KATHECHISMUS DER KATHOLISCHEN RELIGION
von H.H. Dr.theol. Otto Katzer
139. W u n d e r sind solche auaerordentlichen Werke, welche nicht durch natürliche Kräfte, sondern nur durch Gottes Allmacht vollbracht werden können. "Wenn man das Wunder nicht in seiner engsten Bedeutung nimmt", sagt Goebel, "unterscheidet man nach dem Gebiet der Erfahrungswelt, dem es angehört, a) G e i s t e s w u n d e r, die zwar ihrer tiefsten Wurzel nach in einer geistigen Fähigkeit, in Verstand oder Willen, liegen, aber naturgemäß im Sinnfälligen sich auswirken. Sie scheiden sich wieder in intellektuelle Wunder, z.B. Sprachengabe, Weissagung, und moralische Wunder (Gnadenwunder) wie z.B. die Bekehrung des hl. Paulus.
b) N a t u r w u n d e r (physische Wunder), die ganz und unmittelbar auf dem Gebiet des Empirischen liegen, entweder in der körperlichen Natur des Menschen, wie Krankenheilung, Totenerweckung, oder in der uns umgebenden Natur, z.B. Brotvermehrung, Seewandeln. Im letzteren Fall spricht man auch von Naturwundern imengeren Sinn.
Nach dem Verhältnis zu den Naturkräften oder nach dem Grad der Übernatürlichkeit unterscheidet man, vor allem beim Naturwunder.
1. Wunder "supra naturam" oder "quoad substantiam", Wirkungen, die in ihrem ganzen Wesen nach die Naturkräfte ,einfachhin übersteigen und darum unter keinen Umständen nach dem Naturverlauf eintreten können, z.B. Verklärung des menschlichen Leibes.
2. Wunder "praeter naturam" oder "quoad modum", Wirkungen, die nicht in sich, sondern nur in der Art und Weise ihres Vollzugs über die natürlichen Kräfte sich erheben und darum bloß eine Umgehung des gewöhnlichen Naturlaufs darstellen, z.B. plötzliche Heilung organischer Verletzungen, Brotvermehrung durch bloßen Willensakt.
3. Wunder "contra naturam" oder "quoad subiectum", Wirkungen, die gleichfalls nicht in sich die Naturkräfte übersteigen, sondern nur in dem Subjekt, in dem sie geschehen, von natürlichen Kräften nicht hervorgebracht werden können, ja die meist nur möglich sind durch übernatürliche Hemmung einer entgegen stehenden Naturkraft, z.B. Totenerweckung, Kühlung durch Feuersglut bei den drei Jünglingen im Feuerofen. Nach dem Naturlauf müßte man hier die entgegengesetzte Wirkung erwarten. Man bezeichnet diese Wunder auch als Hemmungswunder." (1) Diese Einteilung ist nicht die einzig mögliche, sie wurde angeführt, um einen etwas tieferen Einblick in das Wesen des Wunders zu gewähren.
140. Jesus hat verschiedenartige Wunder gewirkt, z.B. er verwandelte Wasser in Wein und speiste wiederholt Tausende von Menschen mit wenigen Broten; er vertrieb Teufel und stillte den Sturm auf dem Meer; er heilte Kranke aller Art durch Sein bloßes Wort, erweckte Tote zum Leben und stand glorreich von den Toten auf.
141. Weissagungen sind bestimmte Vorhersagen solcher zukünftiger Dinge, die niemand wissen kann als Gott allein.
142. Jesus hat vorhergesagt den Verrat des Judas und die Verleugnung des Petrus, die Art Seines Todes und Seine Auferstehung, Seine Himmelfahrt und die Sendung des Heiligen Geistes, die Zerstörung Jerusalems und vieles andere.
143. Nicht alle glaubten an Jesus, besonders die Hohenpriester, Schriftgelehrten und Pharisäer haßten ihn wegen seiner Lehre und trachteten, ihn zu töten. Wie wir noch zeigen werden, bleibt heute nichts aus dem Leben Jesu und der ganzen Hl. Schrift unangegriffen, gerade von denen, die den wahren Glauben verkünden sollten! So manches wird einfach als "kerygmatisch" abgetan im Sinne einer Erbauungsparabel. Jedoch vergißt man dabei zwei Zeugen, die nicht abgetan werden können: den hl. Paulus und die Geschichte selbst.
