HILDEGARD VON BINGEN
von
Manfred Jacobs
II. Fortsetzung
Hier ist es an der Zeit, auch einmal einen kurzen Blick in die Briefe
zu werfen, die Hildegard an Große von Kirche und Welt schrieb. An den
Papst Anas tas i us IV. (1153-1154) schreibt sie "0 du Mann, das Auge
deiner Einsicht ist müde geworden. Warum rufst du die Schiffbrüchigen
nicht zurück? Weshalb schneidest du des Übels Wurzel nicht ab, das die
guten Gewächse erstickt? Du vernachlässigst die Tochter des Königs, die
Gerechtigkeit ... Du läßt zu, daß das Böse sich übermütig erhebt ...
Du aber, Roma, die du gleichsam in den letzten Zügen liegst, wirst
zutiefst erschüttert werden, weil du die Gerechtigkeit nicht liebst.
Deshalb will sie von dir fliehen, wenn du sie nicht rufst ... Du
Mensch, der du zum Hirten auf Erden bestimmt bist, erhebe dich, eile
ihr rasch nach ... und Gott wird dich retten." In dem gleichen Brief
aber verheißt die Seherin dem übermütigen, aufständischen Rom: "Die
hohen Berge (das sind die kraftvollen und energischen kommenden Päpste)
werden dir, Rom, aber noch Hilfe gewähren und dich emporrichten." Wer
die Geschichte kennt, findet dies bestätigt.
Papst Hadrian IV. (1154-1159) schreibt sie (auf dessen Wunsch,
ermahnende Worte von ihr zu hören, weil man von ihr sage, sie sei
"begabt mit dem Geiste der Wunder Gottes"): "0 Mensch, du wirst gegen
Löwenstärke bestehen müssen. Doch du hast verständigen Verstand ... Du
wirst an den Mähnen die eilenden Rosse aufhalten, die auf Beutepfade
rennen ... Fürchte nicht, daß Gott dich verlassen wird, sein Licht
wirst du schauen."
Aber auch die Großen des Reiches wurden mit starken Worten ermahnt.
Kaiser Friedrich Barbarossa wird aufgefordert sein Amt recht zu
verwalten, damit er nicht einst vor dem höchsten Herrscher erröten
müsse: "Tu dein Auge auf", schreibt sie, ... "Räuber und Irrgeister
zerstören den Weg des Herrn ... Was gerecht ist , ist offenkundig. Wer
gebietet, muß seine Vorgänger im Guten nachahmen ... Lege die Habsucht
ab, wähle dir die Enthaltsamkeit. Du mußt in deinen Angelegenheiten
sehr vorsichtig sein. Denn ich schaue in geheimnisreicher Vision, wie
dur vor den lebendigen Augen (Gottes) von vielen Stürmen und
Widerwärtigkeiten umlagert bist. Nur eine Zeitlang wirst du im
Irdischen herrschen. Hüte dich, daß der höchste König dich nicht
niederwerfe wegen, der Blindheit deiner Augen, welche nicht recht
sehen, wie du das Zepter führen mußt, um richtig zu herrschen. Strebe
danach so zu sein, daß die Gnade Gottes dir nicht fehle."
In einem zweiten Brief an Barbarossa wagt Hildegard diesem Kaiser
gegenüber scharfe Drohungen auszusprechen: "Der da ist spricht: Ich
vernichte den Trotz und den Widerspruch derer, die micht verachten. Ich
zermalme ihn mit meiner Kraft. Wehe, wehe über die Gottlosen, die micht
geringschätzen. Höre das, König, wenn du das Leben willst. Sonst wird
mein (Gottes) Schwert dich vernichten."
An Konrad III. schrieb sie u.a.: ... "Höre, einesteils wendest du dich
ab von Gott; die Zeiten in denen du lebst, sind leichtfertig wie ein
Weib ... Halte deinen Willen im Zaume und bessere dich."
