DIE FEINDESLIEBE
von H.H. Pfr. Alois Aßmayr
Das Gebot des Herrn: "Liebet eure Feinde! Tut Gutes denen, die euch hassen. Betet für die, die euch verfolgen und verleumden" (Mt.5,44) ist eine Forderung, die die meisten Christen für unmöglich, wenn nicht für unsinnig halten. Wie kann ich den gern haben, der mir wann, wo und wie er nur kann, Böses tut? Einem solchen Menschen soll ich noch Gutes tun und für ihn beten? Die Worte sind hart! Wer kann sie hören? Tatsache ist, daß diese Forderung des Herrn die allermeisten Christen nicht ernst nehmen, auch die "Frommen" nicht, und sich nicht daran halten. Daß sie aber ernst gemeint und daher ernst zu nehmen ist, ist kein Zweifel, aber auch darüber, daß das Gebot des Herrn erfüllt werden kann sonst hätte es der Herr ja nicht gegeben. Rein irdisch und menschlich gesprochen stimmt es, daß man Menschen, die einem Böses tun, unmöglich gern haben, also ihnen wohlwollend gegenüberstehen kann. Wenn wir aber in wirklicher, christlicher Weise das Gebot überdenken, dann schaut die Geschichte schon etwas anders aus.
Nehmen wir Jesus als Beispiel. Was hat Er von Seinen Feinden zu leiden gehabt? Wo sie Ihm Prügel vor die Füße werfen konnten, haben sie es getan. Wie oft haben sie Ihm hinterlistig Fallen gestellt. Als Er sich freiwillig ihnen auslieferte, taten sie Ihm an, was ihr glühender Haß nur ersinnen konnte, um Ihn möglichst langsam schmerzlich und ehrlos zu vernichten, daß alle, auch Seine Freunde und Verehrer den Glauben an Ihn verloren. Sterbend betet Er noch für Seine Feinde und Spötter. Er sel~ teer erklärt den Jüngern auf dem Weg nach Emmaus: "Mußte nicht Christus das alles leiden und so in Seine Herrlichkeit eingehen?" Alle diese Leiden haben sich für Seine Menschheit in ewige und unendliche Herrlichkeit umgewandelt und die Menschheit erlöst. Seine Feinde hätten Ihm also nichts Besseres antun können. So etwas aber konnten nur ganz gehässige Feinde tun. Freilich, das alles mit Geduld, ohne Haß und Rache tragen und noch für die Peiniger beten, das übersteigt Menschenkraft. Was ihr aber fehlt, das ersetzt die Hilfe, die Gnade Gottes, die uns allen zur Verfügung steht. Ich denke da an Stephanus, an die Apostel und die vielen, vielen Martyrer bis auf den heutigen Tag.
Denken wir auch an die Worte, die Jesus bei der Bergpredigt gesprochen hat: "Selig sind die, die Verfolgung leiten um der Gerechtigkeit willen; denn ihrer ist das Himmelreich. Selig seid ihr, wenn euch die Menschen schmähen und verfolgen und alle Bösenfälschlich wider euch reden um meinetwillen. Freuet euch und frohlocke", denn eurer Lohn ist groß im Himmel." Wenn wir als wirkliche Christen mit dem Lichte von oben richtig und tiefer denken, dann müssen wir unsere Feinte als große Wohltäter betrachten, aber auch jene, die aus Unwissenheit und Unverstand uns das Leben schwer machen und uns viel Leid zufügen. Sie alle sind nur Werkzeuge in der Hand Gottes, durch die der Herr an uns arbeitet, um uns an Tugenden reich zu machen und um unsere Verdienste zu vermehren und daher für die ganze Ewigkeit recht schön und glücklich machen zu können. Viele Tugenden wären ohne böse Menschen, aber auch ohne Menschen mit Unverstand nicht möglich. Auf einer Ebene kann man mit dem besten Willen kein Skifahrer werten.
An allen Heiligen arbeiten solche Werkzeuge. Bei Jesus waren es der Hohe Rat, die Hohen Priester, Schriftgelehrten und Pharisäer und ihre Henkersknechte und rohe Soldaten. Bei vielen Heiligen waren es boshafte Menschen. Beim Pfarrer von Ars war es zunächst wohl seine schlechte Begabung für die lateinische Sprache, dann aber, als er Pfarrer war, war es seine verlotterte Gemeinde, die von ihren Lastern nicht ablassen wollte, und der daher der Pfarrer zu unerbittlich streng war, so daß einmal zwölf Männer in das Pfarrhaus kamen und den Pfarrer "ersuchten", die Gemeinde zu verlassen. Als er aber durch außerordentliches Buß- und Gebetsleben die Leute gewonnen hatte, und es dem Teufel nicht mehr gelang, die Leute aufzuhetzen, kam der Teufel selber und quälte ihn auf alle mögliche Weise.
