ERLÖSER DES MENSCHEN?
ZUR ENZYKLIKA JOHANNES PAUL II. "REDEMPTOR HOMONIS"
von
Wigand Siebel
(Auszug aus: "Beda-Kreis", Freiburg Okt. 1979)
Einleitung
Die Enzyklika "Redemptor hominis" Johannes Paul II. vom 4. März 1979
ist ein programmatisches Dokument. Sie steht zu Anfang eines
Pontifikates; ihr Inhalt und ihre Länge zeigen deutlich, daß Johannes
Paul II. die entscheidenden Zeichen für seine Amtsführung und zugleich
für den Weg der Kirche in die Zukunft setzen will. Das Original der
Enzyklika ist bereits im November in polnischer Sprache geschrieben
worden. Johannes Paul II. hat die Enzyklika "als das Ergebnis seiner
persönlichen Meditation" bezeichnet. Sie ist dies in höherem Maße, als
man sonst von einer päpstlichen Enzyklika sagen kann (1)). Die amtliche
Fassung wurde in lateinischer Sprache veröffentlicht. ((2))
Der Titel der Enzyklika "Redemptor hominis", Erlöser d e s Menschen,
muß ebenfalls als programmatisch verstanden werden. Christus ist "der
Erlöser der Welt" (Jo 4,42), er ist "der Erlöser aller Menschen" (1 Tim
4,lo), aber "vornehmlich" ist er der Erlöser "der Gläubigen" (1 Tim
4,lo), denn diese sind es, die die Kirche bilden, die er "mit seinem
eigenen Blute erworben hat" (Apg 2o,28). (...) Aber ist Christus auch
"der Erlöser d e s Menschen"? Die Heilige Schrift gibt darüber keinen
zweifelsfreien Anhaltspunkt. Es muß damit etwas besonderes gemeint
sein. Dieses Besondere soll im folgenden unter drei Gesichtspunkten
behandelt werden:
I. Der neue Advent,
II. Die neue Kirche,
III. Der neue Weg.
I. Der neue Advent
Unter Hinweis auf das Jahr 2ooo, das "ein wichtiges Jubiläum
darstellen" wird, heißt es zu Beginn der Enzyklika (1.2): "Wir befinden
uns in gewisser Weise in der Zeit eines neuen Adventes, in einer Zeit
der Erwartung". Mehrfach wird diese Idee in stets wechselnder
Formulierung wieder aufgegriffen. "Wenn die Wege, auf die das letzte
Konzil die Kirche geführt hat und die uns der verstorbene Papst Paul
VI. in seiner ersten Enzyklika aufgezeigt hat, für lange Zeit die Wege
sein werden, die wir alle weiter verfolgen müssen, können wir uns doch
gleichzeitig in dieser neuen Epoche mit Recht fragen: Und wie? Auf
welche Weise muß man sie fortsetzen? Was müssen wir tun, damit dieser
neue Advent der Kirche, der mit dem nahen Ende des 2. Jahrtausends
parallel geht, uns demjenigen näher bringt, den die Schrift 'Vater in
Ewigkeit', 'pater futuri saeculi' nennt"(7.1). (...)
Hatten Johannes XIII. und Paul VI. einen neuen Frühling der Kirche
erwartet, so ist Johannes Paul II. realistischer: Der erwartete
Aufschwung der Kirche, der neue Advent, liegt erst in der Zukunft, wenn
auch in der nahen Zukunft, nämlich am Ende des 2. Jahrtausends. Warum
wird so oft von dem "Offenbarwerden der Söhne Gottes" gesprochen? Diese
Stelle aus dem Römerbrief steht in Parallele zum Kolosserbrief (3,4),
wo es heißt: "Wenn Christus, unser Leben, offenbar wird, werdet auch
ihr mit ihm offenbar werden". Im Text der Enzyklika ist dieser Bezug an
keiner Stelle herausgearbeitet. Der "neue Advent" ist eine "neue
Etappe", die uns dem "pater futuri saeculi" näherbringt. Sie ist also
nicht das Ende der Welt. (...) Am Ende der Enzyklika ist nicht mehr nur
vom neuen Advent der Kirche, sondern vom "neuen Advent der Menschheit"
(22.6) die Rede.
Grundlage für die Erwartung des "neuen Adventes" ist das Wirken des
Vatikanum II und insbesondere die Tätigkeit Paul VI. "Das reiche Erbe
der letzten Pontifikate ... hat im Bewußtsein der Kirche auf völlig
neue, bisher noch nicht gekannte Weise tiefe Wurzeln geschlagen durch
das Werk des Zweiten Vatikanischen Konzils, das von Papst Johannes
XXIII. einberufen und eröffnet und dann von Papst Paul VI. glücklich
abgeschlossen und mit Ausdauer im Leben der Kirche verwirklicht worden
ist" (3.1). (...)
Insbesondere ist Anknüpfungspunkt die Enzyklika "Ecclesiam suam" Paul
VI.: "Während ich mich heute auf dieses programmatische Dokument des
Pontifikates Paul VI. beziehe, höre ich nicht auf, Gott dafür zu
danken, daß dieser mein großer Vorgänger und zugleich wahrer Vater es
verstanden hat - trotz der verschiedenen internen Schwächen, die die
Kirche in der nachkonziliaren Periode befallen haben - ihr wahres
Antlitz 'ad extra1, nach außen hin, darzustellen" (4.1). "Es ist für
mich notwendig, ... das Werk des Zweiten Vatikanischen Konzils und
meiner großen Vorgänger in Erinnerung zu halten, die diese neue 'Welle'
im Leben der Kirche hervorgerufen haben, eine Bewegung, die weit
stärker ist als die Anzeichen des Zweifels, des Verfalls und der
Krise"(5.4). (...)
II. Die neue Kirche
1. Ein neues Bewußtsein
Die Kirche des neuen Adventes besitzt ein neues Bewußtsein, das vom
Vatikanum II entwickelt wurde. Dementsprechend heißt es: "Das Zweite
Vatikanische Konzil hat eine ungeheure Arbeit geleistet, um jenes volle
und universale Bewußtsein heranzubilden, von dem Papst Paul VI. in
seiner ersten Enzyklika schreibt. Ein solches Bewußtsein - oder besser
Selbstverständnis der Kirche - entwickelt sich 'im Dialog'"(11.1).
