DIE GNADE
von H.H. Alois Aßmayr
Es gibt viele Werte oder Schätze in der Welt, die ein Mensch sich erwerben oder aneignen kann: Gold, Silber, Edelsteine, Schmuck, Geld, Felder und Wälder, Häuser und Kunstschätze und Einrichtungen der verschiedensten Art. Aber alle diese Schätze verlieren den Wert für den Besitzer, wenn er stirb~ Das mußte auch ein Alexander der Große erfahren, der auf seinem Feldzug von Griechenland aus die reichsten und mächtigsten Fürsten und Könige besiegte, ihre Länder und Schätze in seinen Besitz nahm, sich ihrer aber nur kurze Zeit erfreuen konnte, da ihm der Tod schon auf seinem Siegeszug und in seinem Machttaumel alles aus den Händen nahm (356-323 v.Chr.). Da wird es einem ganz klar, was die Hl. Schrift sagt: "Was nützt es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewinnt, dabei aber sein Leben verliert."
Es gibt aber einen Reichtum, den uns selbst der Tod nicht rauben kann, oder besser gesagt: es gibt einen Reichtum, dessen Wert beim Tode nicht aufhört, sondern erst dort so richtig zur' Geltung kommt und uns bleibt für die ganze Ewigkeit: die Gnade. Bekanntlich gibt es zwei Arten von Gnade: die heiligmachende und die helfende Gnade. Ich möchte zunächst über die heiligmachende Gnade etwas sagen, und dann erst über die helfende.
Die heiligmachende Gnade, was ist sie? Ich muß gestehen, ganz offen, daß ich das nicht sagen kann; denn die heiligmachende Gnade ist etwas Geistiges, das unserer Seele anhaftet. Nun haben wir alle eine Seele, aber kein Mensch kann sie beschreiben, kann sagen, was und wie sie ist, da wir in unserem Leben auf Erden ja Geistiges nicht sehen können und daher auch nicht beschreiben können (wie einen objektiven Gegenstand). Wir können nur Materielles sehen und beschreiben. So können wir weder unsere Seele, noch einen Engel und Teufel und erst recht Gott beschreiben und uns von ihnen eine richtige (Erscheinungs)Vorstellung machen. Wohl aber können wir ihre Wirkung bis zu einem bestimmten Grade beschreiben und uns eine, wenn auch nur blasse Vorstellung machen. Das kann und muß uns einstweilen, solange wir auf Erden sind, genügen. Wohl weiß ich, daß es begnadete Seelen gegeben hat und gibt, die bei Menschen ihre Sünden in der Seele sahen und sehen, habe aber nie gelesen, daß sie es auch nur versucht haben, sie zu beschreiben. '
Wie wirkt sich die heiligmachende Gnade für unsere Seele, besonders für die Ewigkeit aus? Nehmen wir zunächst die Engel her, und zwar vor dem Sündenfall, und dann diejenigen nach dem Sündenfall - die abgefallenen. Die Engel sind bekanntlich reine Geister, d.h. sie sind nur Geist, ohne materiellen Körper. Sie waren von der Schöpfung her, also ohne ihr Zutun und Verdienst von wunderbarer Schönheit und ausgestattet mit herrlichen Gaben, wie z.B. mit einem Verstand, der unsere Vorstellungskraft weit übertrifft, mit einem Willen, den nichts beugen, erst recht nichts zu brechen vermochte. Ihr Wille aber war frei, so daß sie imstande waren, auch gegen ihr besseres Wissen zu handeln, sonst wäre ja eine Sünde nicht möglich gewesen. Auch besitzen die Engel ein Gedächtnis, so daß sie nie etwas vergessen können, was selbst bei uns Menschen bei gewissen Ereignissen der Fall ist. Außer diesen Gaben besaßen die Engel noch viele andere Gaben, die aber für die Erklärung der heiligmachenden Gnade ohne oder nur von nebensächlicher Bedeutung sind.