Bei Johannes vom Kreuz waren es vor allem seine Mitbrüder; bei der hl. Margareta Maria Alacoque und bei Schwester Faustina ihre Oberinnen und verständnislosen, oft auch eifersüchtigen Mitschwestern. Heilige Menschen sind eben anders als die anderen und darum ein Ärgernis. Natürlich steht dahinter der Satan, hinter dem aber in Wirklichkeit der Herr, der dem Teufel die Macht dazu gibt, um die betreffende Person zum raschen Aufstieg in der Vollkommenheit Gelegenheit zu geben, aber auch, um anderen die Früchte solcher Leiden zuwenden zu können, was ich ja in den früheren Artikeln über Kreuz und Leid gesagt habe. Welchen Nutzen auch andere aus diesem heldenhaften Leiden ziehen, das läßt sich hier auf Erden gar nicht abschätzen. Ich möchte nur an den hl. Pfarrer von Ars erinnern, bei dem es auch augenblicklich zu Tage getreten ist, daß durch sein strenges Gebets- und Bußleben seine verkommene Gemeinde zu einer heiligen Gemeinde geworden ist, so, daß sie ständig auf der Lauer sein mußten, daß ihnen der nun so lieb gewordene und verehrte Pfarrer in seiner Demut und unter Vorspiegelung des Teufels eines Nachts davongehe und sich in ein Kloster zurückziehe, um sich ganz dem Buß- und Gebetsleben zu widmen und sich auf den Tod vorzubereiten. Tatsächlich hat er einige Fluchtversuche unternommen. Dem Satan aber war die großartige Wirksamkeit in Ars, wo der Heilige Tausende von Sündern aus nah und fern auf den Weg der Tugend führte, ungleich unangenehmer als sein Buß- und Gebetsleben in einem Kloster.
Ähnliches gilt von Don Bosco und Padre Pio und noch von vielen anderen Heiligen.
Margareta Maria Alacoque schreibt selber, daß sie die Überzeugung hatte, daß sie voller Fehler sei und so wurde sie von ihren Mitschwestern auch behandelt. Voll Fehler waren aber ihre Mitschwestern, die sich den Zorn Gottes zuzogen und für die sie dann einmal öffentlich Buße tun und ihre Mitschwestern zu solcher ermahnen mußte, was ihr freilich den Zorn mancher Schwester zuzog.
Auch Schwester Faustina wurde von ihren Mitschwestern als ! hysterisch, arbeitescheu und faul betrachtet. Wenn ich anfange zu erzählen, werde ich nicht mehr fertig. Man muß wohl das Buch selber lesen, das Maria Winowska im Paulus-Verlag, Freiburg / Schweiz unter dem Titel: "Anrecht auf Barmherzigkeit, Schwester Faustinas Ikone" veröffentlicht hat. (Ich kann das Buch nur ganz warm empfehlen; Preis 20.-DM. Bei dieser Gelegenheit möchte ich noch auf ein Buch hinweisen: "Flamme der göttlichen Liebe" von P. Stolz, Verlag Siegfried Hacker, D - 8011 Gröbenzell, 1967, Preis ca 16.50 DM) Es handelt sich um die bisher einzige arabische stigmatisierte Schwester Mirjam von Abellin. Ein reizendes Kind und auch früh gestorben (geb. 1846, gest. am 26.8.1878) Was hat diese Kleine durch gemacht, besonders durch den Teufel! Am 15.12.1872 hat ihr der Herr gesagt: "Glaubst du allein zu leiden? Ich litt mehr als du; Ich trug die Last eurer Sünden. Ich will, daß du keinen Augenblick ohne Leiden bleibst Und wenn niemand dir zu leiden gäbe, würde ich Steine und Erde in Menschen verwandeln, damit sie dir zu leiden gäben. Ich will, daß du immer leidest." Wer die hl. Margareta Maria Alacoque näher kennen lernen will, kann sich das Buch über sie bestellen, das im Parvis-Verlag / Schweiz erschienen ist (Preis ca 10.-DM) Man muß diese Bücher selber lesen. Mit dem Erzählen kann man nur ein armseliges Bild zeichnen.
Aus diesen und vielen anderen Büchern kann man sehr viel lernen, besonders den Wert der Leiden und auch den der Feindesliebe und deren Sinn. Daraus kann man auch ersehen, wie echte Frömmigkeit ausschaut und was sie gibt, aber auch wie fürchterlich Unrecht man heute den Mystikern tut, wenn selbst Priester und Bischöfe sie in Verruf zu bringen suchen. Sie beweisen damit nur, wie miserabel ihr religiöses Leben ausschaut.
Daß die heldenhafte Ausübung der Feindesliebe, wie sie die genannten Schwestern und viele andere es zustande gebracht haben; nur mit der besonderen Gnadenhilfe von oben möglich ist, ist klar. Klar ist aber auch, daß diesen Grad der Feindesliebe nur wenige erreichen. Uns allen aber würde diese Gnade gegeben werden, wenn wir ebenso eifrig im Gebete und in der Übung dieser Tugend wären.