(...) Worin besteht das neue Bewußtsein der Kirche? Es "muß sich das
Bewußtsein der Kirche mit einer weltweiten Öffnung verbinden, damit
alle in ihr 'den unergründlichen Reichtum Christi1 finden können ...
Diese Öffnung (ist) vom Bewußtsein der eigenen Natur und von der
Gewißheit der eigenen Wahrheit getragen und begleitet" (4.1). Sie
"bestimmt den apostolischen, das heißt missionarischen Dynamismus der
Kirche, wobei sie unverkürzt die ganze Wahrheit bekennt und verkündet,
die ihr von Christus überliefert worden ist. Gleichzeitig muß sie jenen
Dialog führen, den Paul VI. in seiner Enzyklika Ecclesiam suam einen
'Heilsdialog' genannt" hat(4.1).
Ist es wirklich die "weltweite Öffnung", die den "missionarischen
Dynamismus" der Kirche bestimmt, so kann dieser nur eine Art umgekehrte
Mission, nämlich ein Eindringen der Welt in die Kirche sein. Der Weg
auf die Öffnung zu ist dabei der Dialog.
2. Eine neue Einheit
Ist die Kirche in der beschriebenen Weise der Bewußtseinsänderung durch
die "Öffnung" unterworfen, so wird es schwer sein, die Einheit der
Kirche noch zu erkennen. Angeblich hat sich die Einheit gestärkt: "Die
Kirche ist - entgegen allem Anschein - heute geeinter in der
Gemeinschaft des Dienens und im Bewußtsein des Apostolates. Diese
Einheit entspringt jenem Prinzip der Kollegialität, das vom Zweiten
Vatikanischen Konzil in Erinnerung gerufen ist"(5.1). (...)
"Die Kirche ist 'in Christus gleichsam das Sakrament, das heißt Zeichen
und Werkzeug für die innigste Vereinigung mit Gott wie für die Einheit
der ganzen Menschheit'"(7.3). Diese Ansicht des Vatikanum II aus der
Konstitution "Lumen gentium" (Art 1) ist von zentraler Bedeutung für
die Enzyklika. Gleich dreimal wird dieser Satz an verschiedenen Stellen
zitiert. Die Kirche als "Sakrament" zu bezeichnen, ist jedoch ein
fragwürdiges Unternehmen. Sie ist doch mehr als ein Sakrament, nämlich
die göttliche Stiftung, in der alle Sakramente ihren Platz haben. Erst
recht ist es fraglich, ob man die Kirche als ein Zeichen und Werkzeug
für die Einheit der ganzen Menschheit bezeichnen kann. Die Kirche ist
kein Zeichen für die Einheit der Menschheit. Denn die Einheit der
Menschheit liegt ja gerade in der katholischen Kirche, in die
einzutreten jeder Mensch um seines ewigen Heiles willen verpflichtet
ist. Wenn sie nur ein Zeichen für die Einheit der Menschheit wäre, so
könnte die Verpflichtung, in sie einzutreten, nicht existieren; das
Zeichen wäre ja nur ein Hinweis auf eine erst zu schaffende Einheit der
Menschen. Die Kirche ist aber erst recht nicht ein Zeichen für die
Einheit der g a n z e n Menschheit, denn es gibt viele Menschen, die
verloren gehen. Ebensowenig ist die Kirche ein Werkzeug zur
Herbeiführung der Einheit der ganzen Menschheit. Damit stünde die
Kirche im Dienst des Menschen, während sie doch in Wahrheit nur Gott
dient. (...)
Ferner hat das Vatikanum II die Bestimmung der Kirche als "Volk Gottes"
hervorgehoben (£3)) ; die Bezeichnung als "Leib Christi" wurde dagegen
in den Hintergrund gerückt. Entsprechend heißt es in der Enzyklika:
"Die Kirche ist nämlich als Volk Gottes ... auch der 'mystische Leib
Christi'" (21.2). Als Volk Gottes der mystische Leib? Hier liegt eine
unzulässige Verschiebung vor. Die Kirche ist in erster Linie der "Leib
(bzw. der mystische Leib) Christi" nach der Lehre des hl. Paulus, die
besonders von Pius XII. entfaltet worden ist ((4)) . Erst in zweiter
Linie kann sie als "Volk Gottes" gesehen werden. (...) Wer gehört denn
zum Volk Gottes? "Die Zugehörigkeit zu ihm kommt aus einem besonderen
Ruf in Verbindung mit dem Heilswirken der Gnade. Wenn wir also diese
Gemeinschaft des Volkes Gottes, die so umfassend und äußerst
differenziert ist, vor Augen haben wollen, müssen wir vor allem auf
Christus blicken, der in gewisser Weise ja jedem Glied dieser
Gemeinschaft sagt: 'Folge mir nach!'"(21.2)
Kann diese Gemeinschaft, die "so umfassend und äußerst differenziert
ist", die katholische Kirche sein? Sagt Christus nicht zu j e d e m
Menschen: "Folge mir!"? Der Satz gibt nur scheinbar Antwort auf die
Frage nach der Zugehörigkeit, im Grunde wird alles offen gelassen. Erst
zum Schluß des Absatzes wird die Zugehörigkeitsfrage etwas deutlicher
beantwortet: Es zeigt sich, daß das Volk Gottes "gerade dadurch
Gemeinschaft ist, daß alle sie mit Christus selbst bilden, wenigstens
dadurch, daß sie in ihrer Seele das unauslöschliche Merkmal eines
Christen tragen"(21.2). Das "unauslöschliche Merkmal", das kann nichts
anderes als die Taufe sein. Mindestbedingung für die Zugehörigkeit wäre
danach die Taufe. Folglich müßten alle Getauften zum Volk Gottes
gehören. (...) Zur katholischen Kirche gehören jedoch die Getauften
nicht ohne weiteres. Die volle Mitgliedschaft erfordert weitere
Bedingung, so das Bekenntnis des wahren Glaubens und das Verbundensein
mit der Gemeinschaft der Kirche ((5)) .
Aber das Wort "wenigstens" (saltern) kann auch anders gedeutet werden:
Das mindeste ist, daß man wenigstens die Taufe hat. Besser ist es, wenn
man "einen besonderen Ruf in Verbindung mit dem Heilswirken der Gnade
hat" (21.2). Dafür scheint jedenfalls die Taufe nicht Vorbedingung zu
sein. Dann wäre das Volk Gottes nicht auf die Getauften begrenzt. (...)