Wie wir wissen, haben viele Engel gesündigt und dadurch die heiligmachende Gnade verloren. Wie hat bzw. wirkt sich dieser Verlust aus? Ich möchte das nur mit wenigen Worten tun und dabei nur das Wesentliche anführen. Ihre Schönheit war dahin und hat sich in grauenhafte Häßlichkeit umgewandelt, d.h. aus den herrlichen Engeln waren häßliche Teufel geworden und zwar für immer. Ihre frühere Liebe wurde in Haß verwandelt. Die Teufel können gar nicht mehr lieben, sie können nur noch hassen, nur mehr Böses tun und nichts mehr Gutes. Wie aber wirkt sich die heiligmachende Gnade in der Seele des Menschen aus? Ähnlich wie bei den Engeln. So wie die heiligmachende Gnade die Schönheit der Engel auamachte und macht, so auch beim Menschen die Schönheit der Seele. Je mehr heiligmachende Gnade,-um so schöner die Seele. Je schöner die Seele, um so schöner einmal, nach der Auferstehung der Leib, der ganz der Schönheit der Seele angepaßt sein wird. Je schöner die Seele, um 80 größer die Herrlichkeit für die Seele im Himmel. Vom Maß der heiligmachenden Gnade hängt auch die Erkenntnis Gottes ab. Je größer aber die Erkenntnis Gottes ist, um so größer auch die Liebe zu Gott und daher auch das Glück, das nie abnimmt. Schließlich ist es ja auch auf der Welt so, daß nur die Liebe glücklich macht. Mag ein Mensch haben, was er will, ohne Liebe ist und bleibt er ein unglücklicher Mensch.
Ich habe soeben gesagt, daß das Maß der ewigen Herrlichkeit vom Maß der heiligmachenden Gnade abhängt. Man kann also mehr heiligmachende Gnade besitzen als ein anderer, oder weniger. Darum sind die Heiligen im Himmel nicht alle gleich schön, wie ja auch nicht alle Engel gleich schön sind und waren. Es wird sogar so sein, daß kein Heiliger im Himmel ganz gleich ist, wie ja auch auf Erden kein Mensch ganz gleich einem andern ist. Und wenn es einmal vorkäme, daß ein Mensch körperlich einem andern ganz gleich wäre, so wäre er immer noch charakterlich verschieden.
Wir wissen, daß wir durch die Taufe die heiligmachende Gnade erhalten haben. Ich nehme aber an, daß nicht alle bei der Taufe gleichviel heiligmachende Gnade erhalten und erhalten haben, wie es ja auch bei den Engeln der Fall war, da wir wissen,'daß nicht alle Engel gleich schön sind. Es ist bekannt, daß es bei den Engeln verschiedene Rangstufen gibt, die sich von einander durch Schönheit und Gaben unterscheiden. So glaube ich auch, daß die Seelen der nach der Taufe verstorbenen Kinder nicht alle gleich sind. Die heiligmachende Gnade ist ein Geschenk Gottes und der teilt die Gnaden aua, wie Er will. Er ist vollkommen frei, auch in der Zuteilung der Gnaden. Wir wissen, daß Maria schon vom Anfang ihres Lebens voll der Gnade war. Vermutlich hängt das Maß von der der Seele zugedachten Aufgabe ab.
