"WIR SIND DIE WAHREN KATHOLIKEN"
Auszüge aus einem Interview mit Univ.-Prof. Dr. Wigand Siebel vom 13.1.1978 (aus: "MD Materialdienst" Jan/Febr. 1978, hrsg. v. Konfessionskundlichen Institut des Evangelischen Bundes Arbeitswerk der Evangelischen Kirche in Deutschland, S.9 ff)
MD: Herr Professor Siebel, Sie sind einer der Hauptvertreter der westdeutschen Traditionalisten und Initiator der "Katholischen Kulturgemeinschaft St. Pius X. e. V.". Welche Zielsetzung hat der Verein?
Siebel: Die Vereinsgründung liegt schon längere Zeit zurück.Inzwischen sind wir dadurdi bekannter geworden, daß wir seit gut einem Jahr in einem Gasthaus jeden Monat eine Veranstaltung durchführen, deren Höhepunkt die Feier der heiligen Messe nach tridentinischem Ritus ist. Zu jeder Veranstaltung kommen zwischen 200 bis 300 Personen. Da es zu den Zielen unseres Vereins gehört, die überlieferte katholisdie heilige Messe zu feiern, waren wir von Anfang an darauf bedacht, einen Gottesdienstraum, eine Kirche, zu bekommen. Ein Gebäude dafür haben wir inzwischen gekauft.
MD: Es soll eine ältere Fabrikhalle sein?
Siebel: Es wurde zuletzt als Lager benutzt, ist aber zentral gelegen und für unsere Zwecke außerordentlich gut geeignet.
MD: Ankauf und Umbau sollen eine Million Mark kosten. Angeblich hat Erzbischof Marcel Lefèbvre 300 000 Mark dazu beigesteuert. Welche Rechte hat er damit eingekauft? Betrachtet sich Ihr Verein eingebunden in das Netzwerk traditionalistischer Gemeindegründungen in Westeuropa und Nordamerika, die nach ihrem Selbstverständnis die wahre katholische Kirche darstellen? Wird hier in Saarbrücken ein Priorat für Lefèbvre geschaffen?
Siebel: Die Gemeindegründungen, die Sie ansprechen, sind sicher durch die Person von Erzbischof Lefèbvre mit beeinflußt, aber es ist zweifellos so, daß sie auch ohne ihn stattgefunden hätten, jedenfalls zu einem beachtlichen Teil, denn die Orientierung, die Erzbischof Lefèbvre gegeben hat, haben ja viele Personen schon vor ihm gehabt, bevor sie ihn kannten, ich zähle mich selbst dazu. Ich war glücklich, zu sehen, daß Lefèbvre und ich sehr weitgehend in der Beurteilung der heutige Situation der Kirche übereinstimmen. Doch diese Orientierung hatte ich schon, bevor ich ihn kannte. Man darf also diese Gemeindegründungen nicht in allzu engem Zusammenhang mit ihm sehen. Natürlich sind diese Gründungen in Frankreich schon sehr viel weiter fortgeschritten als bei uns, aber auch bei uns sind sie schon recht beachtlich. Und nun zu Ihrer direkten Frage, was Erzbischof Lefèbvre und seine Beteiligung anbetrifft: Es stimmt, er hat insgesamt 300 000 Mark zum Kauf und zur Ausstattung dieses Gebäudes übernommen. Wir haben uns dazu verpflichtet, ihm dieses Haus - wenn er es will - als Priorat zur Verfügung zu stellen. Die Gesamtsumme ist allerdings etwas übertrieben. Im Augenblick haben wir einen Pfarrer aus dem Bistum Trier, der uns betreut und sich selbst Erzbischof Lefèbvre unterstellt hat. Darüberhinaus gibt es hier noch andere Priester, die mit uns gleicher Meinung sind.
MD: Gibt'es zum Beispiel eine Verbindung zu Pfarrer Hans Milch nach Hattersheim in der Pfalz, dem Vorsitzenden der konservativen Aktion "Spes unica"?
