DER SCHLANGENKNOTEN
von
H.H. Dom Augustin Marie O.S.B.
Ein Mann vom Lande war so geschickt im Fangen von Kreuzottern, daß er
eines Tages bis hundert sieb zehn davon fing: eine Bestleistung! Am
Abend ging er todmüde zu Bett. Er hatte seine noch lebenden Schlangen
in sein Zimmer gebracht und in ein kleines Faß gesetzt. Das Faß hatte
er zwar verschlossen, aber nicht sorgfältig genug. Nachts, als er
schlief, rührten sich die Schlangen so, daß sie ihr Gefängnis
sprengten. Von der Wärme des Bettes angezogen, kletterten sie darauf,
schlichen sich in die Bettücher und wickelten den armen Mann ohne ihm
zu schaden, ja sogar ohne ihn zu wecken. Stellen Sie sich seine
Überraschung vor, als er aus dem Schlaf erwachte, die Arme und die
Beine ganz von Schlangen umgeben. "Ich bin verloren!", dachte er. Er
hatte aber die Vorsicht, sich nicht zu bewegen. Nachdem er sich Gott
anempfohlen hatte, rief er seine Dienerin, indem er sorgfältig die
kleinste Bewegung vermied. Als er sie neben seiner Tür hörte, rief er:
"Kommt nicht herein, aber bringt einen großen Kessel lauer Milch, den
ihr so leise wie möglich in die Mitte des Zimmers stellen werdet." Als
der Kessel im Zimmer war ließen die Schlangen, eine nach der andern,
den Mann los und richteten sich zur Milch. Welch grenzenlose Freude ihn
ergriff! Er beherrschte sich jedoch und gab allen Zeit, aus dem Bett zu
kriechen. Dann stand er auf, und da er sah, daß alle bewegungslos und
wie von der Milch betrunken waren, nahm er sie eine nach der anderen
mit Zangen und schnitt ihnen den Kopf ab.
Wir müssen unser ewiges Heil inmitten von zahllosen Schlangen, d.h.
inmitten der Dämonen, der (ungläubigen) Welt und der eigenen Sünden,
die wir in unserem Herzen verbergen, bewirken. (...) |