"WIE SOLLTE ICH DAS VERSTEHEN KÖNNEN, WENN MICH NIEMAND ANLEITET?" (APOG. 8,31)
von Hermann Schrott
So antwortete einst der Schatzmeister der Königin von Äthiopien auf die Frage des Philippus, ob er den Propheten Isaias, den er gerade las, auch verstehe. So müssen heute aber auch wir sagen, obwohl wir keine Heiden mehr sind. Denn weder unsere Theologen leiten uns zum rechten Verständnis der Hl. Schrift an, noch tun dies unsere sog. Bischöfe. Man schreit zwar lautstark, der Tisch des Wortes werde nun reichlicher gedeckt, aber das ist pure Heuchelei. Denn wer genauer hinsieht, bemerkt, daß man aus der Hl. Schrift heute eine ganz einseitige Auswahl trifft, daß die Übersetzungen häufig gefälscht sind und daß man die traditionelle Auslegung völlig fallen läßt. Und gerade auf letztere hat die Kirche von jeher den allergrößten Wert gelegt und sie hat sich stete gegen die protestantische Vorstellung gewehrt, daß das Verstehen der Hl. Schrift mit dem Lesen schon gegeben sei. Der hl. Bellarmin (De verbo Dei VI, 15) zitiert in diesem Zusammenhang den hl. Hieronymus, der gesagt hat: "Ärztliche Gegenstände verkünden die Ärzte, handwerksmäßige behandeln die Handwerker, nur die Kunst der Schriftauslegung maßen sich allenthalben an", und fährt dann fort: "Diese Klage des Hieronymus findet hauptsächlich Anwendung in Deutschland und Frankreich. Denn alle Handwerker nicht nur Männer, sondern auch Frauen haben die Schriften in der Hand, lesen dieselben und verbinden sofort mit der Unwissenheit noch Ungelehrigkeit und Anmaßung. Weil sie nämlich die Worte des Apostels hersagen und die Bücher und Kapitel anführen können, so glauben sie alles zu wissen und dulden gar keine Belehrung ... Aber das Volk verstünde die Propheten, Psalmen und das Andere, was in der Kirche gelesen wird auch in der Muttersprache nicht. Denn wir verstehen wegen der Kenntnis des Lateinischen nicht sogleich die Schriften, außer wir lesen oder hören die Ausleger". Wer sind nun diese Ausleger, die uns von unseren Theologen und Bischöfen vorenthalten werden?
I. Der Matthäuskommentar des hl. Joh. Chrysostomos wertvoller als die Stadt Paris!
Bekannt ist jene Szene aus dem Leben des hl. Thomas von Aquin, die sich einst auf dem Weg nach Paris abspielte, als Thomas von einem Ordensbruder auf die (damalige!) Schönheit dieser Stadt hingewiesen wurde mit den Worten: "Vater, wie schön ist die Stadt Paris! Wenn sie doch euer wäre!" und darauf trocken erwiderte: "Was sollte ich schon mit ihr machen!" "Ihr könntet sie dem König von Frankreich verkaufen und von dem Geld könntet ihr lauter Häuser der Predigerbrüter bauen," meinte nun der Bruder, aber Thomas entgegnete seelenruhig: "In Wahrheit möchte ich viel lieber die Erklärung des hl. Johannes Chrysostomos zum Matthäus-Evangelium haben".
Heute hat man zwar viele Kommentare der Kirchenväter, die Thomas so sehnlich begehrte, aber man möchte nun auf einmal doch lieber die Stadt Paris haben, sei es, weil man sich zu der Eitelkeit der Welt doch mehr hingezogen fühlt, sei es weil man ganz in äußerer Betriebsamkeit aufgehen möchte unter größtmöglicher Zurückstellung der Betrachtung der Wahrheit. Die Geachichte hat freilich schon ihr Urteil gesprochen, denn der Bau, den Thomas von Aquin mit Hilfe der Hl. Schrift, der Kirchenväter aufgebaut hat, erwies sich als unendlich segensvoller für die Kirche als Hunderte von Gebäuden, die man damals für die Dominikaner hätte bauen lassen können! Bei der Errichtung dieses Lehrgebäudes ging Thomas dabei so vor, daß er alle Fragen, die er systematisch aufeinanderfolgen ließ, mit Sätzen aus der Hl. Schrift oder den Kirchenvätern beantwortete und anschließend erläuterte, warum dies so sein müsse. Scheinbare Widersprüche innerhalb der Väter glich er aus, ohne je einem von ihnen zu widersprechen. Man müsse sie "reverenter" (mit Ehrfurcht) behandeln, so meinte nicht nur er, sondern die ganze katholische Kirche vor und nach ihm. So müssen etwa Dogmen, die ein Papst oder ein Konzil verkündet, vorher aus den Vätern bewiesen werden bzw. muß gezeigt werden, daß sie ihren Lehren nicht widersprechen. Da die Kirchenväter also einem Hemmschuh für ten theologischen "Fortschritt", wie man ihn sich heute wünscht, bedeuten, ist es erforderlich, kurz darzulegen, woraus sich die Autorität der Kirchenväter ergibt.
