Die Seuche unserer Zeit: Der liberale Katholizismus
von
H.H. Pater Noel Barbara
(aus: "Fortes in Fide" Nr.8, 1979)
«Der Irrtum in der Gesellschaft ist vergleichbar mit einem Fleck auf
einem kostbaren Gewebe Man erkennt ihn gut, doch ist es schwierig,
seine Abgrenzung festzustellen . So ist jeder klar formulierte Irrtum
in der christlichen Gesellschaft gewissennassen umgeben von einer
Atmosphäre desselben Irrtums, freilich weniger dicht, mehr verdünnt und
gemässigter. Der Arianismus kannte seinen Semi-Arianismus, der
Pelagianismus seinen Semi-Pelagianismus, das brutale Luthertum seinen
Jansenismus, der nichts anderes darstellte, als ein gemässigtes
Luthertum. In gleicher Weise wird heute der radikale Liberalismus vom
Semi-Liberalismus umgeben, was nichts anderes darstellt, als die
liberale katholische Sekte.»
In seinem ausgezeichneten und sehr zeitgemässen Werk «Der Liberalismus
ist eine Sunde» stellt Don Felix y Salvany fest, dass es unter den
liberalen Katholiken eine ganze Skala gibt, denn nicht alle sind im
gleichen Masse angesteckt Immerhin ist nicht minder wahr, dass, wer
angesteckt, zugleich verdorben ist Nun weiss jedermann, dass, wenn sie
in Berührung geraten, es nicht die gesunden Elemente sind, welche die
verdorbenen bessern, sondern es sind die letzteren, welche die Guten
anstecken
Zur Einleitung unseres Artikels über die Seuche des liberalen
Katholizismus erlauben wir uns, einige Seiten aus dem Buche von Don
Sarda wiederzugeben
Zeichen oder Symptome, mit Hilfe derer
man feststellen kann, dass ein Katholik vom Liberalismus angesteckt
oder bloss befleckt ist
«Den vom Liberalismus lediglich befleckten Katholiken erkennt man
folgendermassen: Ein Biedermann, der ehrlich religiös praktiziert, es
entströmt ihm aber der Geruch des Liberalismus in allem, was er sagt,
schreibt oder in seinen Händen hält. Er konnte auf seine Art sprechen
wie eine Madame de Sévigné: <Ich bin nicht die Rose, aber ich bin
ihr nahe gekommen, und ich habe etwas von ihrem Parfüm erwischt.>
Dieser brave Mann urteilt, spricht und handelt wie ein Liberaler, ohne
dass er es merkt Seine Stärke besteht in der Liebe, er ist die Liebe
selber Voller Abscheu ist er gegenüber den Übertreibungen der
ultramontanen Presse (was unsere Feinde als <Integrismus>
bezeichnen) Einen Menschen, der schlechte Ideen verbreitet, als
Bösewicht behandeln, das heisst in den Augen dieses sonderbaren
Theologen, sich gegen den Hl Geist versündigen In seinen Augen gibt es
bloss Verirrte. Man darf weder widerstehen noch bekämpfen, was man ohne
Unterlass tun muss, das ist anziehen Das Böse ersticken unter der Fülle
des Guten...»
«Aus dem Evangelium zitiert er bloss Stellen, die von Zucker und Honig
triefen Die schrecklichen Schmähworte gegen die Pharisäer betrachtet er
gleichsam als Wunderlichkeiten und Übertreibungen von Seiten des
gottlichen Erlösers. Was ihn aber nicht daran hindert, sich einer
solchen Sprache in harter Weise selber zu bedienen gegenüber jenen
lästigen Ultramontanen, die tagtäglich durch ihren Mangel an Mass die
Sache der Religion, die doch jene des Friedens und der Liebe ist,
gefährden.»
«Ihnen gegenüber zeigt nch dieser vom gewöhnlichen Liberalismus Gefärbte, so sanft wie er ist. recht bissig und heftig.»
«Ihnen gegenüber ist sein Eifer voll Bitterkeit, seine Polemik scharf, seine Liebe agressiv.»
