DIE VERWECHSELTE KIRCHE
von H.H. Pfr. Hans Milch
Vortrag gehalten im Juli 1978 in Soest (bereits abgedruckt im "Beda-Brief" Juli/Aug.78; 68 Mannheim 51, Ilvesheimer Straße 81)
Lassen Sie mich beginnen mit einer Lesung aus der Geheimen Offenbarung des heiligen Apostels Johannes im 3. Kapitel: "Dem Engel der Gemeinde in Sardes schreibe: Das sagt, der die sieben Geister Gottes hat und die sieben Sterne; ich weiß um deine Werke! Du hast den Namen, daß du lebst und doch bist du tot! Werde wach und stärke den Rest, der im Sterben liegt. Denn ich finde deine Werke nicht vollwertig vor meinem Gott. Bedenke also was du empfangen und gehört hast und bewahre und kehre um. Wenn du aber nicht wach wirst so werde ich kommen wie ein Dieb und du wirst nicht wissen, zu welcher Stunde ich über dich kommen werde. Doch hast du einige Namen in Sardes, die ihre Kleider nicht befleckt haben. Sie werden wandeln mit mir in weißen Gewändern, denn sie sind es wert. Der Sieger wird so bekleidet werden mit weißen Gewändern und nimmermehr werde ich austilgen seinen Namen aus dem Buche des Lebens, sondern ich werde bekennen seinen Namen vor meinem Vater und vor seinen Engeln. Wer ein Ohr hat der höre, was der Geist zu den Gemeinden spricht" (3,1-6).
Meine lieben Brüder und Schwestern, die verwechselte Kirche, das ist es, worum es uns geht. Und lassen Sie mich an den Anfang setzen, was uns allen längst deutlich sein müßte und was wir uns nicht genügend vor Augen halten können: Entziehen wir uns dem, daß wir eingereiht werden und eingestuft werden als sogenannte "Konservative"! Es geht heute absolut nicht um diese Kontroverse. Und wir sollten dieser Legende nicht Vorschub leisten. Es geht heute in der Kirche ganz und gar nicht darum, daß Konservative und Fortschrittliche einander gegenüberstehen. Beispielsweise extrem Konservative und extrem Fortschrittliche. Wenn es nur darum ginge, wäre ich froh und würde es begrüßen; denn das wäre eine fruchtbare Spannung, aus der etwas Gutes hervorgehen könnte. Die Kirche ist ihrem Wesen nach logischerweise sowohl konservativ als auch progressiv. "Ich hätte euch noch vieles zu sagen", sagt der Herr, "ihr könnt es aber jetzt noch nicht begreifen. Der Heilige Geist aber wird euch in alle Wahrheit einführen" (Jo 16,12f).: Das heißt doch, wir haben ein Erbe bekommen, das wir zu verwalten und zu erhalten haben. Und wir haben es zu erhalten um es zu entfalten, um unter der Einwirkung des Heiligen Geistes mehr und mehr zu verstehen, was uns alles offenbart worden ist; um mehr und mehr einzudringen in das Vorgegebene der Offenbarung und des Glaubens. Also, konservativ und progressiv setzen einander voraus, bedingen einander, ergänzen einander, sind aufeinander bezogen. So wahr wir katholisch sind, sind wir beides. Und wir sind katholisch, ganz und gar und mit allem, was zu diesem Begriff gehört. Deshalb sind wir hier, deshalb kämpfen wir, deshalb lassen wir uns als Außenseiter, als Spalter diffamieren. Es schert uns nicht, weil wir katholisch bleiben, das ist unser Standpunkt!