3. Eine neue Mutter der Kirche
Für die Relativierung des Kirchenbegriffes hat sich als ein besonders
wirksames Mittel der von Paul VI. proklamierte Titel "Mutter der
Kirche" erwiesen. So steht dieser Titel im Mittelpunkt der Ausführungen
der Enzyklika über die Gottesmutter, ja der ganze betreffende Abschnitt
handelt eigentlich nur davon.
Was heißt Mutter der Kirche? Die Antwort ist folgende: Wenn wir uns der
Aufgabe, die "dynamische Verbindung zwischen dem Geheimnis der Erlösung
und jedem Menschen aufrechtzuerhalten" (22.1) auch bewußt sind,
verstehen wir wohl besser, was es heißt zu sagen, daß die Kirche Mutter
ist, und was es heißt zu sagen, daß die Kirche immer und besonders in
unserer Zeit das Bedürfnis nach einer Mutter hat" (22.2). (...)
Für die Öffnung zur Welt ist aber ein Bewußtsein, das die Kirche als
Leib Christi und als Mutter der Gläubigen ansieht, ein Hindernis. Die
Kirche soll vor allem als Volk Gottes vorgestellt werden, nicht als
heilige Jungfrau, nicht als Institution mit ihren Heiligungsmitteln,
nicht als Mutter der Glieder des Leibes Christi*. Das pilgernde Volk
Gottes, das sich mehr und mehr in die Gestaltlosigkeit der Menschheit
auflöst, braucht "besonders in unserer Zeit" eine Mutter, die sie die
Kirche als Braut Christi vergessen lassen kann. (...) Gibt es aber eine
"Mutter der Kirche", so ist der Kirchenbegriff entscheidend verändert,
das institutionelle Moment wird zurückgedrängt. Die Kirche als
Institution kann ja keine Mutter haben, sondern nur die Gesamtheit des
Gottesvolkes. Zugleich wird aber auch die Parallele zwischen Maria und
der Kirche aufgehoben. Als Mutter der Kirche steht Maria über die
Kirche. Aber diese Parallele - Maria als Bild der Kirche - ist für das
Kirchenverständnis von zentraler Bedeutung.
4. Ein neuer Universalismus
Auf dem vom Vatikanum II vorgeschriebenen Weg des Ökumenismus "sind
echte und wichtige Fortschritte gemacht worden" (6.1). Zwar gibt es
"Personen, die sich gern wieder zurückziehen würden, weil sie sich mit
Schwierigkeiten konfrontiert sehen oder die Ergebnisse der ersten
ökumenischen Arbeiten als negativ beurteilen" (6.2), aber "ist es
erlaubt, untätig zu bleiben? Dürfen wir ... der Gnade unseres Herrn
mißtrauen, die sich in der letzten Zeit geoffenbart hat durch das Wort
des Heiligen Geistes, das wir während des Konzils vernommen haben?"
(6.2).
Das Vatikanum II hat demnach das Wort des Heiligen Geistes zum Ausdruck
gebracht, und deshalb ist es nicht erlaubt, die ökumenischen
Initiativen aufzugeben. "Die echte ökumenische Arbeit besagt Öffnung,
Annäherung, Bereitschaft zu Dialog, gemeinsame Suche nach der
Wahrheit". "Die Kirche ist dabei zugleich auf der Suche nach der
universalen Einheit der Christen" (6.2).
Warum besagt die "echte ökumenische Arbeit" Öffnung? Weil die
Konversion zur katholischen Kirche und damit zur katholischen Wahrheit
nicht mehr ernsthaft verlangt wird. Die Öffnung soll den Eintritt ohne
Konversion, ohne Bekehrung erlauben. An die Stelle der Bekehrung zur
Wahrheit tritt der Dialog, der seiner Natur nach nicht zu einem Ende
kommt, sondern stets weitergeführt wird "auf der Suche nach der
Wahrheit". Kapp man, wenn man in der katholischen Lehre die Wahrheit
hat, die "Wahrheit" suchen, ohne sich von der Wahrheit abzukehren?
Erst recht ist aber die Suche nach der "universalen Einheit der
Christen" ein problematisches Unterfangen. Denn die "universale Einheit
der Christen" hat doch stets in der katholischen Kirche bestanden und
besteht in ihr weiter. Deswegen ist sie die eine, heilige und
katholische Kirche. Wenn aber sogar "die Kirche" sich auf diese Suche
begeben soll, die doch das Gesuchte ist, dann wird besonders grell die
Unvereinbarkeit der katholischen Lehre mit dieser Vorstellung
beleuchtet.
Unter dem Zeichen der Einheit wird die Interkommunion in der
Eucharistie gefordert. Es ist angeblich so, daß die Kirche "sich
besonders in unserer Zeit um die Eucharistie versammelt und dabei
wünscht, daß die authentische eucharistische Gemeinschaft zum Zeichen
der Gemeinschaft aller Christen wird, einer Einheit, die stufenweise
heranreift" (2o.7). (...)
Obwohl die Einheit erst gesucht werden soll, befinden sich andererseits
alle Christen nach der Ansicht der Enzyklika bereits in einer Einheit.
"Das ist die apostolische und missionarische, die missionarische und
apostolische Einheit"(12.1). Das Vatikanum II hatte demgegenüber noch
von den "getrennten Brüdern" und den "getrennten Kirchen" gesprochen.
Befinden sich alle Christen in einer "apostolischen Einheit"?
Auch der lateinische Text besagt klar: "Haec unio est apostolica et
missionaria, missionaria et apostolica". (...) Im fraglichen Satzgefüge
ist offenbar eine Umdeutung des "Apostolischen" vorgenommen worden. Die
"apostolische Einheit" meint nichts anderes als die Gemeinsamkeit in
der Hoffnung: Alle christlichen Gemeinschaften sollen sich der Welt
öffnen, wie die katholische Kirche. Dann ergibt sich das, was oben
bereits "umgekehrte Mission" genannt wurde. So fährt der gerade
zitierte Text fort: "Dank dieser Einheit können wir uns zusammen dem
großen Erbe des menschlichen Geistes nähern, das sich in allen
Religionen kundgetan hat, wie die Erklärung "Nostra aetate" des Zweiten
Vatikanischen Konzils sagt. Dank dieser Einheit nähern wir uns
gleichzeitig allen Kulturen, allen Weltanschauungen und allen Menschen
guten Willens".(...)
