UNWEIHNACHTLICHES AUS RUSSLAND
(aus: RELIGION UND ATHEISMUS IN DER UDSSR, München, Juni 1978)
Bericht über die Einschränkung und Zerschlagung katholischen kirchlichen Lebens in der Moldauischen Sowjetrepublik (Bessarabien):
Katholische Kirchen und Geistliche gab es vor dem Anschluß an die Sowjetunion in allen Städten und Dörfern Bessarabiens. So stand in Kischinew eine geräumige, schöne katholische Kirche. Heute ist die Kirche von Kischinew gleich allen anderen alten Kirchen in der Provinz geschlossen. Den Katholiken von Kischinew ist nur noch eine kleine Friedhofskapelle am Stadtrand geblieben. Die Seelsorge für alle in Bessarabien lebenden Katholiken, meist ukrainischer, polnischer oder deutscher Nationalität, versieht ein einziger Geistlicher, Wladislaw Sawolnjuk, geb. 1949. Er schloß 1974 seine Ausbildung am sogenannten Geistlichen Seminar in Riga ab. (Einen Theologie-Lehrgang, der von dem dortigen Bischof - für eine überaus kleine Zahl von Seminaristen eingerichtet worden ist. -Anm.d.Red._ ) Der Geistliche besitzt acht Kilometer von der erwähnten Friedhofskapelle eine Wohnung am Stadtrand. Die Behörden gestatten ihm nicht, seinen Wohnsitz zu wechseln: vor kurzem beschlagnahmten sei sein Auto, .einen "Wolga" und seinen Führerschein. Der Weg zur Kapelle kostet ihn mehr als eine Stunde, wenn er die öffentlichen Verkehrsmittel benützt. Wegen einer während seiner Kindheit überstandenen Meningitis leidet Priester Wladislaw häufig unter Kopfschmerzen. Die Katholiken aus Bessarabien schrieben dies und noch viel Schlimmeres in ihrem Brief an Paul VI.:
In der kleinen Kirche in Kischinew finden nicht alle Gläubigen, die an Sonn- und Feiertagen in die Kirche zum Gottesdienst kommen, Platz. Die Leute stehen in Scharen bei Regen und Kälte, bei sengender Hitze und Trockenheit um die Kirche herum.
Die Katholiken, die weit von Kischinew entfernt leben (in den Städten Belzy, Bendery, Tiraspol, Grigorowka, Raschkowo, Andrijaschewka und so weiter) können die Gottesdienste in Kischinew nicht regelmäßig besuchen. Sie baten daher den Geistlichen, zu ihnen zu kommen. Dieser war einverstanden und entledigte sich seiner Pflichten als Seelsorger am Wohnort der Gläubigen. Dies ließ das Gemeindeleben an diesen Orten wieder kräftiger werden; auch die örtliche Jugend fühlte sich angezogen und begann, sich zu beteiligen. Als dies die Behörden merkten, gingen sie zum Angriff über. Die Menschenrechte bleiben ein Stück Papier ... Niemand tritt für die Opfer der groben atheistischen Diktatur ein!
Die Behörden begannen, den Geistlichen auf seinem Weg immer wieder an- zuhalten und ihm wegen willkürlicher Fahrten in die Umgebung mit Geldbußen zu belegen. Fahrten waren nur;erlaubt, wenn sie zur Krankenseelsorge, vor allem der Sterbesakramente erforderlich waren.
Bald wurden auch diese Fahrten durch neue Verfügungen erschwert. Eine Bitte um den Besuch des Geistlichen am Krankenbett mußte von fünf Bestätigungen begleitet sein: einem ärztlichen Attest, einer Bestätigung jeweils der Orts-, der Rayons- und der Stadtbehörden. Lagen diese vier Bestätigungen vor, mußte sich der Geistliche zum Bevollmächtigten für religiöse Angelegenheiten in Kischinew begeben, um den fünften und letzten Schein, die Krankenbesuchsgenehmigung zu erhalten.