Hildegard beugte sich nie schmeichlerisch vor einem Titel. Stets sprach
sie ohne Scheu Mahnung und Tadel aus wenn immer sie Ursache dazu hatte,
unbekümmert um die FoIgen, die sie hätten treffen können. Doch nicht
strenge Sittenrichterei oder gar die Freude am Zurechtweisen läßt
Hildegard so handeln. "Nicht von mir selbst sage ich diese Worte,
sondern gemäß dem, was ich in dem lebendigen Licht sehe", beteuert sie
dem Erzbischof Arnold von Mainz nach einer Rüge, und woanders klagt
sie: "Ich armes schwaches Weib bin zwei Jahre hindurch sehr g e q
u ä 1 t, weil ich alles das vor den Magistern, Doktoren und den
Gelehrten einiger ausgezeichneter Orden verkünden soll." Es ist die
Pflicht, die das Zagen der von Natur aus Schüchternen, überwindet. Wenn
sie mit Autorität spricht und energisch auf ihren Ideen beharrt, kurz,
wenn sie selbstbewußt scheint, so ist doch nur jenes Selbstbewußtsein,
welches dem Apostelwort zugrunde liegt: "Ich vermag alles in dem, der
micht stärkt." Sie erachtet sich bloß als "Posaune" als "Zither", als
Werkzeug. Mit Vorliebe vergleicht sie sich mit einer Feder, die aus
sich keine Flugkraft hat und einzig vom Winde emporgetragen wird, und
sie setzt einmal hinzu: "Der allmächtige Gott ließ das deshalb
geschehen, um zu zeigen, was er durch ein Wesen, das von sich selbst
auf nichts pochen kann, zu wirken vermag."
Selbst ein Magister der Theologie an der Universität Paris hatte so
viel von ihrer Gabe gehört, himmlisches ohne gelehrte Studien zu
erkennen, daß er ihre eine Streitfrage vorlegte, die damals, angeregt
von Bischof Gilbert von Poitiers, die Gemüter bewegte. Eine
scholastische Spitzfindigkeit, ob nämlich Gott und Gottheit eins wären,
ob in Gott Vater die Vaterschaft und die Gottheit vereint seien.
Bescheiden antwortet Hildegard, sie sei nicht mit menschlichem Wissen
gerüstet, noch mit mächtigen Kräften, ihr fehle die Gesundheit des
Körpers, aber Gott sei ihr Halt. Vom "wahren Licht" belehrt, entschied
sie: "Gott ist die Fülle, die Unveränderlichkeit. Deshalb kann er nicht
in Worten geteilt werden. Gott ist das Ganze, nichts läßt sich von ihm
abziehen, nichts ihm hinzufügen. Auch Vaterschaft und Gottheit ist der,
der da ist , wie es heißt (in der hl. Schrift): 'Ich bin, der ich bin',
und wer ist, hat die Fülle (des Seins). Wer sagt, die Vaterschaft und
Gottheit seien nicht Gott (Gilbert hält die Charaktere der göttlichen
Personen für etwas von ihnen verschiedenes), der nennt einen
Mittelpunkt ohne den Kreis und leugnet den, der ewig ist , weil er
meint, daß eine Art Leere in Gott sei. Gott kann nicht ausgeschöpft
werden, weil in Gott nichts ist, was nicht Gott wäre."
Hierauf spricht sie von der Unzulänglichkeit der menschlichen Vernunft, die für den Unnennbaren Namen erfand.
Zu solchen theologischen Darlegungen wurde Hildegard noch öfter
angeregt. Bischof Eberhard von Bamberg veranlaßte sie, ihre Gedanken
über die Dreieinigkeit Gottes niederzulegen. "Der Vater ist reines
Licht, dieses Licht hat Glanz, und doch sind das Licht und der
Lichtglanz und das Feuer eins ... Das Feuer durchdringt die beiden
Namen (Glanz und Licht), die zu Gottes Sein gehören, weil es nicht
möglich wäre, daß Licht des Glanzes entbehren könnte. Und fehlte dieses
Feuer, so würde das Licht nicht leuchten und der Glanz nicht glänzen."
D.h., Wie im Feuer Flamme und Licht, ist Gott dreifach eins. Mit diesem
Bilde will Hildegard die Zusammengehörigkeit und Wesensgleichheit der
drei göttlichen Personen verständlich machen.
Bedeutendes leistete Hildegard auch im Bereich der Musik, deren erste
nachdrückliche Betonung des Seelischen vom jungen Christentum
ausgegangen ist. Papst Gregor I. erwarb sich hier große Verdienste um
den Choral.