a) Die Kirche schreitet rückwärtsblickend voran!
Äußerlich gesehen leitet sie sich ganz einfach davon ab, daß sich die Väter an die unmittelbar nachapostolische Zeit direkt anschlossen, sie sich also noch auf zahlreiche mündliche und schriftliche Quellen stützen konnten, die letztlich bis zu Christus selbst zurückreichten. Da aber jener Christus, der vor nunmehr über 1900 Jahren gelebt hat, für die Kirche die Quelle aller Wahrheit ist bzw. sein sollte, müssen wir uns bei der Suche nach der Wahrheit nach jenen richten, die Christus zeitlich ungleich näher starten als wir. Nehmen wir doch als Beispiel einmal ten hl. Irenäus. Er war Schüler des hl. Polykarp, der seinerseits ein Schüler des Apostels Johannes war. (Die Orgien von Irrsinn, Wahnsinn, Widersinn und Blödsinn, die zu feiern man genötigt ist, um dieses Dreigestirn auseinanderreißen zu können und die zu feiern sich die heutigen katholischen Theologen selbstverständlich nicht entgehen lassen, schildern wir an anderer Stelle!) Der hl. Irenäus ist somit sicherlich einer der berufensten Erklärer der neutestamentlichen Schriften. Von seinen zahlreichen Schriften sind uns nur zwei erhalten, da sie späteren Kirchenväter jedoch seine Werke noch gekannt haben, so sind uns auch die darin enthaltenen Lehren indirekt überliefert.
Was heißt "Dogmenentwicklung?"
Durch die Konfrontation mit den verschiedensten Irrlehren ist die Kirche ständig gezwungen, immer engere begriffliche Abgrenzungen und Unterscheidungen vorzunehmen. Aber dies muß stets mit dem Blick nach rückwärts geschehen. Die neuen Begriffe müssen in den alten bereits enthalten sein. Der Satz: "München liegt in Bayern" steht zu dem Satz: "München liegt in Europa" nicht in Widerspruch und bringt für den, der ten richtigen Begriff von München hat, auch nichts Neues. Daß München in Bayern liegt muß nur für den hinzugefügt werten, der diesen richtigen Begriff von München nicht hat und etwa meint, es liege in Preußen, was ja auf Grund des Satzes "München liegt in Europa"durchaus möglich wäre! Die begrifflichen Abgrenzungen, die die Kirche im Lauf der Jahrhunderte vorgenommen hat, waren ausschließlich durch von außen kommende Mißverständnisse notwendig geworfen. Die Apostel hatten nach dem Pfingstfest eine vollkommenere Glaubenserkenntnis als Thomas von Aquin und dennoch hätten sie sich nie träumen lassen, daß man über den christlichen Glauben so viel schreiben könne. Warum? Weil sie sich nicht vorstellen konnten, daß derartige Mißverständnisse, wie sie später dann aufgetreten sind möglich sein konnten! So wie wir einem Neger, den von der Golfküste zum ersten Mal nach Europa kommt, geduldig klar machen, daß München in Bayern liegt und erst dann verärgert werden, wenn er darauf immer noch meint, es liege in Preußen, genauso hat die Kirche den Unwissenden zuliebe im Lauf der Zeit eine Unzahl von begrifflichen Unterscheidungen vorgenommen und sie hat nur jene von sich gestoßen, die trotzdem bei ihrer falschen Meinung geblieben sind.
Das Beispiel der Unbefleckten Empfängnis.