Deshalb weg mit dem Wort 'konservativ'! Wenn wir uns konservativ nennen lassen, gestehen wir doch den andern, denen, die momentan das sagen haben, im offiziellen Gebaren der Kirche dominieren zu, sie seien die wahren progressiven, sie seien fortschrittlich. Nein, wir rufen Ihnen zu: Ihr seid nicht fortschrittlich, sondern rückschrittlich, bewußt rückschrittlich, zerstörerisch, abbauend; ihr fügt nichts hinzu, ihr nehmt nur weg, ihr verdünnt, ihr vermanscht, ihr banalisiert; ihr habt euch dem Primitiven verschworen und dem Bösen, der Unwahrheit und dem Irrtum; dem Nichts habt ihr euch verschworen! Ihr habt mit Fortschritt rundherum nichts zu tun!
Das ist es, was wir der andern Seite sagen. Darum geht es auch in der Kirche nicht um zwei Seiten und zwei Fronten. Man erlebt es immer wieder, daß von gewissen Leuten dieser Objektivitätsschwindel aufgelegt wird, indem sie sich so über beiden Parteien wähnen und mit überlegenem Lächeln die heutige Situation registrieren: Einerseits - andererseits; man muß die einen warnen, nicht so weit vorzupreschen - ich möchte wissen, was dieses "vor" bedeutet, als hätten sie irgend eine Zukunft zu beanspruchen, als stünden sie im Namen irgendeiner legitimen Entwicklung vor uns, während sie in Wahrheit jegliche katholische Entwicklung behindern, hemmen und bremsen - und den andern sagt man: Seid nicht allzu stur, nicht so bewahrend, sondern seid flexibel und eingestellt auf eine weitere Entwicklung. Nun, das sind wir gewiß. Nur, so müssen wir ihnen sagen: ihr stoppt jede weitere Entwicklung. Das ist also zur Klarstellung von vornherein zu sagen.
Wenn beispielsweise in der Deutschen Tagespost vom 5. Juli 1978 eine Friedenstaube, eine Frau Dr. G. Reismann unter dem Titel "katholische Gewissenserforschung" einen Leserbrief schreibt, in dem sie nach beiden Seiten mahnend warnt, mit einer eingebildeten Souveränität und Objektivitätsaspekten, ohne den Grundtenor des heutigen Streits erfaßt zu haben, dann ist das weiter nichts als eine Beihilfe zur Zerstörung. Genau wie diejenigen, die in der Nazizeit immer gesagt haben, sie stünden über den Dingen, sie würden sowohl! die Ausschreitungen der einen, wie auch die rückständige und intransigente Haltung der andern durchaus verurteilen, und sie würden das Ganze von einem höheren Gesichtspunkt aus betrachten. Es gibt heute keinen höheren Gesichtspunkt, als den, den wir vertreten, den Gesichtspunkt des Gottmenschen, den Gesichtspunkt der absoluten Souveränität Gottes, wobei wir uns ganz und gar nicht anmaßen, uns einbilden, durch unsere persönliche Bewährung auf der Höhe dessen zu stehen, was wir vertreten. Jeder von uns muß sich da an die Brust schlagen, jeder von uns muß sich sagen: Auch ich bin schuldig, weil ich zu wenig liebe, zu wenig glühe, zu wenig brenne, zu wenig Leidensmut habe. Jeder von uns ist mitschuldig, weil er ein Zuwenig zu bekennen und zu registrieren hat in seinem persönlichen Gebahren und in seiner eigenen Bewährung. Keiner von uns stellt sich hin und sagt: ich gehöre zu den Martyrern, zu denen, die einmal gepriesen werden in der Ewigkeit. Jeder, was seine persönliche Bewährung betrifft, kann nur sagen: Mea culpa und: Herr erbarme dich meiner!