"Athanasius Coquerel sagt mit Recht vom hl. Paulus: 'Man muß den heiligen Paulus nach allen Seiten hin betrachten, wie er Jude ist und Christ, Apostel und Schriftgelehrter, Verfolger und Märtyrer, Paulus bei der Hinrichtung des Stephanus, und wo ihm selber der Tod durch Hinrichtung droht, Paulus als Verfasser der Lobrede auf die Liebe in seinem Korintherbriefe, und wie er als scharfer logischer Denker das Gesetz mit dem Evangelium im Rmerbrief vergleicht, Paulus vor |dem Areopag in Athen, vor dem Volke in Jerusalem, vor Felix, Agrippa und Nero; und man fühlt sich dann tief durchdrungen von der Lehre und der Wahrhaftigkeit des Lehrers. (...) Daß ein Mann wie Paulus sich betrügen ließ oder bezglich der - Religion, welche er vom jüdischen Boden auf den heidnischen hinübertrug, habe betrügen wollen, daß ein Mann von solchem Genie, daß der Verfasser der Briefe, welche wir im neuen Testament besitzen, alte Legenden, nach dem Bedürfnis der Zeit wieder aufgewärmte Legenden fr öffentliche und streng erprobte Tatsachen, für positive Tatsachen der Gegenwart gehalten habe, oder daß ein Mann von diesem Charakter, indem er sich aufopferte, wie er sich aufgeopfert hat, wie seine Briefe bezeugen, sich eines so rasenden Betrugs schuldig gemacht haben soll als Betrogener oder Betrüger: - das sind zwei moralische Unmöglichkeiten, welche geradezu der menschlichen Natur widersprechen, sind ohne Beispiele in den Annalen der Menschheit und tausendmal unwahrscheinlicher und unglaublicher als das ganze Evangelium. Nein, so ist der Mensch nicht geschaffen, ein Mann wie Paulus ist kein Zeuge, den man zurückweisen kann. (...) Wenn das Evangelium eine Sammlung von Volkssagen ist (oder "kerygmatisches" Geschwätz; Anm. v. O.K.), so ist Paulus unbegreiflich, sei es als Enthusiast, der sich betrügen ließ (er hatte zuviel Scharfsinn und wissenschaftliche Bildung), sei es als Betrüger, der wieder betrügt, denn er hat zuviel Aufopferung und soviele Tugenden. Mit einem Wort: man erkläre uns einmal ein sagenhaftes Christentum mit einem Paulus oder einen Paulus mit einem mythologischen Christentum! Das eine ist so unmöglich wie das andere. Wasbleibt also übrig? Die Gewißheit, daß seine Briefe ein lebendiges Zeugnis von der Wahrheit der Evangelien sind." (2)
Der zweite Zeuge ist die Weltgeschichte selbst. Wie kritisch auch Walter Goetz dem Christentum gegenübersteht, so muß er dennoch folgendes sagen: "Diese christliche Jenseitshoffnung ist das Ende einer Welt, die auaerordentliche Leistungen auf allen Gebieten vollbracht hatte - nur die eine nicht: sich selbst dauernd zu erhalten. Ein Reich nach dem andern war dahingesunken und hatte die Vergänglichkeit der Staaten und ihrer Völker gelehrt. Das Schauspiel eines zur Höhe aufsteigenden Kulturkreises hatte als Tragödie geendet; nur das Geistige und das Künstlerische erlebte den großen Zusammenbruch. Und die Religion des Christentums faßte auf dem Trümmerfeld das Ergebnis dieser vier Jahrtausende zusammen: alles Irdische ist eitel, vanitas vanitatum, Vergänglichkeit des Vergänglichen! (...) Wäre die Offenbarungslehre des Christentums nicht doch zuletzt ein großes geistiges System, geworden aus jenen Elementen der orientalisch-hellenistischen Welt, so könnte die Berufung auf Offenbarung wie der Gewaltstreich einer herrschsüchtigen Hierarchie anmuten. Aber das werdende Christentum besaß weder eine Hierarchie noch irgendeine Macht zur Oktroyierung einer neuen Religion; sein größtes Wunder ist nicht die Offenbarung, sondern der Sieg des Offenbarungsgedankens in einer Welt von höchster Geistigkeit und kritischer Gesinnung." (3)
