DE PROFUNDIS CLAMAVI AD TE, DOMINE
Von Rudolf Muschalek
Wie oft habe ich das schon gebetet? Wie oft schon habe ich diesen Bußpsalm gebetet? Wie oft habe ich ihn als in der heiligen Beichte auferlegte Buße gebetet? Und diesen Vers dabei bejaht. Und ihn für ganz selbstverständlich gehalten.
Aber habe ich dabei wirklich geschrien zu Dir, o ewiger Herr aller Dinge, hinaufgeschrien zu Dir? Aus einem Abgrund heraus, in dem ich selber stecke, hoffnungslos, wenn ich auf mich selber schaue? Aus einer finsteren, ekelhaften, kalten Tiefe heraus?
Da müßte man eben die Gnade haben, dieses Leben als das zu erkennen, was es wirklich ist, als eine solche Tiefe, als einen solchen Abgrund. Aber die Welt betrachtet es als ein werdendes Paradies und fühlt sich wohl dabei - auch ohne Dich, o Herr. Und allzu leicht gleichen wir uns an diese weltliche Auffassung an und empfinden nicht mehr die Tiefe, den Abgrund, in dem wir ohne Hoffnung stecken würden, wenn Du uns nicht erhörst, o Herr!
Aber wie soll Er uns erhören, wenn wir nicht zu Ihm rufen? Und wie sollen wir zu Ihm rufen, wenn wir nicht erkennen, wo wir wirklich sind? Und wie sollen die Leute diese Tiefe, diesen Abgrund, dieses Elend des Lebens ohne Gott erkennen, wenn wir es ihnen nicht sagen? Aber wie sollen wir andre retten, da wir uns selbst nicht retten können? Retten allerdings nun freilich nicht; das vermag nur Er, nur Er allein. Aber erkennen, begreifen, erleben, in welcher Tiefe, in welchem Abgrunde wir darinstecken - ohne Dich, o Herr, das können wir vermitteln! Aber schon dies Erkennen ist eine Gnade, um die wir Dich bitten. Schenke sie uns, dann bricht ein neuer religiöser Frühling auf.
"Aus dem Abgrund schreie ich zu Dir, o Herr!" Mir selbst ist es unmöglich, der Weisung der letzten Päpste zu folgen, mich nämlich der Welt zu öffnen, mich ihr anzugleichen (apertura, aggiornamento), - was nämlich als Welt hier zu verstehen ist. Eher vermute ich (und fürchte es), habe ich mich ihr schon allzu sehr angeglichen und geöffnet. Ich will das aber nicht! Ich will erkennen, begreifen und erleben, in welcher Tiefe, in welchem Abgrund ich drinstecke, hoffnungslos, wenn Du o Herr mich nicht erhörst! Was will ich in dieser Gletscherspalte, die die Welt ist ohne Dich?!
"Aus der Tiefe rufe ich zu Dir, o Herr!"
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