Siebel: Selbstverständlich fühlen wir uns mit ihm verbunden. Bei dem von ihm veranstalteten Kongreß in Wiesbaden im Oktober letzten Jahres waren wir dabei, wie auch viele verschiedene andere Gruppen im deutschen Sprachbereich.
MD: Die katholisdie Kirche verfügt über eine Vielzahl von Vereinen und Verbänden. Fühlen Sie sich mit Ihrem Verein zu dem gehörig, was man allgemein als Vereins- oder Verbandskatholizismus bezeichnet? Oder gehen Sie Ihren eigenen Weg außerhalb der verfaßten Kirche? Halten Sie Bischof Dr. Bernhard Stein von Trier für Ihren zuständigen Bischof?
Siebel: Eigentlich halte ich ihn nicht für meinen zuständigen Bischof, weil ich sehr schwere Bedenken gegenüber dem Kurs der deutschen Bischöfe habe, und weil ich diesen Kurs für einen Kurs halte, der aus der katholischen Kirche herausführt. [...]
MD: Es gab in der römisch-katholischen Kirche immer schon verschiedene Auffassungen und unterschiedliche Gruppierungen. Warum bleiben Sie mit Ihrer "Katholischen Kulturgemeinschaft Pius X." nicht in der von Ihnen kritisierten Kirche? Glauben Sie, in ihr keinen Platz, kein Heimatrecht mehr zu finden, nur weil Ihnen der Kurs dieser Kirche im Augenblick nicht zusagt?
Siebel: Es geht mir weniger um das Heimatrecht, als um die Frage: Ist diese Kirche noch katholisch? Und da gewährt die Tradition klare Orientierungen. Die sich katholisch nennende Amtskirche weicht von dem ab, was immer gelehrt wurde, und zwar leider nicht nur in einem Punkt, sondern in vielen Punkten. Und diese Entwicklung beginnt offenbar und ganz deutlich zu werden. Das entscheidende Ereignis überhaupt war das Zweite Vatikanische Konzil. Hier sind neue Orientierungen gesetzt worden, die zur Zerstörung der katholischen Kirche in wesentlichen Punkten beigetragen haben. Dieser Kurs ist bisher nicht aufgehoben, sondern im Gegenteil von Rom her verschärft und von den deutschen Bischöfen ohne größere Gegenwehr durchgeführt worden.
MD: Noch einmal zurück. Begeben Sie sich mit Ihrem von der jetzigen katholischen Kirche losgelösten Verein nicht in ein Ghetto? Haben Sie resigniert? Oder soll die Gemeinschaftsgründung hier als ein Zeichen der Hoffnung verstanden weiden und eine Neubesinnung in der katholischen Kirche initiieren, welche die Kirche wieder in ihre vorkonziliare Gestalt zurückführen soll?
Siebel: Zunächst einmal, ob wir im Ghetto existieren oder nicht, ist uns gleich. Vielleicht kann man das in mancher Hinsicht sagen, so schließt das heutige ökumenische Gespräch einen Partner aus, und das sind wir. Und zwar sowohl von evangelischer Seite her als auch von der Seite dieser Amtskirche, von der wir eben gesprochen haben. Entscheidend ist für uns also nicht die soziale Situation, in der wir uns befinden, entscheidend ist es vielmehr für uns, das, was die katholische Kirche ist, aufrechtzuerhalten. Insofern haben wir in gar keiner Weise resigniert, ganz im Gegenteil, wir fühlen uns voll Hoffnung im Kampf stehend, im Kampf zur Verteidigung der katholischen Kirche, wie sie war und wie sie immer bleiben wird. [...]
MD: Die Katholiken, die man allgemein als Traditionalisten, Konservative oder Rechte bezeichnet [...] erklären stattdessen: Wir sind die wahre katholische Kirche. Liegt hierin der Grund dafür, daß Sie sich als Dialogpartner verweigern und lieber Ihren eigenen Verein gründen?