Aber wenn wir auftreten und kämpfen hoch erhobenen Hauptes, dann tun wir das nicht im Namen der persönlichen Bewährung, sondern wir erheben unser Haupt und unsere Stimme im Namen der Sache, die wir vertreten, im Namen dessen, der uns sein Siegel aufgeprägt hat und für das wir einstehen; im Namen dessen, was uns Hoffnung gibt, über unsere Armseligkeit und Grenzen hinausgehoben zu werden. In diesem Namen tragen wir unser Haupt hoch, denn wir haben das große Glück der Menschheit und die Sache Gottes selbst zu repräsentieren; wenn wir ihrer auch ganz und gar unwürdig sind, was wir gerne gestehen. Aber das ist eine Sache zwischen dem Herrgott und dir, zwischen dem Herrgott und mir. Aber wenn wir nach außen auftreten, gegenüber den andern Parteien, dann sagen wir im Dienst all derer, die dem Irrtum verfallen sind: ihr irrt und ihr seid der Krankheit verfallen!
Denn ich diene dem Patienten, wenn ich ihm sage, daß er krank ist und ich diene und liebe den Irrenden, wenn ich ihm sage, daß er irrt, und ich diene den Sündern, wenn ich ihnen sage, daß sie sündigen. Das ist keine Beleidigung, sondern das ist Dienst und Liebe.
Darum kämpfen wir, nicht weil wir uns in anmaßender Gebärde zu Richtern aufschwingen, sondern weil wir ernst nehmen, was uns überliefert worden ist, und weil wir davon nicht ablassen, keinen Millimeter; darum kämpfen wir. Nicht, weil wir uns etwas einbilden, oder weil wir hassen. Nein, wir hassen nicht. Wenn auch der eine oder andere, du und ich, immer wieder versucht werden, den Boden der Liebe zu verlassen, das gestehen wir ein. Wir kämpfen nicht im Namen des Hasses, sondern im Namen der wahren Liebe, und im Namen der Liebe ziehen wir das Schwert, von dem der Herr gesagt hat: "Ich bin gekommen, nicht den Frieden zu bringen, sondern das Schwert; aufzuhetzen gegeneinander die Hausgenossen. Die Schwiegermutter gegen die Schwiegertochter und die Tochter gegen die Mutter und den Sohn gegen den Vater" (Mt 10,34f). Soweit gebt Christus in seinen Worten. Denn wir haben es nicht mit einem faulen Frieden zu tun, sondern wir haben die Fronten deutlich zu machen, um den Menschen ihre Entscheidung zu erleichtern. Wir können den Menschen keinen größeren Dienst erweisen als dadurch, daß wir ihnen die Entscheidung leicht machen und sie ihnen ermöglichen. Das ist die größte Liebe, die es gibt, den Menschen die Entscheidung für Gott zu ermöglichen. Nicht etwa sie im Ungewissen belassen und so eine"Mitte" vorzutäuschen, die es nicht gibt; die Illusion einer Mitte hegen und pflegen, die nichts ist als ein Phantom. Und wenn die allermeisten von denen, die die Kirche heute vertreten, auf die heutigen Gegensätze zu sprechen kommen, dann legen sie immer jenes nichtssagende, überlegene Lächeln auf, mit einem bedächtigen, wohlweislichen Kopfnicken, indem sie sagen: Ja, es sind gewiß traurige Zeiten, aber! Einerseits - andererseits! Das ist die Objektivität des kleinen Moritz, das ist nicht die wahre Objektivität dessen, der die Gewichte zu unterscheiden hat und die geistigen, inhaltlichen Gewichte zu setzen vermag. Er sammelt nicht etwa irgendwelche Punkte, Minus- und Pluspunkte und sagt: Da sind soundsoviele negative Momente zu vermerken und dort soundsoviele positive, also ist auf beiden Seiten etwas richtig! So kann man nicht denken, sondern man muß vom Inhalt und der Gewichtigkeit der Inhalte her denken, man muß von der unwandelbaren Wahrheit her denken. Und dann weiß man, daß man zwar die Menschen nicht alle über einen Kamm scheren kann, daß man nicht schwarz und weiß malen darf, wenn es sich um Charaktere handelt. Wohl aber, daß man im Namen des Geistes und der Wahrheit schwarz und weiß malen muß, wenn es sich um Weltanschauungen und Gedankensysteme handelt.