Unter den Komponisten des frühen Mittelalters finden sich viele
Benediktiner. Daß aber eine Frau unter diesen Namen steht, ist etwas
ganz außergewöhnliches. 70 Kompositionen verdanken wir der hl.
Hildegard von Bingen. Antiphonen, Sequenzen, Hymnen, Responsorien und
ein Melodrama,welches aus 85 Liedern besteht. Klar und leicht faßlich
sind ihre Lieder zur Ehre Gottes. Sie preist ihn als die Macht der
Ewigkeit, die alles geschaffen und alles geordnet hat. Sie beschwört
ihn um Hilfe in großer Not, sie fleht zum "Hirten der Seelen"
(Jesus)/dessen Blut in der Höhe (des Himmels) erklang. Auch die Texte
zu all diesen Werken wurden von der vielseitig begabten Heiligen meist
selbst verfaßt, und ihr Name steht mit Ehren unter den religiösen
Dichtern. Zwar ist die Urheberschaft ihrer Gedichte angezweifelt
worden, aber Hildegard selbst erwähnt, daß sie Gesänge "zum Lobe Gottes
und der Heiligen" verfaßt habe.
Teilweise ist es aber auch schwierig, Hildegards Dichtungen zu
verstehen, denn ein überwältigender Reichtum an Bildern tat sich ihrem
Seherauge auf, und man müßte wohl im Mittelalter selbst gelebt
haben, um vertraut zu sein mit der an Symbolik reichen Sprache,
denn Hildegard schrieb für ihre Zeitgenossen klar, plastisch,
anschaulich und vor allem verständlich. Außerdem lehnen sich ihre
Zeilen an die Bibel an, und haben somit noch eine andere vertraute
Grundlage, sind deshalb somit jedenfalls verständlicher als manche
modernen symbolische Dunkelheiten die in gesuchter Künstelei
ausschließlich subjektiver Willkür entstammen. Solches war Hildegard
fremd!
Alles in allem steht Hildegard aber einsam da, denn auch in der
Botanik, und nicht nur dort, gibt sie Eigenes, Neues. Sie hat die Sonne
als die lebensspendende und Leben erhaltende Kraft erkannt und sich
bemüht, die Welt in all ihren Erscheinungsformen kennen zu lernen und
aus der scheinbaren Unordnung eine große Synthese zu konstruieren. Nie
hat sie sich mit der oberflächlichen Erscheinungsform begnügt, sondern
sie ging hartnäckig auf die letzte Ursache zu. Ihrem wachsamen Auge
entging kein Grashalm, kein Wurm, keine Wolke, kein Sternbild, kein
Wassertropen, kein Stein, kein Metall, keine Naturkraft, keine
Krankheit, keine theologische Lehre. Mit allem hat sie sich beschäftigt
und mit allem suchte sie fertig zu werden, und sie hat Jahrhunderte
später bewiesene wissenschaftliche Grundlehren geahnt.
Sechzig Jahre ist Hildegard alt, als sie beginnt, ein neues Werk zu
verfassen. "Das Buch vom verdienstlichen Leben". In der Einleitung
berichtet sie: "Im Jahre 1158 der Menschwerdung des Herrn, während der
Regierung des römischen Kaisers Friedrich, hörte ich eine Stimme vom
Himmel, die mir sagte: Du, die du von Kindheit an durch den Geist des
Herrn nicht in körperlicher, sondern in geistiger Vision belehrt wirst,
sage, was du nun hörst und siehst ... Und ich hörte eine Stimme vom
Himmel, die mir folgendes sagte und lehrte."
Nun folgen sechs größere Abschnitte von Morallehren, aber nicht in
trockener Darstellung, sondern, man kann schon sagen, in dramatischen
Zwiegesprächen zwischen Tugenden und Lastern, Fehlem und Vorzügen
werden Lehren erteilt. Himmel und Fegefeuer sind in so glühenden Farben
beschrieben, daß nur noch Dantes "Divina Commedia" zum Vergleich
herangezogen werden kann.
Wiederholt erwähnt Hildegard die Rechtfertigung durch Christus. Somit
wird der Vorwurf, im Mittelalter sei das Verdienst Christi durch
"Werkheiligkeit" verdunkelt worden, ad absurdum geführt. Auch die
heroische Bußgesinnung des Mittelalters entsprang nicht, wie so oft
gesagt wird, mehr der Furcht als der Liebe, sondern sie beruht vielmehr
auf dem Charakter des mittelalterlichen Menschen.