Siebel: Ich persönlich finde den Ausdruck Traditionalisten nicht sehr passend, wie Sie schon angedeutet haben, doch lasse ich ihn mir zur Not gefallen. Andere, die ich kenne, würden ihn absolut ablehnen.
MD: Welche Bezeichnung ist Ihnen lieber - vielleicht "vorkonziliare Katholiken"?
Siebel: Von der Sache her wäre das vernünftiger. Natürlich sind wir traditionell, weil wir auf der Seite der Tradition stehen. [...]
MD: Sie gebrauchen das Wort Kirchenkampf. Läßt sich wirklich sagen, daß in der römisch-katholischen Kirche ein Kirchenkampf stattfindet? Verwenden Sie dieses Wort nicht zu vollmundig? In der Bundesrepublik Deutschland sehe ich nirgendwo einen Kirchenkampf?
Siebel: Der Ausdruck Kirchenkampf ist ja keineswegs nur in unseren Kreisen üblich, sondern in evangelischen genauso . ..
MD: Dieses Wort haben jedoch, soviel ich weiß, die evangelischen Sprecher zurückgenommen.
Siehel: Das Wort "Kirchenkampf" ist mir nicht wichtig. Ich hänge nicht daran. Aber, unterstellen wir einmal, unsere Position sei richtig, daß die Kirche mehr oder weniger von innen her ausgehöhlt wird und daß die Bischöfe, welche die eigentlichen Wächter des Glaubens sein sollen, diesen Zerstörungsprozeß an maßgeblicher Stelle mit vollziehen - ob mit klarer Absicht oder in Unkenntnis der Dinge, lasse ich offen. Aber faktisch machen sie es. So ist es absehbar, daß die katholische Kirche in wenigen Jahren oder Jahrzehnten im Glauben, im Mitgliederbestand und im Einfluß auf die Welt in erheblichem Maß verlieren wird, wenn die Entwicklung so weitergeht. Es kehrt etwas Neues ein, gegen das wir uns, ich will nicht sagen, in verzweifelter Weise, aber doch in einer Weise, die nun für eine lange Zeit der Kirchengeschichte einmalig ist, zu wehren versuchen. Wenn überhaupt, dann ist der Ausdruck "Kirchenkampf" für unser Bemühen wohl doch eine angemessene Bezeichnung.
MD: Die katholisdie Kirche soll also wieder vorkonziliar werden. Halten Sie das überhaupt für möglich?
Siebel: Nicht vorkonziliar, sondern wieder katholisch!
MD: Nur, es ist doch so, daß die römisch-katholische Kirche heute durchaus der Auffassung ist, die wahre katholische Kirche zu sein, ganz und gar auf dem Boden der Tradition zu stehen und die Fülle der Tradition durchaus zu bewahren. Auch das Zweite Vatikanum ist ja nicht aus der Luft entstanden, sondern setzt einen Prozeß von Leben und Lehre in der Kirche voraus, der das Konzil überhaupt in der gewesenen Weise ermöglicht. Und die Texte, die dort verabschiedet wurden, sind ja in ihrem Inhalt auch nicht zufällige Produkte einer Zusammenkunft von Bischöfen, sondern in der vorkonziliaren Zeit reiflich überlegt worden.
Siebel: Sie haben natürlich recht. Es sind keine abrupten Wandlungen. Das, was im Zweiten Vatikanum schließlich zu Tage getreten ist, ist schon lange vorbereitet gewesen, und zwar können Sie das ja auch insbesondere aus den Äußerungen Pius X. und der Verurteilung des Modernismus ganz klar entnehmen, was dort im Kommen war. Und das, was er verurteilt und wogegen er einen Wall aufzuschütten versucht hat, genau das hat sich im Zweiten Vatikanum durchgesetzt. Es ist über längere Zeit im Schoß der Kirche etwas herangereift, was eben nicht die Kirche selber ist, sondern was gegen die Kirche ausgerichtet ist und was ihre Zerstörung betreibt. Ich kann nur sagen, daß eine Reihe von Festlegungen des Zweiten Vatikanums im Sinne der bisherigen katholischen Lehre häretisch ist, daß sich sogar Aussagen gegen definierte Glaubensaussagen richten.
