BUCHBESPRECHUNG:
"VATICANUM II - REFORMKONZIL ODER KONSTITUANTE EINER NEUEN KIRCHE?"vonManfred Erren Nach seinem bekannten Erstlingswerk "Novus Ordo Missae, oder Die Zerstörung der heiligen Messe" (Selbstverlag Jägerstraße 12, D-7801 Stegen über Freiburg, 1975) legt der Verf. nun ein Meisterstück vor; von gleicher Katholizität und Stringenz, aber reifer in der Darbietung und viel umfassender im Gegenstand und in den Belegen.
Das Buch gehört in eine Reihe mit der Anklageschrift des Abbé de Nantes gegen Paul VI. (eingereicht 1973, als Manuskript gedruckt Maison Saint-Joseph, F-10260 Saint Parres les Vaudes, 1974, deutsch ebenda 1975), Rainer Raffalts "Wohin steuert der Vatikan" (München 1973), und J. Ploncard d'Assac, L'église occupée (Diffusion de la Pensée Française, F-86190 Vouillé, 1975); aber H.s Buch, obwohl schriftstellerisch nicht so gekonnt wie eines dieser drei, ist in der Sache doch bedeutender als die drei zusammen, denn der Verf. setzt hier zum Sturm auf die Zitadelle an, die die andern nur von weitem beschossen haben. Er untersucht des 2. Vatikanische Konzil in dessen eigenen und in den es umgebenden Dokumenten, mißt es mit den dafür angemessenen Maßstäben und deutet es aua den Stellungnahmen der Päpste, Konzilsväter und theologischen (und antitheologischen) Gutachter. Dabei wird schon auf den Braten Seiten deutlich, daß dieses Konzil der Katholischen Kirche nicht nur widersprochen hat, sondern zum Kampf auf Leben und Tod gegen sie angetreten ist. H. denunziert den Episkopat, der diese Dekrete entworfen hat und seit 1965 vollstreckt, als Todfeind der Katholischen Kirche.
Dabei ist H. kein Pamphletist. Sein Stil ist mehr der eines Staatsanwalts. Seine eigenen Ausführungen, die den kleineren Teil des ganzen ausmachen, sind trockene logische Deduktionen, nur an den Höhepunkten von beherrschter Leidenschaftlichkeit belebt. Das meiste sind die Belege aus Akten des Heiligen Stuhls, Enzykliken und Reden verschiedener Päpste, Handbüchern, theologischen Autoritäten verschiedener Jahrhunderte und Richtungen, aus exoterischen und esoterischen Publikationen von Freimaurern und Startheologen und Forschern; H. zitiert immer seitenlang im Wortlaut. Im übrigen reicht das Literaturverzeichnis von Franz von Baader und Dom Guéranger über Scheeben und Hans Barion und die Zeitschrift des Abbé de Nantes bis zur Deutschsprachigen Arbeitsgemeinschaft 'Die Frau aller Völker' und Haags Teufelsglauben, natürlich kann da auch K. Rahner und Mgr. Graber nicht fehlen: es ist das, was sich im Lauf der letzten 19 Jahre um den Schreibtisch eines militanten Katholiken als Handapparat angesammelt und mehrfach übereinandergeschichtet hat. Das breite Fundament aber sind die Acta Apostolicae (bzw. Sanctae) Sedis und die Konzilsdokumente selbst. Der Verf. ist darin zuhause.
Geistliche Leser, die auch beim Auswerten kirchlicher Dokumente noch an die vorkonziliare ekklesiale Disziplin gebunden fühlen, sollten als erstes den Anhang "Grundsätzliches zur Beurteilung des Vaticanum II" lesen, wo H. seine Methode darlegt. Er weist hier, ausführlich auf die verbindlichen Vorschriften eingehend, nach, daß des 2. Vaticanum im Gegensatz zu allen früheren Konzilien sich der kanonischen Interpretation entzieht und nach dem Vorbild und dem vielfach dokumentierten Willen seiner maßgeblichen Vollzugsorgane, voran der Konzilspäpste selbst, historisch interpretiert werden muß. Das ist für diejenigen guten Pfarrer gesagt, die trotz aller Brüskierung durch kirchliche Vorgesetzte immer noch meinen, diesen mit Berufung auf Konzilstexte imponieren und im skandalösen Tun Einhalt gebieten zu können. H. liefert ihnen eine Dokumentierung, die an der Authentizität der Auslegung in malam partem keinen Zweifel mehr läßt. Die nachkonziliaren Skandale beruhen eben nicht auf Mißbrauch der Konzilsentscheidungen, sondern auf intimer Kenntnis der darin verhüllten Absichten des Gesetzgebers, und sind der vom Konzil intendierte legitime Gebrauch; Mißbrauch dagegen ist es, die harmlosen und verharmlosenden Füllsätze und Hüllsätze und salvatorischen Klauseln des Konzils gegen dessen allgemeine und prinzipielle Intention ausspielen zu wollen. Der Erfolg solchen Bemühens beweist auch seit Jahren immer wieder, daß das zu nichts führt.