Auch die - so wie hier geschehen - nur auf ein minimum reduzierte
Betrachtungsweise des großen Lebens der hl. Hildegard erlaubt es nicht
unerwähnt zu lassen, daß Hildegard als erste deutsche
schriftstellernden Ärztin und der ersten Verfasserin einer Botanik, den
Ehrennamen als Begründerin der Naturwissenschaft in Deutschland trägt.
Sie schrieb 1157 die beiden naturwissenschaftlichen Werke "Causae et
curae" (die Krankeheiten und ihre Heilung) und die "Physika"
(Naturkunde). In "Causae et curae" schreibt Hildegard über landläufige
Krankheiten und gibt Heilmittel an. Hierbei ist Hildegard aber weit
entfernt von Quaksalberei, Aberglauben oder abergläubischen
Heilmitteln. Sie versucht den Charakter eines Menschen aus den von den
Eltern und Ureltem vererbten Anlagen zu erklären. Sie empfiehlt
allmorgendliches Zähneputzen mit frischem Wasser als bestes Mittel
gegen Zahnkrankheit. Sie hat erkannt, daß Bewegung (mäßige) ebenso wie
mäßiges Essen, Trinken und Schlafen der Gesundheit zuträglich sind. Von
vielen Speisen und Getränken gibt Hildegard an, ob sie nützlich oder
schädlich sind, und sie weiß auch eine Menge Säftlein, Salben und
Pulver für allerlei Schmerzen und Gebrechen. Ihr medizinisches Wissen
und ihr Weitblick schlugen sich auch beim Klosterbau auf dem
Rupertsberg nieder. Hier waren die Räume einfach aber hell und luftig,
und eine Röhrenleitung versorgte jeden Arbeitsraum mit frischem Wasser.
Hildegard unterscheidet auch ausdrücklich Besessene, Epileptische und
Irrsinnige. Auch kennt sie sich in der Tiermedizin aus.
Die "Physika" ist Hildegards eigentliche Naturgeschichte. Sie handelt
von Pflanzen, Tieren, Steinen, Vögeln, Fischen, Metallen u.s.w. Aber
auch hier sind mannigfach medizinische Ratschläge mit eingeflochten.
Hildegard pflegt Tiere und Pflanzen auf Grund ihrer eigenen Anschauung
und Beobachtung in kurzen Zügen biologisch zu charakterisieren. Deshalb
wiederholt sie auch nicht die alten Fabeln, sondern erklärt, daß sowohl
die Blindschleiche als auch ein lebender Feuersalamander ungefährliche
Tiere seien, ein gegenüber den Vorurteilen des Volkes, kein geringes
Wagnis.
Als eine Art Naturphilosophie kann das Buch "Von den Göttlichen Werken"
angesprochen werden, welches von 1163-1170 entstanden ist . Auch hier
nimmt die Erforschung des Menschen einen breiten Raum ein.
Neben den großen Büchern "Sei vias"; "Das verdienstliche Leben"; "Die
Göttlichen Werke"; "Causae et curae"; "Physica"; und den Liedern und
Gedichten, hat Hildegard noch einige kleinere Schriften verfaßt; so
eine Vision des hl. Martinus; 1170 auf Wunsch der Benediktiner des
Disibodenberges, über das Leben des hl. Disibod so wie sie es im Geiste
schaute, und über das Leben des hl. Rupert.
Die Denkungsart Hildegards wird vor allem auch dadurch erkennbar, daß
sie, im Gegensatz zu den volkstümlichen Legenden, keinerlei Fabelei in
ihre Heiligengeschichten mit aufgenommen hat. Diese Mäßigung entspringt
dem klaren Verstande und der Vernunft Hildegards, denn nicht dem
Unterhaltungsbedürfnis des Volkes sollten diese Geschichten dienen,
sondern sie sollten wahre Erbauung bewirken. Sie betont, im Gegensatz
zu dem Wunderfreudigen Geist des Mittelalters, auch nicht besondere
Wundertaten, sondern erwähnt nur nebenher einige Heilungen;die im
Zusammenhang mit dem hl. Disibod stehen.