MD: Wieso hat es eigentlich auf Ihrer Seite solange gebraucht, um das alles so klar zu erkennen? Warum hat Lefèbvre fast alle Konzilstexte unterschrieben? Warum hat er damals nicht gewarnt und gesagt: So geht es nicht, ihr verratet euern Glauben?
Siebel: Bitte, denken Sie an die Zeit zurück. Der Katholik hat bis zum Zweiten Vatikanum und lange danach noch ein ungeheures Vertrauen zu seinen Bischöfen und insbesondere zum Papst gehabt. Vom letzten Jahrhundert her, vom damaligen Kirchenkampf, vom damaligen Kulturkampf, war dem Katholiken immer wieder Gehorsam und Treue gegenüber dem Papst eingeimpft worden. Nun kommen die Bischöfe zum Konzil und meinen, diesen Gehorsam und diese Treue wahren zu müssen. Man stimmt also zu, wenn man sieht, daß der Papst und die hervorragenden anderen Bischöfe, Erzbischöfe, Kardinale oder Kurienmitglieder auch zustimmen. Man hat die Überzeugung, sie könnten doch nicht Ja zu etwas Häretischem sagen, man besitzt ein großes Vertrauen zu ihnen. Immerhin finden sich in den Konzilsunterlagen aber auch kritische Stimmen. Kurz nach dem Konzil hat Erzbischof Lefèbvre bereits in einem Brief an Kardinal Franjo Seper darauf hingewiesen, welche ungeheuren Folgen das Konzil haben würde. Die meisten haben dagegen zuerst gedacht, die neuen Entwicklungen lägen im Rahmen der bisherigen Glaubensvorstellungen und der bisherigen Tradition der Kirche. Jetzt erst ist es so, daß man klar sieht, daß wir als Nichttheologen einigermaßen Fuß gefaßt haben, und ich möchte sagen, im großen und ganzen besser informiert sind als die Bischöfe.
MD: Brechen Sie in Ihrem Kampf für die wahre katholische Kirche nicht mit einer Einrichtung, die für die katholische Kirche charakteristisch ist: mit dem ordentlichen Lehramt, das in der Gestalt von Papst und Bischöfen die reine Lehre wahrt?
Siebel: Wir sind nicht gegen das Lehramt, wir sind gegen eine mißbräuchliche Ausübung des Lehramtes. Wir halten an allen Glaubensaussagen fest, die die Kirche jemals gemacht hat. Wir sind keine Alt-Katholiken! Das Zweite Vatikanum als Pastoralkonzil hat ja keine definitiven Glaubensaussagen gemacht. Insofern ist es nicht gänzlich verpflichtend.
MD: Mir scheint, darüber kann man verschiedener Auffassung sein.
Siebel: Nein, jeder objektive Beobachter gibt das zu.
MD: Auch traditionelle Katholiken machen Politik. Welche politischen Ziele verfolgt Ihr Verein?
Siebel: Wir kämpfen für eine christliche Gesellschaft, einen christlichen Staat, eine christliche Kultur - und zwar sagen wir das gerade in entgegengesetzter Intention zum Zweiten Vatikanischen Konzil, wo ja die Religionsfreiheit verkündet worden ist.
MD: Sie wenden sich gegen die Religionsfreiheit. Sind die Gespräche zwischen der katholischen und den evangelischen Kirchen häretisch?
