UNSCHULD UND SCHULD DER FRAU IN DOSTOJEWSKIJS WERK
von
Reinhard Lauth
DEM ANDENKEN VON H.H. DR.THEOL. OTTO KATZER GEWIDMET
Es ist noch zu früh, das Ereignis
seines jähen Todes ist noch zu jung, als daß ich in der Lage wäre, auch
nur annähernd auszusprechen, wer der hochw. Herr Dr. Otto Katzer war.
Dieser Judenchrist, Märtyrer unter den Nationalsozialisten und
tschechischen Kommunisten, ein Theologe von seltener Dignität, stand in
der unmittelbaren Nachfolge Leon Bloys. Wie oft bei meinen Besuchen in
Prag, waren wir bei dem Komponisten Professor Tichy, dem Schwiegersohn
von Bloy, in der Altstadt - er wohnte in einem Haus aus dem 17.
Jahrhundert - vereint! Zu welch abgründigen Gesprächen kam es nach der
hl. Messe. Da ging es nicht um Politik - Dr. Katzer war nie ein Feind
des Kommunismus, sondern nur ein Gegner, und er gab sich keinen
Illusionen darüber hin, daß es im Westen für die Religion etwa besser
aussähe als im Ostblock. Es ging um das religiöse Schicksal der
Menschheit.
Selbst jüdischen Blutes, sagte er
einmal auf dem Hradschin zu mir (wir saßen in einem der herrlichen
Gärten unterhalb der Burg und blickten auf das so schicksalhafte Prag):
Nähmen die Juden den Glauben an Jesus Christus an, sie würden sich
selbst erlösen, der Kirche die Kraft geben, den Glauben in der
Menschheit zum Siege zu führen und die Welt vor der Selbstzerstörung
bewahren. Jerusalem, Jerusalem, wenn doch auch Du es erkannt hättest an
diesem Deinem Tage... Das tiefgründigste Wort aber, das ich aus Dr.
Katzers Munde vernommen habe, und dieses Wort könnte von Leon Bloy
selber sein, lautet: "Der Tempel des Heiligen Geistes wird im Schoß der
Frau errichtet". Dem, was ich im folgenden ausführe, könnte ich kein
anderes Wort voranstellen. So seien diese Zeilen seinem Andenken
geweiht. Anima illius in pace Dei est, et non tanget ilium tormentum
malitiae. Lux perpetua lucet ei.
***
In dem Kosmos, den das Gesamtwerk Dostojewskijs zur Darstellung bringt,
begegnet uns auch eine Welt der verschiedenartigsten Frauengestalten.
Wenn wir uns die Frage stellen, wie Dostojewskij die Frau sieht und was
er als das Wesentliche in ihr erkennt, so werden wir uns zum einen an
den Grundzügen seines Frauenbildes orientieren müssen, zum anderen an
dem, was davon im Brennpunkt seines Interesses steht und in welchen
Verwirklichungen er den Höhepunkt fraulicher Existenz sieht.
Schon bei einer ersten Übersicht fällt auf, daß für Dostojewskij das
Verhältnis der Frau zum Manne das für sie Wesentliche ist. Frauen, die
auf ihr weibliches Wesen Verzicht getan haben, kommen nur am Rande
seines Interessenkreises vor; niemals rücken sie in das zentrale Feld
des Geschehens. So hat Dostojewskij in der Frauenfrage nur eine
Abirrung von der wesentlichen Aufgabe der Frau sehen können, obgleich
ihm der Typus der Frauenrechtlerin und der selbständig sein wollenden
Frau wohlbekannt war. In der Wirginskaja der "Dämonen" hat er ein in
seiner Naturalistik kaum zu überbietendes Negativbild der Frau gegeben,
die sich von ihren weiblichen 'Vorurteilen' 'befreit' hat. Sie belehrt
ihren Mann, daß er rückständig sei, weil er sie nach einem, übrigens
berechtigten Eifersuchtsausbruch auf den Knien um Verzeihung gebeten
und damit bezeigt hat, daß er in der Frau ein höheres Wesen sieht.
Lebesjatnikow in "Verbrechen und Strafe" gibt dazu den theoretischen
Unterbau. Dostojewskij hat zwar George Sand sehr geschätzt, weil es vor
allem ihre von der Zensur in Rußland zugelassenen Werke waren, die ihm
Idealgestalten der Frau aus dem westlichen Europa vermittelten; das hat
ihn jedoch nicht davon abgehalten, den garstigen blauen Fleck auf ihrer
Haut (um einen Ausdruck Barbey d'Aurevillys zu benutzen) zu bemerken.
"Der ganze Fehler der 'Frauenfrage'", notierte er noch 1880, "besteht
darin, daß man Unteilbares teilt , Mann und Weib einzeln nimmt, während
sie doch ein geschlossener Organismus sind. (Und Er schuf sie, Mann und
Weib ...)"(1). Die Emanzipierte erscheint also nur als 'Laus im Pelz'
der menschlichen Wirklichkeit. - Mit dieser Idee vom Wesen der Frau
hängt aufs engste zusammen, daß sie nicht auf Grund von ihr entworfener
intellektueller Konzeptionen für den Mann von Bedeutung ist, sondern
immer nur durch ihr Sein, welches allerdings kein Naturfatum, sondern
ein freies persönliches Sein ist .
Dostojewskij hat durchaus Verständnis dafür, daß Frauen auf Grund ihrer
besonderen menschlichen oder gesellschaftlichen Situation auf die
Erfüllung ihres weiblichen Wesens notgedrungen Verzicht tun. Immer
erscheint dies aber, wie etwa prototypisch bei Tatjana Pawlowna im
"Jüngling", als ein bloß tatsächlicher Verzicht, nicht als Aufgabe des
Ideals. Es war, wie ich im folgenden noch zeigen möchte, ein besonderes
Problem für Dostojewskij, ob ein solcher Verzicht auch in der Form
einer Verehelichung möglich ist, bei der die Frau einen Mann heiratet,
den sie nicht liebt.