Dann mag es z.B. im Bolschewismus noch so große Leistungen geben, Straßenbauten, Kanalbauten oder was sonst noch, Erschließung Sibiriens und die Förderung der Begabten etc. All das steht hinter einem negativen Vorzeichen, alles ist in sich böse, das ganze System! Und was darin an Gutem sein mag - umso schlimmer - denn es dient nur dem Bösen.
So war es auch im Nationalsozialismus. So ist es im Bolschewismus und so ist es im heutigen Progressismus in der Kirche. Er ist von der Wurzel her böse und zerstörerisch, ganz und gar, mit allen, die ihm dienen. Wir erleben heute eine völlige Neuerscheinung in der zweitausendjährigen Geschichte der Kirche. Es findet sich darin nur eine einzige annähernde Parallele, die Zeit des Arianismus, als die offiziellen Kirchen den echten Gläubigen weithin verschlossen waren. Auf den Thronen der Bischöfe, ja sogar einmal auf dem Stuhle Petris saßen Arianer und die gläubigen Katholiken waren ausgesperrt. Aber die wahre Kirche lebte in ihnen! Das geschah im vierten Jahrhundert. Offiziell, allgemein, fortschrittlich, gültig, im öffentlichen Gebahren anerkannt war Arius. Athanasius war ein Außenseiter, ein Störenfried, den man beseitigte, indem man ihn ins Exil trieb, um ihn zum Schweigen zu bringen.
Heute ist es ähnlich. Nur noch schlimmer. Was aber ist das Schlimmere? Meine Damen und Herren, damals in der Zeit des Arianismus, hatten die Arianer immerhin eine klare Lehre aufzuweisen und aufgestellt. Und sie behaupteten. Das was wir lehren, ist die Wahrheit. Und sie haben den Anhängern des Athanasius gesagt: Das was ihr lehrt, ist irrig. Wenn einer so kommt, ziehe ich vor ihm den Hut. Ich verlange, beispielsweise von einem evangelischen Christen, daß er mich für einen Irrenden hält. Anders kann ich vor ihm bzw. vor seiner Überzeugung keine Achtung haben. Vor Meinungen ziehe ich keinen Hut. Nur vor felsenfesten Überzeugungen. Und wenn ich zutiefst überzeugt bin, daß der andere irrt, so habe ich doch Achtung vor seiner Überzeugung, weil er so tief von seinem Irrtum überzeugt ist.
Das ist dann der Raum wahrer Toleranz: Die Gegensätze stehen lassen und die Inhalte ernst nehmen. Und wenn ich die Inhalte ernst nehme, lasse ich auch die Gegensätze im Äußern stehen. Wenn es sich heute um eine andere, gegensätzliche Lehre handeln würde, die sich selber ernst nimmt wie damals bei den Arianern, da gäbe es noch Hoffnung. Da könnte man einhaken, widerlegen, überzeugen. Der Progressismus unserer Tage ist wesentlich teuflischer. Wenn ich einem Progressisten sage:Bitte sehr, ich halte daran fest, daß der Papst im Falle einer Kathedralentscheidung in Glaubens- und Sittenfragen unfehlbar ist; ich halte an der Wesensverwandlung fest; am Opfercharakter der heiligen Messe; an den marianischen Mysterien. Da klopft er mir auf die Schulter und sagt: Ach, wie schön, recht ordentlich eigentlich. Ich finde das sogar echt apart, daß du daran glaubst, irgendwie rührend. Und du sollst auch glauben, glaube nur schön weiter. Nur eines darfst du nicht tun - so sagt er mir dann - du darfst nicht deine Überzeugung verabsolutieren und für die einzige katholische Möglichkeit halten. Du mußtauch den andern Überzeugungen ihren Raum lassen. Denn schließlich ist ja die katholische Kirche ein Haus mit vielen Wohnungen und jegliche Überzeugung hat in ihr ihren Platz. Gemeiner, infamer, zerstörerischer kann man nicht vorgehen, meine lieben Brüder und Schwestern. Und hier liegt das Teuflische des Progressismus, des Modernismus.
