DER AUFSTAND DER MASSEN
vonJoachim May I. 1. "Europa glaubt an keine sittliche Normen mehr. Nicht daß der Massenmensch eine veraltete Moral zugunsten einer emportauchenden verachtete; im Zentrum seiner Lebensführung steht gerade der Anspruch, ohne moralische Bindung zu leben. Glaubt der Jugend kein Wort, wenn ihr sie von der neuen Moral reden hört! Ich leugne rundweg, daß heute in irgendeinem Winkel des Erdteils eine Gruppe existiert, die ihr Gesetz von einem neuen Ethos empfinge. Wenn man von der neuen Moral spricht, begeht man eine Unmoral mehr, indem man auf die billigste Weise eine Moral einzuschmuggeln versucht ... Unsittlichkeit steht äußerst niedrig im Preis, und jeder beliebige prunkt damit. Man (wird) unter allen denen, die wahrhaft in dieses Jahrhundert gehören, keinen einzigen finden, dessen Haltung zum Leben sich nicht dahin zusammenfassen ließe, daß er jedes Recht und keine Pflicht zu haben glaubt. Gleichgültig ob er als Reaktionär oder als Revolutionär maskiert ist, nach einigem Hin und Her wird er mit Entschiedenheit jede Verpflichtung ablehnen und sich, ohne daß er selbst den Grund dafür ahnte, als Träger unbeschränkter Rechte fühlen."
2. "Dies ist in der Tat ein Zeitalter der universellen Erpressung, die sich zweier einander ergänzender Mittel bedient: es gibt eine Erpressung durch Gewalt und eine Erpressung vermöge des Nichternstnehmens. Eines wie das andere geht auf das gleiche Ziel: daß das Inferiore, der gewöhnliche Mensch, sich von dem Zwang jeder Unterordnung befreit fühlen kann." -
3. "Sich der Moral schlechthin zu entschlagen, ist unmöglich. Was man mit einem selbst grammatisch verkehrten Wort Amoral nennt, ist ein Dinge, das es nicht gibt. Wenn Sie keine Norm anerkennen wollen, müssen Sie, nolens volens, zu dieser Norm stehen, daß Sie jede Moral leugnen; und das ist nicht Amoral, sondern Unmoral ... Wie konnte man an die Amoralität des Lebens glauben? Zweifellos weil die ganze moderne Kultur und Zivilisation zu dieser Überzeugung hinführen. Jetzt erntet Europa die schmerzlichen Folgen seines geistigen Verhaltena. Es hat sich vorbehaltlos einer glänzenden, aber wurzellosen Kultur verschrieben "
Zu den Geistern, die den Untergang des Abendlandes, dessen Zeugen wir sind, prophetisch vorausgesehen und angekündigt haben, gehört neben Kierkegaard, Nietzsche, Spengler auch der spanische Kulturphilosoph Ortega y Gasset, von dem die oben zitierten Zeilen (aus Aufstand der Massen) stammen.
Die Entartung der Freiheit zu Enthemmung, nicht nur im sexuellen Bereich, der Materialismus im Denken und Tun, die Deformation der Religion zu einer verschwommenen Art von Ethik, der Irrweg von der Nächstenliebe über die "Mitmenschlichkeit" zum Kollektiv, der fortschreitende Sieg der Mittelmäßigkeit, ja der Massen, die sich ihrer Gewöhnlichkeit und Primitivität bewußt, erfolgreich danach streben, das Recht der Gewöhnlichkeit überall durchzusetzen (heute gibt es Funktionäre in höchsten Ämtern, auch im katholischen Klerus, die es vor einigen Jahrzehnten nicht weiter gebracht hätten als bis zum Unteroffizier, Kanzleivorsteher oder Parterre-Akrobaten) und alles Elitäre verdrängen - das und andere Entwicklungen führen in den Abgrund. Zwar fehlt es nicht an Warnern, und gerade unter den katholischen Bischöfen gibt es der Lamentierer genug, die jammern und klagen, aber: "Man spielt Tragödie, weil man die wirkliche Tragödie in unserer zivilisierten Welt für unwahrscheinlich hält." (Ortega) Diese besteht darin, daß technisch-zivilisatorische, politische, wirtschaftliche usw. Entwicklung und geistig-seelische, sittlich-moralische Entwicklung des Menschen weit auseinanderklaffen. "Bleibt dieser Menschentypus weiter Herr in Europa, gibt er endgültig den Ausschlag, so werden dreißig Jahre genügen, damit unser Erdteil in die Barbarei zurückfällt.
