IST DIE KIRCHE NOCH KATHOLISCH ?
von
Anton Holzer
Unter der Überschrift "Ist die Kirche noch katholisch?" bringt der
"Anzeiger für die kath. Geistlichkeit" Heft 3/März 1979 eine
Buchrezension aus der Feder eines Herrn H. G. Koch.
1. Darin wird das rezensierte Buch als "Pamphlet" abgestempelt, "das
die Rechthaberei zum rechten Glauben erklärt". Es sei voll "Polemik und
Denunziation". "Den Geist des Katholischen - so heißt es dort weiter -,
den der Verfasser für sich und seine Richtung in Beschlag nehmen zu
können glaubt, atmet das Buch auf keiner Seite." Den Grund für diese
Beurteilung hat der Kritiker bereits zuvor verraten: "Im Anathema-Stil
geht es querfeldein." Das ist gemäß der Neudefinition des
"Katholischen" seit dem Vaticanum II sektiererisch, weil nicht
ökumenisch-irenisch. Und mit kategorischer Sicherheit und Unfehlbarkeit
proklamiert der Kritiker quasi ex cathedra: "Über das Buch kann es nur
ein Urteil geben ... " , nämlich das seinige, eingangs zitierte.
2. Dem Verfasser des Buches seinerseits wird vorgeworfen, er kämpfe "um
das, was er für den reinen katholischen Glauben hält", also so für eine
subjektive Privatmeinung, und zwar "in einer Verbissenheit und einer um
keine Verdächtigung und pauschale Abqualifizierung verlegene
Lieblosigkeit", daß seine Kritik am Vaticanum II "restlos desavouiert"
sei.
3. Daß der Verlag es sich auch noch erlaubt, das Buch als
unentbehrliches Hilfsmittel für jeden anzupreisen, der heute über die
Kirche eine objektive und einleuchtende Information suche, gilt dem
Kritiker als "ein krasses Beispiel für vollständige Irreführung des
Publikums durch Werbung".
4. Was ist das nun für ein Werk, das eine so heftige Reaktion
provoziert, die dazu noch selbst in die dem Verfasser des Buches
angekreideten Laster der Polemik, Denunziation und Anathematisierung
verfällt? Nun, es handelt sich um das bisher ziemlich totgeschwiegene
Buch des Verlages Langen Müller/München, das den Titel trrägt
"Katholisch oder konziliar. Die Krise der Kirche heute" und das den
Saarbrückener Soziologgi Prof. Dr. Wiegand Siebel zum Verfasser hat.
(Es hat 470 S. und kostet 38,- DM).
5. Der zweispaltige Hinweis auf diese Neuerscheinung soll wohl dazu
dienen, die "katholische Geistlichkeit" zu informieren und vom Kauf des
Buches abzuschrecken. Zwar bietet die Rezension keine Information, aber
die beabsichtigte Wirkung wird sie unter der angesprochenen
"katholischen Geistlichkeit" wohl erreichen. Wozu sich denn noch mit
der unbequemen Vergangenheit befassen, wo wir es doch - dank Vaticanum
II - so herrlich weit gebracht haben! Was also enthält die Rezension?
Irgendetwas muß ja n zwei Spalten des Formats DIN A 4 geschrieben
stehen.
5.1. Der Kritiker liefert weder eine Inhaltsangabe geschweige denn auch
nur in Andeutungen die Argumente des Buchautors für seine Thesen. Hier
liegt eine absolute informatorische Fehlanzeige vor.
5.2. Stattdessen produziert der Kritiker lauter den Gegner disqualifizierende Werturteile, und zwar in zweifacher Hinsicht:
5.2.1. In moralischer Hinsicht wirft er ihm vor: Verbissenheit,
Verdächtigung, pauschale Abqualifizierung Lieblosigkeit, sektiererische
Auswüchse, Polemik, Denunziation, Anathema-Stil, Sprüche und
Unfehlbarkeitsansprüche, Parforcetour, Eindreschen auf den Feind,
Rechthaberei, mangelnder Geist des Katholischen. Ein ganzer Hagel an
moralisch disqualifizierenden Vorwürfen, die allein begründet sind
durch die Versicherung des Kritikers: "Das Konzil und die es leitenden
Päpste haben es nicht verdient, daß man sie in dieser Weise traktiert",
wie es sich der Buchautor erlaubt. Wie der es aber tut, davon erfährt
der Leser kein Wort. Er muß dem Kritiker seine Werturteile also blind
glauben. Es sei denn, er teile seine Vorurteile bezüglich des Konzils
und seiner Päpste. Dann ist er zwar immer noch blind, aber die
negativen Werturteile über das Buch braucht er nicht mehr zu glauben.
Sie ergeben sich dann notwendig aus seiner Vorentscheidung.
5.2.2. Auch in wissenschaftlicher bzw. intellektueller Hinsicht bleibt
der Buchautor nicht ungeschoren; hier lauten die Vorwürfe auf pauschale
Abqualifizierung, Beschränkung auf nur einen bestimmten Strang der
Tradition, "keine Spur" "von einem Bemühen um sachgemäße historische
Würdigung seiner Themen, geschweige denn von einer angemessenen
hermeneutischen Durchdringung". Das Urteil lautet also auch auf
wissenschaftliche
Unfähigkeit und darum Inkompetenz des Autors.
