Heide, gefunden hat:
"Soll man um nichts also beten? Wenn Rat du~willst haben von mir, dann laß den Göttern selbst die Entscheidung darüber, was uns am meisten entspricht und was sie für uns am nützlichsten halten! Denn es verleihen statt dessen das jeweils uns Beste die Götter: Teurer ist ihnen der Mensch als sich selbst! Denn wir, von dem Drange unseres Gemütes geführt und verblendeter, großer Begierde, wünschen zur Ehe ein Weib und, daß sie gebäre, doch jenen ist es bekannt, wie die Frau einst sein wird und wie auch die Kinder. Damit du jedoch auch etwas erflehst in den Tempeln ... bete darum, daß der Geist im gesunden Leib auch gesund sei! Bitt um ein mutiges Herz, das Furcht nicht kennt vor dem Tode, das auch Mühe zu tragen vermag, das nimmer der Jähzorn, nie die Begierde beherrsche, das Herkules Kämpfe sich lieber eher die härteste Arbeit erwählt als Genüssen der Venus oder ein üppiges Mahl oder die Lager des Sardanapalus. Nur durch die Tugend öffnet der Pfad sich zu ruhigem Leben." (Juvenal, Satiren IV,10)
Das ist der Geist nicht des verdorbenen, sondern des alten und frommen Roma, jener aufrechte, aszetische, männliche Geist, der ein guter und aufnahmebereiter Boden für die Frohe Botschaft des Evangeliums gewesen ist und der auch in der unvergleichlichen Regel des hl. Benedikt und,seinem Ora et labora, seinem Bete und Arbeite einen Niederschlag gefunden hat.
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