«Kurz, dieser vom Liberalismus Gefärbte konnte nie die Opposition
<per diametrum> verstehen, von welcher der hl. Ignatius in den
<geistlichen Exerzitien> spricht Er kennt keine andere Taktik als
jene des Seitenangriffes, eine Taktik, die in Religionssachen die
bequemste sein mag, niemals aber die entscheidendste Er möchte wohl
siegen, aber unter der Bedingung, dass der Feind nicht verletzt würde,
dass ihm weder Kränkung noch Verdruss zugefügt würde. Schon das Wort
<Krieg> geht ihm auf die Nerven, und er gibt der friedlichen
Diskussion jeglichen Vorzug. Er ist für die liberalen Zirkel, in
welchen man hochtrabende Worte braucht und beratet, und nicht für die
ultramontanen Gesellschaften, in welchen min dogmatisiert und tadelt»
Es fehlt euch an Liebe
Der vom Liberalismus durchtränkte Katholik glaubt darin ein sehr
wirkungsvolles Argument gegenüber dem Starrsinn der wahren Katholiken
zu finden, indem er ihnen Mangel an Liebe vorwirft
«Man wirft uns ständig unseren angeblichen Mangel an Liebe vor. Nun
gut! Wenn dem so ist, werden wir klar solchem Vorwurfe begegnen, der
für mehrere dieser Gattung als Streitross dient. Wenn dem nicht so ist,
so dient er unseren Feinden zumindest als Brustwehr. Und, wie ein Autor
sehr geistvoll erklärt, nötigt er die Liebe in artiger Weise, gegenüber
der Wahrheit als Barrikade zu dienen »
«Doch was bedeutet zunächst der Ausdruck <Liebe>?»
«Die katholische Theologie erteilt uns hierüber Aufschluss durch das
bestausgewiesene Organ der Volksbelehrung, nämlich durch den
Katechismus, der die Fülle der Weisheit und der Philosophie enthält.
Diese Definition lautet folgendermassen: Die Liebe ist eine
übernatürliche Tugend, die uns dazu geneigt macht, Gott über alles zu
lieben und den Nächsten wie uns selber, aus Liebe zu Gott. Also müssen
wir nächst Gott unseren Nächsten lieben wie uns selber, und dies nicht
auf irgendwelche Weise, sondern aus Liebe zu Gott und in Gehorsam
gegenüber seinem Gebote Und nun, was bedeutet <lieben>? Amare est
velle bonum, antwortet der Philosoph Lieben heisst, das Gute jenem
gegenüber wollen, den man liebt Wem gegenüber gebietet die Liebe, das
Gute zu wollen? Gegenüber dem Nächsten! Das will besagen, nicht bloss
gegenüber diesem oder jenem Menschen, sondern gegenüber allen Menschen.
Und worin besteht das Gute, das man wollen muss, damit sich daraus die
wahre Liebe ergibt' Erstens, das vornehmste Gut, das übernatürliche
Gute; gleich nachher die Güter der naturlichen Ordnung, die sich mit
ihm vereinbaren lassen All das wird zusammengefasst im Satze <aus
Liebe zu Gott> und tausend anderen desselben Sinnes. »
«Daraus folgt, dass man den Nächsten wirklich lieben kann, indem man
ihm missfallt, ihn verdriesst, ihm materiellen Nachteil zufugt, ja,
unter gewissen Umstanden ihn sogar des Lebens beraubt Kurz und gut, es
kommt darauf an, festzustellen, ob man in dem Falle, da man ihm
missfällt, ihn ärgert, ihn demütigt, es für sein Eigenwohl tut, für das
Wohl jemandes, dessen Rechte den seinigen vorgehen, oder einfachhin für
den höchsten Dienst an Gott. »
«1. Für sein Wohl. - Wenn es erwiesen ist, dass man zu seinem Wohle
handelt, wenn man dem Nächsten missfällt, ihn beleidigt, dann ist es
klar, dass man ihn liebt, selbst angesichts der Widerwärtigkeiten und
Unannehmlichkeiten, die man ihm bereitet Zum Beispiel: Man liebt den
Kranken, indem man ihn brennt oder ihm ein brandiges Glied
wegschneidet, man liebt den Bösewicht, indem man ihn mit Strafe oder
Züchtigung korrigiert usw All das ist Liebe und vollkommene Liebe. »
«2. Zum Wohle eines anderen, dessen Rechte vorzuziehen sind. - Nicht
selten ist es notwendig, gegenüber einer Person Missfallen zu erregen -
nicht für deren eigenes Wohl, sondern um jemanden anderen vom Übel zu
befreien, das sie ihm antut Dann handelt es sich um eine Liebespflicht,
den Angegriffenen gegen die ungerechte Gewalt des Angreifers zu
verteidigen; und man darf dem Angreifer so viel Übles zufügen, als die
Verteidigung des Angegriffenen es erfordert. Das kommt vor, wenn man
einen Rauber im Kampfe mit einem Reisenden tötet. In diesem Falle
vollfuhrt man eine Tat wahrer Liebe, wenn man den ungerechten Angreifer
tötet, ihn verletzt oder ihn auf irgend eine andere Weise unschädlich
macht.»