Der hl. Irenäus betrachtete die Unschuld Marias als identisch mit der ursprünglichen Unschuld Evas. Da Eva aber von dem Sündenfall noch mit keiner Erbsünde belastet sein konnte, gab es für ihn das Problem den Unbefleckten Empfängnis im Grund genommen noch nicht. Als jedoch im Lauf der Zeit die Lehre von der Erbsünde genauer abgegrenzt werden mußte, da stießen viele Theologen auf die Schwierigkeit, was man mit Maria machen sollte. Es wurde deshalb von der Kirche das Dogma von der Unbefleckten Empfängnis verkündet, - das natürlich nur für die Irrenden etwas Neues brachte, - womit jedoch nicht alles entschieden sein sollte, wie sich später herausstellte. Dieses Dogma wird nämlich von vielen so gedeutet, als sei Maria im 1. Augenblick ihrer Empfängnis mit der Erbsünde befleckt gewesen und sei im nächsten Augenblick mit dem am Kreuz vergossenen Blut Christi rein gewaschen worden oder als sei ihrer Empfängnis eine solche Reinwaschung durch das Blut Christi vorausgegangen, die Gott in Gedanken vorgenommen habe. Um bei dem obigen Beispiel zu bleiben: es wird also zugegeben, daß München in Bayern liegt, aber Bayern soll nun auf einmal in Amerika liegen. So wie es in diesem Fall notwendig wird, auf den ersten allgemeineren Satz, nämlich, daß München in Europa liegt, zurückzugreifen, so müssen solche falschen Vorstellungen von der Unbefleckten Empfängnis auf Grund der Lehre der Kirchenväter berichtigt werden, was nicht schwer ist, denn alle Väter sehen die Unschuld Marias im Zusammenhang mit der ursprünglichen Unschuld Evas und die Kirche hat diese Auffassung auch in der Liturgie sehr schön zum Ausdruck gebracht, denn am Fest der Unbefleckten Empfängnis läßt sie die bekannte Epistel lesen: "Der Herr besaß mich im Anfang Seiner Wege, von Anbeginn, noch bevor Er etwas geschaffen hat. Von Ewigkeit her bin ich eingesetzt, von Urbeginn, bevor die Erde ward...u.s.w." Man sieht an diesem Beispiel auch sehr schön, wie eng der Zusammenhang zwischen Liturgie und Lehre ist und wie in der traditionellen Liturgie die wahre Lehre unverfälscht enthalten ist. Zerstörung des Glaubens wäre ohne gleichzeitige Zerstörung der Liturgie nur eine halbe Sache!
Diese Überlegungen mögen vielleicht etwas vom Thema abgeführt haben, sie sind aber notwendig zu einer Zeit, in der das Schlagwort von der Rückkehr zu Urkirche so vielfach mißbraucht wird. Es gibt heute bereits viele, die derartig verunsichert sind, daß sie meinen, die Kirchenväter könnten uns nicht nur nicht retten, sondern die Rückbesinnung auf ihre Lehre bedeute sogar eine Gefahr für uns, da ja ihre Lehre mittlerweile vom Hl. Geist "verbessert" worden sei. Bei der Beschäftigung mit einem theologischen Gegenstand, wie etwa der Wiederkunft Christi, muß man aber von ihnen ausgehen.
b) Das Wirken des Hl. Geistes in der Urkirche.
Das Gewicht der Väter ergibt sich aber nicht nur äußerlich aus ihrer Nähe zur apostolischen Zeit, sondern auch daraus, daß sie von demselben Hl. Geist, der auch als Verfasser der Hl. Schrift zu gelten hat, in ganz besonderer Weise erleuchtet wurden. Ähnlich wie Christus zur Zeit Seines irdischen Wandels in anderer Weise als später unter den Seinen gegenwärtig war, denn die Jünger mußten ja zunächst einmal ausführlich unterwiesen werden, ganz ähnlich trat auch der Hl. Geist in der Urkirche in ganz anderer Weisen als heute in Erscheinung, nämlich in gewaltigen Machterweisen und erhabenen Offenbarungen und Erleuchtungen. Wie wäre auch anders die Umgestaltung des heidnischen römischen Reiches in das Reich Christi, d.h. die Kirche, möglich gewesen! Man halte sich doch das kleine Häuflein der ursprünglichen Christen vor Augen und vergegenwärtige sich, daß es damals noch keine Massenmedien und noch keine Verkehreverbindungen gab, wie sie für uns heute selbstverständlich sind. Die geistige Auseinandersetzung mit der griechischen Philosophie erforderte, daß die Väter in ganz besonderer Weise erleuchtet wurden, um die nun notwendig gewordenen Begriffe richtig festzulegen. In dem Maß, in dem die Kirche sich ausbreitete und Wurzeln faßte, nahm dieses besondere Wirken des Hl. Geistes ab und es ist sicher kein Zufall, wenn die Gründung des Kirchenstaates und der Tod des letzten Kirchenvaters nur wenige Jahre auseinanderliegen.