Es kann nur ein Ziel geben: die Änderung des Menschen in Geist, Gemüt und Seele. Der Weg dazu besteht einzig und allein in der unverfälschten Verkündigung und Beachtung der Gebote Gottes. Bis zum letzten Konzil war die katholische Kirche die einzige Institution, die die Wahrheit der göttlichen Offenbarung besaß und vertrat. Seitdem ist auch die Wahrheit zerschlissen, umgemodelt, verfälscht oder geleugnet, niemand hat sie mehr, alle sind auf der Suche nach ihr, das Chaos des "Dialogs" herrscht.
Erst wenn die angepaßten und damit verfälschten Weisungen Gottes wieder in ihre volle, ungeschmälerte Gültigkeit eingesetzt werden, wird der Abstieg gebremst. Diese Normen sind zeitlos und nicht nach anthropologischen Gegebenheiten und Einzelwünschen relativierbar. Das verleiht ihnen ihre heilsame und heilende Kraft.
II. DAS WAR'S EINSTMALS ODER - HEUTE?
"Mit jedem Schritt näher an die Mauern der Stadt wuchs die Unsicherheit. Einbrüche, Diebstähle, Raubüberfälle waren an der Tagesordnung und entzogen sich längst der Zählung. Man war in diesen Zustand so gewohnt, daß niemand mehr davon sprach. Bei dem Jähzorn, der vor allem bei den Halbwüchsigen (!) fast immer eine Folgeerscheinung ihrer Immunität ist und große Ähnlichkeit mit einem Mini-Cäsarenwahn hat, genügte schon ein scharfes Wort, ein schiefer Blick, um eine wilde Reaktion hervorzurufen. Die Straßen und Plätze waren zu allen Stunden voll von müßigen, sich langweilenden Jugendlichen und von Pöbel. Das Elternhaus wurde zur Tankstelle und menschlichen Garage.
Die Polizei trug unnütz Tag um Tag Verbrecher jeden Alters zusammen; die Richter, von einem nicht mehr erklärbaren Wahn des Allesverstehens befallen, ließen die Verhafteten wieder frei, um die Menschenwürde nicht zu kränken. Sie hatten auch Angst, Angst vor der Rache an der Familie und Angst vor der 'öffentlichen Meinung' des Rinnsteins. (Polizisten), die eingriffen, wurden mit Steinen beworfen. Nicht die Gesetze bestimmten das Leben, sondern die augenblicklichen Zustände bestimmten die Rechtsprechung. Die Entscheidungen der Richter waren ein Hohn auf die Gesetze. Gerade die Älteren wetteiferten, einen Meter vor der Entwicklung zu marschieren.
Der Staat war der Feind des ehrlichen Bürgers geworden. Er akzeptierte Ordnung nicht mehr, er ließe dem Krankhaften allen Schutz angedeihen und nannte das human. Der Anständige war ihm als lebender Vorwurf suspekt und wurde diffamiert, um nicht zum Ankläger werden zu können. Die Staatskasse verschwendete die Steuergelder in der Unterhaltung der Volksluxusbäder und ernährte die Masse der untätigen Proletarier von der Wiege bis zur Bahre. Die Inflation griff rapide um sich.... Der Staat gab (das) Schundgeld an die Beamten und Angestellten des ganzen Reiches aus und zwang sie, es zum Nennwert anzunehmen, lehnte aber selbst, sobald es zu ihm zurücklief, die Annahme als Falschgeld ab. Er war zum Verbrecher geworden. Der Handel mit fremden Ländern hörte auf Wer gutes, altes Geld hatte, versteckte es. Alles flüchtete in Sachwerte, in leicht transportable, in Gold, Perlen und Edelsteine.