5.2.3. Zugleich ergibt sich hier die Gelegenheit, noch einen anderen
unbequemen theologischen Gegner zu erledigen, den Prof. Siebel mehrfach
zitiert, den Mainzer Kirchenrechtler und Ordinarius Prof. Georg May:
allein daß Siebel sich häufig auf May berufen kann, "wirft ein
bezeichnendes Licht auf die Art von Loyalität zur Kirche, die ... (May)
vertritt".
6. Drei Punkte des rezensierten Buches werden exemplarisch angeführt, um wenigstens den Schein einer Rezension zu wahren:
1. die Berufung auf die Tradition,
2. die Behandlung der Liturgiereform und
3. die Abschaffung der Papstkrönung.
Und hier fallen wenigstens einige Andeutungen einer Argumentation, so
daß eine sachliche Auseinandersetzung ansetzen kann. Freilich wird sie
nicht weit über den Ansatz hinauskommen
6.1. Der erste inhaltlich faßbare Vorwurf - vermutlich als Grundfehler
dem Autor angelastet - lautet, Siebel erkenne"- wie in Kreisen der
Lefebvre-Richtung üblich - nur einen bestimmten Strang der Tradition
an, der für ihn im vergangenen Jahrhundert seinen Höhepunkt gefunden
hat"; er behauptet damit zugleich eine wesentliche Differenz dieser
engen "Tradition" und der katholischen Tradition, die ja
definitionsgemäß nicht eng, sondern weit, allumfassend, eben katholisch
ist . Quod erat demonstrandum! Diese katholische Tradition freilich sei
nicht im letzten Jahrhundert artikuliert worden von den damaligen
Päpsten (sie waren ja wegen ihres engen Horizontes dazu nicht in der
Lage), sondern erst von dem "neuen Pfingsten" Johannes XXIII. Bei
Siebeis engem Traditionsverständnis ist es dann nur "natürlich", daß
für den Autor die Frage nicht offen sei, "ob nicht die Aussagen des
Zweiten Vatikanums viel mehr die angemessene Entfaltung des in der
gesamtkirchlichen Überlieferung vom Evangelium her Grundgelegten sind
als die in einem schlechten Sinn zeitverhafteten - also für ihre Zeit
modernen - Verdammungen des vorigen Jahrhunderts.". Daß der Kritiker
mit seiner Wertung der lehramtlichen Überlieferung des Apostolischen
Stuhles von Rom nur den Standpunkt des Vaticanums II repetiert, ist
offenkundig. Den Wert eines Argumentes hat das aber keineswegs. Es ist
vielmehr nur die Gegenthese.
6.1.2. Diese allgemeine Behauptung freilich, das Siebelse
Traditionsverständnis sei als zu eng nicht katholisch, substantiiert
und exemplifiziert der Kritiker am Fall "Religionsfreiheit". Die
Lehre über diese Religionsfreiheit, wie sie von den Päpsten und den mit
ihnen in Gemeinschaft stehenden Bischöfen vertreten wurde seit
der Französischen Revolution, gehört so zu den "in einem
schlechten Sinn zeitverhafteten" Urteilen des Lehramtes, freilich
nicht nur im letzten Jahrhundert, sondern bis auf Pius XII. Das
ist Siebeis angeblich falsche und unkatholische Position: "Die
katholische Lehre - so ironisiert der Kritiker - Die katholische Lehre
über die Religionsfreiheit, das ist eben ihre Qualifikation als
'Wahnsinn' durch Gregor XVI. und Pius IX." Da nun dieses Verständnis
zugleich die Basis des traditionellen Verständnisses von christlichem
bzw. katholischem Staat wesentlich mitfundiert, ist es unverständlich,
ja unlogisch, wenn der Kritiker nun Siebel empört vorwirft:
"Allen Ernstes wirft Siebel dem Konzil vor, es habe den
christlichen Staat unmöglich gemacht... ". Die Mündigkeit seiner Leser
scheint dem Kritiker in ihrer theologischen Unbedarftheit zu
liegen. Ein starkes Stück! Hinter dieser Empärung steht freilich ein
anderes d.h. nicht traditionelles Verständnis von christlichem Staat.
Aber das wird eben verschwiegen. Oder gar die völlige Verurteilung des
traditionellen christlichen Staates, wie der Ton vermuten läßt,in dem
er von "den letzten Exemplaren dieser Gattung" redet.
6.2. Hier bietet der Kritiker nur das Urteil Siebeis über die
Liturgiereform, ohne Erwähnung der dazu angeführten Gründe und ohne
Gegenargumente. Diese Information dient also nur als Belegt und
Illustration für das schon ausgesprochene Verdammungsurteil: so dürfte
man die postkonziliaren Tabus nicht behandeln; sie hätten es nicht
verdient, "daß man sie in dieser Weise traktiert". Wie gehabt.