In der heutigen Zeit, wo für viele Katholiken kaum noch eine Möglichkeit besteht, dem hl. Meßopfer beizuwohnen, wäre eigentlich die Lektüre der Hl. Schrift sehr zu empfehlen. Da es aber keine Ausgaben gibt, in denen die traditionelle Auslegung beigefügt ist, das Verstehen aber wichtiger als das Lesen ist, wird ein solches Lesen in der Hl. Schrift nicht immer zu dem gewünschten Erfolg führen. Unsere"Hirten" haben es nun einmal darauf abgesehen, uns geistig und geistlich verhungern zu lassen. Den froheren Index hat man zwar abgeschafft, dafür aber einen neuen insgeheim eingeführt,auf dem beispielsweise die Schriften der Väter (mit Ausnahme einiger Werke des hl. Augustinus) stehen. Unter solchen Umständen ist ein Buch wie die Apostelgeschichte noch am ehesten zur Lektüre zu empfehlen, nicht zuletzt deshalb, weil wir durch die Apostelgeschichte einen Eindruck vom Wirken des Hl. Geistes in der Urkirche bekommen und den krassen Unterschied zu den heutigen "Pfingsten" klar sehen. Da lesen wir von Feuerzungen, in denen der Hl. Geist auf die Apostel herabkam, von Massenheilungen, ja sogar von einer Totenerweckung durch den hl. Petrus - alles Dinge, die uns die Charismatiker des 20. Jahrhunderts unverständlicherweise vorenthalten. Wann hörte man je Paul VI., der doch in ganz besonderer Weise vom Hl. Geist erfüllt zu sein vorgibt, zu einem Lahmen sagen: "Silber und Gold habe ich nicht; was ich aber habe gebe ich dir: im Namen Jesu Christi, des Nazareners, stehe auf und wandle!" (Apg. 3,6) Und selbst wenn er es einmal versuchen würde, dann würde der Lahme lahm bleiben und nicht, wie es damals in Jerusalem geschehen ist, plötzlich aufstehen. Aber gerade darauf käme es an! Man kann das Rad der Geschichte eben nicht zurückdrehen und die Urkirche wieder herbeizaubern.
2. Grundsätzliches zum Verständnis der Hl. Schrift.
Da wir einerseits keinen vollständigen Kommentar eines Kirchenvaters zur Apokalypse besitzen uns die Väter aber andererseits Ermahnungen und Ratschläge zum rechten Verständnis der Schriften hinterlassen haben, sei abschließend noch auf einiges Grundsätzliche aufmerksam gemacht.
Die Wirklichkeit zerfällt bekanntlich in zwei Bereiche: Himmel und Erde. Dementsprechend gibt es zwei Arten der Erkenntnis und zwar die irdische, die mühsam vom Sichtbaren zum Unsichtbaren aufsteigen muß, und die himmlische der Engel, die das Allgemeine oder Geistige zuerst erkennt und aus diesem dann das Irdische sich ergeben sieht. In der Hl. Schrift begegnen uns beide Erkenntnisarten, die erste hauptsächlich in den historischen Büchern, die zweite meist in den prophetischen.
a) Vorbilder erkennen - das Gebot der Stunde!
Wie historische Berichte aufzufassen sind, erklärt uns der hl. Thomas von Aquin (S.th. I.102,l), wenn er etwa sagt: "Das, was über das Paradies in der Hl. Schrift gesagt wird. wird nach Art eines historischen Berichtes vorgelegt. In allem aber, was die Schrift auf solche Art über-~ liefert, ist an der historischen Wahrheit des Erzählten als dem Fundament für darauf aufbauende geistige Auslegungen festzuhalten."
