Ein Hirtenideal
vom
hl. Gregor von Nazianz
Der Vater des hl. Gregor von Nazianz (+390), Gregor der Ältere, hatte
sich in seiner Jugend trotz heidnisch-jüdischer Erziehung zum
Christentum durchgerungen, wurde Priester und übte das Priesteramt in
vorbildlicher Weise aus.
Als er starb, hielt ihm sein Sohn, Gregor der Jüngere, eine ergreifende Grabrede, in welcher er ausführte:
"Der Hirte ist fortgegangen mit allem Guten und aller Hirtenklugheit,
die er sich in langer Zeit erworben hatte. Er war reich wie an Jahren,
so an Erkenntnissen und zwar um mit Salomon zu reden: gekrönt mit
ruhmvollem Alter (Spr 16,31). Die Herde ist geschlagen und in
Bedrängnis. Sie ist, wie du siehst, voll Mutlosigkeit und
Niedergeschlagenheit. Nicht mehr erholt sie sich auf Weideplätzen,
nicht mehr erquickt sie sich an erfrischendem Wasser. Sie sucht in
Abgründen, Einöden und Schluchten, wo sie sich zerstreuen und
zugrundegehen wird. Nicht kann sie glauben, dass sie je wieder einen
verständigen Hirten bekommen wird...
Er empfing die Priesterweihe nicht mit jener Leichtfertigkeit und
Gleichgültigkeit, die heute üblich ist, sondern erst nach einiger Zeit,
nicht nur, um gereinigt zu werden, wie es die geistliche Ordnung
erfordert, sondern auch, um Erfahrung und Befähigung zum Reinigen zu
gewinnen.
Nachdem er die Wald- und Bauerndiözese übernommen hatte, die zwar noch
vor kurzem einen Hirten, einen bewundernswerten und engelreinen Mann,
ehrlicher als die heutigen Führer des Volkes, besessen hatte die aber
nach dessen baldigen Hingang infolge der Führerlosigkeit wiederum sehr
vernachlässigt wurde und verwilderte, da bändigte er zunächst die
Sitten der Menschen durch seine Worte der Hirtenweisheit und durch sein
eigenes Beispiel.
Nicht passte er sich wie die modernen Gelehrten den Zeitverhältnissen
an, nicht verteidigte er unsere Lehre mittelmäßig und mit schönen
Phrasen wie diejenigen, welche die Festigkeit des Glaubens nicht kennen
oder mit der Wahrheit Geschäfte treiben.
Die Gebildeten übertraf er durch Frömmigkeit, die Gläubigen durch
Gelehrsamkeit. Der Bildung wies er die zweite, der Religion die erste
Stelle zu.
Als wir von hitzigeren Parteien der Kirche niedergestürmt und durch
Schrift und schöne Worte zu einer schlimmen Gemeinschaft überlistet
worden waren, fand es sich, daß mein Vater allein noch in seinem Geiste
unverletzt blieb und seine Seele nicht gleich dem Schwarzen schwarz
werden ließ, mochte er auch von seiner Einfalt hingerissen und in
seiner Kindlichkeit nicht aller List aus dem Wege gegangen sein.
Er war es allein bzw. er war der Erste, welcher die revolutionären
Elemente durch seinen kirchlichen Eifer mit sich und den übrigen
Gläubigen wieder versöhnte. Die zuletzt abtrünnig geworden waren,
beugten sich zuerst unter seine Autorität und unter die Reinheit der
Lehre.
Der gewaltige Aufruhr in der Kirche legte sich. Der Sturm wurde zu
Lüftchen, da er beschwichtigt wurde durch des Vaters Gebete und
Mahnungen.
(Übersetzung von Ph.Haeuser. Gregor von Nazians. VIII.
Rede. BK Bd.59.Pustet. München 1928 S.364-3660; mitgeteilt von Hochw.H.
Prof.Dr. Severin Grill, Stift Heiligenkreuz.)
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