SELBSTKRITIK TUT NOT
von Dr. Hans Kopp
Nicht um die Zahl der Stimmen im Kampf um die Entwicklung in der noch unnütz zu vermehren, wende ich mich an euch sogenannte Traditionalisten. Vielmehr zwingt mich dazu der Jammer um das beschämende Niveau, auf dem der Streit um die Wahrheit in der katholischen Kirche zumeist ausgetragen wird.
Kann man überhaupt noch von einem Streit sprechen? Zielt doch keine der beiden Parteien - "Progressi sten" und "Traditionalisten" - mehr auf eine rationale Auseinandersetzung mit dem Gegner ab. Für die einen ist der Fall klar: überalterte, rückständige Gruppen wollen mit verkalkter Engstirnigkeit die Befreiung der Kirche von unnützen Fesseln verhindern.
Für die andern ist dies der Kampf mit dem modernistischen Teufel, der sich schließlich durch kein noch so treffendes Argument überzeugen lassen wird. Wer sieht da noch den Sinn einer Auseinandersetzung mit dem derart vernichtend eingeschätzten Gegner?
Wer kann da noch Hoffnung haben, einen solchen Kontrahenden zur Einsicht zu bewegen?
Es ist wirklich so: diese Lage läßt nur, noch den Monolog zu, der nicht mehr überzeugen will, nicht mehr sich einfühlt in die Voraussetzungen des Gegners, der schließlich nur mehr zum Zweck der Selbstdarstellung das Wort ergreift. So sehr auch beide, "Progressisten" und "Traditionalisten" in ihren Ansichten sich unterscheiden - hier treffen sie sich: sie besitzen denselben schlechten Stil der Auseinandersetzung. Das ist ein harter Vorwurf. Er trifft besonders euch "Traditionalisten". Warum?
Ihr "Traditionalisten" glaubt euch im Vollbesitz der Wahrheit, ihr beschränkt euch nicht, wie euere Gegner auf die immerwährende Suche danach. Ihr seht euch als wahre Repräsentanten der wahren Kirche, ihr haltet euch nicht offen nach allen Seiten, wie die anderen, die die Lehre Christi mit neuen Inhalten füllen wollen. Ihr seht euch als lebendige Fortsetzung einer langen Tradition und setzt nicht, wie diese einen neuen Anfang.
So seid ihr in allen entscheidenden Punkten eueren Gegnern überlegen, doch versteht ihr es nicht, diese Überlegenheit sichtbar zu machen!
Es ist wahr, die Amtskirche hat euch alles genommen. Sie hat eueren katholischen Glauben zu einem flachen Humanismus umgestülpt. Sie hat den Begriff des hl. Meßopfers fragwürdig gemacht, euch die Sicherheit einer gültigen Konsekration genommen und das Offertorium zu einem Loblied auf den Menschen entwürdigt. Auch der Glaube an den Tod Christi am Kreuz ist dem "erneuerten" Glaubensbekenntnis fremd.
Dadurch und durch vieles mehr hat die Amtskirche das Vertrauen der Gläubigen vernichtet.
All dies bedrückt euch und mich und setzt euch klar ins Recht, wenn ihr auf die Beseitigung aller glaubensfremden Modernismen dringt. Ihr fordert nur euer Recht und könnt unmöglich, ohne alles aufzugeben, auch nur einen Schritt weichen.
Doch hat die Gewißheit und Überlegenheit, die euch damit gegeben ist, einen hohen Preis:
Verlangt man nicht zu Recht Tugenden von euch, die man sonst bei der Mehrzahl der Menschen nicht erwarten würde? Mißt man euch nicht zu Recht mit einem strengen Maßstab? Und man ist nicht bereit, euch nachzusehen, was man anderen bereitwillig nachsehen würde.
Es ist wahr, viele von euch erfüllen diese hohe Aufgabe, aber wo steht die Mehrzahl euerer Anhänger? Gilt nicht für euch in besonderem Maß das Wort des hl. Apostels Petrus: "... dies ist der Wille Gottes, daß ihr durch einen guten Lebenswandel den Unverstand einfältiger Menschen zum Schweigen bringt" (1.Petr.2,15)?
In den letzten Jahren habe ich zu verschiedenen "traditionalistischen" Kreisen Beziehung gehabt und habe in dieser Zeit Erfahrungen gesammelt. Und so halte ich es für meine Pflicht, euch gewisse Dinge in Erinnerung zu rufen.