Siebel: Nein, keinesfalls. Doch zunächst zur Klärung der Frage der Religionsfreiheit: Christus hat nur eine Kirche gegründet. Darüber sind wir uns sicher einig. Und irgendwo muß die Grenze dieser Kirche liegen. Und gegenüber denjenigen, die außerhalb sind, besteht ein Missionsauftrag. Das heißt, man ist verpflichtet von Christus her, diese anderen in die volle Wahrheit oder die volle Gemeinschaft mit der Kirche zurückzuführen. Ich meine, das sind Überlegungen, die sowohl ein Protestant als auch ein Katholik nachvollziehen kann.
MD: Sagt nicht das Ökumenismusdekret "Unitatis redintegratio" des Zweiten Vatikanischen Konzils Ähnliches?
Siebel: Die einzelnen Dekrete sind aus viel Wahrem und einzelnen Irrtümern zusammengesetzt. Aber nun noch zur Religionsfreiheit. Es geht hier nicht um die Freiheit, dem Glauben zuzustimmen oder ihn abzulehnen. Glaube ist selbstverständlich immer etwas, was auf Freiheit beruhen muß und niemals erzwungen werden kann. Bei der Religionsfreiheit geht es darum, daß faktisch das Königtum Christi und der Bereich, der für Gott zu missionieren ist, eingeschränkt wird, nämlich daß der Staat sozusagen ausgenommen wird. Er darf auf die Religionen und Konfessionen weder in der einen noch in deranderen Richtung einwirken. Diese Vorstellung ist meiner Meinung nach mit einer christlichen Sicht-der Dinge nicht zu vereinbaren. Aber Sie mögen anderer Meinung sein. Auf alle Fälle haben die Päpste die Religionsfreiheit in diesem Sinne stets verurteilt und auch "ex cathedra" verurteilt. Das heißt: jeder Katholik ist verpflichtet, die Religionsfreiheit in diesem Sinne abzulehnen. Wer es nicht tut, steht der Sache nach eben außerhalb der Kirche.
MD: Meinen Sie, daß diese Auffassung einer absolutistischen Zeit sich auch auf den freiheitlichen demokratischen Rechtsstaat mit seiner pluralen Gesellschaft übertragen läßt?
Siebel: Der Staat ist ein durch und durch liberaler oder sogar schon antichristlicher Staat geworden. Die Frage ist, kann der Christ sich damit abfinden? Ich kann nur sagen: nein! Er hat die Pflicht, alles zu verchristlichen, auch den Staat. [...]
MD: Die Wahrheitsfrage spielt in all Ihren Argumentationen eine besondere Rolle. Wie definieren Sie Wahrheit? [...] Versuchen wir einmal, die Wahrheitsfrage am Beispiel der Liturgiereform zu konkretisieren. Wenn ich das, was Sie gesagt und geschrieben haben, recht verstehe, ist sie ein besonderer Anlaß zur Gründung Ihres Vereins gewesen. Doch wohl nicht deshalb, weil Ihnen irgendwelche Formulierungen vom Lateinischen ins Deutsche nicht gefallen haben, sondern wohl deswegen, weil Sie meinen, hier gehe es um echten substanziellen Verlust. Fußt aber das Zweite Vatikanische Konzil mit der Liturgie-Konstitution "Sacrosanctum concilium" nicht auf der sogenannten liturgischen Bewegung in Frankreich und Deutschland, die sich schon jahrzehntelang um eine liturgische Erneuerung bemühte? Die wichtigsten Prinzipien der Reform waren, die volle, bewußte, tätige Anteilnahme der Gläubigen - plena, conscia et actuosa participatio fidelium - an den liturgischen Feiern zu ermöglichen. Zum anderen: Beim alten Missale Romanum von Pius V. aus dem Jahre 1570 liegt, die Betonung auf dem Grundmodell der Messe als Privatmesse. Statt dessen wird nun bei der liturgischen Reform und beim Deutschen Meßbuch das Grundmodell der Feier der Gemeindemesse in der bewußten und tätigen Teilnahme aller Gemeindeglieder an der Liturgie betont. Das alte Missale Romanum stellte eine Art hochstilisiertes Rollenbuch für den amtierenden Priester ohne Realitätsbezug auf die Gemeinde dar und verwirklichte nicht die genannten Grundprinzipien. Ist nicht deshalb schon eine Erneuerung dringend geboten gewesen?