Kommen wir nun zur Bestimmung der Frau für den Mann, so können auch
hier einige Bereiche als in der Sicht Dostojewskijs letztlich
irrelevant bezeichnet und ausgeschieden werden. Es geht im
Entscheidenden hierbei nach ihm nicht um eine geschlechtlich-erotische
Erfüllung, wie sehr diese auch eine Komponente in dem Gesamtgeschehen
darstellen mag. Aus diesem Grunde ist denn das für die französische
Literatur so zentrale Thema des Ehebruchs für Dostoj ewskij von relativ
geringer Bedeutung. Nicht nur in dem ironischen Kapitel über "Bribri
und Mabiche" in den "Win te rauf Zeichnungen über Sommereindrücke",
auch im "Ewigen Gatten" und sonst kann Dostojewskij den Ehebruch aus
geschlechtlichen Gründen kaum anders als satirisch sehen. Eine
Physiologie oder Psychologie der Leidenschaft und ihres
naturgesetzlichen Verlaufs zu geben, war für ihn höchstens am Rande
interessant. Aber auch eine so wesentliche Frage wie die, ob die Frau
beim Manne nicht viel mehr ihr Glück als die Liebe sucht (2) und die
Liebe dabei nur zum Mittel macht, stellt sich zwar für Dostojeskij -
man denke an Katerina Nikolajewna im "Jüngling" -, kann aber von ihm
nicht als letztbestimmmend im Verhältnis zum Manne angesehen werden.
Der Frau ist es vielmehr in Dostojewskijs Sicht bestimmt die natürliche
Erfüllung des Mannes in seinem gesamten Streben, einschließlich seines
höchsten geistigen Strebens, zu sein, "eine unerschöpfliche
Lebensquelle"(3) und eine bergende Kraft für ihn, der um die
Verwirklichung der Wahrheit ringt. Soweit es um diese Bestimmung geht,
polarisieren sich die Frauen in seinem Werke in zwei Grundtypen,
diejenigen, die diese Bestimmung zu erfüllen suchen, und die, die sich
ihr versagen-die einen verkörpert vor allem in jenen Frauengestalten,
die den Namen Sofja, die anderen in jenen, die den Namen Katarina
tragen, zwei Namen NB., die, wie alle Namen im Werk des Dichters, nicht
zufällig sind, sondern auf die heilige Weisheit und die heilige
Katharina von Alexandrien, die Heilige der Philosophen, hindeuten.
Dostojewskijs erste Frau dürfte die erste gewesen sein, in der er das
Sichversagen der Frau erlebt hat. Katarina Twanowna in den "Brüdern
Karamasow" ist wohl die reinste Ausgestaltung dieses Typs, die die
Erfüllung und Beglückung nicht im Dasein für den geliebten Mann und im
gemeinschaftlichen Verhältnis mit ihm sucht, sondern
für sich selber in ihrer eigenen Erhöhung will. "Ein Mensch, der in
seinem ganzen Leben nicht lebt, sondern sich selbst ausdenkt"(4), will
sie ihre Rolle selbst bestimmen. "Ich werde sein Gott sein, zu dem er
beten wird"(5), sagt sie einmal von Dimitri. Ihre scheinbare Liebe zum
Manne ist in Wahrheit nur Liebe ihrer selbst (6), ihrer Tugend (7),
ihrer Überlegenheit. Daß der Mann ihr moralisch unterliegt, braucht
sie, um über ihn zu triumphieren. Jede Verletzung ihres Stolzes
verwandelt ihr Verhältnis zu dem sie liebenden Mann in eine Haßliebe,
die nichts anderes als sublimierte Rache ist. "Katja. Rome, unique
objet de mon ressentiment"(8) hat sich Dostojewskij bezüglich ihrer
notiert und sie damit zu einem der größten Haßausbrüche in Corneilles
Werk in Beziehung gesetzt, einem Werk, in dem er diesen Frauentypus
besonders profiliert zu finden glaubte.
"Dienen muß man, wie man es auch einrichte", hat Fichte einmal
geschrieben. "Der Unterschied ist nur, ob man dem Wesen oder dem
Scheine £.. JU diene."(9) Die weibliche Weise dieses letzteren non
serviam reicht in ganz andere Tiefen als der Versuch der Emanzipation:
die Frau versagt sich dem Manne gerade in ihrer Hingabe; sie will ihn
als Opfer ihres Stolzes.
Aber Frauen vom Schlage Katarinas sind nur Gegenheldinen im Werke
Dostojewskijs. Bei ihr handelt es sich nicht um eine Verschuldung
innerhalb eines grundsätzlichen reinen, wahren Begehrens; bei ihr ist
die Verneinung wirklicher Liebe die Grundkraft ihres gesamten Seins.
Eine Schuld, die in den Bereich möglicher Sühne fällt, müssen wir
vielmehr da suchen, wo eine Frau wirklich lieben will und dann doch dem
Manne nicht zur Erfüllung wird.
Gleichsam am Eingang steht hier der Fall, wo eine Frau, wahrhaft lieben
will, sich aus bedrängenden Gründen zur Heirat mit einem Mann
entschließt, den sie nicht liebt. So ist es mit Warwara Alexejewna in
den "Armen Leuten", die einwilligt Bykows Frau zu werden, in der
Hoffnung, er werde sie wenigstens achten, obgleich sie die
erniedrigenden Absichten, die ihn zur Heirat bestimmen sehr wohl kennt.