Wichtig ist , daß 1147 eine päpstliche Kommision beauftragt wird, die
Schriften Hildegards und ihre Gesichte zu untersuchen. Die Untersuchung
kommt zu positiven Ergebnissen, und der Papst billigt Hildegards Werke
und schickt ihr ein huldvolles Schreiben.
Von den kleineren Werken ist auch ein Wörterbuch erhalten gebliebenen
dem Hildegard den Versuch gemacht hat, eine Geheimsprache zu
entwickeln. Darüber, welchem Zweck, oder welchen Zwecken diese "lingua
ignota" dienen sollte, gehen die Meinungen auseinander.
Neben Klosterneubau und Leitung einer zahlreichen Genossenschaft,
wissenschaftlichen Schriftstellerarbeiten, einem umfangreichen
Briefwechsel, Empfang von Besuchen und ärztliche Tätigkeit, einem
Programm also, welches Zeit und Kraft eines gesunden, jungen Menschen
vollauf in Anspruch genommen hätte, leistete die zarte und oft
schwerkranke Äbtissin vom Rupertsberg, von Gottes Geist nicht nur
angetrieben, sondern genötigt, noch viel mehr. Schmerzen und Schwäche,
Strapazen und Mühen achtete sie gering, wenn es galt Gottes Ehre zu
fördern.
Dreimal hat sie ihr geliebtes Kloster auf längere Zeit verlassen, um
Missionsreisen in größere Städte, besonders aber in Klöster zu machen.
Und wenn sie, die Frau, vor den Domherrn und den Pfarrern der Städte
stand und warnende Worte sprach, wenn sie von Mönchen und Nonnen vor
allem Besserung ihres Lebenswandels, Rückkehr zu den evangelischen
Räten des Gehorsams, der Reinheit und der Armut verlangte, dann beugten
sich die Zuhörer vor der Gewalt ihrer Worte.
Zu Fuß teilweise, meist aber auf einem Pferde oder Maultier reitend,
durchzog sie ganz Westdeutschland. Auf der ersten Reise, die sie ins
Frankenland unternahm, kam sie über Mainz bis nach Würzburg und
Bamberg. Ernst und streng mahnte sie zur Buße und Bekehrung.
Die zweite Reise ging nach Lothringen} Straßburg, Metz, Trier und Köln
wurden berührt, sowie noch eine Anzahl Klöster wie Maria-Laach,
Siegburg, Dietkirchen bei Bonn, Werden an der Ruhr u.a. Der Kampf gegen
die Katharer, jene Sekte, die damals so viel Schaden im Rheinland tat,
war die Hauptveranlassung zur Reise.
Sicher war dieses Unterwegssein und das anstrengende Predigen sehr
mühevoll und beschwerlich für Hildegard, aber trotzdem machte sie sich
mit über 70 Jahren, ein drittes Mal auf und besuchte das Schwabenland.
Ihre Geisteskraft war ungeschwächt. Staunend lauschten Mönche und
Weltgeistliche ihren Worten, die oft wie Donnerschläge auf die Zuhörer
niederschlugen und die Herzen aufrüttelten.
Überhaupt wurde ihr jeweiliger Aufenthaltsort zu einem tief erregenden
Erlebnis für den dortigen Klerus und die gesamte Bevölkerung dieser
Gegend. Wir besitzen einige Niederschriften der unerhört kühnen
Predigten, die Hildegard öffentlich auf großen Plätzen in Kirchen oder
Domen gehalten hat, und sie auf Wunsch dem Klerus zusandte. Die
außerordentlich mutige Sprache der Prophetin zwingt uns noch heute,
nach achthundert Jahren, Staunen und Bewunderung ab. Nie zuvor hatte
eine Frau, eine Nonne und Äbtissin, in aller Öffentlichkeit das Wort
ergriffen (im Mittelalter ohnehin fast undenkbar). Auch in den
folgenden Jahrhunderten spricht keine Frau in der Weise.wie sie es
getan. Hildegards Predigten vor Klerus und Volk sind ein einmaliges
Phänomen in der Geschichte des Abendlandes.