Sehen Sie, ich finde die Bezeichnung "Konzilskirche" für das, was sich heute hinter der Fassade des Papsttums, hinter der Etikette 'Papsttum', 'Bischofsamt', 'Priesteramt' tatsächlich vorfinden läßt, was sich dahinter verbirgt, oder weniger sich verbirgt, sondern eher in geschickten Dosierungen sich zeig~t und in der Publizistik dominiert; ich finde es nicht passend, das als 'Konzilskirche' zu bezeichnen. Diesem tief geistfremden Kollektiv, das sich uns darstellt,ist zu viel Ehre angetan mit dem Wort Kirche und mit dem Wort Konzil. Da müßte schon eher eine Versammlung von Hirten und Lehrern dahinterstecken, die Wort und Bezeichnung Konzil verdient. Mit der wahren, ewigen katholischen Kirche, die unser Glück ist, unser angebetes Glück, der Turm der Wahrheit, die unwiderlegte und unwiderlegbare und in Ewigkeit nicht zu widerlegende; mit dieser katholischen Kirche ist seit 16 Jahren furchtbares geschehen. Sie ist unsichtbar geworden, weithin unsichtbar, von dem, was wahrnehmbar ist in der Breite und der Öffentlichkeit. Dem offiziellen Gebahren nach muß es heißen: Du hast zwar den Namen, daß du lebst, daß du die katholische Kirche seiest; aber du bist sie nicht! Trotzdem lebt sie; sie ist nicht tot zu kriegen. Sie kann nicht getötet werden und das ist unser Glück, die wir von weit her gekommen sind, um dies zu sagen und zu hören. Sie lebt, sie lebt hier in dieser Versammlung. Das ist keine angenehme Nachricht für die, die sich innerhalb des ehemaligen Bereichs unserer Kirche an die Schalthebel der Meinungsmache begeben haben. Aber innerhalb des Gebildes, das noch den Namen katholische Hierarchie, Petrusamt, Bischofsamt, Priesteramt trägt, lebt sie höchst zerstreut, vereinzelt, selten, verborgen im Glauben Einzelner, in Stätten innerer Emigration, wie zum Beispiel in Hattersheim. Sonst ist sie draußen. Und das Wort ist in Erfüllung gegangen: Die da draußen zu sein scheinen, sind drinnen; und die drinnen zu sein scheinen, sind draußen! Geblieben ist eine Struktur, ein Gebilde, ein Skelett.
Neulich ist mir eine Bemerkung in einem spes-unica Rundbrief, von dem wankenden Gerippe, als das uns die Kirche heute entgegentritt, sehr übel genommen worden. Aber es ist ein wankendes Gerippe, ohne lebendiges Fleisch und ohne des Geists, der das Leben spendet. Wie die Donau eine Weile unter der Erde dahinfließt, um an anderer Stelle wieder aufzutauchen, so ist weithin heute die katholische Kirche unterirdisch, im Untergrund. Aber sie wird wieder auftauchen und wir sehen den Tag schon leuchten. Verfremdet, erobert, vakant, verborgen, eine unerfüllte, ins Gegenteil ihres Wesens verkehrte reine Möglichkeit, eine unerfüllte Möglichkeit; so ist die Kirche heute anzutreffen, so daß sie verwechselt wird. Ein weltverbesserisches, weltrevolutionäres, totalitäres Kollektiv wird für die Kirche gehalten! Das ist der Befund. 'Das hat der böse Feind getan'. Der Fürst dieser Welt ist der Herr auch dieses Kollektivs.