Ebenso meint der hl. Augustinus (De civ. Dei XV,27) in Bezug auf die Sintflut: "Dagegen darf niemand glauben ... man habe es hier lediglich mit geschichtlichen Tatsachen ohne jede allegorische Bedeutung~ zu tun, oder umgekehrt, dies habe sich überhaupt nicht zugetragen, sondern es handle sich nur um Allegorien oder es fehle ... jede vorbildliche Beziehung zur Kirche. Nur ein verkehrter Geist könnte behaupten wollen, unnützerweise seien diese Bücher geschrieben worden, d£e durch Jahrtausende hindurch mit solcher Ehrfurcht und mit so sorgsamer Einhaltung ununterbrochener Uberlieferungsabfolge ... bewahrt worden sind ... vielmehr ist anzunehmen, daß ... sie sich wirklich zugetragen haben und daß sie etwas zu bedeuten haben und daß diese Bedeutung in vorbildlichem Sinne auf die Kirche gehe." (Nur ganz nebenbei: Man bedenke, daß inzwischen noch weitere eineinhalb Jahrtausende ununterbrochener Uberlieferungsabfolge hinzugekommen sind, diese Bücher also heute noch ehrfürchtiger behandelt werden müßten - leider ist das Gegenteil der Fall!)
Ein zweifaches ist also zu beachten: die Ereignisse, von denen die Hl. Schrift berichtet, darf man nicht in mythischen Nebel hüllen, aber man darf bei der historischen Wahrheit auch nicht stehen bleiben, sondern muß zur Erkenntnis des Geistigen aufzusteigen versuchen. Gerade die von Augustinus erwähnte vorbildliche Bedeutung des AT für die Kirche ist bei der Betrachtung der letzten Dinge der Welt von größter Wichtigkeit. Sagt doch auch der hl. Hieronymus, die Hl. Schrift schicke des Zukünftige in Vorbildern jeweils voraus und bezeichnet z.B. Antiochus Epiphanes als Typus für den Antichrist. Der hl. Irenäus ermahnt una (Adv. haer. IV,31), nicht über die Patriarchen zu achimpfen, denn wir seien Gott nicht wohlgefälliger als jene, sondern jeweils nach dem Vorbild zu suchen! Wie der Alte Bund auf das erste Kommen Christi und die Gründung Seines Reiches vorbereiten sollte, so der Neue Bund u.a. auf das zweite Kommen Christi, bei dem alles der Herrschaft Christi unterworfen wird. Da die Kirche heute etwa genau so lange besteht wie einst der Alte Bund bestanden hat, so ist es natürlich aufschlußreich, die Geachichte des Alten Bundes mit der der Kirche zu vergleichen. Wenn auch, von außen gesehen, zunächst alles ganz verschieden erscheint, so sind doch Analogien unverkennbar, die um so deutlicher werden, - je mehr man sich dem Kommen Christi nähert. Ja, die ganze damalige Endzeit, beginnend mit der Menschwerdung Christi bis zum Tod des Apostels Johannes kann als ein Typ für die kommende angesehen werden? wie ja auch in den Evangelien die Zerstörung Jerusalems und das Ende der Welt zusammen geschildert werden. Auch die Apostel betonen mehrfach, daß sie in der letzten Zeit lebten, ja daß bereits die letzte Stunde angebrochen ist. Also gab es auch damals schon eine Vorstellung der Endzeit. Man darf nie vergessen, daß mit der Menschwerdung Christi sowie der Sendung des Hl. Geistes für die Welt ein völlig neues Zeitalter anbrach, das sich an das vorausgehende durchaus nicht natürlich anschloß. Die Auferstehung von den Toten und das sog. 1000 jhr. Reich haben mit Christus bereite begonnen!
Der hl. Augustinus (Epist. ad Hesych. 199) unteracheidet zwischen dem Kommen Christi in seinem Leib, der Kirche, der täglich neue Glieder zuwachsen, und seinem Kommen als Haupt der Kirche am Jüngsten Tag. Ebenso sagt der hl. Paulus an unzähligen Stellen, die Kirche sei der Leib Christi, und wollte das nicht nur symbolisch, sondern als Mysterium verstanden wissen. Das "Hoc est enim corpus meum" gilt auch hier in eine' durchaus eigentlichen Sinne. Hieraus ergibt sich eine Analogie zwischen dem irdischen Wandel Christi und der Kirche. So bemerkt etwa der hl. Beda zu dem Satz "Die Frau floh in die Wüste ..., damit sie dort 1260 Tage lang Unterhalt fände" (Apok. 12,6): "Diese Zahl von Tagen, die dreieinhalb Jahre ausmachen, umfaßt alle Zeiten der Kirche, weil Christus, dessen Leib sie ist, so lange während seines irdischen Wandels das Heil verkündet hat."