Der gewünschte Dialog enthält bereits ein kultisches Element und zielt
jedenfalls auf einen neuen Kult ab. Das wird in folgendem Satz vor
Augen geführt: Was bisher gesagt worden ist, "muß man auf ähnliche
Weise und mit den notwendigen Unterscheidungen auch auf jene Bemühungen
verwenden, die auf eine Annäherung mit den Vertretern der
nichtchristlichen Religionen abzielen und im Dialog, in Kontakten, im
gemeinschaftlichen Gebet ... ihren Ausdruck finden" (6.3). (...)
III. Der neue Weg
1. Ein neues Evangelium
Der"Humanismus" der Enzyklika wird maßgebend bestimmt nicht nur durch
die Aussagen des Vatikanum II, sondern auch durch die Ausführungen Paul
VI. Zu erinnern ist hier besonders an seine Ansprache vom 7. Dezember
1965, in der er die modernen Humanisten aufforderte: "Erkennt unsern
neuen Humanismus an: Auch wir, und wir mehr als alle, sind Verehrer des
Menschen" ((6)). Die Verehrung des Menschen zu fördern, war auch das
Ziel verschiedener Erklärungen des Vatikanum II. Die Enzyklika Johannes
Paul II. sucht die Ausrichtung auf den Menschen allen Gläubigen und
Nichtgläubigen nahezubringen und ihrem Bewußtsein einzuprägen. Der
Humanismus ist universal. "Welches soziale, wirtschaftliche, politische
und kulturelle Programm könnte auf die Bezeichnung "humanistisch"
verzichten? Wir hegen die tiefe Überzeugung, daß es in der Welt von
heute kein Programm gibt, in dem nicht, nicht einmal auf der Ebene
entgegengesetzter ideologischer Weltanschauungen, der Mensch immer an
die erste Stelle gesetzt wird"(17.2). Ist aber der Humanismus
universal, so muß die zu erstrebende "universale Einheit" vom Bild des
Menschen geprägt sein.
So ist eigentlicher Inhalt der Enzyklika die Botschaft über den
Menschen. Dies wird schon rein äußerlich durch das Vorkommen der Wörter
"Mensch", "menschlich" dokumentiert. Mehr als 35omal wird der Mensch in
dieser Weise erwähnt. (...)
Nach den "beständig und immer schneller wachsenden Erfahrungen der
Menschheitsfamilie ... erkennen wir immer deutlicher, daß all jenen
Wegen, auf denen die Kirche in unsero. Tagen nach den richtungweisenden
Worten von Papst Paul VI. voranschreiten muß, ein besonderer Weg
zugrundeliegt"(13.1). Es ist also ein besonderer Weg heute zu gehen.
Worin besteht dieser? Zwar: "Jesus Christus ist der Hauptweg der
Kirche. Er selbst ist unser Weg zum Haus des Vaters" (13.2). Aber: Der
"Mensch ist der erste Weg, den die Kirche bei der Erfüllung ihres
Auftrages beschreiten muß: er ist der erste und grundlegende Weg der
Kirche"!(14.1). In wiederholten Wendungen wird diese Aussage bestätigt.
"Dieser Mensch ist der Weg der Kirche, der in gewisser Weise an der
Basis all jener Wege verläuft, auf dem die Kirche wandert"(14.3). (...)
Der Mensch ist also für die Enzyklika Basis aller Wege der Kirche, und
er ist zugleich der Weg des täglichen Lebens der Kirche. Entscheidend
für diese Stellung des Menschen ist seine Würde. "Wenn der Mensch - wie
schon früher gesagt worden ist - wirklich der Weg des täglichen Lebens
der Kirche ist, dann muß diese sich der Würde der Gotteskindschaft, die
der Mensch in Christus durch die Gnade des Heiligen Geistes erhält und
seiner Bestimmung zur Gnade und Herrlichkeit immer bewußt sein" (18.4).
(...)
Ist so zunächst der Mensch der Weg der Kirche, so ist er zugleich auch
Wahrheit für die Kirche, und er bestimmt das Leben der Kirche. Zum
Menschen gehört die Lebendigkeit, die im Konkreten zu finden ist. Das
tägliche Leben, die neue Situation, die Bedrängnisse, Kümmernisse und
Sorgen der Menschen. Die Kirche betrachtet wie in den Abschnitten 15
und 16 ausgeführt - die Besorgnis des Menschen um seine Menschlichkeit,
um die Zukunft der Menschen auf Erden und damit auch die Richtung von
Entwicklung und Fortschritt als ein wesentliches Element ihrer Sendung,
indem sie die Situation des Menschen in der heutigen Welt nach den
wichtigsten Zeichen unser Zeit interpretiert. Man kann danach sagen:
"alle Wege der Kirche führen zum Menschen" ((7)) (...)
Da nach der Enzyklika der Mensch Weg und Ziel geworden ist, muß sich
"die Kirche ... alles dessen bewußt sein, was offenkundig dem Bemühen
entgegensteht, das Leben der Menschen 'immer humaner zu gestalten'
(Gaudium et spes, art.38), damit alle Bereiche dieses Lebens der wahren
Würde des Menschen entsprechen"(14.4). (...) Die Beziehung zur Würde
des Menschen kann daher schließlich sogar als Evangelium angesehen
werden, wenn damit das Staunen des Menschen über sich selbst verbunden
ist. Wenn der Mensch sich nämlich "die ganze Wirklichkeit der
Menschwerdung und der Erlösung aneignet", dann "wird er nicht nur zur
Anbetung Gottes veranlaßt, sondern gerät auch in tiefes Staunen über
sich selbst" (lo.l). "Dieses Staunen über den Wert und die Würde des
Menschen nennt sich Evangelium, Frohe Botschaft."(lo.2). (...)