Und nun höre ich folgenden Einwand: Aber Herr Pfarrer, bleiben Sie doch objektiv! Seien Sie doch nicht so extrem in ihrer Wortwahl; schauen Sie doch rundum, gehen Sie doch in die Pfarreien. Da finden Sie fromme Priester; da finden Sie prächtige junge Menschen. Da finden Sie eine überzeugende Einsatzbereitschaft und eine ansprechende Gemeinschaftsatmosphäre. Und meine Antwortet lautet: Das stimmt weithin!
Glauben Sie nur nicht, ich sei da irgendwie verblendet, mit Scheuklappen, stur, gar nicht mehr in der Lage zu sehen und mitzubekommen, was sich da wirklich begibt. Da ist, in diesem Scheingebilde tatsächlich sehr viel Idealismus investiert; und bei den jungen Priestern auch echte Frömmigkeit. Und vor allem bei den älteren Priestern echte Frömmigkeit. Das alles stelle ich keine Sekunde in Abrede. Es ist dies da, ich weiß. Ich besuche gelegentlich Pfarreien, ich spreche die jungen Menschen, ich spreche mit jungen Seelsorgern, Kaplänen, auch mit Pfarrern, Pastoralassistenten, Gemeindeassistenten, Referenten etc. Und da ist manche ansprechende Atmosphäre und viel guter Wille. Aber lassen Sie mich zunächst einmal eingehen auf die große Zahl der Priester älteren und mittleren Semesters, die durchaus glauben und die viel leiden unter soviel Verleugnung des Glaubens heute, über soviel Anzweiflung und Infragestellung, den Abbau der Frömmigkeit und der Inhalte im Bewußtsein der Menschen.
Sie leiden unter all dem, aber sie fügen hinter dieses Leiden immer ein "aber"! Sie beschwichtigen sich selber. Sie sagen, das sei nun mal so nach einem Konzil üblich und das sei immer so gewesen. Es sei nun einmal eine Zeit des Umbruchs; die Kirche sei jetzt eine Baustelle und Baustellen sähen nie besonders ansprechend aus. Und es sei eine fiebrige, chaotische Zeit. Aber jegliches Fieber bedeute auch Heilung und jegliches Chaos bedeute auch eine Chance. Und daher solle man im Vertrauen auf den Heiligen Geist durchhalten und vor allem gehorchen; denn der Gehorsam sei der segensreiche Garant dafür, daß sich doch alles zum Besseren wenden werde.
Diese breit gelagerte Auffassung subjektiv frommer und gläubiger Priester ist die Hauptstütze für den Durchbruch und den Erfolg des Progressismus. Das müssen wir klar sehen und klar erkennen, obwohl ich den einzelnen Priester durchaus nicht verurteilen kann und will. Ich verurteile sie nicht. Ich habe vor vielen einen tiefen Respekt. Viele sind tiefe Beter und von ihrem Gebet geht Segen aus. Aber nicht von ihrer Einstellung. Sie irren, aber sie sind in ihrem Irrtum befangen und sie haben keine wirkliche Möglichkeit mehr, aus ihrem Irrtum auszubrechen. Sie kommen über den Gehorsamshügel nicht hinweg. Sie meinen wirklich, es sei auch hier Gehorsam geboten. Aber hier ist keiner geboten.