Wir können aber das uns von Gott bei der Taufe zugeteilte Maß der heiligmachenden Gnade mit der Hilfe Gottes und unser Zutun vergrößern. Nachdem wir das wiesen, ist es eine sehr wichtige Frage für jeden von uns, wie und auf welche Weise dies geschehen kann. Wenn wir im alten Katechismus nachlesen, finden wir, daß jedes Sakrament heiligmachende Gnade gibt oder vermehrt. Die Taufe gibt uns die heiligmachende Gnade und reinigt uns zugleich von der Erbsünde. Dazu ist die Taufe da. Da wir vorher die heiligmachende Gnade nicht haben, kann sie diese ja nicht vermehren. Beim Verlust derselben können wir sie durch das Sakrament der Buße (Beichte) wieder erlangen. Sollte aber der Empfang dieses Sakramentes unmöglich sein, z.B. wegen Bewußtlosigkeit, Fehlen des Sprechvermögens, kann die letzte Ölung (Krankensalbung) das Sakrament der Buße ersetzen. Man nennt daher diese Sakramente Sakramente der Toten, weil sie das göttliche Leben der Seele, die heiligmachende Gnade geben können. Bei den anderen Sakramenten ist die heiligmachende Gnade Voraussetzung für den würdigen Empfang, sie aber vermehren ade. Man nennt daher diese Sakramente Sakramente der Lebendigen, weil sie nicht dazu da sind, schwere Sünden zu tilgen, sondern uns in erster Linie helfende Gnaden zu vermitteln, vermehren aber zugleich auch die schon vorhandene heiligmachende Gnade, was in diesem Falle auch das Sakramnet der Buße und der Krankenölung der Fall ist. Es ist daher unklug und unsinnig und daher schädlich, wenn man von den Gläubigen verlangt, daß sie nur beichten gehen sollen, wenn sie eine schwere Sünde auf dem Gewissen haben. Der Grund ist der, daß wir bei schon vorhandener heiligmachender Gnade auch die läßlichen Sünden bei entsprechender Gesinnung am leichtesten los werden - und wer ist der, der keine solche hat? Das sind wohl nur jene, die geistig blind sind und behaupten, sie hätten nichts zu beichten, da sie niemandem etwas gestohlen und niemanden umgebracht hätten ...,
Außerdem sind mit dem würdigen Empfang das Sakramentes der Buße neben der Vermehrung der heiligmachenden Gnade viele helfende Gnaden verbunden. Wir sollen also dieses Sakrament, das wir ja öfter empfangen können, ja nicht geringschätzen.
Ferner können wir das Maß der heiligmachenden Gnade durch andächtige Teilnahme an der hl. Messe vergrößern, ebenso durch ehrfürchtigen Empfang der hl. Kommunion. Wieviele Vorteile können wir daraus ziehen, wenn man wollte und ein bißchen mehr denken würde. Den Schaden der Vernachlässigung dieser Gnadenquellen muß man durch die ganze Ewigkeit tragen.
Auch durch jedes gute Werk, das wir im Besitz der heiligmachenden Gnade und in richtiger Absicht tun, wird die heiligmachende Gnade vermehrt. Wieviele solcher Werke könnten wir jeden Tag verrichten? Ich möchte nur die ganz gewöhnlichen nennen: die mit Liebe, Geduld und Gewissenhaftigkeit der uns von Gott zugewiesenen täglichen Pflichten im Haus und am auswärtigen Arbeitsplatz. Wieviele Opfer und wieviel Geduld ist oft damit verbunden! Ich nenne dann das Gebet in der Familie, den Rosenkranz in der Kirche, an das gute Beispiel, die echte religiöse Erziehung der Kinder, die Geduld, die man trotz guten Einvernehmens in der Familie braucht. Ich denke an das Verhalten dem Nächsten gegenüber und an die Arbeit in der Gemeinschaft und für die Gemeinschaft, für das Gemeinwohl und viele andere Möglichkeiten.
Wie reich könnten wir werden, besonders bei langem Leben, wenn wir die vielen Verdienstmöglichkeiten benützten! Denken wir an das Maß unserer ewigen Seligkeit, das nie abnimmt. Wie müht und plagt man sich, um das irdische Glück nur ein wenig zu vergrößern, das doch so zerbrechlich und vergänglich ist. Seien wir doch so vernünftig und mühen wir und recht um das ewige, unzerbrechliche Glück. Es kommt nicht einmal auf die Größe des guten Werkes, das wir Gelegenheit haben zu verrichten, an. Es kommt auf die Liebe, Gott und dem Nächsten gegenüber, an, mit der wir das gute Werk tun, und auf die Selbstlosigkeit. Benützen wir möglichst alle Gelegenheiten, wir werden nur selbst den Nutzen durch die ganze Ewigkeit haben, aber auch den Schaden, wenn wir es nicht oder nur nachlässig tun. Es ist aber mein Wunsch, daß alle einmal für die ganze Ewigkeit möglichst glücklich sind, erst recht meine Freunde und Leser, die ich alle herzlich grüße und segne
Euer Alois Aßmayr, Pfarrer - A - 6633 Biberwier, den 5.9.77
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