"Ich habe mich entschieden", schreibt sie dem sie liebenden Makar
Alexejewitsch. "Ich werde ihnheiraten, mein Freund, ich muß auf seinen
Vorschlag eingehen. Wenn irgendjemand meine Schande wiedergutmachen,
meine Ehre retten und mich in Zukunft vor Armut, Erniedrigung und
Unglück beschützen kann, dann ist er der einzige, der dazu im Stande
ist."(l0) Dostojewskij hat in einem solchen Entschluß anfänglich keine
Verschuldung gesehen, vielleicht auch deshalb, weil die
allgemeinethische und soziale Seite dieses Schritts ihm mehr vor Augen
stand als seine spezifische Bedeutung für das Verhältnis der Frau zum
Manne. Selbst wenn ein Mädchen wie Puschkins Tatjana, in der
Dostojewskij immer das Ideal der russischen Frau gesehen hat, in der
Verzweiflung, die ihrer großen Liebes enttäuschung folgte, auf das
Drängen der Mutter hin einem Manne das Treuwort gibt, den sie nicht
lieben kann, so sieht Dostojewskij darin nichts Schuldhaftes, wenn sie
nur ihrem Versprechen treu zu bleiben gewill ist.(11) Oder war dies
doch nicht seine tiefste Auffassung der Sache? In einer seiner
genialsten Schöpfungen, der Novelle "Die Sanfte", nimmt eine derartige
Einwilligung in die Ehe ein ganz anderes Aussehen an. Als der seiner
Ehre verlustige Offizier der Sanften an der Hoftür des Miethauses, in
dem sie wohnt, den Antrag macht, da steht sie lange in Gedanken
verloren, ehe sie Ja sagt. "So tief, so tief dachte sie nach, daß ich
schon beinahe fragen wollte: 'Nun, wie denn' fragte ich, ja, ja, gerade
mit 'denn', ich weiß es noch ganz genau. Und solch ein ernstes
Gesicht machte sie, solch ein ... - daß ich schon damals hätte
begreifen können. [...] Wissen Sie auch, daß sie damals so einen
Gedanken gehabt haben mag wie: 'Wenn schon einmal ins Unglück, hier wie
dort, sollte es da nicht besser sein, das größere Unglück zu wählen,
also den dicken Kaufmann? Mag mich schneller in der Trunkenheit
totprügeln. '"( 12) - Aber eben mit diesem Entschlüsse hat die Sanfte
ihren Mann gewählt, ohne ihn zu erkennen, wenn sie ihm dann auch ihre
ganze Liebe entgegenzubringen sucht, - und darin liegt eine schwere
Verschuldung ihrerseits, die ihre Folgen zeitigt: Auflehnung mit dem
jeder Kontrolle sich entziehenden rasenden Verlangen, ihren Mann vor
seinen Feinden zuschanden zu machen und moralisch zu vernichten. "Das
war plötzlich ein wildes, unordentliches Geschöpf geworden, das bereit
war, sich ins Verderben zu stürzen, das den Strudel geradezu suchte.
Solch ein Wesen kann sich mit seiner Vernunft und seinem Schamgefühl,
wenn es einmal die Grenzen überschritten hat, nicht mehr zurechtfinden.
Es gerät in einer Weise aus dem Geleise, wie man es nie für möglich
gehalten hätte. Dagegen wird sich eine verderbte Seele immer zu mäßigen
wissen, wird vielleicht das Gemeinste tun, aber dabei doch immer noch
Ordnung und Anstand wahren und obendrein womöglich noch die Anmaßung
haben, einem überlegen zu sein."(13) Der Mensch kann eben einem andern
am schwersten dasjenige Unrecht verzeichen, das er sich selbst angetan
hat, und der tiefste Grund dieses rasenden Vemichtungsstrebens - ist er
nicht darin zu suchen, daß dies Mädchen nicht das Wesentlichste ihres
Lebens zum Mittel machen durfte? Die Sanfte hat, bei aller Unschuld
ihres Wesens, in jenem Augenblick, als sie das Jawort gab, an sich
gedacht - gewiß in einer verzweifelten Lage - und deshalb den Mann
nicht gesehen, dessen Frau sie wurde.(13)
Die Comtesse de La Fayette hat in ihrer "Princesse de Clave" eine Frau
dargestellt, die in jungen Jahren ohne eigentliche Liebe einem Mann das
Jawort gibt und sich erst in der Folge, wider ihren Willen, in einen
anderen verliebt. Es ist dies der umgekehrte Fall zu Puschkins Tatjana.
Es gehört zu den Meisterleistungen der Literatur, wie der Konflikt
zwischen Liebesneigung und ehelicher Freue verfolgt, und glaubwürdig
dargestellt wird, daß die menschliche Treue, die die Prinzessin mit
ihrem untadeligen Manne verbindet, selbst nach dessen über die Neigung
zu siegen vermag, weil beide Ehegatten eins geworden waren.
Dostojewskij hat einen solchen Fall nicht dichterisch gestaltet, aber
wir wissen aus seiner Puschkin-Rede, daß er daran gedacht hat. "Selbst
wenn Tatjana frei gewesen wäre, wenn ihr Mann schon gestorben gewesen
wäre, denke ich, hätte sie auch dann Onegins Werbung nicht angenommen.
[...] Sie hat selbst in der Verzweiflung und dem traurigen Bewußtsein,
daß ihr Leben verfehlt ist, doch etwas Festes und Unterschütterliches,
auf das ihre Seele sich stützen [...] kann."
Dostojewskij hat die andere, furchtbarere Möglichkeit ins Auge gefaßt
und dramatisch gestaltet, daß eine Frau in dem Augenblick, da sie
lieben will, sich schuldig befindet und an der Bewußtseinsqual darüber
untergeht. Nicht aus eigenem Wollen gefallen, sondern in ihrem
frühesten mädchenhaften Erwachen "von einem widerlichen Roué ges chande
t"( 14), ist Nastasja Filippowna unschuldig und schuldig zugleich. "Und
worin besteht denn ihre Schuld, mein Gott", sagt Myschkin von ihr. "Oh,
sie schreit es ja täglich wie außer sich, daß sie das Opfert [...]