... Tagtäglich strömten die Massen in die Circusse, Arenen und Theater ... Sicher waren ständig dreihundert- bis vierhunderttausend unterwegs auf der Jagd nach dem 'bißchen, was unsereins hat', dem Vergnügen. Zehntausende von Gladiatoren ließen ihr Leben, Hunderttausende von Tieren wurden abgeschlachtet. Im Colosseum fanden riesige Jagden zwischen aufgebauten Felskulissen statt. Den Circus setzte man unter Wasser und trug Seeschlachten aus, bei denen sich die Gegner zu Hunderten echt töteten. Das Wasser war rot von Blut. Die Menge tobte und schrie, fraß und stank. Der Blutgeruch zog in Schwaden durch die Straßen. Man erwartete immer aufs neue zitternd vor Spannung die knallharten Volksfeste. An solchen Tagen - und es waren zeitweilig hundert im Jahr - brachen fast die Tribünen vor Menschenmassen, Männern und Frauen. - An solchen Tagen war auch Hochbetrieb bei den Freudenmädchen und Mietkerlen (Homosexuellen), die sich in Scharen bei den Arenen zusammenzogen, denn es galt als einer der delikatesten Genüsse, noch mit dem Blutdunst in der Luft und dem Schreien der Opfer im Ohr einen Akt zu vollziehen. -
... war voller Dirnen. Ihr Strich war die Tuskische Gasse und das Subura-Viertel. Die besseren, teureren sah' man auf dem Forum, in den Säulenhallen der Tempel und Bibliotheken und in den Separées der Circusse. Es wimmelte von Bordellen, die, mit obszönen Hausschildern gekennzeichnet, Kammern (von luxuriösen, mit erotischen Positionen geschmückten Zimmerchen bis zu Zwei Quadratmeter-Löchern) für jedermann zur Verfügung stellten oder Bestellung außer Haus annahmen. Auch die riesigen Thermen, Eintritt frei, waren voll von Spezialisten und Spezialistinnen, Dienern des Marquis von Sade und des Herrn von Sacher-Masoch. Die trugen die Gewänder der Mädchen, manche waren operiert und wimmerten bei jeder Berührung. Schwarze Semiten wechselten mit zierlichen, mandeläugigen ägyptischen Knaben und blonden Kelten ab. Blond war sehr begehrt ... . - Die Aufstachelung und Befriedigung begann bereits bei den Kindern, stürmisch begrüßt als Befreiung von Frustration. - Unerwünschte Neugeborene wurden von den Müttern erstickt oder irgendwo weggeworfen. Man fand sie vor den Toren auf Schritt und Tritt. Mehrere ... Erlasse drohten schwere Strafen an, aber die Entwicklung war längst darüber hinweggegangen. Eine Ehe, die in Ordnung war, galt als sicheres Zeichen dafür, daß der Mann ein Tölpel und die Frau ein Blaustrumpf war. Es existierten zwar Ehegesetze, irgendwo lagen sie, aber es ist unwahrscheinlich, daß ein Richter sie noch kannte. Die neue Zeit hatte sich ein neues Gewohnheitsrecht geschaffen: die 'Konsens-Ehe', die den Personenstand der Frau nicht veränderte und nicht mehr berührte. Man pflegte die Ehefrau eines anderen 'abzuklopfen' wie eine Partnerin beim Tanz. Niemand oder kaum jemand aus der fortschrittlichen Gesellschaft verdarb das Spiel. Man bildete sexuelle Supermärkte zu dritt, zu viert, ein Gedicht spricht von einer 'Kette von fünf'. Wenn das nicht mehr zog, nahm man Haschisch aus dem Orient zu Hilfe. - 'Die Frau aus der Gesellschaft und die aus der Plebs sind der Verderbtheit nach völlig gleich. Die vornehme Dame ist nichts anderes als die Dirne im Schmutz der Straße. Manche verschwenden sich und ihr letales Geld an Eunuchen und bartlose Knaben; andere suchen ihren Kitzel bei brutalen Kerlen und groben Sklaven, und manche können nur noch Wollust empfinden beim Anblick von Blut.'- Eine Delikatesse war, dem Entmannen von Kriegsgefangenen zuzusehen. Und Apuleius beschreibt nicht zufällig die Sodomie zwischen einer Dame und einem brünstigen Hengst. -
Mit einer Blume im Haar und Belladonna im Ärmel ging man durchs Leben. Die Jagd nach der Erbschaft war so groß wie die Jagd nach dem Sinnenglück. Es gab eine Hochzeit in ..., die alles in den Schatten stellte, was die Freiheit bisher geboren hatte: Es heirateten - das ganze Volk war auf den Beinen - ein Mann, der bereits zwanzig Ehefrauen unter die Erde gebracht und beerbt hatte, und eine Dame, die schon zweiundzwanzig Ehemänner von Geld und Leben befreit hatte. Jedermann wußte es, und man schloß Wetten ab, wenn es diesmal erwischen würde. Nach einigen Wochen zügelloser Orgien stand das unvorsichtige Opfer fest: die Frau war tot. Als der Ehemann, Palmwedel schwingend, hinter der Bahre durch die Straßen zog, feierte ihn die Menge wie einen Gladiator..."