In ihren letzten Lebensjahren lag Hildegard fast ständig zu Bett. Wenn
sie einmal aufstand, mußten hilfreiche Hände sie stützen, weil ihre
Füße versagten. Die Last des Alters und die freigewollten Entbehrungen
hatten sie so entkräftet, daß sie nur noch aus Haut und Knochen
bestand. In diesem Zustand trifft sie ein schwerer, ja vielleicht der
schwerste Schlag ihres Lebens überhaupt. Einer geringfügigen und dazu
noch sehr fraglichen Sache wegen wurde ihr Kloster mit dem Interdikt
belegt.
Ähnlich wie die Disibodenberger Mönchsabtei hatte auch das
Rupertsberger Kloster die Erlaubnis, Freunde und Wohltäter auf dem
Klosterfriedhof zu bestatten. Hildegard hatte 1178 - der Monat ist uns
nicht bekannt - einen ehemals exkommunizierten Edelmann, der sich mit
der Kirche aber wieder ausgesöhnt hatte, auf ihren Gottesacker
beisetzen lassen. Da die Wiederaufnahme dieses Mannes in die Kirche
privat und nicht offiziell stattgefunden hatte, verlangte das Mainzer
Domkapittel von Hildegard, die sofortige Entfernung der Leiche vom
Rupertsberger Friedhof. Im Weigerungsfalle sei ihr Kloster mit dem
Interdikt belegt.
Die Nachricht traf Hildegard wie ein Blitz aus heiterem Himmel, und
obwohl sie von Anfang an erklärt, daß das Interdikt fälschlich und zu
Unrecht verhängt worden sei, geschieht das fast Unbegreifliche. Sie
nimmt das Interdikt auf sich, und stellt den feierlichen Gottesdienst
und den Sakramentenempfang ein. In ihrer Liebe zum Nächsten nimmt die
Seherin und Prophetin den unerhörten Kampf und das größte Wagnis auf
sich und geht dabei bis an die äußerste Grenze. Dieses Geschehnis
bezeugt Hildegards große Ehrfurcht vor der Würde des Menschen, vor
allem des Christen, der, geheiligt durch die Sakramente, ein Recht hat(
in der von der Kirche geheiligten Erde bestattet zu werden.
Die 81-jährige, totkranke Greisin unternimmt noch selbst eine Reise
nach Mainz und erreicht endlich im Sommer 1179, daß das Interdikt von
ihrem Kloster genommen wird. In den Monaten, in denen das Interdikt auf
dem Kloster lastete, bestand die Seherin und Prophetin wohl die
schwerste Prüfung ihres Lebens starkmütig in der Kraft ihres Charismas.
Sechs Wochen, nachdem die Klosterglocken wieder auf dem Rupertsberg
ertönen dürfen, stirbt die große Äbtissin am 17. September 1179 im 82.
Lebensjahr stehend, während am Himmel wunderbare Zeichen erscheinen,
aber tief betrauert von ihren Mitschwestern und der gesamten Kulturwelt
der damaligen Zeit.
Später wurde, ob in echter Verblendung, oder aus gehässiger echter
Böswilligkeit heraus, mag dahingestellt sein, der teuflische Versuch
unternommen, einen Teil von Hildegards Schriften umzudeuten und ihre
Aussagen ins Gegenteil zu verkehren. Es erübrigt sich, auf eine
derartige Ungeheuerlichkeit einzugehen, denn ein solches Unternehmen
muß zwangsläufig an der Größe einer Hildegard von Bingen scheitern. Es
ist auch in diesem Falle in sich selbst zusammengebrochen.
Für uns ist die hl. Hildegard von Bingen eine "Prophetin im Sinne des
göttlichen Antriebes zur Herstellung des Zeitalters Gottes", wie Josef
Bernhart einmal sagte.
Verwendete Literatur:
1) Hildegard von Bingen "Briefwechsel" nach den ältesten Handschriften,
übersetzt nach den Quellen, erläutert von Adelgundis Führkötter OSB.
2) "Sei vias".
3) "Die heilige Hildegard von Bingen" von Helene Riesch.
4) "Christliche Gestalten" von Josef Maria Nielen.
5) "Rheinische Heimat" Beilage der Mittelrheinischen Volkszeitung zur Pflege der Heimatkunde, Juli 1929.
6) "Katholischer Kirchenkalender11 der Pfarrei Bingen am Rhein für das Jahr 1928.
7) "Herold der Kirche" von Anton Rohrbasser.
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