eines Lüstlings und Buben ist; aber ... sie ist doch selbst die erste,
die ihren eigenen Worten nicht glaubt, sondern aus innerstem Gewissen
überzeugt ist , daß sie im Gegenteil ... selbst schuld ist."(15) "Als
ich diese unseligen, düsteren Gedanken aus ihrer Seele verscheuchen
wollte, da wurde ihre Qual, ihre Seelenpein so groß - ich sah doch, wie
ihre Seele sich wand unter der Marter - daß . . . daß mein Herz nie
aufhören wird zu bluten, solange ich diese furchtbaren Stunden nicht
aus meinem Gedächtnis bannen kann." Nastasja Filippowna ist
"unerschütterlich davon überzeugt, daß sie das in der ganzen Welt am
tiefsten gefallene, lasterhafteste Wesen sei."(16) Ein Mann könne eine
so ehrlose Frau nicht lieben und mit ihr leben. "Le trahir d'avance",
läßt Barbey d'Aurevilly, der als einer der wenigen dieses tragische
Verhältnis erkannt hat, Mme. de Scudemor in "Ce qui ne meurt pas"
ausrufen, - "le trahir d'avance, se trouver avoir trahi dans le passé
celui qu'on devait aimer dans l'avenir, mais ne lui donner, à cet être
qui prend votre vie et votre pensée, ne lui donner que des restes d'âme
et de corps, que des miettes tombées du festin mangé par un autre,
c'est la pire des douleurs humaines, c'est des hontes ardentes la plus
dévorante! Vous êtes criminelle envers lui que vous adorez. [...]
Votre vie écoulée avant de le connaître apparaît incessament pour vous
désoler, pour vous rappeler que vous n'êtes plus qu'une mutilation, un
débris, la coupe qui garde l'empreinte des bouches qui y burent, une
misérable femme qui n'a pas le droit de dire, à l'homme dont elle est
insensée, le mot pourtant fatal dans lequel l'amour concentre
l'éternité de Dieu même: 'Je suis tout à toi! ' 0, [...] toutes
les femmes qui ne méritent pas qu'on leur crache de mépris au visage
[...], ont au moins soupÁonné cette souffrance."(17)
Das ist Nastasjas Qual. "Sie liebt dich", berichtet Rogoshin dem
Fürsten, "nur glaubt sie, daß sie dich nicht heiraten darf, weil sie
dir damit eine Schande antun und dein Leben verderben würde. 'Man weiß
ja doch, was für eine ich bin', sagt sie. Und davon ist sie nicht
abzubringen. [...] Dich zu verderben und dir Schande anzutun - das
fürchtet sie."(13) Und doch ist sie nach der tiefsten Überzeugung
Dostojewskijs unschuldig. Myschkin spricht ihr zu: "Sie trifft doch gar
keine Schuld. Es ist doch nicht möglich, daß ihr Leben schon für immer
vernichtet ist."(19) "Er wollte sie doch um keinen Preis, um keinen
Preis der Welt, als eine Verbrecherin ansehen"(2o). "Ich liebe sie mit
ganzer Seele", bekennt er, "Sie ist ja doch ein Kind! [...] Hier muß
man unbedingt alles wissen, das ist die erste Bedingung"(21). Dazu ist
sie in eine solche Lage versetzt, daß sich jeder ohne Weiteres für
berechtigt hält, Gemeinheit an sie heranzutragen. Das niedrigste
sinnliche Begehren richtet sich, wie gerechtfertigt, auf sie, man will
sie für Geld verheiraten und heiraten, man rechnet schon auf ein
Nebenverhältnis zu ihr, und niemand sieht, daß sie in ihrer
Ausweglosigkeit nach dem Tode sucht. "Du hast recht", sagt sie dem
ehrlichen Myschkin, "schon lange habe ich von dir geträumt, schon dort
in Otradnoje, wo (Totzky) mich fünf Jahre lang in der Einsamkeit sitzen
ließ! Da denkt man dann bisweilen und denkt und spinnt Träume und
Träume - da habe ich mir denn immer solch einen wie du vorgestellt,
einen wahren und ehrlichen und guten und mutigen Menschen, und der auch
ebenso dumm ist wie du, so dumm, daß er plötzlich zu mir kommt und
sagt: 'Sie sind unschuldig, Nastasja Filippowna, und ich vergöttere
Sie!' Und so spinnt man die Träume immer weiter, bis man wahnsinnig zu
werden meint ... Und dann kommt wieder jener entfacht, verdirbt und
fährt fort, - oh, tausendmal schon wollte ich mich im Teich ertränken,
war aber zu feig dazu; der Mut langte nicht aus."(22) Nastasjas
Handlungsweise in diesem Zustande erklärt sich nicht aus Stolz und
Hochmut, wie Jewgenij Pawlowitsch, gewissermaßen der Repräsentant einer
intelligenten, aber bloß psychologischen Erklärung ihres Verhaltens,
meint, sondern aus dem Bedürfnis, sich zu beweisen, daß sie tatsächlich
eine gefallene Frau ist . "Das Furchtbarste (als sie von mir lief)",
bemerkt Myschkin, "war gerade das, daß sie vielleicht selbst nicht
einmal wußte, daß sie das nur hatte mir beweisen wollen und innerlich
in dem Glauben befangen war, sie sei nur deshalb entflohen, weil sie in
sich unbedingt das Bedürfnis einer neuen schamlosen Tat gehabt habe, um
sich nur immerfort sagen zu können: 'Sieh, was du jetzt getan hast,
beweist doch mehr als deutlich, daß du nichts anderes als eben nur ein
niedriges, verworfenes, schmutziges Geschöpf bist!' [...] Aber sogleich
empörte sie sich wieder [...] und sagte mir schließlich, als ich um sie
anhielt, daß sie von keinem: weder anmaßendes Mitleid, noch Hilfe, noch
'Erhebung zu ihm empor' verlange. [...] Glauben Sie denn, daß sie in
jener Gesellschaft glücklich ist, daß dieses Leben ihr zusagt?"(23)
Eben so entsetzlich, ja noch entsetzlicher quält aber Nastasja ein
anderer Gedanke, auf dessen Lösung der ganøe Roman zugespitzt ist : daß
man eine solche, wie sie sei, nicht wahrhaft lieben könne. Dies wird
erst nach der großen Auseinandersetzung mit Aglaja, die die Katastrophe
herbeiführt, sichtbar, weil da sich erst Nastasjas Zweifel löst. Daß
der in Aglaja verliebte Myschkin in jenem entscheidenden Augenblick bei
ihr bleibt, das ist für sie der klare Beweis, daß er sie wirklich
liebt. "(Myschkin) sah jetzt ein ganz anderes Weib vor sich, als jenes,
das er vor drei Monaten gekannt hatte.[...] 'Also fürchtet sie jetzt
nicht mehr, daß ich durch diese Heirat unglücklich werden könnte',
dachte der Fürst. Ein so plötzlicher Glaube an sich konnte aber seiner
Meinung nach nicht natürlich bei ihr sein. Und einzig auf ihren Haß
gegen Aglaja konnte er diesen Glauben doch auch nicht zurückführen.
