GEDANKEN ZUR HL. FASTENZEIT
von
H.H. Pfarrer Joseph Leutenegger
Die hl. Fastenzeit steht vor der Tür. Hat Fasten noch einen Sinn? Läuft
nicht heute die Genußsucht auf Hochtouren? etwa nach der Parole: Ich
muß doch vom Leben etwas haben. Das sagen Tausende an Sylvester und
Neujahr; das sagen viele mit doppelter Lautstärke in der
Fastnachtszeit; das sagen sie am ersten Fastensonntag und sogar in der
ganzen Fastenzeit; das sagen all zu viele das ganze Jahr hindurch, und
sie eilen von Vergnügen zu Vergnügen. Der moderne Mensch ist ganz auf
den Genuß eingestellt, auch in der Fastenzeit des Jahres I980. "Diese
Sucht ist die große Krankheit unserer Zeit", schrieb schon vor Jahren
Prälat Mäder sei. in Basel. "Das heutige Geschlecht ist", so schrieb
er, "ein bequemes, weichliches geworden, voll Genießertum und
Opferscheu. Abbruch, Verzicht, Überwindung sind ihm fremd geworden."
Hat also die Fastenzeit noch ihre Berechtigung? Und da müssen wir ein
bestimmtes und festes "Ja!" sagen.
Kann die Kirche auch kraft ihrer Binde- und Lösegewalt den einzelnen
von bestimmten Fastenübungen dispensieren, so kann sie dies sicher
niemals von der Forderung und dem Geist des Fastens, vom Geist der Buße
- eingedenk des Heilandwortes: "Wer mein Jünger sein will, der
verleugne sich selbst ...", der beherrsche sich, der entsage, der
verzichte. Wer gesündigt hat, der leiste die entsprechende Sühne. Für
alle, die gesündigt haben - und wer tut dies nicht! -,gilt die
göttliche Drohung: "Wenn ihr nicht Buße tut, werdet ihr alle zugrunde
gehen." (Luk. 13,3) Das gilt besonders für die heutige Zeit. Diese
Forderung hat schon die Gottesmutter in La Salette, in Lourdes und in
Fatima erhoben. In Lourdes sprach sie dreimal das Wort: "Buße, Buße,
Buße." In Fatima sagte sie den Kindern: "Die Menschen müssen Buße tun
für ihre Sünden, wenn ihnen Gott verzeihen soll." Sie drohte mit
schwersten Strafgerichten, die wegen der Unbußfertigkeit der Menschen
bereits schon eingetroffen sind und zum Teil noch ausstehen. Und in
Garabandal sagte sie: "Ihr sollt Opfer bringen und Buße tun. Wenn ihr
dies nicht tut, wird eine große Züchtigung über euch hereinbrechen."
Warum diese Forderung, diese Drohung? Weil die Menschheit heute in
großem Maße sündig ist, ja in der Sünde zu versteinern beginnt. Es
bleibt uns nur die Alternative: Buße oder Züchtigung, ja totaler
Untergang, nach dem Herrenwort: "Wenn ihr nicht Buße tut, werdet ihr
alle zugrunde gehen." Der grausige Untergang des jüdischen Volkes von
damals sollte uns Warnung genug sein.
Wenn aber die Buße ein dringendes Erfordernis für die Rettung der Welt
vor dem drohenden Untergang ist, dann hat die Fastenzeit von 1980 ihre
vollste Berechtigung. Zu allen Zeiten war die Fastenzeit die große
Bußzeit im Kirchenjahr.
Buße: worin besteht sie denn? In der Abkehr von allem Gottwidrigen und
in der Hinwendung zu Gott, von dem man sich durch die Sünde abgekehrt
hat. Das meitite die liebe Gottesmutter, als sie in Fatima und anderswo
von der Buße sprach. "Die Menschen müssen aufhören, Gott zu beleidigen.
Sie müssen Gott um Verzeihung bitten für ihre Sünden." Und sie fügte
die flehentliche Bitte hinzu: "Beleidigt meinen Sohn nicht mehr, Er ist
ja schon genug beleidigt worden."