«3. Für den Gott geschuldeten Dienst. - Das höchste aller Güter, das
ist die Ehre Gottes, wie Gott für jeden Menschen den Nächsten aller
Nächsten darstellt Folglich muss die dem Menschen als Nächsten
geschuldete Liebe jener untergeordnet sein, die wir alle Gott als
unserem gemeinsamen Herrn schulden. Aus Liebe zu ihm also und, wenn es
nötig ist, in seinem Dienste muss man den Menschen missfallen, ja
selbst (immer wenn es notig ist) sie töten Beachtet wohl die
Wichtigkeit dessen, was in Klammern steht (wenn notig): Es handelt sich
allein um Fälle, dass dem Dienste gegenüber solche Opfer erforderlich
sind Gerade wie in einem gerechten Kriege sich die Menschen im Dienste
des Vaterlandes verwunden und toten, so können sie sich im Dienste
Gottes verwunden und töten Wie man auch in Übereinstimmung mit dem
Gesetze Menschen hinrichten kann wegen ihrer Vergehen gegen die
staatlichen Gesetze, so hat man auch in einer katholisch organisierten
Gesellschaft das Recht, Gerechtigkeit zu üben gegenüber Menschen, die
sich gegen das gottliche Gesetz vergehen, wie es die Artikel in forum
externum vorschreiben. So ist, nebenbei gesagt, die so oft verfluchte
Inquisition gerechtfertigt. Alle diese Handlungen (vorausgesetzt
natürlich, dass sie gerecht und notwendig sind) stellen Tugendakte dar
und können aus Liebe anbefohlen werden.»
«Der moderne Liberalismus versteht etwas anderes darunter, und darin
hat er unrecht. So kommt es, dass er sich und seinen Anhängern einen
falschen Begriff von der Liebe macht und übermittelt. Durch seine
abgedroschenen Vorwürfe und Anklagen betitelt er unablässig die treuen
Katholiken mit Ausdrücken wie <Intoleranz> und
<Unnachgiebigkeit> und bringt sogar sehr feste Leute ausser
Fassung. Unsere Formulierung dagegen ist immerhin sehr klar und
konkret: Unsere souveräne Unnachgiebigkeit ist nichts anderes als die
souveräne katholische Liebe. Diese Liebe kommt zur Geltung in bezug auf
den Mitmenschen, wenn sie ihn in seinem eigenen Interesse beschämt,
demütigt, beleidigt und züchtigt. Sie kommt zur Geltung gegenüber einer
Drittperson: Um diese von Irrtum und von Ansteckung zu befreien,
entlarvtman die Urheber und Fälscher, indem man sie bei ihrem wahren
Namen als Fälschet und Perverse bezeichnet; man flösst gegenüber ihnen
Abscheu und Verachtung ein, dies auch in der Öffentlichkeit. Womöglich
denunziert man sie bei der öffentlichen Gewalt, der es obliegt, sie zu
unterdrücken und zu bestrafen. Sie kommt schliesslich zur Geltung
gegenüber Gott, wenn seine Ehre und sein Dienst erfordern, dass man
jegliche menschlichen Erwägungen zum Schweigen bringt, menschliche
Rücksichten beiseile lässt. Ja, man ist verpflichtet, jegliche
Interessen zu verletzen, sein eigenes Leben aufs Spiel zu setzen und
alles Leben, wenn das höchste Ziel auf dem Spiele steht.»
«All dies ist reine Unnachgiebigkeit in der wahren Liebe und
infolgedessen in der höchsten Liebe. Die Vertreter dieser
Unnachgiebigkeit sind die erhabensten Helden der Liebe, die die wahre
Religion kennt. Und weil heutzutage es nur noch wenige solcher
Unnachgiebiger gibt, zählt man auch nur noch wenige wahre Vertreter der
Liebe. Die liberale Liebe nach heuliger Mode ist nachgiebig, zärtlich,
ja sogar zartfühlend, in der Form ja, aber im Grunde genommen bedeutet
sie die wesentliche Verachtung der wahren Güter des Menschen, der
höchsten Interessen der Wahrheit und Gottes.»
«Geziemt es sich, bei der Bekämpfung des Irrtums auch die Person in Misskredit zu bringen, welche ihn unterstützt?»
«Lassen wir meinetwegen noch den Krieg gegen die abstrakten Lehren;
aber gehört es sich, den Irrtum zu bekämpfen, mag er noch so klar sein,
indem man über die Person jener herfällt, die sie unterstützen?»