Der hl. Gregor d. Gr. (Hom., PL 76, Sp.1082) weist darauf hin, daß die Wunder Christi so aufzufassen sind, daß sie tatsächlich geschehen sind und daß sie uns dennoch darüberhinaus geheimnisvoll auf etwas hinweisen wollen. So haben etwa die alten Ausleger, die diese Geheimnisse noch wußten, die Verklärung auf dem Berg Tabor in ganz anderer Weise gedeutet als dies heute üblich ist. Das Leben Christi besteht also nicht nur in der Erfüllung alttestamentlicher Verheißungen, sondern es enthält zugleich Vorbilder für die Zukunft der Kirche (vgl. den Artikel von Prof. Lauth: "Die Salbung von Bethnien", Einsicht III (4/5). So kann man z.B. Petrus als Typus für das Papsttum ansehen. Freilich wird man dabei nicht weit kommen, wenn man die Verleugnung des Petrus auf die gegenwärtige Situation bezieht. Das Wesentliche war doch damals, daß Petrus aus reiner Furcht leugnete, Christus zu kennen, während Paul VI. doch in gar keiner Weise von außen her bedrängt wird und er auch nie gesagt hat, er kenne Christus nicht. Die äußere Bedrängnis Pauls VI. sehen doch nur die "Seher", aber nicht wir normal Begabten!
Es ist merkwürdig: In allem will der aufgeklärte Mensch gescheiter sein als alle früheren Generationen - nur dort, wo er wirklich gescheiter sein müßte, dort stellt er sich dumm! An ewigen Wahrheiten, ja sogar daran, daß es überhaupt ewige Wahrheiten gibt, rüttelt er, auf die Geschichtsbetrachtung verzichtet er jedoch! Dabei müßte er doch dadurch, daß er auf einen größeren Zeitraum zurückblicken kann als dies frühere Generationen konnten, über den Verlauf der Geschichte und die Erfüllung von Vorbildern besser Bescheid wissen. Aber das Gegenteil ist der Fall. Moses hatte vor knapp dreieinhalb Tausend Jahren einen weit besseren Überblick über die gesamte Geschichte als der Mensch des 20. Jahrhunderts. So etwas wie durch Lebenserfahrung gewonnene Weisheit des Alters sucht man heute vergeblich. Aber das kann auch kein Wunder sein. Denn wie soll ein 90-jähriger Lebensweisheit besitzen können, der seinen ganzen Altersstarrsinn dafür aufwendet, um sich gewaltsam einzubilden, er sei bis zu seinem 30. Lebensjahr ein Fisch, bis zu seinem 40. ein Nilpferd, bis zu seinem 50. ein Kamel, bis zu seinem 60. ein Esel, bis zu seinem 70. ein Affe, bis zu seinem 80. ein Halbaffe gewesen, sei erst im 90. Lebensjahr ein Mensch geworden und 'lebe die kurze Zeit bisher im Dämmerschlaf geistiger Umnachtung verbracht und sei erst jetzt, während er schon ins Grab fällt, ein normaler Mensch geworden! Dabei bemerken die Väter gelegentlich, daß ihre Nachfahren in diesem oder jenem Punkt sicher mehr sagen könnten als sie. Wenn der Alte Bund einst ein Vorbild für das Zukünftige gewesen sei, warum sollte dann nicht auch die gegenwärtige Zeit Vorbilder für künftige Zeiten enthalten, meinte der hl. Hieronymus (In Is.16,14)!
b) Der Blick in den Himmel.