2. Eine neue Freiheit
In enger Verbindung mit der Würde des Menschen stehen die
Menschenrechte, die dem Wohl des Menschen dienen. "Die
Menschenrechtserklärung, die in Verbindung mit der Errichtung der
Organisation der Vereinten Nationen erfolgte, hatte gewiß nicht nur das
Ziel, sich von den furchtbaren Erfahrungen des letzten Weltkrieges zu
distanzieren, sondern sollte auch eine Grundlage für eine solche
ständige Revision der Programme, Systeme und Regime schaffen, die unter
diesem einzigen grundlegenden Gesichtspunkt zu geschehen hat, dem Wohl
des Menschen"(17.4.). (...)
Diese Frage ist besonders bei der sogenannten Religions- und
Gewissensfreiheit zu stellen, die bereits vom Vatikanum II gefordert
wurde gegen die klare verpflichtende Lehre der katholischen Kirche, wie
sie etwa Pius IX. in seiner Enzyklika "Quanta cura" ausgesprochen hat.
Die Enzyklika Johannes Paul II. schließt sich der Ansicht des Vatikanum
II voll an: Die Verwirklichung des Rechtes auf Religionsfreiheit "ist
eine der grundlegenden Proben für den wahren Fortschritt des Menschen
in einem jeden Regime, in jeder Gesellschaft, in jedem System und in
jeder Lage"(17.9). "Das zweite Vatikanische Konzil hat es als besonders
notwendig erachtet, zu diesem Thema eine ausführliche Erklärung zu
erarbeiten. Gemeint ist das Dokument 'Dignitatis humanae', in dem nicht
nur die theologische Konzeption des Problems ausgedrückt ist, sondern
dieses auch unter dem Aspekt des Naturrechtes erörtert wird, das heißt
vom rein 'menschlichen' Standpunkt aus, von jenen Voraussetzungen her,
die von der Erfahrung des Menschen, von seiner Vernunft und vom Sinn
der Menschenwürde gefordert sind" (17.8). Tatsächlich ist das
Naturrecht in der Erklärung über die Religionsfreiheit aber als
göttliches Gesetz bezeichnet worden, also keineswegs nur als ein Recht
vom "rein menschlichen" Standpunkt aus. (...)
Nicht nur, daß es die Idee der Religionsfreiheit in der Kirche nicht
gegeben hat, sie wurde sogar auf das schärfste von vielen Päpsten
verurteilt. Gregor XVI. und nach ihm Pius IX.bezeichneten diese Lehre
als "Wahnsinn", nämlich die Ansicht, daß "die Freiheit des Gewissens
und der Kulte ein jedem Menschen eigentümliches Recht sei, welches das
Gesetz in jeder wohlgeordneten Gesellschaft aussprechen und sichern
müsse und daß den Bürgern das Recht innewohne, in jeglicher Freiheit
ihre Gedanken durch das Wort, durch den Druck oder auf irgendeine
andere Weise öffentlich kundzugeben und auszusprechen, ohne daß die
geistliche und weltliche Behörde sie darin stören könne" ((8)).
Und Leo XIII. erklärte: "Wird diese Freiheit betrachtet, wie sie im
Staatsleben sich darstellt, so behauptet sie, der Staat habe keinerlei
Grund, Gott zu verehren und öffentliche Gottesverehrung zu wünschen;
kein Kultus dürfe dem andern vorgezogen werden, alle seien als
gleichberechtigt anzusehen; auch sei auf das Volk keine Rücksicht zu
nehmen, selbst da nicht, wo das Volk sich zur katholischen Religion
bekennt. Dies könnte nur der Fall sein, wenn es wahr wäre, daß die
bürgerliche Gesellschaft keine Pflichten gegen Gott besäße oder diese
ungestraft verletzen könnte. Beides ist offenbar falsch" ((9)). Pius
XI. stellte fest: Die Behauptung, "daß die Volksgemeinschaft und der
Staat Gott und seinem natürlichen und göttlichen Rechte nicht
unterworfen seien", ist "offenbar gottlos, gegen die gesunde Vernunft
und namentlich auf dem Gebiete der Erziehung außerordentlich
verderblich" ((10)). (...)
Weil die Irrlehre der Religionsfreiheit das christliche
Glaubensverständnis in so zentraler Weise angreift, war es überaus
angebracht, diese Ansicht in aller Form zu verurteilen. Diese
Verurteilung durch die Päpste hat - jedenfalls was die Enzyklika
"Quanta cura" von Papst Pius IX. angeht, eine definitive Form, d.h. die
Idee der Religionsfreiheit ist "ex cathedra" eindeutig und endgültig
verurteilt worden. Dies ergibt sich klar aus der Verwerfungsformel.
(...)
Aber die Religionsfreiheit ist für den neuen Weg der Kirche, d.h. für
den Weg der "Konzilskirche", so ungeheuer wichtig, daß alles versucht
werden muß, sie als unbedingt verpflichtende Wahrheit erscheinen zu
lassen. Deshalb wird die Religionsfreiheit in der Enzyklika nicht nur
im Abschnitt über die Menschenrechte (17) behandelt, sondern auch im
Abschnitt über die Freiheit des Menschen (12), in dem hauptsächlich von
der Wahrheit die Rede ist. Dabei verschmäht es die Enzyklika nicht, die
Religionsfreiheit sogar als eine Offenbarung Gottes zu bezeichnen. Es
heißt hier: Die Kirche legt "in unserer Zeit einen großen Wert auf
alles, was das Zweite Vatikanische Konzil in der Erklärung über die
Religionsfreiheit dargelegt hat ... Wir spüren zutiefst den
verpflichtenden Charakter der Wahrheit, die Gott uns offenbart
hat."(12.2) (...) Die Offenbarung ist nach diesen Ausführungen nicht
mit dem letzten Apostel abgeschlossen, sie geht vielmehr weiter. Und
Gott hat angeblich das Vatikanum II benutzt, um eine weitere
Offenbarung den Menschen zukommen zu lassen. Dabei gibt die Enzyklika
sogar zu, daß die Idee der Religionsfreiheit nicht Bestandteil der
biblischen Botschaft ist. Die Enzyklika führt dazu aus: "Die Erklärung
über die Religionsfreiheit macht uns in überzeugender Weise deutlich,
wie Christus und folglich seine Apostel in der Verkündigung der
Wahrheit^die nicht von Menschen, sondern von Gott kommt (...), das
heißt vom Vater, obgleich sie alle Überzeugungskünste des Geistes
einsetzen, eine tiefe Wertschätzung für den Menschen, für seinen
Verstand, seinen Willen, sein Gewissen und seine Freiheit bewahren. Auf
diese Weise wird die Würde der menschlichen Person Bestandteil jener
Botschaft, wenn auch nicht in Worten, so doch durch das Verhalten ihr
gegenüber. Diese Verhaltensweise scheint übereinzustimmen mit den
besonderen Bedürfnissen unserer Zeit" (12.2).(...)