Buße ist die Wegwendung von der Sünde und die Hinwendung zu Gott in
Reue und Beichte. Und darum verlangt die Kirche gerade in der hl.
Fastenzeit den Empfang des Bußsakramentes. Buße aber ist mehr als nur
das: Sünde verlangt nicht bloß reuevolle Rückkehr zu Gott, sie verlangt
auch Wiedergutmachung des begangenen Unrechtes, also Sühne. So ist es
schon im staatlichen Bereich. Der Rechtsbrecher, der sich wegen seines
Deliktes vor Gericht verantworten muß, wird mit einem reuigen
Bekenntnis nicht davonkommen. Er muß Satisfaktion leisten und bekommt
eine Geld- oder Freiheitsstrafe.
Wer Gott in der Sünde beleidigt hat, muß Sühne, d.h. Ersatz dafür
leisten in der Buße. Zu diesen Werken der Wiedergutmachung zählt der
Katechismus auf: Beten, Fasten und Almosengeben. Zu allen Zeiten hat
der Herr das Fasten als Bußwerk gefordert; äo im Alten Bund. "Also
spricht der Herr: Bekehrt euch zu mir von ganzem Herzen mit Fasten,
Weinen und Klagen!" (Joel 1,14) Und: "Stoßet in die Posaune, heiliget
euch durch ein Fasten!" (Joel 2,15) Zerknirscht bekennt die fastende
Menge ihre Sünden und erneuert den Bund mit Gott und erlangt seine
Barmherzigkeit. Samuel predigt in Maspha ein Fasten, und Gott rettet
das Volk Israel aus den Händen der Philister. (I Sam. 7,6) Jonas
predigte den Niniviten Buße und drohte für den Fall der Verhärtung
gegen Gott mit dem Untergang der Stadt. Das half! König und Volk
fasteten in Sack und Asche 40 Tage lang, und Gott sah ab vom
angedrohten Untergang. (Jon. 1,4) In schwerer Zeit rief die Königin
Esther (Esth, 4,14) die Juden in der assyrischen Gefangenschaft zu
einem Fasten auf, und Gott half und bewahrte sie vor dem Untergang. Die
heldenmütige Judith fastete und rief das Volk ebenfalls zum Fasten auf,
wodurch das Volk der Israeliten aus der Hand des Holofernes errettet
wurde. (Jud. 9,3)
Wenn aber schon im Alten Bund Gott auf das Fasten hin so große
Barmherzigkeit übt, dann sicher auch im Neuen Bund - der mit dem
Kreuzesblut besiegelt wurde -, und auch in unserer Zeit, in der die
Menschen so sündig sind. Gleich zu Beginn der Fastenzeit haben wir ein
ergreifendes Beispiel: Christus, der Herr beginnt seine Lehrtätigkeit
mit einem 40-tägigen Fasten in der schaurigen Einöde von Quarantania.
Mit bewundernswürdiger Strenge fasteten die ersten Christen. Vor
Sonnenuntergang genossen sie nichts. Alle Fasttage waren zugleich
Abstinenztage. Man enthielt sich nicht nur von Fleischspeisen, sondern
auch von allem, was vom Tiere kam, auch von Milch und Eiern. Schon die
ersten Kirchenschriftsteller und die ersten Konzilien berichten von
streng gebotenem Fasten und setzen es als von jeher bestehende
Gewohnheit voraus. Alle Väter und Lehrer der Kirche wiederholen die
Predigt von Quarantania. Sie ermuntern zum Fasten als dem Mittel, Gott
zu versöhnen, in der Tugend zu wachsen, die sinnlichen Begierden zu
überwinden. "Entweder straft der Sünder sich selbst oder Gott muß ihn
strafen, eines von beiden ist notwendig", sagt Papst Gregor der Große.