Nastasja Filippownas Gefühle waren tiefer, das wußte er. Und auch nicht
auf die Angst vor Rogoshin? Nein, unmöglich! Alle diese Gründe konnten
möglicherweise einiges dazu beitragen, doch war es ihm vollkommen klar,
daß hier gerade das vor sich ging, was er schon lange geahnt hatte und
was ihre kranke Seele nicht ertragen hatte"(24): sie war nun von seiner
Liebe überzeugt. Aber damit ist nur die eine Qual von ihrer Seele
genommen; die andere, daß sie des Fürsten unwürdig sei und ihn
verderbe, treibt sie in den Tod, der ihr die einzigmögliche Lösung
scheint.
Nastasja Filippowna ist ein besonderer tragischer Fall. Aber auch die
Frau, die unschuldig lieben und den Mann beglücken wollen kann, vermag
in Schuld zu fallen; denn es kommt auf den Mann an, dessen Weib sie
sein will. Sie kann nicht die Frau jedes beliebigen Mannes sein, sie
versündig sich, wenn der, dem sie sich schenkt, ein bloßer Komödiant
oder ein Verruchter ist . Dostojewskij ist in seiner Puschkin-Rede mit
feinem Empfinden der Entwicklung der Gefühle in Tatjana nachgegangen,
die vorausahnt, wie es um Jewgenij Ofiegin bestellt sein möchte, bis
sie sich bei dem Gang durch seine verlassenen Zimmer die Frage stellen
muß: 'Oder sollte er - nur eine Parodie sein?'(25) In einer ähnlichen
Situation finden wir Sofja Andrejewna gegenüber Wersilow. Gewiß,
Wersilow ist nicht nur eine Parodie; sein ehrliches Leiden am Untergang
der europäischen Welt rettet ihn in den Augen Dostojewskijs vor
vollständiger Lächerlichkeit. Viel furchtbarer ist das Verhältnis, in
dem sich Schatows Schwester Darja zu Stawrogin befindet. "Still, sanft,
sehr aufopferungs fähig, treu, überaus bescheiden, verständig, [...]
dankbar", "charakterfest", dennoch ein "Engel an Sanftmut"(26), ist sie
zu jedem Opfer für Stawrogin bereit. Sie kommt auf seinen Wunsch des
Nachts zu ihm; aber sie hätte ebenso auch eingewilligt, mit Stepan
Trofimowitsch verheiratet zu werden, wenn dies zu Stawrogins Glück
nötig gewesen wäre. Als Stawrogin ihr die entscheidende Frage stellt :
"Wenn ... nun, mit einem Wort, wenn ... Sie verstehen schon, wenn ich
selbst zu Fedjka in die Kneipe ginge (d.h.: um ihm das Geld zur
Ermordung Marja Timofejewnas zu geben) und Sie nachher riefe - würden
Sie dann noch kommen, selbst nach diesem meinem Gang in die Kneipe?",
da geht Dascha, ohne zu antworten, hinaus, das Gesicht mit den Händen
bedeckt, aber für Stawrogin steht fest: "Sie wird kommen, auch nach
meinem Gang in die Kneipe." "In seinem Gesicht drückte sich angewiderte
Verachtung aus: Krankenwärterin! [...] Doch übrigens, vielleicht
brauche ich gerade das."(27) "Vielleicht träumen Sie davon", schreibt
ihr Stawrogin kurz vor seinem Selbstmord, "mir soviel Liebe zu geben
und mich mit so vielem Schönen aus Ihrer wundervollen Seele zu
überschütten, daß Sie hoffen, doch endlich damit auch ein Ziel vor mich
hinstellen zu können"(28). Nun rufe er sie als seine Krankenschwester.
Es ist aus der gesamten Romangestaltung ersichtlich, daß Dostojewskij
Darja Pawlownas Verhalten nicht verurteilen will. Aber sein Genius hat
mit dem Epitheton 'Krankenschwester' doch das Urteil gesprochen. "Ich
will nicht Ihre Krankenschwester sein", sagt verächtlich Lisa zu
Nikolaj Wsjewolodowitsch. "Es ist möglich, daß ich wirklich eine
Krankenschwester werde, wenn ich nicht heute noch zur rechten Zeit zu
sterben verstehe; aber wenn ich das auch würde, so ginge ich doch nichc
zu Ihnen, obschon Sie selbstverständlich jedem Bein- und Armlosen
gleichwertig sind. Es hat mir immer geschienen, daß Sie mich an irgend
einen Ort bringen würden, wo eine böse Riesenspinne von Menschengröße
sitzt, und wir würden dort unser Leben lang auf diese Spinne sehen und
uns vor ihr fürchten; und darüber wird dann unsere gegenseitige Liebe
vergehen. Wenden Sie sich an Daschenka; die wird mit Ihnen gehen, wohin
Sie wollen."(29) Darja Pawlowna steht Marja Timofejewna gegenüber, die
zwar von Stwarogins Mutter nur als ein "unglücklicher 0rganismus"(3o)
angesehen wird, die aber die Wahrheit zu erkennen und zu leben vermag.
"Wer sind Sie denn", fragt Sie Stawrogin, "daß ich mit Ihnen fahren
sollte? Vierzig Jahre nacheinander mit ihm auf einem Berge sitzen -
hört doch, womit er mir kommt! [...] Aber nein, das kann doch nicht
sein, daß ein Falke zum Uhu ward. Nicht so ist mein Fürst!"(31) Sie
errät, daß er sich selbst gemordet hat und sie verraten will - errät es
an seiner gesellschaftlichen Angst vor der Meinung "des Fräuleins".