6.3. Siebeis Kritik an der Abschaffung der Papstkrönung wirke
"makaber". Warum sie makaber sei, sagt er nicht. Er erklärt nur: "Wer
diese Zeremonie gesehen hat, mag sich ein Urteil bilden". Nun, Siebel
hat das doch gerade getan. Der Kritiker tut gerade so, als ob man sich
alle möglichen Urteile darüber bilden könne, nur eben das nicht, zu dem
Siebel gelangt, der die Ersatzzeremonie als "ziemlich bedeutungslos"
ansieht.
7. Alles in allem: der Kritiker disqualifiziert sich selbst, indem er
erstens genau das tut, was er dem Buchautor vorwirft: er polemisiert,
denunziert, anathematisiert, qualifiziert pauschal ab, macht den Gegner
moralisch und wissenschaftlich herunter; indem er darüber hinaus eine
absolute Fehlanzeige als sachliche Information und Argumentation für
die "katholische Geistlichkeit" vorlegt. Die Frage ist nun, ob diese
Geistlichkeit so blöd ist, daß sie die sich hier zeigende Verachtung
des Kritikers verdient hat. Aber das ist ihre Sache.
Eines jedenfalls ist offenkundig: der Kritiker liefert "ein krasses
Beispiel für vollständige Irreführung des Publikums" durch Kritik. Das
ist freilich der seit langem übliche Stil, in dem man die
"Traditionalisten" behandelt, abgesehen von der anderen Art des
Totschweigens. Diese Katholiken scheinen ein unveräußerliches Recht auf
apriorische Disqualifizierung zu besitzen. Ist erst einmal der Autor
disqualifiziert, so erübrigt sich das Eingehen auf die Sache. Das nennt
man heute in der Kirche objektiv und sachlich.
8. Sinnigerweise setzte der Redaktor der Zeitschrift unter diesem
Verriß ein Zitat von Kardinal Bea: "Wahrheitsliebe ohne Nächstenliebe
kann zur Unduldsamkeit entarten, und dann wirkt sie abstoßend."
Vermutlich ist sie zur Unterstützung des Koch'schen Buch-Verrisses
gedacht. Doch dann geht sie ebenfalls ins Auge des Kritikers. Denn
Nächstenliebe zeigt sich auch bei ihm nicht. Aber noch mehr: Wenn schon
Wahrheitsliebe ohne Nächstenliebe in Unduldsamkeit entarten und
abstoßend wirken kann, um wieviel mehr die Liebe zur Unwahrheit, wie
sie der Kritiker gegenüber dem Gegner praktiziert?!
OHNE KOMMENTAR:
Unter der Überschrift "Gehorsam ist besser als Opfer!" schreibt H.H.
Theodor Kurrus, jetziger Leiter der "Bewegung für Papst und Kirche" in
der UVK-Korrespondenz vom März/ April 1979, S.137 folgendes: "'1975,
ein halbes Jahr vor dem endgültigen Verbot der alten Messe ab dem 1.
Fastensonntag 1976, habe ich gewarnt vor dem Entstehen eines Raskol in
Deutschland, wie er in Rußland unter Zar Peter d. Gr. entstand, als
dieser geringfügige Reformen im Ritus der orthodoxen Kirche einführte.
(Anm.d.Red.: wie "geringfügig" diese Reformen waren, soll noch in einem
eigenen Beitrag dargelegt werden.) Die Raskolniken oder "Altgläubigen"
spalteten sich von der Staatskirche ab. Erst im 19. Jahrhundert ließ
der Staat für die "Altgläubigen" eine Hierarchie weihen, aber nun trat
im Raskol selbst eine Spaltung ein: ein Teil dieser Altgläubigen
verweigerte den von nach ihrmr Glauben häretischen Orthodoxen
gespendeten Bischofsweihen die Anerkennung (und damit auch den
Priesterweihen) und wollten*als "Bespopowzen" (= "Priesterlose") lieber
auf "ungültig" geweihte Geistliche verzichten. Wir haben heute in
Deutschland eine ganze Reihe von Meßzentren für die alte Messe und
immer wieder entstehen neue. Aber schon gibt es unter diesen
Traditionalisten Spaltungen, und wenn nicht ein Wunder geschieht,
werden wir im deutschen Katholizismus nicht nur unsere "RaskoIniken"
haben, sondern auch unsere "Bespopowzen" oder "Priesterlose", (in einer
Anmerkung heißt es dazu:) Zum Verständnis dieser Befürchtung bitte ich
den Leser um aufmerksames Studium der Nummer der Münchener
Traditionalisten-Zeitschrift "DIE EINSICHT". Er wird dann besser
verstehen, wovon Pfarrer Hans Milch in Hattersheim in der Mai-Nummer
seines Mitteilungsblattes für die Bewegung "SPES UNICA" sprach.
(Anm.d.Red. E. Heller: dort sprach Milch vom "lodernden Haß".) Sein
Mut, selbst auf die Gefahr hin, einen großen Teil seiner Anhänger zu
verlieren, vor einer Eskalation zu warnen, verdient alle Hochachtung!
(weiter im Text: Es ist allerhöchste Zeit, daß man sich darauf besinnt,
was man unserem Kirchenvolk zumuten kann und was nicht.'"
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