Normalerweise bekommen die betroffenen Katholiken die erforderlichen Nachweise nicht so schnell. Jeder Behördenleiter wird ihre Erteilung gern ablehnen oder an eine andere Behörde verweisen. Das kann sich ohne weiteres so lange hinziehen, daß der Kranke ohne Sakramente stirbt.
Die Behinderung der Fahrten des Priesters zur Letzten Ölung bzw. zur Krankenkommunion ist offensichtlich ungesetzlich (es gibt sowjetische Dokumente, die den Gläubigen dieses Recht zugestehen).
Gemäß der letzten Anordnung muß der Geistliche, der schließlich und endlich alle fünf Bescheinigungen zusammen hat, vor seiner Abreise zu dem Kranken nochmals bei dem Bevollmächtigten erscheinen. Diese Vorschrift ist eine Unverschämtheit: ein katholischer Geistlicher und seine Begleiter, welche das Allerheiligste mit sich tragen, - sollen Stillschweigen bewahren. Die letzte Forderung der Behörden treibt den Geistlichen in einen unlösbaren Konflikt. Die Gläubigen verstehen aber schon, warum der Bevollmächtigte den Zeitpunkt der Abreise des Geistlichen genau wissen muß: er muß ja auch seinen Spitzel an den Zielort schicken.
Wenn es der Geistliche fertig bringt, an das Krankenbett zu eilen, versammeln sich natürlich die Gläubigen und bitten im gleichen Zuge auch für ihre geistlichen Bedürfnisse zu sorgen. Um dies zu verhindern, haben die Behörden verfügt, daß der Geistliche niemand außer dem ihn rufenden Kranken seelsorgerisch betreuen darf.
Dieselbe Anordnung untersagt bei Fahrten ans Krankenbett einen besonderen Gottesdienst oder eine Predigt zu halten.
In der Vorstadt Raschkowo, wo sich die Gläubigen zum Gebet in der privaten Wohnung von Frau Oleinik versammelten und diese immer überfüllt war, ergriffen diese die Initiative und errichteten aus eigenen Mitteln selbst ein kleines Gebetshaus. Sie arbeiteten nachts am Bau und gingen tagsüber ihrer Arbeit in den Kolchosen oder Fabriken nach. Als der Bau abgeschlossen war, starteten die Behörden eine barbarische Aktion:
1.) sie stellten die aktivsten Gläubigen wegen "Schwarzbaus" vor Gericht; 2.) sie schoben die Initiative für die Bauarbeiten Frau Oleinik zu, erklärten sie für verrückt und drohten ihr, sie zur Heilung in ein psychiatrisches Krankenhaus einzuweisen; 3.) sie stoppten den Geistlichen, der nach Raschkowo eilte, um die Maßnahmen gegen die Gläubigen abzumildern, auf dem Weg, nahmen ihm das Auto weg und befahlen ihm, zu Fuß nach Kischinew zurückzugehen; 4.) am 25. November 1977 brachen die Behörden mit Bulldozern den Bau ab. Damit die Gläubigen aus dem Weg seien, ordnete man das Erscheinen der Schüler zum Unterricht an diesem Tag nicht um neun, sondern schon um acht Uhr Morgens an; vor der Schule standen die wachhabenden Milizionäre und ließen die Kinder nicht heraus; vor jedem Haus, in dem ein Katholik wohnte, standen drei bis fünf Milizionäre. Sie ließen niemand aus seiner Wohnung heraus. Frau Oleinik und sieben weitere Frauen, die das Pogrom voraussahen und die neue Kirche Tag und Nacht bewachten, schleppten sie in ein Auto und brachten sie an einen Ort in der Ukraine, 70 km von Raschkowo entfernt. 5.) Das Einreißen der Kirche mit Bulldozern dauerte von neun Uhr morgens bis vier Uhr nachmittags. An der Stelle, an der die Kirche gestanden hatte, war bloß noch ein umgepflügter Acker. 