"Warum wurdest du denn damals so feig, als du hereinkamst? Was
schreckte dich denn? Wie ich es sah, dein gemeines Gesicht, als ich
fiel und du mich auffingst - da kroch es wie ein Wurm in mein Herz: das
ist nicht er, denke ich, nicht er! Würde sich doch mein Falke nicht vor
einem vornehmen Fräulein geschämt haben! Oh Gott! Machte mich doch
schon der Gedanke glücklich, in diesen ganzen fünf Jahren, daß mein
Falke dort irgendwo hinter den Bergen lebt und fliegt und die Sonne
schaut ... Fort, Usurpator, ich bin meines Fürsten Frau und fürchte
mich nicht vor Deinem Messer! [...] Ja ... Du hast ein Messer in der
Tasche. Du glaubtest wohl, ich schlief, aber ich habe alles gesehen:
als Du vorhin eintratest, zogst Du ein Messer hervor!" "Grischka
Otrepjew anathema!"(32) ist ihr endgültiges Urteil über Stawrogin.
Analog weist auch Nastasja Filippowna Rogoshin verächtlich von sich,
bis sie zu erkennen beginnt, daß noch etwas ganz anderes als sinnliche
Leidenschaft in ihm lebt.
Noch bevor Marja Timofejewna sieht, daß Stawrogin das Rechtmäßige in
sich ermordet hat, sagt sie mit Bezug auf ihn ein rätselhaftes Wort,
das uns zum Kernpunkt des Problèmes hinführt: "Ich werde wohl vor ihm
in etwas sehr Großem schuldig sein. Nur weiß ich nicht, worin ich
schuldig sein könnte, und das ist nun mein ewiges Leid. [...] Und da
bete ich denn lange und bete und denke immer an meine große Schuld vor
ihm."(33) Die vollkommen liebende Frau, heißt das, müßte den Mann, wie
groß seine sittliche Verirrung und wie Gottwidrig die Idee, aus der sie
hervorgeht, und wie schwer seine Gewissensqual daran auch immer sein
mag, vor dem definitiven inneren Tode retten können; sie müßte für ihn
eine Hoffnung, eine Freude, eine Zuversicht und Zuflucht sein, die jede
Gewissensqual zu lösen und jede Träne zu trocknen vermag, schuldlos und
mütterlich zugleich. Ein heidnisches Vor-Bild dieser Frau ist
Dostojewskij die Göttin Ceres, die auf der Suche nach den in
Menschenmord verstrickten Menschen umherstreift:
"Keine Frucht der süßen Ähren
Lädt zum reinen Mahl sie ein;
Nur auf gräßlichen Altären
Dorret menschliches Gebein.
Ja, soweit sie wandernd kreiste,
Fand sie Elend überall.
Und in ihrem großen Geiste
Jammert sie des Menschen Fall."
Mija, der diese Worte während seiner Beichte vor Aljoscha zitiert,
bricht bei ihnen in Schluchzen aus. "Aber darin liegt ja auch die ganze
Frage: Wie werde ich mich mit der Erde auf immer vereinigen?"(34) Er
küsse ja nicht die Erde. "Die große Mutter, das ist die große Hoffnung,
die ewige Zuversicht des Menschengeschlechts (...) unsere fruchtbare
Erde", sagt die halbwahnsinnige Marja in Verzückung. "Wenn Du mit
deinen Tränen die dunkle Erde unter Dir tränkst (...) , so wird Dir
wahrlich zur selben Stunde noch alles zur Freude gereichen; und gar
keinen, gar keinen Kummer mehr wirst Du haben." (35)
Es ist diese alle Not wendende Kraft der reinen Frau, diese
unaussprechliche Freude, nach der Dostojewskij in seinen Schöpfungen
tastet und die er Gestalt werden lassen wollte. Was der Staretz Sossima
von der Liebe Gottes sagt, das müßte sich an dieser Frau offenbaren:
"Der Mensch kann überhaupt keine so große Sünde begehen, daß sie die
unendliche Liebe Gottes zur Erschöpfung bringen könnte... Glaube nur,
daß Gott dich so liebt, wie du es dir nicht einmal vorzustellen
vermagst, selbst mit deiner Sünde und in deiner Sünde. (...) Versöhne
dich mit ihm in Wahrheit. Wenn du bereust, so liebst du auch schon.