«Unsere Antwort: Ja, sehr oft ist es ratsam, und nicht bloss ratsam,
sondern es ist unerlässlich und vor Gott und der Gesellschaft
verdienstvoll, dass dies geschehe. Diese Bejahung ergibt sich aus dem,
was vorgängig ausgeführt worden ist; immerhin wollen wir darüber <ex
professo> handeln, derart bedeutsam ist die Angelegenheit.»
«Die Anklage, Persönlichkeiten blosszustellen, wird den katholischen
Apologeten nicht erspart. Und nachdem die vom Liberalismus angesteckten
Katholiken einem der Unsrigen solche Anklage an den Kopf geworfen
haben, scheint ihnen zu seiner Verdammung nichts mehr im Wege zu
liegen.»
«Immerhin, sie täuschen sich, ja wirklich, sie täuschen sich. Man muss
die ungesunden Ideen bekämpfen und in Misskredit bringen; und zudem
muss man Hass, Verachtung und Abscheu gegenüber jenen einflössen,
welche zu verführen und zu verleiten suchen.»
«Wie die Ideen auf keinen Fall von sich selbst gestützt werden können,
verbreiten sie sich nicht durch ihre blosse Existenz. Auf sich allein
sich stützend, könnten sie nicht all das Übel hervorbringen, unter dem
die Gesellschaft leidet. Sie sind zu vergleichen mit Pfeilen und
Kugeln, die niemandem etwas antun könnten, wenn sie nicht von Bogen
oder Gewehr abgeschossen würden.»
«Man muss also den Bogen- oder Gewehrschützen angreifen, wenn man
seinem mötderischen Schiessen Einhalt gebieten will. Jede andere Art,
Krieg zu führen, wäre liberal, sinnlos.»
«Die Urheber und Propagandisten häretischer Lehren sind Soldaten, die
vergiftete Projektile abschiessen. Ihre Waffen sind: das Buch, die
Zeitung, öffentliche Rede, persönlicher Einfluss. Genügt es denn, sich
nach rechts oder links zu drehen, um den Schlägen zu entgehen? Nein!
Die erste und wirksamste Tat besteht darin, den Schützen zu
entwaffnen.»
«So ist es unerlässlich, das Buch, die Zeitung und die Rede des Feindes
jeglicher Autorität und jeglichen Kredites zu berauben. Aber es ist
ebenso unerlässlich, in bestimmten Fällen auf dieselbe Weise mit der
Person zu verfahren, ja mit der Person, die unbestreitbar das
Hauptelement des Kampfes darstellt, gerade wie der Artillerist das
Hauptelement der Artillerie darstellt, und nicht das Geschoss, das
Pulver und die Kanone. Es ist also in bestimmten Fällen erlaubt, der
Öffentlichkeit seine Schändlichkeiten bekanntzugeben, seine
Gewohnheiten der Lächerlichkeit preiszugeben, seinen Namen zu
verunglimpfen. Ja, meine Leser, das ist erlaubt, in Prosa, in Versen,
in Karikatur, in ernsthaftem oder scherzhaftem Tone, mit allen Mitteln,
die uns die Zukunft zur Verfügung stellen kann. Wichtig allein ist,
nicht die Lüge in den Dienst der Gerechtigkeit zu stellen. Unter keinen
Umständen, unter keinem Vorwande darf man sich an der Wahrheit
vergreifen. Aber ohne diese Grenzen zu Überschreiten, kann man sich das
Wort von Crétineau-Joly zu eigen machen und anwenden: <Die Wahrheit
ist die einzige für die Geschichte erlaubte Liebe> - man könnte
selbst hinzufügen - und für die religiöse und soziale Verteidigung.»
«Die Kirchenväter liefern den Beweis für diese These. Schon die Titel
ihrer Werke besagen deutlich, dass in ihrem Kampfe mit den Häresien die
ersten Schläge gegen die Häresiarchen erfolgten. Die Werke des hl.
Augustinus tragen fast alle im Titel den Namen des Urhebers der
Häresie, die sie bekämpfen: Gegen den Manichäer Fortunatus; Gegen
Adamanctus; Gegen Felix; Gegen Secundinus; Wer Petilianus gewesen ist;
Über die Taten des Pelagius; Wer Julianus gewesen ist, usw. So bestand
der grösste Teil der Polemik des grossen Lehrers in einem persönlichen,
agressiven, biographischen wie doktrinären Stil. Er kämpfte persönlich
mit dem Häretiker nicht weniger als mit der Häresie. Was wir über den
hl. Augustinus sagen, das gilt für alle heiligen Väter.»