3.) Ein neuer Mensch
a. Eine neue Erlösung
Der Mensch ist der "Weg der Kirche". Welcher Mensch? Der richtige Weg
enthält das Ziel des Wanderers. Worin besteht dieses Ziel? Der Mensch,
der der neue Weg ist, kann nicht nur der alltägliche, der
durchschnittliche Mensch sein. Er muß ein neuer Mensch sein, wie ihn
die Kirche bisher noch nicht gekannt hat. Dieser Mensch ist in erster
Linie der Erlöste. Die Erlösung ist mit dem Menschsein selbst gegeben.
Christus hat sich mit jedem Menschen vereinigt. Das wurde bereits vom
Vatikanum II (Gaudium et spes, art 22) behauptet und wir an
verschiedenen Stellen der Enzyklika (13.1 und 18.1) wieder aufgenommen:
"Der Sohn Gottes hat sich in seiner Menschwerdung gewissermaßen mit
jedem Menschen vereinigt" (13.1). "Die Kirche sieht es darum als ihre
grundlegende Aufgabe an, darauf hinzuwirken, daß diese Einheit immer
wieder Gestalt und neues Leben gewinnt"(13.1). "Diese Vereinigung
Christi mit dem Menschen ist in sich selbst ein Geheimnis, aus dem der
'neue Mensch" hervorgeht"(18.2). (...)
In der menschlichen Dimension der Erlösung "findet der Mensch die
Größe, die Würde und den Wert, die mit seinem Menschsein gegeben sind.
Im Geheimnis der Erlösung wird der Mensch 'neu bestätigt* und in
gewisser Weise neu geschaffen"(10.1). Wird der Mensch wirklich durch
die objektive Erlösung, ohne sich für Christus und seine Kirche
entscheiden zu müssen 'neu geschaffen'? Der Text der Enzyklika fährt
fort: "Er ist neu erschaffen! Es gibt nicht mehr Juden und Griechen,
nicht Sklaven und Freie, nicht Mann und Frau, denn ihr alle seid
'einer' in Christus Jesus (Gal 3,28)".
Aber der Galaterbrief bezieht sich doch hier nicht auf alle Menschen,
sondern auf die Gläubigen! Das wird in ihm ganz unmißverständlich
unmittelbar zuvor gesagt: "Denn durch den Glauben seid ihr alle in
Christus Jesus Kinder Gottes. Ihr alle, die ihr auf Christus getauft
seid, habt Christus angezogen" (Gal 3,26f). (...)
Dabei ist diese "Einheit" Christi, die er mit jedem Menschen
eingegangen ist, angeblich die Kraft, die den Menschen innerlich
umgestaltet, ja, sie ist Prinzip eines neuen Lebens. So heißt es: "Die
Einheit Christi mit dem Menschen ist Kraft und zugleich Quelle der
Kraft, nach dem markanten Wort des hl. Johannes im Prolog seines
Evangeliums: 'Das Wort gab Macht, Kinder Gottes zu werden'. Sie ist die
Kraft, die den Menschen innerlich umgestaltet, das Prinzip eines neuen
Lebens, das nicht dahinschwindet und vergeht, sondern Dauer hat für das
ewige Leben"(18.2). Aber ist es wirklich diese Lehre, die das
Johannesevangelium verkündet? Nein, hier ist, wie eben im Blick auf den
Galaterbrief gezeigt, das Entscheidende fortgelassen worden. Der
vollständige Satz des Prologes des Johannesevangeliums lautet nämlich:
"Allen aber, die ihn aufnahmen, gab er Macht, Kinder Gottes zu werden,
all denen, die an seinen Namen glauben"(Jo 1,12). Es geht also darum,
Christus aufzunehmen und an seinen Namen zu glauben; nur daraus
erwächst die Macht, Kinder Gottes zu werden. (...) Wozu braucht der
Mensch noch den Glauben, wenn er die Erlösung bereits im vollen Maße
besitzt, wenn "die Würde der gandenhaften Gotteskindschaft" "jeder
Mensch in Christus erreicht hat"?(11.4) (...)
b. Eine neue Bekehrung
(...) In einer "Kirche", die durch die "Öffnung" gegenüber der Welt und
durch den Dialog mit ihr bestimmt ist, sind Buße und Bekehrung nur mehr
für diejenigen notwendig, die den Weg der Kirche auf den Menschen zu
noch nicht zu ihrem eigenen Weg gemacht haben. Demgemäß heißt es im
Ökumenismusdekret des Vatikanum II: "Es gibt keinen echten Ökumenismus
ohne innere Bekehrung. Denn aus dem freien Strömen der Liebe erwächst
und reift das Verlangen nach Einheit" (art 7). Die Christen und
insbesondere die Katholiken haben sich zu bekehren, nicht zu Christus
und zu seiner Kirche, sondern zum Ökumenismus ((11)). Dadurch dienen
sie der umgekehrten "Mission". Entsprechend sagt Johannes Paul II.: Es
ist "sicher, daß die Kirche des neuen Adventes die Kirche ... der Buße
sein muß. Nur unter diesem geistlichen Profil ihrer Lebendigkeit und
ihres Handelns ist sie die Kirche der göttlichen Sendung, die Kirche im
Zustand der 'Mission', so wie sie uns das Zweite Vatikanische Konzil
dargestellt hat"(2o.7).