Dieser Erkenntnis folgend beschreibt der Verf. das Konzil historisch und chronologisch. Die Einleitung ruft die offiziellen und öffentlichen Erwartungen, die bei der Eröffnung geäußert wurden, in Erinnerung, um damit gleich die dem Konzil alsbald folgende Krise zu kontrastieren. Der 1. Hauptteil setzt dann ein mit einer Dokumentation über die kirchliche Lehre zum Liberalismus: dieser stellt eine moderne metaphysisch-religiöse Grundhaltung dar, die von den Päpsten des 19. und frühen 20. Jahrhunderts nicht nur theoretisch als widerchristlich und widergöttlich verurteilt, sondern auch in der Praxis als tödliche Gefahr für den Glauben leidenschaftlich bekämpft worden ist. Solchen Liberalismus hat kürzlich Mgr. Lefèbvre dem Konzil ganz allgemein vorgeworfen, und seine disziplinierteren Kollegen haben darauf mit Gekränktheit reagiert. In den beiden folgenden Hauptteilen seines Buchs unternimmt es nun H., den Vorwurf als berechtigt darzutun.
Dazu bedarf es keiner Spitzfindigkeiten. Im 2. Hauptteil, "Vaticanum II, Ende der Gegenreformation", sammelt der Verf. diejenigen Sätze, in denen Päpste und Konzilsväter die Überzeugungen ihrer Vorgänger (und ihrer eigenen Inthronisation) als verirrt und christlichen Prinzipien wenig entsprechend beschimpfen und expressis verbis den Willen bekunden, sich von jener Lehre und der entsprechenden Liturgie und Pastoral abzuwenden, um dafür jene Haltung einzunehmen, die den früheren Seelenhirten (und ihnen selbst früher) als die widergöttliche liberalistische verhaßt war. Zu wiederholten Malen proklamiert sich das Konzil in keinem anderen Sinne als diesem als eine epochale Wende der Kirchengeschichte, mit der eine jahrhundertelange Fehlhaltung ihr Ende finde. Im 3. Hauptteil geht der Verf. dann die Konzilsakten durch, hebt daraus ohne Anspruch auf Vollständigkeit die auffälligsten liberalistischen Passagen hervor, konfrontiert damit die authentische und definitive, infallible vorkonziliare Lehre, und muß auf Schritt und Tritt einen klaren kontradiktorischen Widerspruch feststellen. Das 2. Vaticanum entscheidet sich in allen Stücken eindeutig und explizit für das vordem als häretisch Verurteilte, das zu bekämpfen mehrere Päpste des letzten und dieses Jahrhunderts ihre ganze Kraft eingesetzt hatten. Es schafft die bisherige metaphysisch-religiöse Grundhaltung der Katholischen Kirche autoritativ ab, um die gegenteilige des Liberalismus einzuführen und zum Gesetz zu erheben. Die Väter verbrannten, was sie angebetet und beteten an, was sie verbrannt hatten, und rühmten sich dessen.