Siebel: Sie haben da einen Punkt herausgearbeitet, der in der Diskussion praktisch noch gar nicht zum Tragen gekommen ist, nämlich das richtige Verständnis dessen, was man mit "actuosa participatio" meint. Dieser Begriff hat zwei Dimensionen. Das erste ist, daß die Aktivität der Gläubigen an sich überhaupt erst hervorgelockt bzw. gestärkt werden soll, wobei das Moment der äußeren Teilnahme bei der Liturgiereform sehr stark betont wird, während noch Pins XII. die innere Teilnahme in den Vordergrund stellte. Es geht also um die innere Teilnahme am Opfer. Die Liturgiereform betont mehr die äußere Seite. Doch das ist noch nicht das Entscheidende. Das Entscheidende - und das ist eine Revolution - ist praktisch die Aufhebung der Unterscheidung zwischen Priester und Gemeinde. Vor dem Zweiten Vatikanum war nach kirchlichem Rechtsbuch, nach allen Moralbüchern, der eigentliche "Akteur" der Messe der Priester. Ein Laie war nicht notwendig, zwar erwünscht, äußerst erwünscht, aber ein Priester konnte selbstverständlich, wenn nicht anders möglich, die Messe solo lesen, ganz allein. Diese Betrachtungsweise ist wesentlich im Hinblick auf den Opfercharakter der Messe. Wenn ein Opfer im Namen der Kirche dargebracht werden soll, muß es eine legitime Autorität geben, die es für die Kirche darbringen kann. Wenn man dagegen eine gottesdienstliche Versammlung vor Augen hat, sieht der Fall ganz anders aus. Und genau das hat das Zweite Vatikanum vor Augen gehabt. Jetzt wird von der Messe in der Art einer Versammlung gesprochen, und das heißt, daß heutzutage eine Liturgiefeier, um mich allgemein auszudrücken, nicht mehr vonstatten geht, wenn nicht wenigstens einige Leute da sind, entsprechend der evangelischen Übung ...
MD: Die doch immerhin das Jesuswort für sich hat: "Wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen ..."
Siebel: Ja, das ist genau der Hinweis, der in der Allgemeinen Einführung zum neuen Missale gemacht worden ist. Die Messe ist danach angeblich in besonderer Weise eine Realisierung eben dieses Spruchs, was ich absolut ablehnen muß. Jetzt bekommen die Gläubigen in ihren verschiedenen Rollen - als Chormitglied, Lektor und so fort - sozusagen ein eigenständiges Recht, das sie von sich aus beanspruchen können, um an der Gestaltung der Liturgie mitzuwirken. Sie sind nicht mehr wie früher Beauftragte des Klerus. Ich hoffe, Sie merken, welche ungeheure Umwälzung hier die Liturgie-Konstitution gebracht hat. Der Priester ist nicht mehr derjenige, der letztlich allein handelt, während die anderen nur Begleitpersonen sind. Jetzt muß der Priester seine Funktion mit den Laien teilen. Das ist die Aufhebung des Klerus als eines eigenen Standes. Das ist auch die Aufhebung des bisherigen Kirchenbaues. Die bisherige Kirche, orthodox wie römisch-katholisch, kennt die klare Trennung des Priesterraums vom Raum der Gläubigen, ob durch Bilderwand oder durch die Kommunionbank und die Erhöhung der Altarstufen. Heute dagegen wird die Kommunionbank herausgerissen, und der Altar wird in die Gemeinde hineingestellt. Die Apsis mit dem Altar als das Bild des Himmels verschwindet. Das Bild, das dahinter steckt, ist das Bild der Versammlung oder, genauer gesagt, das Bild des Mahles. Das wird in keiner Weise verheimlicht. Nach der überlieferten Lehre ist diese Ansicht unmöglich. Die heilige Messe ist kein Mahl. Bestenfalls kann man sagen, sie enthält ein Mahl. Aber sie ist niemals ein Mahl.