Wirst du aber einmal lieben, so gehörst du auch schon Gott... Durch die
Liebe wird alles erkauft, alles errettet." (36)
Reinheit, unerschöpfliche Geduld, vor allem aber ein so völliges
Geschenk ihrer selbst, eine solch absolute Identifikation mit dem
geliebten Manne, daß auch ein zeitweiliges Sichverrennen in ein
Verbrechen oder der leibliche Tod sie nicht aufheben kann, - das sind
die Bedingungen einer solchen Liebe. Was Nastasja Filippowna
vernichtet, ist das Bewußtsein, Fürst Myschkin nicht alles sein zu
können, weil in ihrem Leben die vergangene Sünde da ist . Einem
Unschuldigen kann nur die eigene unversehrte Reinheit Genüge tun. Doch
auch den in schwere Schuld verstrickten, aber nicht geistig toten Mann
vermag nur die Frau durch ihre Liebe zu retten, die ihn ohne
Einschränkung bejaht. Einer solchen Frau, wie sie die Gräfin La Fayette
in der Prinzessin von Clève, Jacobi in der Silly seines "Allwill" vor
unsere Augen gestellt hat, hat Dostojewskij in der Sonja in "Verbrechen
und Strafe" Gestalt gegeben. Sie, die dem Verurteilten, von dem sie
durch den Lagerzaun getrennt bleiben wird, gefolgt ist und in
unerschöpflicher Geduld auf seine Umkehr wartet, haben die anderen
Sträflinge längst als diese Frau erkannt: "Wenn sie einer Partie
Sträflinge, die zur Arbeit gingen, begegnete, nahmen alle die Mützen
ab, alle grüßten sie. 'Mütterchen Sofja Semjonowna, du unsere zärtliche
liebe Mutter! sagten diese großen gebrandmarkten Zwangsarbeiter zu
diesem kleinen, mageren Geschöpfe (...) Sie liebten sogar ihren Gang,
sie wandten sich um, um ihr nachzusehen, wie sie ging, und lobten sie;
sie lobten sie sogar dafür, daß sie so klein war; sie wußten gar nicht,
wofür sie sie noch loben sollten."(37) Der Augenblick, wo auch
Raskolnikow sie erkennt, wird zu seiner Anastasis. "Eines Tages", "in
der zweiten Woche nach Ostern", war Raskolnikow in der
Arrestantenabteilung des Lagerspitals, in der er schon fast genesen
war, eingeschlummert. "Als er erwachte, trat er zufällig an das Fenster
und erblickte plötzlich fern am Lagertor Sonja. Sie stand dort und
schien auf etwas zu warten. In diesem Augenblick war es ihm, als würde
sein Herz durchbohrt; er zuckte zusammen und ging schnell vom Fenster
weg." "Er dachte an sie ... Er erinnerte sich, wie er sie immer gequält
und ihr Herz gepeinigt hatte; erinnerte sich ihres blassen, mageren
Gesichtchens ... Er wußte jetzt, mit welcher unendlichen Liebe er nun
alle ihre Leiden sühnen würde ... An die Stelle der Dialektik war das
Leben getreten."(38)
Diese Dialektik ist die Sünde des Mannes, die Entzweiung des geistigen
Prinzips mit sich selbst, an derem konsequenten Ende der Verlust jeder
Identität steht.(39) Sie kann - nicht durch eine Dialektik der Frau,
aber sie kann durch deren absolute Liebe überwunden werden. Dem Unheil
dieser Dialektik entspricht auf fraulicher Seite das Unheil einer
vorbehaltlichen Liebe; der unbedingten Wahrhaftigkeit des Mannes
hingegen korrespondiert jene ganzbejahende Liebe der Frau, die alles zu
tragen und zu lösen vermag.(40)
Anmerkungen:
1 : Notierte Gedanken, I8080. - Vergi. F.M. Dostojewski Literarische
Schriften. München 1923, S.31 1/12. - Es versteht sich, daß hier von
der Frau, deren primäres Lebensziel ist, emanzipiert zu sein, die Rede
ist, nicht von der Frau, insofern sie einen Beruf ergreift und dadurch
sozial selbständig wird; denn diese Frau kann trotzdem ihr wesentliches
Lebensziel in der Verbindung mit dem geliebten Manne sehen.
Dostojewskij hat allerdings immer wieder darauf hingewiesen, wie leicht
ein Mädchen, das sich beruflich selbständig macht, der gefährlichen
Situation erliegen kann. Vergi. z.B. den Brief v. 27. März 1878 an eine
unbekannte Mutter.
2 : Vergl. Jules Barbey d'Aurevilly in "Ce qui ne meurt pas": "ces
ègoistes de bonheur qu'on appelle les femmes". Oeuvres romanesques
complètes (Paris 1966), II,S.596.
3 : Verbrechen und Strafe, Epilog II.
4 : Notierte Gedanken (I880); a.a.O.,S.317.
5 : Die Brüder Karamasow, Viertes Buch, Kap. Die risse.
6 : In den Entwürfen zu den Brüdern Karamasow. Iwan zu Katarina
Iwanowna: "Sie lieben nur sich selbst und niemand andern.". - Vergi.
F.M. Dostojewski Die Urgestalt der Brüder Karamasoff (München 1928),
S.265.
7 : Die Brüder Karamasow, Drittes Buch, Kap. Die Wüstlinge.
8 : Die Urgestalt der Brüder Karamasoff, S.417. - - Zitiert ist Pierre
Corneille, Horace, Acte IV, Scène V. -(Rom, einziges Objekt meines
Ressentiments)
9 : Johann Gottlieb Fichte: Vorlesungen der W.L. Im Winter 18o4, 2.
Vorlesung. - Vergi. Johann Gottlieb Fichte: Erste Wissenschaftslehre
von 18o4 hgg. v. H. Gliwitzky, Stuttgart 1969, S.lo.
10: Arme Leute, Brief Warwaras vom 23. September.
11: Puschkin-Rede, August I880.
12: Die Sanfte, 1.Kap.,11, Der Heiratsantrag.
13: Ebenda, ;.Kap.V, Sie revoltiere./
13': Völlig entschieden ist die Ansicht Léon Bloys in diesem Punkte:
"Du meinst also", schreibt er am 27. November 1889 seiner künftigen
Frau, "die Ehe, wie sie nun einmal ist, so wie sie seit Jahrhunderten
auf dieser Welt betätigt wird als Institut zur Eindämmung der
Ausschweifungen und als Ordnung der Fortpflanzung unseres
fluchbeladenen Geschlechts, die Ehe als eine von Gott geheiligte
Verbindung zweier Wesen, denen ich sogar den guten Willen nicht
abspreche - sie mögen miteinander die adligste Gesinnung und die
heldischste Selbstverleugnung mitbringen und dransetzen, um ein
gottgegebene Gesetz zu erfüllen, auch das sei zugegeben -, Du meinst
also, diese Ehe müsse mir als eine der ehrwürdigsten und heiligsten
Wirklichkeiten erscheinen. Nun wohl, ich sage nein, tausendmal nein,
aus meinem innersten Wesen heraus muß ich bekennen, daß diese Ehe, von
der Frau aus gesehen, mir untragbar und ungeheuerlich erscheint, wenn
nicht die Liebe dazukommt. (...) Ein armes Geschöpf, das aus
Verzweiflung in den Abgrund der Prostitution hineingerät, verdient
grenzenloses Mitleid, aber eine Jungfrau, die sich zu einer
Vernunftheirat hergibt, begeht ein Verbrechen, das sie im Rang unter
die Prostituierten stellt, jawohl, klaftertief unter die gemeinsten
Huren, ein Verbrechen, das die gefallenen Engel erzittern macht. Dieses
leichtfertige, geist- und herzensarme Ding, welches, um dem
Familienjoch zu entlaufen, um als Frau Soundso angeredet zu werden oder
um feine Kleider und Putz und Schmuck und noch viel jämmerlichere Dinge
leichter zu bekommen, dem ersten besten Kerl, der sich als ihr Gatte
betitelt, den möglichen Tabernakel eines Gottes ausliefert - dieses
Mädchen macht die Dritte göttliche Person weinen. (...) . Um ihren
wahren Beruf zu erkennen, haben die Frauen nur ein einziges Zeichen,
aber ein sehr zuverlässiges. Es ist die Liebe, so wie Du sie für mich
empfindest, mein Herz. Durch solch eine Liebe wird alles klar und der
Wille Gottes offenkundig. Die Frauen sind sichtlich für die Ehe
geschaffen, selbst wenn sie, zu Leidensbräuten bestimmt, den Erwählten
Ihres Herzens niemals ehelichen können. (...) Jede Frau ist bewußt oder
unbewußt davon überzeugt, daß ihr Geschlecht das Paradies ist .