Der Rezensent würde das schlicht Abfall nennen. H. spricht, j vielleicht exakter, von Häresie und Schisma: "Das vom Vaticanum II realisierte 'neue Pfingsten' hat eine neue, häretische und schismatische 'Kirche' konstituiert, die sich innerhalb der Organisation der römischen Kirche festgesetzt hat und als Fremdbesatzung deren Zerstörung betreibt. Das Vaticanum II war die Konstituante dieser 'neuen Kirche', dieser 'lebendigen Kirche', dieser 'konziliaren Kirche' (Mgr. Benelli), formell und materiell; formell durch die Errichtung einer neuen Cathedra wider die Cathedra der vorkonziliaren Kirche, die Cathedra der menschlichen Selbstherrlichkeit, die sich zum Richter über das Wort Gottes in Schrift und Tradition, zu seinem Meister aufgeworfen hatte; materiell durch die Verkündigung eines neuen Evangeliums, des Evangeliums der menschlichen Herrlichkeit und Würde und des diesen entsprechenden göttlichen Heils auf Erden, sowie durch die Errichtung eines neuen Altares, einer neuen Liturgie, eines neuen Kultes gegen den Gottesdienst der traditionellen theozentrischen Kirche, das Menschenkultes. Diese neue 'konziliare Kirche', zwar schon vor dem Konzil vorhanden und wirksam, subversiv, sozusagen noch 'in potentia', trat auf dem Vaticanum II als seiner konstituierenden Versammlung ans Tageslicht als offizielle Kirche, aozusagen 'in actu primo': und betätigte sich in den postkonziliaren Reformen - in actu secundo - sich konsolidierend und immer fester etablierend und die vorkonziliare Kirche zerstörend, namentlich auch durch ihre sog. Reformen, von denen hier nur eine kurz noch gestreift werden soll ..."
Mit dieser zusammenfassenden Feststellung leitet der Verf. den 4. Hauptteil über die Liturgiereform ein, wo er kurz erinnernd und resümierend aufzeigt, wie die neue 'Kirche' (ich möchte sie zur Vermeidung der Anführungszeichen "die postvatikanische Disziplin" nennen) mittels heimtückisch berechneter Änderungen aller liturgischen Bräuche die Katholische Kirche systematisch zerstört.
H.s historische Interpretation und die reichlichen Belege machen es dem Leser möglich, die Sache auch vom Standpunkt der Neuerer aus zu beurteilen. Für Katholiken ist das nicht beruhigend. Man erkennt, daß die postvatikanische Disziplin, weil sie ist was sie ist, für alle Humanisten, Hegelianer, Sozialisten, Existentialisten - für wenn eigentlich nicht? Reserviert bleiben nur getrennte Christen, Juden, Mohammedaner, Buddhisten, Heiden, also religiöse Menschen -; daß also die postvatikanische Disziplin für alle areligiösen Menschen im Vergleich zum Katholizismus unbedingt den Vorzug verdient; das Konzil hat somit für die Welt von heute (und die Welt schlechthin) wirklich einen epochalen; Fortschritt, für die vielen Millionen unfreiwilliger Christen Europas eine spürbare Vereinfachung des gottlosen gesellschaftlichen Lebens gebracht. Man erkennt, daß und warum die große, übergroße Mehrheit unserer Zeitgenossen an dem dadurch geschaffenen Unrecht keinen oder nur partikulären, von vornherein resignierten Anstoß nimmt. Die Kirche scheint aberwunden, portae inferi praevaluisse videntur. Der Haken ist nur der, daß die Irrlehrer irren, und auf jenen Philosophien sich nichts aufbauen läßt. Man baut nur immer weiter ab, die Kirche und alles was auf ihr aufruhte, Kultur, Kunst, Moral, Wirtschaft, Reichtum, Ordnungsmacht, Staatsmacht, alles verfällt spürbar und sichtbar. Der Abfall rächt sich. Und verbunden mit dem großen Haken ist auch das kleine Häkchen, daß die postvatikanische Disziplin sich auch gar nicht gültig und rechtekräftig konstituieren konnte. Es geschah alles unter letztlich annullierenden Vorbehalten, und zudem mittels Betrug. Die Mehrheit der katholischen Bischöfe hat sich entmachten lassen. Gäbe es über der Kirche eine Rechtsaufsichtsbehörde, so wäre die postvatikanische Disziplin längst als Hochstaplerfirma aufgeflogen.
Nun gibt es aber über der Kirche nur Gott, und dessen Mühlen mahlen langsam. Die Strafe ist dann auch ewig. Es hat also Zeit damit. Was ernstzunehmende Katholiken aber tun müssen, ist, die katholische Tradition in ihrer ganzen Fülle zu erkennen, als Erbe anzunehmen und zu pflegen, und den Kindern zu überliefern. Dann wird sich das Weitere schon geben.
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