MD: Sie lieben starke Worte. Ihr Bemühen um eine vorkonziliare Kirche nennen Sie Kirchenkampf. Die Liturgiereform bezeichnen Sie als Revolution, die den Klerus als eigenen Stand vernichtet. [...]
MD: Warum, meinen Sie, sind in der katholischen Kirche die Reformen oder Erneuerungen vorgenommen worden, die Sie nun zu Ihrem Kirchenkampf herausfordern? Wenn ich mit Bischof Stein sprechen würde, so würde er alle von Ihnen genannten konziliaren Fehlentwicklungen weit von sich weisen und erklären, daß die Tradition wohl gewahrt sei.
Siebel: Ich möchte mich einfach einmal auf den Standpunkt stellen, den uns die Bibel vorgibt. Christus hat die Zerstörung des Tempels vorhergesagt und ausdrücklich auf das Alte Testament zurückverwiesen. Die Zerstörung des Tempels zeigt als Signal oder Beispiel, was eines Tages mit der Kirche geschehen kann, daß sie nämlich am Ende der Tage aufs äußerste bekämpft wird. Das ist allgemein christliche Überzeugung, das muß jeder akzeptieren, solange er bibeltreu ist. Auch, daß die Verfolgungen aufs höchste ansteigen. Im Alten Testament steht bei Daniel, daß die Zerstörung des täglichen Opfers eines Tages vonstatten gehen wird. Dann wird die Kirche Christi den allerschärfsten Verfolgungen ausgesetzt sein. Verfolgungen von außen - das ist eine alte Erfahrung - machen eigentlich stärker. Eine Verfolgung von außen würde die Dimension der Kirche im Bewußtsein der Menschen deutlicher erscheinen lassen und sie mehr stärken als schwächen. Auch dann, wenn die Kirche an Zahl kleiner wird. Eine Zerstörung von innen bzw. von "oben" her hat sehr viel mehr Erfolgsaussicht. Dafür ist die katholische Kirche wie keine andere geeignet. Den orthodoxen Kirchen könnte so etwas nicht so leicht passieren, weil sie nicht diese enorme Einflußmöglichkeit von oben her, vom Papst, von Rom her haben. Anders die katholische Kirche. Sie ist dazu geeignet. Es ist zumindest eine Denkmöglichkeit, daß hier die Zerstörung der Kirche einsetzt, die irgendwann kommen soll. Außerdem hat die Zerstörung der Kirche von jeher auf dem Programm verschiedener Organisationen gestanden. Wenn man die Päpste des 19. und 20. Jahrhunderts heranzieht, so haben sie immer vor den Freimaurern gewarnt. Sie sind tatsächlich die Feinde der katholischen Kirche. Das ist meine Überzeugung. Das sagen alle Päpste vor dem Vatikanum II, und da muß ich mich anschließen, auch wenn ich ihre Argumentation und die Vorgehensweise vielleicht im einzelnen Falle nicht billige. Vielleicht ist die Möglichkeit der Unterwanderung der Kirche heute einleuchtender, denn jeder weiß ja, daß sehr vieles heute unterwandert ist, und daß auch die evangelische Kirche in mancher Hinsicht unterwandert ist ... [...]