«Woher hat der Liberalismus denn das neue Gebot, bei der Bekämpfung des
Irrtums von den Personen abzusehen, ja ihnen zuzulächeln und zu
schmeicheln? Sie sollen sich hierin an die christliche Tradition halten
und uns Ultramontane nicht daran hindern, den Glauben zu verteidigen,
wie er stets in der Kirche Gottes verleidigt worden ist.»
«Das Schwert des katholischen Polemikers soll verletzen, soll
verwunden, mitten ins Herz! Das ist die einzig wahre und wirksame Art
zu kämpfen.» 7)
Grund für die Gegnerschaft zum Liberalismus
Nachdem wir alle Zitate von Don Sarda gelesen haben, werden sich manche
unserer Leser fragen: Worin besteht der Grund zu solcher
Unversöhnlichkeit eines Katholiken gegenüber dieser Lehre?
Der Grund hiezu liegt völlig in der Natur der katholischen Lehre selber.
Vergessen wir nicht, dass die katholische Lehre nichts anderes ist als
das Wort Gottes, das unfehlbar dargelegt wird durch die Braut Christi,
die hl. katholische Kirche.
Nun ist das Wort Gottes «ein zweischneidiges Schwert», das keinen Kompromiss zulässt und Intoleranz erfordert.
Die Intoleranz Unseres Herrn Jesus Christus
Betrachten wir das Verhalten Unseres Herrn Jesus Christus jedesmal,
wenn es um die Lehre ging. Angesichts jeglichen menschlichen Elendes,
dem er begegnete, zeigte Jesus stets unendliche Güte: Wir denken zum
Beispiel an Maria Magdalena, an die Ehebrecherin, an Zachäus, an den
Besessenen von Gerasa, an den Schacher usw. Welche Strenge dagegen,
welche Unversöhnlichkeit, welche Intoleranz gegenüber den Pharisäern!
Wie erklärt sich solch strenges Verhalten, ein so hartes gegenüber den
letzteren?
Bei den ersteren handelte es sich um moralisches Elend, wobei die Lehre nicht in Frage gestellt wurde.
Bei den letzteren stiess sich Christus am lehrhaften Widerstand; er
hatte Leute vor sich, die dem Worte Gottes widerstanden, der
Offenbarung des Vaters. Gegenüber dieser Geistessünde benimmt sich
Jesus schroff und schmäht gar mit den Worten: «Unglück über euch, ihr
heuchlerischen Pharisäer!...»
Und denken wir dabei nicht, dass Jesus sich dem doktrinären Irrtum
entgegengestellt habe und bloss gegen die Lehrer am Tempel war; Jesus
duldete Irrtum bei niemandem, selbst als er solchem bei Leuten guten
Glaubens und guten Willens begegnete.
Gestatten wir uns, auf drei Fälle hinzuweisen, die uns stets beeindruckt haben:
Erste Tatsache - Es handelt sich um die Diskussion über das Brot des Lebens. Man liest den Bericht darüber bei Joh. 6,25-70.
Heben wir hervor, was man als guten Willen dieser Juden bezeichnen
konnte: Um Jesus zu treffen, haben diese Juden den See überquert, sie
begaben sich nach Kaphamaum und begaben sich in die Synagoge, um Jesus
zu finden, es handelt sich also um eine unleugbare Anstrengung
ihrerseits
Als sie ihn trafen, bemerkte Jesus ihnen gegenüber, sie suchten ihn
auf, weil er sie mit dem Brote gefuttert habe Der Meister ladt sie nun
dazu ein, sich anzustrengen, um eine andere Nahrung zu bekommen, die Er
allein ihnen geben könne.