Denn wenn es um die Inhalte des Glaubens geht, wenn es geht um die Deutung der heiligen Messe, um die Gestaltung des Geschehens des heiligen Opfers am Altar, da gilt nur eines: Die heilige Oberlieferung! Diese müssen wir befragen, ob sie gehalten, ob sie bewahrt oder entfaltet worden ist. Wenn das der Fall ist: Ja! dann gehorchen wir. Wenn aber die heilige Messe zurückgebildet, verkürzt, reduziert, verdünnt, entstellt, ihres entrückten Wesens, ihrer Opferaussage weithin beraubt ist, wenn sie verkürzt ist; wenn dem wahren Geistfortschritt eine Blockade entgegengesetzt wird in traditionswidriger Ausdeutung, wenn man ihn leugnet, dann: Nein! dann darf man nicht gehorchen. Denn jeder, der sich allein auf das 3. oder 4. Jahrhundert, oder sonst eins beruft, um die weitergegangene Glaubensentfaltung zu leugnen, widerspricht der Wirksamkeit des Heiligen Geistes durch die Jahrtausende in der Kirche. Wenn sich die Kirche also so entstellt darbietet, bzw. die heilige Messe so dargestellt wird denn die Kirche und die heilige Messe sind ja eines - dann ist jeder Gehorsam verboten, weil er den Glauben endlich tötete; dann gibt es nur einen Gehorsam: Gegen Gott und die heilige Überlieferung. Und jeder Bischof ist an dieses Gesetz gebunden. Der Begriff 'Bischof', der Begriff 'Papst' ist an dieses Gesetz sakramental liturgischer Entfaltung logisch notwendig gebunden. Und wir sind es auch. Es gibt kein Ausbrechen daraus, es gibt keine Hintertür der 'Interpretationen', die da heißen könnte: Gehorsam immer und überall; sie gibt es nicht! (Fortsetzung folgt)
Wegen seiner öffentlichen Reden und seiner Einstellung drohte H.H. Pfarrer Milch eine Suspendierung aus seinem Amt von seiten der nachkonziliaren Reform"Kirche". In seinem "Spes unica"-Brief vom 15.1.1979 gibt Pfr. Milch Auskunft t über den neuesten Stand der Dinge .
"Meine lieben Freunde in der spes unica! Zunächst wünsche ich Ihnen allen und all Ihren Lieben ein gottgesegnetes Jahr 1979! Der Herr wirke in Ihnen, daß Sie in Seiner Liebe wachsen und in der Erkenntnis Seiner Erlösung! Er beschleunige den glühend ersehnten Tag der großen Wende! Er schaffe in uns heilige und unbedingte Bereitschaft!
Am Anfang steht mein großer Dank an Sie alle! Ich danke aus ganzem Herzen für Ihr Beten, für Ihre Treue, für Ihr Engagement! Ich danke Ihnen, daß Sie alle so innig für mich persönlich gebetet und gebangt haben! Es war mir ein tiefer Trost, eine so große Schar von Freunden und Mitkämpfern an meiner Seite zu wissen! Gott möge Ihnen all dies in Fülle lohnen. Selbstverständlich danke ich auch von Herzen für Ihre Hochherzigkeit im Spenden! Gott weiß, wieviel Opfer und Entsagung in so manchem Fünf-, Zehnoder Zwanzigmarkschein enthalten sind! Sie alle, meine Freunde, habe ich ins Herz geschlossen und bete für Sie, segne Sie und nehme Sie hinein in das heilige Opfer der Messe!
Meine Lage ist - in kurzen Worten gezeichnet - folgende: Herr Bischof Dr. Wilhelm Kempf von Limburg will mich im Grunde seines Herzens behalten, wobei wohl auch eine gewisse Sympathie mitspielt. Am liebsten wäre es ihm, wenn er mich als eine ''konservative Funktion' im 'legalen' Gefüge der Einrichtungen des innerkirchlichen Raumes einsetzen könnte. Es wird ihm dies nie und nimmer gelingen. Ich müßte dann ja seinem Wunsche gemäß meinen Absolutheitsanspruch aufgeben, mit dem ich behaupte, keineswegs einen konservativen Schwerpunkt darzustellen, sondern die ewige katholische Wahrheit zu vertreten! Nachdem mein Aufenthalt im Kloster Metten (wo Milch sich auf Anordnung von Kempf "besinnen" sollte; Anm.d.Red.) - wie von vornherein feststand - mich in nichts von meinem Standpunkt wegbewegen konnte zur tiefsten Enttäuschung des Bischofs Wilhelm, versucht er, in weiteren Gesprächen mich umzustimmen."
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