"Fastet, denn ihr habt gesündigt ..., haltet das Fastengebot in Ehren,
denn es ist so alt wie die Menschheit. Das erste Gebot, das Gott den
Menschen auferlegte, war ein Fastengebot." (St. Basilius) "Das Fasten
ist die Leiter, auf der man zu Gott emporsteigt." (St. Ambrosius)
Bis vor 50, 60 Jahren verstand man in der Christenheit die Predigt von
Quarantania sehr wohl. Man nahm das Fasten ernst. Heute sind die Worte
Fasten, Sühne, Buße aus dem Wörterbuch des modernen Menschen
gestrichen. Wir haben jetzt andere Zeiten! heißt es. Wir sind modern;
Fasten und Buße, das sind Dinge aus der mittelalterlichen Rumpelkammer.
- So spricht jemand, der den Begriff der Sünde nicht mehr kennen will:
Sünde? Das gibt es nicht mehr, Nun ja, wir haben unsere Schwächen,
manche sind Versager und andere wieder erlauben sich hie und da einen
Seitensprung, aber Sünder? Sünder? Nein! Alle Gebote werden denn auch
bedenkenlos übertreten. Aber sie bleiben bestehen und Gott fordert sein
Recht, wenn die Sünde auch noch so frech durch die Welt schreitet, und
die Übertretungen fordern Sühne. Weil sie von Millionen nicht mehr
geleistet wird, darum brechen die Strafaktionen Gottes über uns herein.
Eine der fürchterlichsten ist der Hunger. "Die Welt wird Hunger haben."
Millionen sind vom Hunger bedroht. Waren die beiden Weltkriege keine
Strafaktionen Gottes für den zunehmenden Modernismus, für den Abfall
von Gott, die Entsittlichung? Hat nicht die Muttergottes in Fatima
gemahnt: "Wenn man nicht tut, was ich sage (also sich nicht bekehrt),
wird ein neuer, noch größerer Krieg kommen." Wir haben ihn erlebt mit
all seinen Schrecken, mit seinem Hunger. Da mußten wir fasten und
Abstinenz üben, ob wir wollten oder nicht! Sollen wir das noch einmal
erleben?
Beugen wir vor. Leisten wir Buße und Sühne. Halten wir das von der
Kirche gebotene Fasten- und Abstinenzgebot. Schalten wir freiwillige
Fast- und Abstinenztage ein. Üben wir Mäßigkeit im Fleischgenuß. Warten
wir nicht, bis Gott uns durch den Staat Abstinenztage auferlegt. Üben
wir Abstinenz bei Alkohol und Nikotin, beide drohen ja die
Volksgesundheit zu untergraben.
Fasten aber geht weiter als bloß bis zum Abbruch von Speise und Trank.
Es erfaßt alle Sinne, den ganzen Menschen, auch die Augen und das
Gehör. Es verlangt auch hier Verzicht. Versagen wir uns die eine oder
andere Fernsehsendung. Überwinden wir den modernen 'Nestorianismus';
gemeint ist hier nicht Nestorius, der Irrlehrer, sondern das Nest, das
Bett. Das Bett ist das Symbol der Bequemlichkeit, der Weichlichkeit.
Wenn uns früher unsere Mutter für den Besuch der hl. Messe weckte und
wir nicht gleich darauf hörten, zog sie uns einfach die Bettdecke weg.
Das Christentum ist eine Religion des Opfers, das im Kreuzopfer Jesu
seinen erhabensten Ausdruck findet. Das Ideal so vieler 'Christen' ist
dagegen das gemütliche Nest. Und weil sie das über alles lieben, macht
es zuweilen Gott wie die Mutter es mit uns machte: Er zieht ihnen die
Decke vom Bett weg, d.h. Er reißt sie aus dem gemütlichen Nest und
wirft sie ins Freie, in die Unterstände, in die Ruinen, in die
Erdlöcher, in die Baracken. Das haben wir in zwei Weltkriegen erlebt,
und die Welt erlebt es am laufenden Band. Überwinden wir die Opferscheu
in der Fastenzeit. Machen wir am Sonntag den Gang zur hl. Messe und
auch am Werktag, soweit die Möglichkeit dazu gegeben ist. Das Fasten-
und Abstinenzgebot sei uns wieder eine ernste Sache. "Brüder es ist
Zeit vom Schlafe aufzuwachen!" Ja, es ist höchste Zeit.
Es segnet alle Leser und Freunde
Euer Joseph Leutenegger, Pfarrer i.R.
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