Nun, diese Leute schienen nicht schlecht geneigt zu sein, denn sie
fragten «Was müssen wir tun, um die Werke Gottes zu verrichten?» Ihr
guter Wille schien weiterhin zu bestehen, selbst als er vom wahren
«Brote Gotres» sprach, «von jenem, das vom Himmel hcrabkommt und der
Welt das Leben spendet», worauf sie erwiderten- «Herr, gib uns immerdar
dieses Brot»
Die Dinge verschlimmerten sich von jenem Augenblick an, da er Glauben
verlangte und verkündete, dass Er das Brot des Lebens sei: «Da murrten
die Juden über ihn, weil er gesagt hatte <Ich bin das Brot, das vom
Himmel herab gekommen ist>», und einige Verse weiter: «Da stritten
die Juden untereinander und sagten <Wie kann uns dieser sein Fleisch
zu essen geben?>»
Unser Herr, unser Gott, wusste wohl um die in ihrem Geiste
auftauchenden Schwierigkeiten, er wusste wohl, dass sie sich das Essen
von blutigem Fleisch vorstellten und nicht an einen sakramentalen
Genuss unter den Gestalten von Brot und Wein denken konnten Eben des
wegen, solcher Schwierigkeiten wegen erklärten manche Jünger «Diese
Rede (d.h. diese Lehre) ist hart, wer kann sie hören? Und viele zogen
sich zurück und kamen nicht mehr zu ihm. »
Als Unser Herr sie abziehen sah, hatte er sie zurückrufen können, um
einige Erklärungen zu geben Tatsachlich tat er es nicht. Ja, nicht
bloss unterhess er dies, nicht bloss gab er keine Erklärung und liess
sie ziehen, er drehte sich gar zu den Zwölfen hin und fragte sie-
«Wollt auch ihr weggehen?»
Durch sein Verhalten, das zugleich eine Lehre bedeutet, zeigt uns
Jesus, dass man, wenn es sich um sein Wort handelt, keine Konzession
machen darf, keine Anpassung noch irgendwelchen Irrtum dulden darf Er,
der Meister, war zu keinem Vergleiche bereit, er hatte es vorgezogen,
von allen den Seinen verlassen zu sein, ganz allein, als um den Preis
der allerkleinsten Konzessionen Schuler zurückzubehalten
Zweite Tatsache - Die Fusswaschung am Hohen Donnerstagabend Über diese Episode berichtet uns der hl Johannes (13,4-10)
Wir haben keinen Grund, am guten Glauben von Simon-Petrus zu zweifeln,
da Jesus selber sich die Muhe genommen hat, die unüberwindliche
Ignoranz seines Apostels zu unterstreichen «Was ich tue, verstehst du
jetzt noch nicht, aber nachher wirst du es begreifen »
Petrus ist nicht bloss guten Glaubens, ja es scheint, seine Weigerung
sei begründet durch die Liebe zu seinem Meister. Hatte Jesus gesagt
«Simon, wasche mir meine Fusse», oder aber «wasche deinen Brüdern die
Fusse», dann hatte für den Apostel kein Problem bestanden, jedoch:
«Herr, Du mir die Fusse waschen, mir, dem Sunder, nie und nimmer, das
passt sich nicht!»
Nun aber, trotz des guten Glaubens des Petrus, trotz seines guten Willens und seiner guten Grunde, wie dachte hierüber Jesus?
«Simon, wenn ich dich nicht wasche, hast du keine Gemeinschaft mit mir.
» Nun aber bedeutet es, mit dem Herrn keine Gemeinschaft zu haben, «in
die ausserste Finsternis gestürzt zu werden, wo Heulen und
Zähneknirschen herrschen »
Bei der Erwägung dieser Szene verstehen wir nun wohl, dass, wenn es um
die Lehre geht, die Duldung des Irrtums einen Verrat bedeutet
Einmal mehr haben wir es im Ereignis der Fusswaschung festgestellt,
weder der gute Glaube noch die gute Absicht sichern uns das Heil. Was
rettet, das ist der Glaube, das heisst die Annahme der Lehre des Mensch
gewordenen Sohnes Gottes, die Zustimmung zu seinem Worte ohne jegliche
Diskussion noch Kompromiss
Dritte Tatsache - Es handelt sich um jenes Ereignis in der
Leidensgeschichte, von welchem der hl. Lukas berichtet (Luk 23,27-31)
und welches die achte Station des Kreuzweges darstellt: Jesus tröstet
die Frauen Israels, die ihm folgen.
Diese Tröstung bedeute« eher einen Tadel. Und auch hier aber waren die
Frauen, die Jesus folgten, guten Glaubens, und sie glaubten, ein Gott
gefälliges Werk zu verrichten, ein Werk körperlicher Barmherzigkeit;
aber auch sie schienen in der Tat sehr verdienstvoll zu handeln. Indem
sie den Verurteilten beklagten, währenddem die zügellose Menge ihn
beschimpfte, mussten sie bestimmt Spottreden, ja vielleicht gar Fluche
einheimsen.
Wie reagierte Jesus darauf? Hat er ihnen für ihren Mut und für ihr
Mitleid gedankt? Nein! Er hat sie getadelt, denn sie befanden sich im
Irrtum Er tadelte sie öffentlich vor jenen, die sie verspotteten
«Weinet nicht über mich! Weinet über euch und über eure Kinder »
Welch ein Starrsinn! Welche Unduldsamkeit! Ein Liberaler würde
beifügen: Welch ein Mangel an Anpassungsfähigkeit! Welch ein Mangel an
elementarer Liebe!