Elitäres Bewußtsein Ihr sagt von euch, daß ihr erkannt habt, wo die wahre Kirche ist und habt recht darin. Doch woher nehmt ihr das Recht, euch selbst auch in allen übrigen Dingen für auserwählt zu halten? Und das nur, weil ihr in einiger Hinsicht besser wißt, wo die Wahrheit ist, als die anderen! Wie viele von euch habe ich nicht schon die frohe Hoffnung äußern hören, das erwartete Strafgericht Gottes werde alle Übeltäter vertilgen, ihr selbst dagegen geht dann einer wunderbaren Zukunft entgegen. Ist es denn so schwer zu verstehen, daß euere Gewißheit in bezug auf die Kirche Christi für euch eine Aufgabe bedeutet, so zu werden, d"aß auch ihr zu den Auserwählten gehören werdet?
Euer Weltbild ist einfach: Progressisten, Freimaurer und Kommunisten auf der einen Seite, auf der anderen ein kleiner Haufe Gerechter: Ihr. Kommen euch niemals Zweifel an dieser Sicht? Im Gefühl euerer sicheren Überlegenheit nehmt ihr euch nicht selten das Recht heraus, über das Seelenheil von Progressisten, die in eueren Augen alle vom Teufel besessen sind, zu urteilen. Sie werden ganz sicher, wie alle Menschen, für ihre Taten Rechenschaft ablegen müssen, doch rechtfertigt das die Selbstgerechtigkeit, die viele unter euch nur mit Mühe verbergen können? Ihr nehmt euch nicht selten das Recht, Frauen mit Hosen vom Kirchenbesuch auszuschließen, und wenn euere Priester sich dazu nicht verstehen, dann übt ihr Selbstjustiz und scheucht die Übeltäter aus der Kirche.
Das Rosenkranzgebet ist euere Waffe und ihr versteht diese Waffe zu führen: stille Meditation und stilles Gebet vor und nach der hl. Messe gibt es in vielen euerer Gruppen nicht. Wichtiger ist euch die Diktatur des lauten Rosenkranzgebetes, das alle Anwesenden zur Teilnahme zwingt und jede stillere Regung unterdrückt. - Schon vor Jahren habe ich mich gefragt, warum die vielen Grüppchen, die sich Traditionalisten nennen, nicht ganz eng zusammenarbeiten. Sie könnten gemeinsam als eine starke Gruppe auftreten, eine gemeinsame Zeitschrift herausgeben anstelle der vielen, vielen Blättchen, die grundsätzlich jedem Schreiber eine Chance geben und doch immer nur dieselben Aussagen wiederholen.
Statt dessen gibt es eine nicht geringe Zahl von Streitpunkten, über die man sich in die Haare geraten ist, doch nur selten einmal Zusammenarbeit bei einzelnen Schritten. Der Grund?
Das elitäre Selbstbewußtsein, das stets besser wissen will als der andere und Wesentliches von Unwesentlichem oft nicht unterscheiden kann, hemmt euere besten Absichten. Ist das der Glaube euerer Väter, auf den ihr euch so gern beruft?
Abergläubige Wundersucht
Das große Strafgericht Gottes wird kommen. Viele unter euch wissen es im Voraus. Auch Tag und Stunde sind ihnen bekannt. Bereits viele Male haben sie Voraussagen gewagt und noch jedesmal ist der bezeichnete Tag vorübergegangen, wie jeder andere vor und nach ihm auch. Versteht mich recht: auch ich glaube fest, daß Gott nicht alles zulassen wird, aber "den Tag und die Stunde kennt nur der Vater im Himmel". Warum glaubt ihr dieses Wort nicht? Weil ihr abergläubisch seid, es besser wissen wollt und euch mit Zauberwerk vor der Katastrophe schützen wollt:
Eine Medaille Meines Göttlichen Herzens, eine Medaille mit meinem anbetungswürdigem Kreuz. Taucht sie 2 mal in ein Glas Wasser, trinkt von dem 2 mal gesegneten und 2 mal gereinigten Wasser ...", fordert eines euerer vielen Flugblättchen, die in eueren Meßzentren, von eueren Priestern ungehindert, zu haben sind. Habt ihr vergessen, worauf es in Wahrheit ankommt, was euch allein erlösen kann: "... die Stunde ... ist jetzt da, in der die wahren Anbeter den Vater im Geist und in der Wahrheit anbeten werden. Der Vater sucht solche Anbeter, denn Gott ist Geist, und die ihn anbeten, müssen ihn im Geist und in der Wahrheit anbeten."