6.) Die sakralen Geräte warfen sie in einen Pferdestall, dort hängten sie die kirchlichen Gewänder und die Ikonen an den Pfosten auf. 7.) Die Hostein verstreuten sie auf dem Boden; die Monstranz und sonstige liturgische Gefäße schleppten sie in das Büro der Kolchose. 8.) Die Gläubigen waren erschüttert, besonders über den frevelhaften Umgang mit den Hostien. Sie sammelten sie auf Knien wieder ein. In der Monstranz verblieb nur ein Bruchteil der Hostie. Der fehlende Teil wurde nicht gefunden. 9.) Am Abend strömten die Gläubigen zusammen, sie lagen an dem Ort, an dem sich der Altar befunden hatte, weinend und rezitierend. 10.) Der Geistliche versuchte mit allen Mitteln, die Erlaubnis zu einem Besuch in Raschkowo zu erhalten, um das Altarsakrament vor einer Profanierung zu bewahren. 11.) Bessarabische Katholiken fuhren mehrfach nach Moskau, um ein Einschreiten gegen die Willkür ihrer örtlichen Behörden zu erreichen. Dies war umsonst, da die Direktiven gerade aus Moskau gekommen waren und dort die Maßnahmen in Bessarabien ja gerade gebilligt wurden.
(Anm.d.Red.: Der Brief an Paul VI. endete mit der Bitte um Hilfe. Daß sie unerhört blieb wissen nicht nur wir, sondern inzwischen auch die Betroffenen selber. Auch die Redaktion von RELIGION UND ATHEISMUS ... meint: "Hat der Papst die Petition der bessarabischen Katholiken erhalten und sind ihm die Ergänzungen (folgen unten, Anm.d.Red.) dazu bekannt geworden? Kam (oder kommt) er der Bitte der Gläubigen in der Moldauischen Sowjetrepublik nach und wird er seinen persönlichen Segen an Priester Wladislaw Sawalnjuk senden? All dies ist unbekannt. Wir fürchten, daß die natürliche Pflicht väterlichen Mitleids und väterlicher Liebe hinter den Geboten östlicher Diplomatie zurücktreten wird." (Und das ist der Kommentar eines Organs, das ganz bestimmt nicht unsere Position teilt. Anm.d.Red.)
Zusätzliche Meldungen der bessarabischen Katholiken:
Am ersten Weihnachtsfeiertag, dem 25. Dezember 1977, wurde von den Gläubigen an dem Platz, an dem sich der Altar befunden hatte, ein festlich geschmückter Weihnachtsbaum aufgestellt. Die Behörden untersagten die traditionellen gegenseitigen Besuche in den Häusern der Gläubigen und ordneten die Beseitigung des Weihnachtsbaumes an. Die Gläubigen protestierten und der Bevollmächtigte in religiösen Angelegenheiten ließ sie wissen, er handle nicht auf eigene Faust, sondern habe Anweisungen aus Moskaus. Die Gläubigen besuchten einander, doch sie mußten am späten Abend feststellen, daß der Weihnachtsbaum umgeworfen und sein Schmuck zertrampelt war. Die Katholiken in der Stadt Beljzy (1.500 Seelen) versuchten, ihre Gemeinde eintragen zu lassen. Ein "Dwadzatka" - zwölfköpfiger Vereinsvorstand wurde gebildet. Die Behörden verlangten nicht nur die Liste mit den Namen der zwölf Vorstandsmitglieder, sondern darüber hinaus aller örtlichen Katholiken. Die Gläubigen verzichteten.
An Weihnachten 1977 konnten die meisten Katholiken Bessarabiens wegen den von den Behörden verursachten Schwierigkeiten keinen Gottesdienst besuchen und keine Beichte ablegen.
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