MD: Dr. Elisabeth Gerstner, eine äußerst engagierte Gesinnungsgenossin von Ihnen, die bei Köln wohnt, hat einmal in einem Gespräch mit dem Südwestfunk folgende Auffassung vertreten: Bei meinen Besuchen im Vatikan habe ich sehr viele Angehörige der Kurie getroffen, die mit Lefèbvre und unserem Anliegen durchaus einverstanden sind. Nur wollen sie keine Gegenbewegung anzetteln, da Papst Paul VI. alt geworden, sei, und sein Pontifikat sowieso bald zuende gehe. Beim nächsten Papst werde man dafür sorgen, daß er den vorkonziliaren Anliegen gegenüber aufgeschlossen sein werde. Haben Sie auch diese Hoffnung, daß der nächste Papst in diesem Sinne den Kurs der katholischen Kirche bestimmen wird?
Siebel: Ja, diese Hoffnung habe ich. Allerdings fragt sich, ob ein solcher Papst der unumstrittene Nachfolger sein wird oder ob sich an der obersten Spitze deutlich ein Schisma zeigen wird. Wir haben schon öfter Zeiten gehabt, daß es mehrere Päpste oder angebliche Päpste gegeben hat.
MD: Wenn ich recht sehe, hat Lefèbvre bisher immer abgelehnt, eine eigene Kirche mit einem Gegenpapst zu gründen. Wenn Sie nun daran erinnern, daß es schon Zeiten gegeben habe, in denen es mehrere Päpste gab, so scheint mir, daß sich in dieser Frage cm Gesinnungswandel anbahnt. Sie schließen die Wahl eines Gegenpapstes nicht aus. Das bedeutet doch wohl; Mit Paul VI. lassen wir noch allei beim alten, während der verbleibenden Restzeit stärken wir unsere Basis, soweit wie es geht. Wenn sich nach Papst Paul VI. nichts ändert, gehen wir auf Gegenkurs und geben wir uns einen eigenen Papst.
Siebel: Diese Dinge sind im Augenblick in sehr ernsthafter Diskussion und es gibt einzelne, die Erzbifchof Lefèbvre vorwerfen, er habe nicht die Führung übernommen und nicht entschieden genug gegenüber Papst Paul VI. Stellung genommen. Andere, ich neige diesen mehr zu, sagen: Das ist weder opportun noch sachlich durchführbar im Augenblick. Wenn die Frage nach einem neuen Papst ansteht, dann kann das niemals heißen, daß sich Erzbischof Lefèbvre oder irgendjemand anders dazu aufwirft. Das ist ganz ausgeschlossen. Damit würde die Legitimität verloren. Wenn, dann geht das nur auf der Ebene, daß sich im Rahmen des Kardinalskollegiums oder im Rahmen derjenigen, die für die Papstwahl berufen sind, mehrere Richtungen zeigen, die sich auseinanderdividieren lassen. So ist es eigentlich immer bei den Schismen gewesen, auf die ich vorhin angespielt habe.
MD: Wenn sich also der Grundkurs der römisch-katholischen Kirche ändert, sind Sie dann bereit, mit Ihrer Vereinigung und, soweit Sie sehen, auch ähnliche Vereinigungen auf der Traditionalistenseite in den Schoß der römisch-katholischen Kirche zuriiikzu kehren? .
Siebel: Wir sind der Überzeugung, daß wir immer im Schoß der Kirche sind. Wenn die legitime Autorität wieder im Sinne der katholischen Tradition handelt, werden wir uns ihr selbstverständlich unterstellen. [...]
AM 18. JUNI 1978 WURDE DAS ZENTRUM "MARIA ZU DEN ENGELN" IN SAARBRÜCKEN DURCH MGR. LEFEBVRE FEIERLICH EINGEWEIHT.
CHRISTI HEUTIGE VERLASSENHEIT
O Jesus, heu' verlassen, verhöhnet wie noch nie, Lamm Gottes, so geschlagen, erbarmend auf uns sieh. Stärk' die, die Dich noch lieben, daß treu sie mit Dir gehn, bereit für Dich zu leiden, an Deiner Seit' zu stehn. MB.
(Marterlinschrift in Biberwier / Tirol) |