Ein (...) Einwand wäre: An anderer Stelle (12.1) ist doch von der
Bekehrung im Hinblick auf die Mission die Rede; hier kann doch nur die
Bekehrung der Menschen zur Kirche gemeint sein. Um diesen Hinweis zu
entkräften, ist es nötig, den Zusammenhang zu berücksichtigen, in dem
der fragliche Satz steht. Der betreffende Abschnitt handelt über den
"Auftrag der Kirche und die Freiheit des Menschen". Zu Anfang dieses
Abschnittes wird die "apostolische und missionarische Einheit"
beschworen, in der sich angeblich alle Christen befinden. Dann heißt
es: "Dank dieser Einheit können wir uns zusammen dem großartigen Erbe
des menschlichen Geistes nähern, das sich in allen Religionen kundgetan
hat ... Dank dieser Einheit nähern wir uns .gleichzeitig allen
Kulturen, allen Weltanschauungen" (12.1). Danach wird von der Mission
geredet, und zum Schluß des gleichen Absatzes ist zu lesen: "Dabei
wissen wir sehr gut, daß die Bekehrung, die von der Mission ihren
Anfang nehmen muß, Werk der Gnade ist. In ihr muß der Mensch
vollständig zu sich selbst zurückfinden." (...)
c. Ein neuer Herr
Der neue Mensch braucht als der bereits Erlöste sich nicht mehr um
seine Erlösung zu mühen. Er braucht nur einzusehen, daß er bereits
erlöst ist. Ist der Mensch aber bereits der Erlöste, so braucht er die
Wirklichkeit der Sünde nicht mehr ernst zu nehmen - weder die
Wirklichkeit der Erbsünde noch die der persönlichen Sünde. Der Mensch
hat angeblich "endgültig" seine Würde durch die Erlösung
wiedergefunden. Es ist nämlich so, daß "die Erlösung, die durch das
Kreuz erfolgt ist, dem Menschen endgültig seine Würde und den Sinn
seiner Existenz in der Welt zurückgegeben hat, den Sinn, den er in
beachtlichem Maße durch die Sünde verloren hatte" (10.2). Als bereits
"endgültig" Erlöster hat der neue Mensch aber auch nicht mehr die
Notwendigkeit des wahren Gottesdienstes vor Augen. So braucht der neue
Mensch keine Ziele mehr, die von der Kirche vorzustellen und zu lehren
wären und die jeder Mensch zu befolgen hätte. (...)
Die Folge ist, daß der Mensch auf seine Bedürfnisse zurückgeworfen
wird: Der Mensch "hat seine eigene Lebensgeschichte und vor allem eine
eigene Geschichte seiner Seele. Von der intentionalen Öffnung seines
Geistes und zugleich von den zahlreichen und so verschiedenen
Bedürfnissen seines Leibes und seiner irdischen Existenz bestimmt,
schreibt der Mensch diese seine persönliche Geschichte durch zahllose
Bindungen, Kontakte, Situationen und soziale Strukturen ... Der Mensch
in der vollen Wahrheit seiner Existenz ... dieser Mensch ist der erste
Weg, den die Kirche bei der Erfüllung ihres Auftrages beschreiten
muß"(14.1).
Steht der neue Mensch - jedenfalls im Hinblick auf die Kirche - keinen
Forderungen von Belang mehr gegenüber, so wird er selbst zu einer Norm
und damit zu einem Ziel. Er selbst ist das Ziel der Bemühungen der
Kirche. Er ist derjenige, dem die Kirche zu dienen hat, er ist ihr Weg,
er ist ihre Wahrheit und er ist damit auch ihr Herr. "Seine Kirche, die
wir alle zusammen bilden, ist 'für die Menschen* da in dem Sinne, daß
wir, wenn wir uns auf Christi Beispiel stützen und mit der uns von ihm
erworbenen Gnade mitarbeiten ... in jedem von uns unser Menschsein voll
entfalten können"(21.4).
"Auf dieser Straße, die von Christus zum Menschen führt ... darf sich
die Kirche von niemanden aufhalten lassen"(13.2). Der Herr, dem die
Kirche zu dienen hat, ist der Mensch!
Wie nimmt nun die Kirche "jenen Dienst am Menschen" wahr? Sie
"verwirklicht diesen Auftrag, indem sie teilnimmt 'am dreifachen Amt',
das ihr Meister und Erlöser selbst innehat. Diese Lehre, zusammen mit
ihrer biblischen Begründung, ist vom Zweiten Vatikanischen Konzil zum
großen Nutzen für das Leben der Kirche wieder leuchtend herausgestellt
worden. Denn wenn wir uns der Teilnahme an der dreifachen Sendung
Christi, an seinem dreifachen Amte - dem Priester-, Propheten- und
Königsamt (Lumen gentium 31-36) - bewußt werden, verstehen wir
gleichzeitig besser, welches der Dienst der ganzen Kirche als
Gesellschaft und Gemeinschaft des Volkes Gottes auf Erden ist, und
verstehen ebenfalls, worin die Teilnahme eines jeden von uns an dieser
Sendung und an diesem Dienst bestehen muß"(18.4).
Diese "Ämter" Christi wurden bisher besser als Lehramt, Hirtenamt und
Priesteramt bezeichnet. Die Kirche hat diese Ämter auszuüben. (...)
Sieht so der "Dienst am Menschen" aus, so mag es einleuchten, daß der
Mensch bzw. die Menschheit sogar als Schatz der "Kirche" erscheint.
Dazu sagt die Enzyklika: "Die Kirche, die versucht, den Menschen
gleichsam mit 'den Augen Christi selbst' zu betrachten, wird sich immer
mehr bewußt, die Hüterin eines großen Schatzes zu sein, den sie nicht
vergeuden darf, sondern vielmehr ständig mehren muß."(18.3) (...)
Wie kann der Schatz der Menschheit vermehrt werden? Wie kann man noch
sammeln, wenn die Menschheit der Schatz der Kirche ist, der ihrer
ganzen Tätigkeit Sinn verleiht? (...) Offenbar kann nicht die
Menschheit in ihr gesammelt werden, denn es gibt Menschen, die wider
Christus sind, es gibt Menschen, die nicht sammeln, sondern zerstreuen.
Bezieht man aber mit der Enzyklika den Satz auf den "Schatz" der
Menschheit, so können diejenigen, die den Schatz vergeuden und
zerstreuen, eigentlich nur solche sein, die diese neue Lehre nicht
annehmen wollen, nämlich diejenigen, die wissen: "Viele sind berufen,
wenige aber auserwählt" (Mt 22,14). Damit aber ist gerade gesagt, daß
die Menschen sich nicht darin beruhigen dürfen, schon erlöst zu sein.
Die Kirche würde damit ihren Sinn verlieren und zu einer Einrichtung
bloß für die irdische Wohlfahrt der Menschen werden. (...)