Es gibt aber auch den umgekehrten Fall, nämlich daß uns in der Hl.Schrift himmlische Dinge geschildert werden, deren Verwirklichung in der irdischen Wirklichkeit wir dann erkennen sollen. Die Erkenntnis der Engel richtet sich unmittelbar auf Ideen oder Prinzipien, die die Grundlage für die irdische Wirklichkeit bilden. Daß das Weizenkorn zuerst in die Erde fallen und sterben muß, um Frucht bringen zu können, ist beispielsweise ein solches Prinzip, dessen Verwirklichung wir in den verschiedensten Bereichen bis hinauf zur Heilsgeschichte millionenfach beobachten können. Hält man sich dies vor Augen, so begreift man auch, daß es unsinnig ist, etwa bei der Apokalypse zu sagen, dieser oder jener Abschnitt beziehe sich ausschließlich auf dieses oder jenes konkrete Ereignis. Freilich werden häufig kurze, konkrete Angaben eingeflochten, die sich, wörtlich genommen, nur auf ein Ereignis beziehen lassen, um damit den Leser darauf hinzuweisen, daß dieser Satz auf jeden Fall auch auf dieses Ereignis bezogen werden müsse. Wenn es z.B. Apok. 12,12 heißt, der Teufel sei mit gewaltigem Grimm zur Erde hinabgestiegen und er wisse, wie kurz seine Frist ist, dann steht eine Erfüllung dieses Kapitels offenbar noch aus, denn 1900 Jahre gelten in der Hl. Schrift nicht als kurze Frist, wohl aber ein Menschenalter, in diesem Fall die Lebensdauer des Antichrist. Um bei der Auslegung nicht ins Uferlose zu geraten, ist es also erforderlich, sehr genau auf solche Angaben zu achten. Geht man nämlich nach der heute üblichen Methode vor und sagt, dies bedeute das und dies jenes, hier sei etwas Bestimmtes für etwas Unbestimmtes und hier etwas Unbestimmtes für etwas Bestimmtes gesetzt, dann ließe sich unschwer alles und jedes aus jedem Kapitel der Apokalypse herauslesen!
Bedenkt man, daß einerseits die Ideen in der Wirklichkeit in vielerlei Formen verwirklicht werden, und andererseits unser "Jetzt" Gott genau so nah ist wie das "Jetzt" des ersten Menschen, dann wird auch klar, warum die prophetischen Bücher, auch wenn in ihnen die Zukunft ausgelegt bzw. erhellt werden soll, gleichzeitig immer auch auf die Vergangenheit angewandt werden können, und umgekehrt, warum Berichte über Vergangenes zwangsläufig auch Zukünftiges enthalten, wenn der Hagiograph die Geschehnisse nach Art der Engel schauen durfte. So sagt etwa Christus, auch Moses hatte über ihn geschrieben (Lk. 24,27), und der hl. Augustinus sagt, das Sechstagewerk sei so geschildert, wie sich die Schöpfung in der Erkenntnis der Engel dargestellt habe. Notgedrungen wird hier also die ganze Heilsgeschichte in groben Zügen miterfaßt.
Wie wichtig im übrigen die richtige Übertragung dessen, was Moses, David, die Propheten, Paulus, Johannes usw. im Himmel geschaut haben, auf unsere Wirklichkeit ist, sieht man sehr deutlich am Beispiel der ersten Ankunft Christi, die selbst gutgesinnte - Juden - man denke etwa an die Emmausjünger (Lk. 24,25) - nicht richtig erfaßten, weshalb Christus über ihren Unverstand und ihre Schwerfälligkeit geklagt hat, diese daran hinderten, die Erfüllung der Propheten zu erkennen. Damit uns dieser Tadel nicht einst ebenfalls trifft, müssen wir unsern Unverstand durch die Betrachtung der Propheten und die Lektüre der Väter beseitigen und gegen unsere Schwerfälligkeit ankämpfen, indem wir uns stets vor Augen halten, Was der hl. Hieronymus gesagt hat, nämlich daß der Gerichtstag groß für die Heiligen und schrecklich für die Sünder sei, und was der hl. Beda zur Ausgießung der sieben Schalen mit den sieben letzten Plagen bemerkt hat: "Das sind die Schalen, die die vier Wesen und die 24 Ältesten (vgl. Apok. 5,8) ... mit Räucherwerk darbringen. Dieselben Schalen enthalten, so heißt es, den Wohlgeruch der Gebete der Heiligen und den Zorn der letzten Strafen, wenn sie von den Heiligen für die Ankunft des Reiches Gottes ausgegossen werden. Dann werden nämlich die Gerichte Gottes nicht mehr verborgen wie ein Abgrund, sondern offen wie Schalen sein und sie werden den Gerechten das Heil, den Gottlosen aber das Verderben bringen, wie der Apostel (2 Kor. 2,15 f) sagt: 'Denn Christi Wohlgeruch sind wir für Gott bei denen, die gerettet werden, und bei denen, die verlorengehen; für die einen ein Todesgeruch, der den Tod, für die anderen ein Geruch des Lebens, der das Leben bringt.'"
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