Schauen wir uns wieder das Evangelium an Wir werden sehen, dass Jesus,
unser Meister, so gut, so geduldig, barmherzig gegenüber allem
menschlichen Elend, eine derartige Unnachgiebigkeit an den Tag legt,
eine solche Harte, eine solch enttauschende Intoleranz, jedesmal, wenn
es um die Lehre geht.
Worin liegt der Grund für solches Verhalten? Für uns scheint der Grund
ganz einfach zu sein Hat es Jesus nicht zu verstehen gegeben, als er
erklarte: «Meine Lehre habe ich nicht aus mir, sie ist von jenem, der
mich gesandt hat.»
Es ist also verständlich, wenn Er, der Gesandte des Vaters, sich kein
Recht anmasste, die Lehre zu andern, sie zu vermindern oder zu
verschweigen, es auch in niemandes Macht liegt, es zu tun, denn «der
Jünger steht nicht über dem Meister»
Ja, wir können es nie genug wiederholen, die Glaubigen, die Priester,
die Bischöfe und selbst der Papst sind nicht Eigentümer der
katholischen Lehre, sie sind bloss ihre Diener Und je mehr Diener, umso
hoher ihre Wurde ist, daher kommt der Titel «Knecht der Knechte
Gottes», den man dem Stellvertreter Christi zueignet Sie sind
verpflichtet, die katholische Lehre, das Wort Gottes, zu hören, sich
ihm zu unterziehen, sie zu bewahren, sie zu verteidigen und zu
verkünden. Aus diesem Grunde waren die katholischen Apologeten aller
Zeiten derart unnachgiebig in bezug auf die Lehre, und ihre
Unnachgiebigkeit bedeutete zu gleicher Zeit den Ausdruck ihrer Liebe.
«Der Abscheu gegenüber dem Irrtum», sagt in trefflicher Weise Ernst
Hello, «bildet den Prüfstein, an dem man die Wahrheit zur Liebe
erkennt» (der Mensch).
Bei der heutigen dramatischen Lage der Kirche ist es mehr denn je
nötwendig, uns der Wahrheit zu verpflichten und deswegen in uns den
Abscheu vor dem Irrtum zu entwickeln
Den Irrtum verabscheuen heisst die Lüge verabscheuen, die
Zweideutigkeit, die Kompromisse, die Konzessionen, kurz, das heisst in
einem Worte, kampferisch antiliberal sein, das heisst also, ein wahrer
Jünger Jenes zu sein, der uns gelehrt hat, JA ZU sagen, wenn es ein Ja
ist, und NEIN, wenn es ein Nein ist.
In welchen Belangen muss man heutzutage In bezug auf die Lehre gegen den Liberalismus kämpfen?
In jeder Hinsicht, besonders aber, was die am meisten angegriffenen Dogmen betrifft.
Welches sind die Dogmen, die heutzutage in besonderer Weise den
Angriffen ausgesetzt sind? Jene, die die Eucharistie und den Papst
angehen.
Warum werden diese Dogmen in besonderer Weise angegriffen durch jene,
welche die in der Kirche eingenistete Subversion leiten? Deshalb, weil
auf ihnen der gesamte Katholizismus beruht Nämlich:
- Was ist die hl. Messe, wenn nicht die reale Gegenwart des Sohnes
Gottes mit seinem Leibe, seinem Blute, seiner Seele und seiner Gottheit
in seinem Zustande als dargebrachtes Opfer?