IV. Neuheit und Überlieferung
Auf das Ganze gesehen ist die Lehre der Enzyklika "Redemptor hominis"
nicht eigentlich eine Neuheit. Sie liegt vollkommen innerhalb der
Voraussetzungen des Vatikanum II und bringt eigentlich nur das auf
einen Nenner, was seit Johannes XXIII. und seit dem Vatikanum II die
geistige Orientierung Roms bildet. Dabei hat sie das große Verdienst,
die wesentlichen Punkte, um die es seitdem geht, in bisher nicht
gekannter Deutlichkeit hervorgehoben und benannt zu haben. Gewiß, diese
Enzyklika zeichnet sich nicht durch Eindeutigkeit und Klarheit, auch
nicht durch übersichtliche Satzkonstruktionen und systematischen Aufbau
aus - vieles wird in der Unscharfe gelassen, wie sich an der Häufigkeit
der Wörter "gewissermaßen", "in gewisser Weise" und an den vielen
Wörtern in Anführungszeichen erkennen läßt - aber aufs Ganze gesehen,
erscheint in der Enzyklika eine geradezu faszinierende innere Logik.
Dies erst allerdings dann, wenn man es gelernt hat, die oft zweideutige
Ausdrucksweise, die häufig eine traditionelle Auslegung bei flüchtiger
Durchsicht nahelegt, auf die eigentliche Aussage zurückzuführen. (...)
Manches ist aber darüberhinaus auch sehr viel deutlicher formuliert als
in den Texten des Vatikanum II. Das gilt besonders für die Hauptidee,
nämlich für die Feststellung, daß alle Menschen bereits im vollen Sinne
erlöst sind und folglich eine Kirche, die das Erlösungswerk Christi
zuende führt, überflüssig ist. Öffnung der Kirche, Dialog, Ökumenismus,
Religionsfreiheit, alles das hängt von dieser Grundidee ab. Während die
abhängigen Ideen auch im Vatikanum II deutlich zum Ausdruck kommen, ist
die Hauptidee stärker im Dunkel belassen worden. Zwar wurde die
Katholische Kirche im Vatikanum II nicht mehr als die eine Kirche Jesu
Christi anerkannt, sondern nur noch als deren "Verwirklichung"
beschrieben (( 12)), so daß andere "Verwirklichungen" nicht mehr
positiv ausgeschlossen sind; auch wurden die Grenzen der Kirche nicht
deutlich gezogen und die Heilsnotwendigkeit der einen Kirche Christi
nicht mehr ausdrücklich festgestellt, aber es gab doch nur vage
Andeutungen darüber, daß alle Menschen bereits als erlöst anzusehen
sind ((13)).
Hier hat nun die Enzyklika "Redemptor hominis" dankenswerter Weise
Klarheit geschaffen. Die Voraussetzungen, unter denen das Vatikanum II
stand, sind jetzt viel deutlicher zu erkennen für den, der sehen will.
Daß die Leitideen der Reform den führenden Köpfen dieser Synode bewußt
waren, läßt sich dem bemerkenswerten Wort von Johannes XXIII. zur
Eröffnung des Vatinkanum II entnehmen, wonach "alle Menschen von Geburt
an durch das Blut Christi erlöst worden sind" ((14)). Damit hatte er
der Sache nach der Ansicht Karl Rahners vom "anonymen Christen"
bestätigt. Aber erst in der ersten Enzyklika Johannes Paul II.
"Redemptor hominis" wurde diese Idee voll ausgesprochen und entfaltet.
Es ist zu erwarten, daß das neue Rom sich in Zukunft noch deutlicher
äußern wird. Jedenfalls steht die Enzyklika "Redemptor hominis" voll in
der "Tradition", die von Johannes XXIII. und seinem Konzil ausgeht.
(...) Was diese Hauptidee angeht, so bedeutet die dadurch gegebene
Orientierung der Kirche am Menschen nicht etwa nur eine leichte
Verschiebung der Perspektiven, mit der die Kirche auf die Welt blickt.
Es geht auch nicht bloß um eine mit dem katholischen Glauben nicht mehr
zu vereinbarende Idee, um eine Häresie, wie sie die Konfessionen
voneinander trennt, sondern um eine grundlegende Umorientierung der
Kirche selbst. Es ist die Drehung der Kirche von Christus weg auf den
Menschen zu, die Öffnung gegenüber der Welt. Diese Drehung um 18o Grad
kann nicht nur von keinem Katholiken anerkannt werden, sie ist auch von
keinem gläubigen Mitglied einer andern christlichen Konfession
nachvollziehbar. Man muß daher die in der Enzyklika zum Ausdruck
gekommenen Lehre als gegen das Christentum schlechthin gerichtet
ansehen.
Die Religion d e s Menschen, in der alle Religionen und
Weltanschauungen ihren Platz haben und erhalten, ist mit einem
Riesenschritt nähergerückt. (...)
Anmerkungen:
(1) Josef Schmitz van Vorst: Der Humanismus Papst Johannes Paul II., in: F.A.Z. vom 17.3.1979.
(2) Acta Apostolica Sedis, vol 71(1979), S. 257-324. Für die deutsche
Fassung wurde die Ausgabe des Osservatore Romano, Wochenausgabe in
deutscher Sprache, vom 23.3.1979 benutzt. Zitiert wird nach laufender
Nummer und Absatz.
(3) Vgl. Wigand Siebel, Katholisch oder konziliar, München 1978, 71 ff.
(4) Pius XII. Rundschreiben "Mystici Corporis" vom 29.6.1943.
(5) Pius XI. Rundschreiben "Mortalium ·nimos" vom 6. 1.1928, lo.
(6) Vgl. Siebel a.a.O., S.57.
(7) Überschrift des Abschnitts 14. Die Überschriften finden sich nicht im lateinischen Original.
(8) Enzyklika "Mirari vos" vom 15.8.1832. (O3)) ebd. 78 f.
(9) Enzyklika "Libertas praestantissimum" vom 28.6. 1888.
(10) Enzyklika "Divini illius Magistri" vom 31.12.1929. zur Eröffnung des Vat.
(11) Vgl. Siebel a.a.O.,S. 85f f.
(12) Vgl. Siebel a.a.O., S.68ff.
(13)v o m H.To. 1962.
(14) Johannes XXIII. Rede |