Alle Symptome des Zerfalls einer Kultur, eines Staetes, wie sie Joachim Fernau am Beispiel Roms darstellt ("Cäsar läßt grüßen", München / Berlin 1971), sind so modern wie eh und je.
Massenwahn - heute Idolisierung von "Gruppe" und "Kollektiv"; sexuelle Enthemmung schon bei Kindern einst "stürmisch gefeiert als Befreiung (!) von Frustration" (!) - heute sogar "Theologie der Befreiung" mit Einschluß einer "Theologie des offenen Hosentürls" und einer "Theologie des geprügelten Hundes"; Mißachtung und Verfall der Ehe - heute Liberalisierung des Scheidungsrechts und Verniedlichung der ehelichen Untreue als "Seitensprung" (so der Jesuit David); "sexuelle Supermärkte" von einst - Gruppensex, Partnertausch, gleichgeschlechtliche Beziehungen en masse, die in Holland von katholischen Geistlichen "eingesegnet" wurden; kriminelle Delikte im "alten Rom" en gros - heute dasselbe im Weltmaßstab; "die Menge tobte und schrie, fraß und stank" - heute die gleiche Masse, seit 200 Jahren ausgerüstet mit den nivellierenden Menschen- und Bürgerrechten, sich ihrer Primitivität bewußt, im Begriffe, ihre Gewöhnlichkeit als Norm für alle zu etablieren, überall durchsetzen und jede Spur elitären Denkens, Redens und Tuns auszuschalten; die Richter von damals setzten die Verhafteten wieder frei, "um die Menschenwürde nicht zu kränken" (!) - heute oftmals dasselbe Schauspiel, angereichert um die scheinbar so "humane" Vokabel "Resozialisation"; Angst (der Richter und anderer) vor der 'öffentlichen Meinung' des Rinnsteins" - heute winselndes Knieschlottern vor der journalistischen Gosse in den Massenmedien (auch bei Bischöfen!)
Unerwünschte Neugeborene von Müttern erwürgt und weggeworfen - heute abgetrieben und in Mülleimer geworfen.
"Mit einer Blume im Haar und Belladonna im Ärmel ging man durch das Leben" - heute eine bis zum Exzeß gesteigerte Jagd nach dem Vergnügen, auch primitivster Art, nach dem "bißchen, was unsereins hat". Alt = veraltet? Hören wir auf! "Rom ging sang und klanglos unter. Es wurde nicht wie Hellas besiegt, zerfetzt, verschlungen; es verunglückte nicht in der Kurve, es prallte mit niemand zusammen, es stürzte nicht ab und bekam keinen Herzschlag. - Es verfaulte. Man hätte es retten können. Aber man gab ihm Opium, statt zu schneiden. Hören Sie, was die Ruinen, was`die Säulenstümpfe auf dem alten Forum rufen? Schönen Gruß an die Enkel." Ja, die Enkel. Auch sie leben nur dem Hier und dem Jetzt, im luftleeren Raum - auf den Müll mit aller Vergangenheit. Wer spricht da von Tradition? Die katholische Kirche?
Damals spielte sie noch keine große Rolle und war ohne entscheidenden Einfluß auf den moralischen und sittlichen Verfall Roms. Heute könnte sie diese Rolle spielen, wenn sie noch das wäre, was sie noch vor wenigen Jahrzehnten war. Indessen ist sie selber ein zerfallender Verein geworfen. Katholische Theologen treten - beispielsweise - für die Tötung der Ungeborenen ein.
Sie schichtet seit dem letzten Konzil die Scheiterhaufen für die, die, wie Lefebvre, zur Tradition stehen und aus dem Gedächtnis der Zeiten leben, die jeden lehren, was der Mensch war, und was er nicht war, und was er hätte sein können - und was er sein muß!
Auch diese Kirche verfault. Ja - Bitter ist die Süße der Geschichtslosigkeit!
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