"Plantaverat autem Deominus Deus paradisum voluptatis a principio ...'
(Gen. 2,8) Kein Gebet, keine Bußübung, kein Martyrium haben genugsam
beschwörende Kraft, dieses unschätzbare Kleinod zu erlangen, ein
Kleinod, das sich nicht einmal mit dem Diamantengewicht der Nebelflecke
bezahlen ließe. Daraus ist zu ermessen, was sie gibt, wenn sie sich
gibt, und welchen Gottesraub sie unternimmt, wenn sie sich verkauft."
("Briefe an seine Braut", Salzburg-Leipzig2 1936, S.119 ff.)
14: Der Idiot, 4.Teil, IX.
15: Ebenda, 3.Teil,VIII.
16: Ebenda.
17: Ce qui ne meurt pas, Première partie,IX.
18: Der Idiot, 2.Teil,III.
19: 1.Teil.XVI.
2o: 3.Teil.Vili.
21: Der Idiot, 4.Teil,IX.
22: 1.Teil.XVI.
23: 3.Teil,VIII.
24: 4.Teil,X.
25: Puschkin-Rede, August 188o.
26: Die Dämonen, 2.Kap., Prinz Heinz. Die Brautwerbung, VII. 27: 9.Kap., Alle in Erwartung, IV.
27: 9.Kap., Alle in Erwartung, IV.
28: 24.Kap., Der Schluß,I.
29: 19.Kap., Ein beendeter Roman,I.
30: 5.Kap., Die 'allwissende Schlange',VI.
31: 7.Kap., Die Nacht (Fortsetzung), III .
32: Ebenda.
33: l.Buch, 2.Teil, ".Kap.,III.
34: Die Brüder Karamasow, Erster Teil, Drittes Buch. Kap. 3, Die Beichte eines feurigen Herzens. In Versen.
35: Die Dämonen, Bd.I, 4.Kap., Die Hinkende.
36: Die Brüder Karamasow, l.Teil, 2.Buch, 3.Kap., Die gläubigen Weiber.
37: Verbrechen und Strafe, Epilog, II.
38: Ebenda.
39: Vergi. Reinhard Lauth: Friedrich Heinrich Jacobis Allwill und Fedor
Michajlovic Dostoevskijs Dämonen; in: "Russian Literature", 4, S.5 Iff.
(Den Haag, 1973)
40: Der Dichter stellt das Prinzipielle in einem Konkreten dar. Es
mußte also Dostojewskij darauf ankommen, Unschuld und Verschuldung der
liebenden Frau an exemplarischen Fällen darzustellen. Sonja
Marmeladowa, Marja Timofejewna, Nastasja Filippowna sind derartige
exemplarische Gestalten. Vom "Jüngling" an läßt sich bei Dostojewskij
eine neue Tendenz beobachten. Er versucht dieselbe ideale Haltung wie
in den vorgenannten Fällen nunmehr in der ganzen Komplexität der
alltäglichen Wirklichkeit zu konkretisieren. Katerina Nikolajewna im
"Jüngling", noch viel mehr Gruschenka in den "Brüdern Karamasow" sind
solche Konkretionen im Alltag. Es ist im alltäglichen Leben nicht
möglich, wie Nastasja Filippowna zu handeln. Dennoch wäre Gruschenka
keine positive Frauengestalt im Sinne Dostojwskijs, wenn sie nicht wie
Nastasja Filippowna durch ständiges Leiden an ihrer Vergangenheit mit
dem Polen, erst würdig würde, Dmitri Karamasows Weib zu werden.
Dostojewskij hätte das Wort Barbey d'Aurevillys unterschrieben: "Toutes
les femmes qui ne méritent pas qu'on leur crache de mépris au visage
(...) , ont au moins soupconné cette souffrance." Erst dieses Leiden
und seine sühnende Kraft befähigt Gruschenka, Dmitri zu lieben.
Nachtrag zu Anm. 17: (Übersetzung:) "Der Verrat im voraus, denjenigen
in der Vergangenheit verraten zu haben, den man in Zukunft lieben
sollte, ihm, der dein Leben und deine Gedanken beherrscht, nichts mehr
geben zu können als die Reste der Seele und des Körpers, nichts als die
Brosamen vom Festmahl, das ein anderer genossen hat, das ist der
Schlimmste aller menschlichen Schmerzen, das ist die verzehrendste
Schande, die es gibt! Du bist schuldig gegenüber dem, den du anbetest.
Dein bisheriges Leben bevor du ihn kanntest steht dir unablässig vor
Augen um dich zu betrüben und daran zu erinnern, daß du nichts weiter
bist als eine Verstümmelung, eine Ruine, eine elende Frau, die nicht
das Recht hat dem Mann, den sie bis zum Wahnsinn liebt, das
schicksalhafte Wort, in welchem die Liebe sogar die Ewigkeit
Gottes einschließt zu sagen: 'Ich bin dir alles'. Alle Frauen, die
nicht verdienen, daß man ihnen mit Verachtung ins Gesicht spuckt, haben
dieses Leiden wenigstens geahnt.
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