- Was ist der Papst anderes als dieses selben Gottmenschen
Stellvertreter, das heisst der sichtbare Fels (Jesus ist der wirkliche
Eckstein - 1 Petr 2,6-8), auf dem die Kirche Christi ruht? «Und auf
diesem Felsen werde ich meine Kirche bauen. »
Wenn das Unmögliche geschähe und es der Holle gelange, eine einzige
dieser Wahrheiten, zumal dieser beiden, zu unterdrucken, dann wäre es
um den ganzen Katholizismus geschehen, denn es kann keinen
Katholizismus geben ohne Jesus, und, wiederholen wir es. Messe und
Papst bedeuten, Jesus unter uns bis zum Ende der Zeiten Luther hat das
wohl begriffen, indem er sagte- «Zerstöret die Messe, und ihr
vernichtet den gesamten Katholizismus »
Jedermann muss nun einsehen, wie wichtig es ist, unnachgiebig zu sein
in bezug auf Messe und Papst, und dass man in diesen beiden Dingen
absolut antiliberal sein muss, keine Zweideutigkeit sich erlauben darf,
und dies angesichts der Tatsachen,
- dass die Fenster der Kirche in unkluger Weise gegen die Welt hin
geöffnet wurden, dass der Rauch Satans eingedrungen ist und alle
Wahrheiten verdunkelt hat in der Dämmerung der Zweideutigkeiten und in
der Nacht des Irrtums
- dass «der Stuhl Petri besetzt worden ist durch einen überzeugten
Liberalen, angesteckt von protestantischen, freimaurerischen und
marxistischen Ideen» 8)
- dass angesichts so vieler Skandale, die sich überall ereignen, die
meisten Bischöfe schweigen und die Politik «des verendenden Hundes auf
dem Wasser» befolgen.
ACHTUNG! Hier eine wichtige Bemerkung. Wenn wir erklären, dass wir uns
als unnachgiebig erweisen müssen, wenn es um die Lehre von Messe und
Papst geht, dann sagen wir nicht, dass man sie majorieren soll. Wir
sagen einfach, man dürfe keinen Kompromiss eingehen, und dies nicht
bloss mit irrigen Lehren, die schon verurteilt worden sind, sondern
auch mit jenen, die einfach zweifelhaft sind, und dies unter keinem
Vorwande. 9)
Empfiehlt denn der Apostel nicht den ersten Schülern, wachsam zu sein «gegenüber den Neuerungen der Sprache»?
Wenn wir auf dem Stuhle Petri statt eines «überzeugten Liberalen» einen
Papst hätten, das heisst einen wahren Stellvertreter Christi, der es
ernst nähme mit seinem besonderen Amte, den Glauben der Brüder zu
stärken, dann könnten wir seinem Gerichte alle zweifelhaften Dinge
vorbringen, die den Glauben der einfachen Leute verwirren. Leider
müssen wir uns mit dem begnügen, was wir haben, und wir haben die
Häupter, die unsere Feigheit verdient. Hat denn Unser Herr uns nicht
zum voraus gesagt: «Ich werde ihnen Knaben zu Herrschern geben, und
Weichlinge sollen über sie gebieten» (Is. 3,4).
Da wir sie nun haben, dann deswegen, weil wir sie verdienen.
Da wir wahrhaft männliche, mannhafte Häupter entbehren, die dazu
befähigt sind, sich den Wölfen entgegenzustellen, um die Herde des
Herrn zu bewahren, müssen wir uns absolut an die sichere Lehre der
ewigen Kirche halten und rücksichtslos jegliche Neuerung und jeden
einfachhin zweifelhaften Vergleich zurückweisen.
Wir sagen: jegliche Neuerung und selbst jeglichen zweifelhaften
Vergleich. In der Tat, die zweifelhaften Neuerungen setzen uns der
Gefahr aus, zu verirren und den Glauben zu verlieren. Dessen versichert
uns der Apostel seit den apostolischen Zeiten: «Einige, die sich dazu
bekannt haben (profane Neuerungen in den Worten), sind vom Glauben
abgeirrt» (1. Tim. 6,21).
Was die zweifelhaften Vergleiche angeht, welche fordern, dass wir uns
in der Verkündigung der Lehre einen Dämpfer auferlegen - sei es, um die
Lauen, die Unentschiedenen, die Weichen nicht abzustossen; sei es, um
die örtliche Autorität nicht in Verlegenheit zu bringen -, bedeuten sie
in unserer Zeit einen wahren Verrat an der Sache, die wir verteidigen.
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Anmerkungen
7) Das Buch von Don Sarda y Salvany hat besonderes Gewicht. Als
es nämlich erschien, wurde es bei der hl. Kongregation für den Index
denunziert durch Don de Pazos, Kanoniker des Bistums Vichy. Dieser
veröffentlichte gleich ein Werklein mit dem Titel: «Zurückweisung der
Irrtümer», enthalten im Werklein «Der Liberalismus ist eine Sünde». Die
genannte Kongregation schützte das Werk von Saivany und lobte es sogar
mit dem Bemerken, dass er die Lehre der Kirche vertrete. Das Werk von
Pazos aber wurde verurteilt mit der Auflage, alle Exemplare
zurückzuziehen.
8) Erklärung von Mgr. Lefebvre im Radio am 5. Februar 1978.
9) Lies «Forts dans la Foi» Nr. 19, «Le prix a payer», erhältlich in unseren Büros.
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