Ihr aber nehmt Zuflucht zu Zauberformeln, eßt geweihtes Wachs, bewahrt viele Liter Weihwasser in eueren Häusern auf, um damit das Feuer des göttlichen Strafgerichtes löschen zu können. Geschichten von immer neuen Wundern machen bei euch die Runde. Ihr aller Ziel ist es, Klage zu führen gegen die herrschenden Zustände in Kirche und Welt und zur Umkehr aufzurufen. Aber - geht es dabei wirklich immer nur um die anderen?
Gedankenakrobatik Unter der Leitung Pauls VI. hat unser katholischer Glaube seinen entscheidenden Inhalt eingebüßt. Darüber ist viel geschrieben worden, das Problem ist uns allen bekannt. Ganz klar ist er als Führer der Kirche dafür als Hauptverantwortlicher zu nennen. Ich meine dies durchaus nicht moralisch, sondern in rein juristischem Sinn. Auf dieser Grundlage sind 2 oder 3 Denkmodelle möglich, deren ihr euch tatsächlich auch bedient:
1. Paul VI. ist Häretiker oder gar Apostat und kann als solcher nicht Papst sein. Diese Ansicht vertritt eine verschwindende Minderheit unter euch, die praktisch bedeutungslos ist.
2. Paul VI. ist kein schlechter Papst. Ab er er ist zu weich, zu liberal, hat einen bösen Doppelgänger oder steht gar unter Drogeneinfluß. Dies ist die Meinung der weit überwiegenden Mehrheit. Mit diesem Kunstgriff läßt sich der regierende Papst erhalten, aber jeder, der dieser Meinung anhängt, ist zugleich selbst Richter darüber, welche Aussage jeweils vom richtigen, welche vom falschen Papst kommt. Anders ausgedrückt: jeder einzelne unter euch mit dieser Meinung agiert praktisch selbst an des Papstes Stelle, indem er falsche Aussagen in entscheidenden Fragen von den richtigen trennt. Dazu zitiert ihr wiederholt auch genehme Aussagen Pauls VI., um seine - d.h. in Wahrheit euere - Rechtgläubigkeit zu demonstrieren und vergeßt, daß ihr es mit der folgenschwersten Zerstörung des katholischen Glaubens in der Geschichte der Kirche zu tun habt.
Ist es wirklich so schwer die inneren Widersprüche dieser phantastischen Gedankenakrobatik zu durchschauen? Wenn ihr die Wirklichkeit erkennen wollt, wie sie ist, so müßt ihr sei natürlich so nehmen, wie sie ist. Statt dessen aber habt ihr euch angewöhnt, nach dem Muster zu denken: was nicht sein darf, das ist auch nicht. Ihr ignoriert die simpelsten Gesetzte der Logik und macht euch ein Bild von der kirchlichen Lage, wie es euerem Wunschdenken entspricht. Die Wirklichkeit läßt sich damit aber nicht verändern und ihr erntet nur den berechtigten Spott derer, die gewohnt sind, nüchterner zu denken.
Alles in allem: obschon nur einige wenige Beispiele, so doch eineerschütternde Bestandsaufnahme der geistigen Situation eines nicht geringen Teils der sogenannten Traditionalisten und Anlaß zu eingehender Selbstkritik.
Daher bitte ich inständig um Christi und des Fortbestandes Seiner heiligen Kirche willen: bedenkt euch und bedenkt die Verantwortung, die auf euch ruht. Schiebt diese Vorwürfe nicht unbesehen beiseite. Mögen sie auch auf viele unter euch nicht zutreffen - ich bitte diese aufrichtig um Verzeihung - im großen und ganzen bestehen diese Vorwürfe zu Recht.
An allen Anhängern des wahren römisch-katholischen Glaubens liegt es, nicht nur das Geschehen um die katholische Lehre und Praxis kritisch zu verfolgen, sondern dabei vor allem selbstkritisch sich zu prüfen, ob sie die ungeheuere Verantwortung übernehmen können: mit Demut ihren Gegnern ein Vorbild zu sein, um auch sie schließlich von der Wahrheit zu überzeugen. Euer besseres Wissen ist für euch eine A u f g a b e !
An euch Priestern liegt es, eueren Gläubigen diese Verantwortung bewußt zu machen. Nicht eine Feststellung und Bestätigung des Sonderstatus' derer, die an der rechten Tradition festhalten tut not, sondern vielmehr die Betonung der damit verbundenen Glaubens- und Lebensaufgabe: christliches Streben, nicht in elitärem Stolz, sondern in Demut und Liebe, - nicht aus Aberglauben, sondern aus Glauben und in Achtung der Liebe und der von Gott gegebenen Gesetze der Vernunft.
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