Hinzu müßte, wie bei den oben genannten, eine echte, tiefe Demut kommen, über die auch nur wenige verfügen. Es ist aber auch nicht ao, daß wir zu so einer Feindesliebe gelangen müssen, daß wir dem, der uns Böses antut, danken, ihn umarmen und gar küssen sollen oder müssen. Jesus hat Judas, der ihn verkauft und verraten hat, weder das eine noch das andere getan, sondern ihm die Schändlichkeit seiner Tat.ins Gesicht gesagt: "Freund, wozu bist du gekommen? Mit einem Kusse verrätst du den Menschensohn!" Als Jesus vor dem Hohen Rat von einem Knechte geschlagen wurde, hat er ihm auch nicht noch die andere Wange hingehalten, sondern ihn zurechtgewiesen mit den Worten: "Habe ich unrecht geredet, beweise es mir! Habe ich aber recht geredet, warum schlägst du mich?" Jesus hat seinen Feinden oft ganz scharf ins Gewissen geredet, nannte sie Heuchler, übertünchte Gräber u.a.. Auch Stephanus hat dem Hohen Rat ganz bittere Wahrheiten ins Gesicht gesagt.
Es ist also nicht so, daß wir jedes Unrecht mit Dank hinnehmen sollen oder müssen. Die Feindesliebe soll und darf kein Freibrief für allerhand Bosheiten sein. Wohl benützt der Herr die Fehler und Laster der Menschen dazu, um andern Gelegenheit und die Möglichkeit zur Übung und zum Wachsen in verschiedenen Tugenden zu geben. Die Übeltäter aber sind für ihre bösen Taten dem Herrn verantwortlich und werden dafür zur Rechenschaft gezogen. Der Herr will die Gehässigkeiten und Übeltaten der Bösewichter durchaus nicht, Er haßt sie und bestraft sie oft streng. Wohl aber will der Herr, daß man sie ohne Haß und Rachsucht trage und daran wachse. So hat es der Herr in Seiner Güte und Weisheit gemacht, daß man einem echten Christen einfach nichts anhaben und nicht schaden kann, wenn er es richtig trägt und erträgt. Wir dürfen und manchmal müssen wir uns sogar energisch gegen Unrecht zur Wehr setzen. Wenn z.B. heute uns Vorgesetzte ein Christentum aufzwingen wollen, das kein Christentum mehr ist, was also nicht mehr katholisch ist, haben wir nicht nur das Recht, uns dagegen zur Wehr zu setzen, sondern sogar die Pflicht, in unserem eigenen Interesse, aber auch im Interesse aller Katholiken, besonders aber als Hirten zum Wohle der uns anvertrauten Herde. Es ist eine bodenlose Frechheit, wenn man heute noch ohne zu erröten zu behaupten wagt wie segensreich sich die modernistischen, freimaurerischen Neuerungen in der Kirche auswirken, wo doch die Tatsachen ganz klar und eindeutig das Gegenteil beweisen.
Wir haben nicht nur das Recht, sondern die Pflicht, die heuchlerischen, hintertückischen und raffinierten Machenschaften der falschen Hirten offen bloßzulegen; denn es ist ein fürchterliches Verbrechen, wie man uns heute irreführen will, und soviele auch irreführt. Da hat auch der Zorn seinen Platz. Wir brauchen keine Kriecher und Speichellecker zu sein. Wir brauchen durchaus keine Sympathie für unsere Feinde zu empfinden, wohl aber dem Haß und der Rache keinen Raum geben, nie Böses mit Bösem vergelten. Auch Schadenfreude sollen und dürfen wir nicht aufkommen lassen, wenn sie auch manchmal verständlich und menschlich ist. Sie ist alles andere eher als christlich, als katholisch. Es ist aber Pflicht der Feindesliebe, dem Feinde unsere Hilfe angedeihen zu lassen, wenn er wirklich in Not ist, und das Unrecht verzeihen. Es ist mir aber vollkommen klar, daß es sehr schwer ist, immer und überall den richtigen Weg zu finden und erst recht, den richtigen Weg zu gehen. Dazu braucht es viel guten Willen, beständige Übung, viel Licht und Kraft von oben, also recht viel Gnade vom Herrn. Diese aber müssen wir uns erbitten.
Ich möchte diese Artikelreihe schließen mit dem Wunsche, etwas zum besseren Verständnis für Kreuz und Leid beigetragen zu haben. Ich bin mir aber bewußt, daß darüber noch lange nicht alles gesagt worden ist. Es grüßt alle Leser und Freunde herzlich, segnet sie und gedenkt ihrer am Altare.
Euer Alois Aßmayr
|