Vierter Glaubensartikel
144. Der vierte Glaubensartikel lautet: "Gelitten unter Pontius Pilatus, gekreuzigt, gestorben und begraben."
145. Jesus Christus hat nur als Mensch gelitten; denn als Gott konnte er nicht leiden.
146. Jesus Christus hat unaussprechlich große Schmerzen an seiner Seele und an seinem Leibe gelitten.
Nicht selten wird in unserer Zeit eingewendet, daß viele in den Konzentrationslagern mehr als Er gelitten haben. Man vergißt aber die Tragweite der Worte Jesu: "Wahrlich, ich sage euch: was ihr einem dieser meinen geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan." (Matth. 25,40) Wurden wir nun den Herrn durch eineinziges Mietshaus führen, und wäre ein jeder lieblose Gedanke, jedes lieblose Wort, lieblose Tat, ein Ihm versetzter Hieb, wie es in der Tat auch ist, wie würde Er da nach einem einzigen solchen Besuch aussehen! Wie viele Häuser gab es da und gibt es in der Welt und wird es noch geben, wie viele Menschen, deren Benehmen sich an Ihm auswirkt! Würden wir auf eine Wagschale die Kreuze, das Leiden aller Menschen aller Zeiten legen und auf die andere Sein Kreuz, Sein Leid, so würde sich die Wagschale mit den menschlichen Kreuzen emporheben, als wäre eine Flaumfeder darauf. Ja wir würden noch weitergehen müssen! Würden wir eine Sekunde Seines Leidens auf alle Menschen verteilen, so wäre die Last fr einen jeden dennoch so schwer, daß er sie nicht ertragen könnte. Dieses Beispiel ist keineswegs an den Haaren herbeigezogen! Er ist kein bloßer Mensch, sondern Gottmensch, der die volle Tragweite von allem erfaßt!
147. Jesus hat an seiner Seele große Angst und Traurigkeit, Verachtung und Verspottung, Verleumdung und andere Unbilden gelitten. "Meine Seele ist betrübt bis in den Tod." (Matth. 26,38)
148. Jesus hat an seinem Leibe viele Mißhandlungen, Schläge und Wunden gelitten; ER ist gegeißelt, mit Dornen gekrönt und gekreuzigt; worden.
149. Pontius Pilatus, Landpfleger von Judäa, hat Jesus aus Furcht vor den Juden zum Kreuzestod verurteilt.
150. Die Hohenpriester und Schriftgelehrten haben Jesus bei Pilatus aus Haß und Neid falsch angeklagt, als hätte er Gott gelästert und König der Juden werden wollen.
151. Jesus ist auf dem Kalvarienberge nahe bei der Stadt Jerusalem gekreuzigt worden und am Kreuze gestorben, indem sich seine Seele von seinem Leibe getrennt hat. "Jesus rief mit lauter Stimme und sprach: Vater, in deine Hände empfehle ich meinen Geist." (Lk. 23,46) - Nach diesen Worten "neigte er das Haupt und bergab seinen Geist." (Joh. 19,30)
152. Beim Tode Jesu hat sich die Gottheit nicht von seiner Menschheit getrennt, sondern ist mit dem Leibe und der Seele vereinigt geblieben.
153. Beim Tode Jesu haben sich folgende Wunder zugetragen: die Sonne wurde verfinstert; der Vorhang des Tempels zerriß, die Erde bebte, Felsen zersprangen, Gräber öffneten sich und viele Tote standen auf.
154. Joseph von Arimathäa und Nikodemus haben den Leib Jesu begraben; sie haben ihn in ein neues, in Felsen gehauenes Grab gelegt, in welches noch niemand gelegt worden war.
155. Jesus wollte leiden und sterben a) um für die Menschen der göttlichen Gerechtigkeit vollkommene Genugtuung leisten; b) um uns von der Sünde, von der Knechtschaft des Teufels und von der ewigen Verdammnis zu erlösen; "Er ist verwundet um unserer Missetaten willen, zerschlagen um unserer Sünden willen; unseres Friedens wegen liegt die Züchtigung auf Ihm, und durch seine Wunden werden wir geheilt." (Is. 53,5) - "Er hat uns geliebt und uns gewaschen von unseren Sünden mit seinem Blute." (Offenb. 1,5) c) um uns reichliche Gnade und die ewige Seligkeit zu verdienen.
156. Jesus konnte für uns vollkommene Genugtuung leisten, weil er nicht bloß Mensch, sondern auch Gott ist, und weil deshalb sein Leiden und Sterben unendlichen Wert hat.
157. Durch die Verdienste Jesu Christi können alle Menschen selig wem den, wenn sie tun, was notwendig ist, um sich derselben teilheftig zu machen. "Dieser ist die Versöhnung für unsere Sünden; doch nicht allein für die unsrigen, sondern auch für die Sünden der ganzen Welt." (I. Joh. 2,2)
Anmerkungen: 1. Katholische Apologetik von P. Dr. Bernardin Goebel O.M.Cap. Herder 1930, S.60f. 2. Annales de philosophie chrétienne, III. Serie Nr.70, S.40-42, zitiert nach: "Weltgeschichte" von Prof. Dr. Joh. Bapt. v. Weiß, III. Bd.: "Das Christentum. Die Völkerwanderung" Graz 6 1900, S. 241f. 3. Propyläen-Weltgeschichte, II.Bd.: "Hellas und Rom, Die Entstehung des Christentums", XX u. XXIV., Berlin. (Fortsetzung folgt)
|