DIE GEISTER, DIE SIE RIEFEN ...
von
Anton Holzer
Folgende Notiz ging kürzlich durch die Presse:
BISCHÖFE: KEIN RECHT AUF ABTREIBUNG
Köln (dpa). Die katholischen Bischöfe haben erneut scharfe Kritik an
der Reform des Abtreibungsparagraphen geübt. Der Vorsitzende der
Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Höffner, erklärte am Freitag es
sei empörend, daß "gewisse Kreise" lautstark ein sogenanntes Recht auf
Abtreibung proklamierten. Bei der Frühjahrsvollversammlung der Bischöfe
seien alle Teilnehmer über die Entwicklung nach der Liberalisierung des
Paragraphen 218 stark beunruhigt gewesen. Ein Recht auf Abtreibung
könne aus den jetzt geltenden Gesetzen keinesfalls abgeleitet werden,
meinte Höffner weiter. Sollte dies dennoch von offizieller Seite
geschehen, sei dies ein Fall für das Bundesverfassungsgericht.
(Badische Zeitung 58/34, Freiburg l0/11.3. 79)
Die Erklärung des Vorsitzenden der deutschen Bischofskonferenz gibt zu folgenden Überlegungen Anlaß:
1. Es ist nicht begreiflich, wenn die Bischöfe sich jetzt darüber
empört geben, daß 'gewisse Kreise' lautstark ein sog. Recht auf
Abtreibung proklamierten mit Berufung auf die Liberalisierung des § 218
StGB. Der Grund ist folgender: Die Bischöfe hätten die Kompetenz und
Aufgabe gehabt, beizeiten die Augen offen zu halten und am Gang der
Dinge und am Wesen der treibenden Kräfte zu erkennen, daß das Prinzip
der Liberalisierung grundsätzlich nichts anderes beinhalten kann als
die Emanzipation der Gesellschaft und des Staates bzw. der staatlichen
Gesetzgebung von den Rechts forder ungen Gottes (lo Gebote) und daher
folgerichtig und unausweichlich auch zu Recht des von der
Weltanschauung des Pluralismus und Säkularismus geprägten und
überzeugten Menschen auf Übertretung dieser göttlichen
Rechtsforderungen, im aktuellen Fall also des 5. Gebotes heute, morgen
vielleicht durch Euthanasie usw.
Das jedenfalls ist für jeden, der die Geschichte der Liberalisierung
der Sitten der Gesellschaft und Gesetze des Staates seit der
Französischen Revolution berücksichtigt, eindeutig und klar. Das liegt
auch nicht nur an der Dynamik des Liberalisierungsprozesses im
Zusammenhang der säkularisierten Situation und Artung des modernen
Menschen, sondern ist vielmehr die immanente Logik der Sache selbst
sowie das Ziel ihrer Betreiber von Anfang an. Seit der Französischen
Revolution bis zum Beginn des demokratischen Weltzeitalters nach dem 2.
Weltkrieg jedoch war diese Tatsache von den Päpsten klar erkannt und
immer wieder auch unmißverständlich ausgesprochen worden in Warnungen
und Verurteilungen. Seit der offiziellen Verpönung der sog.
Unglückspropheten durch Johannes XXIII. freilich hat diese
jahrhundertealte kirchengeschichtliche "Phase des Verurteilens" ein
jähes Ende genommen. Und das Tempo des Fortschritts in den Abgrund
nimmt ununterbrochen zu, wie es den Gesetzen des freien Falls
entspricht.
In ihrem Wunsch nach "Aggiornamento" d.h. nach Apeasement mit der
modernen, demokratisch-mündigen Welt von heute nun schlössen die
Bischöfe schon früh und freiwillig in einer neuartigen Welt-Mystik die
Augen, um nicht mehr prinzipiell und dogmatisch denken und reden zu
müssen, sondern rein pragmatisch-opportunistisch vorgehen zu können.
Der Fluch dieser bösen Tat, ist , daß sie sich immer wieder neu darüber
werden empören müssen, daß die Welt nicht ihnen zu Willen ist , sondern
ihre eigenen widerchristlichen Prinzipien konsequent verfolgt und von
Fall zu Fall auch durchaus offen demonstriert. Die Bischöfe werden sich
erfahrungsgemäß ja auch immer wieder in das Unvermeidliche schicken und
an den Rückzug gewöhnen, wenn sie nicht gar diesen nach Karl Rahners
Empfehlung zum pastoral-strategischen Programm erhoben haben, damit es
nicht mehr nach Kapitulation vor der Welt aussieht.
2. Die Bischöfe haben jedoch keineswegs die Kompotenz und Aufgabe, die
geltenden Gesetze der modernen Welt bzw. Staaten in Schutz zu nehmen
mit der Ausrede - einem bloßen Plädoyer pro domo -, diese Gesetze seien
ja gar nicht so widerchristlich, daß ein Recht auf Abtreibung daraus
abgeleitet werden könne. Die Bischöfe verfallen so blindwütigem
Wunschdenken.
Sie haben weder eindeutig noch entschieden noch laut genug zu A
(Liberalsierung des § 218) Nein gesagt und den Anfängen widerstanden,
weil sie blind sind für Wesens- und Prinzipienfragen. Und jetzt wollen
sie nicht zu B Ja sagen, weil sie durch die offenkundig bösen Folgen
und durch die von der einzig interessierten Seite offen und öffentlich
gezogenen und geforderten Folgerungen aufgeschreckt sind. Das geht
ihnen - wenigstens im Augenblick noch - zu weit. Da haben die Theologen
noch zu wenig subversive Vorarbeit geleistet.
Durch ihren Wunsch nach "Aggiornamento" mit der modernen Welt
verblendet sind die Bischöfe unfähig zur Erkenntnis, daß sie die
Ursache des beklagten Übels mitgesetzt bzw. zumindest zugelassen haben,
daß sie also beim Setzen und Hegen des schlechten Baumes
(Liberalisierung) - actione vel omissione - mitgeholfen haben und daß
sie nun bloß die schlechten Früchte ernten und ihrem Entsetzen und
ihrer Empörung die Berechtigung im Grunde fehlt. Doch auch die
Empörung, in der Sache berechtigt, ist wirkungslos, solange den
Bischöfen die Erkenntnis und das Eingeständnis der eigenen Schuld an
dieser Entwicklung fehlt und solange sie infolgedessen die gerufenen
Geister gar nicht bannen wollen. Vielleicht aber ist selbst die
Empörung nur gespielt und in Wahrheit taktischer Art, um den
vermeintlich unvermeidlichen oder gar als der pluralistischen
Gesellschaft angemessenen, beabsichtigten etappenweisen Rückzug bzw.
das ratenweise Aufgeben der ihnen anvertrauten Rechtsforderungen Gottes
in den Augen des für dumm verkauften Volkes mit einem moralischen Alibi
zu decken.
3. Aufgabe und Kompetenz hätten die Bischöfe indes dazu gehabt, wachen
Sinnes und offenen Auges die heute so mißdeuteten "Zeichen der Zeit"
und damit den Gang der Geschichte als Fortschritt fort von Gott zu
erkennen und mutig - gelegen oder ungelegen - beim Namen zu nennen,
nicht aber dazu, sich zu Anwälten der modernen demokratischen Welt in
ihrem Streben nach Autonomie, Liberalisierung und Emanzipation (von
Gott und dem sittlichen Naturgesetz) aufzuwerfen, wie es neuestens auch
Johannes Paul II. in seiner ersten Enzyklika tut, sondern ihre Aufgabe
als Anwälte Gottes und Sachwalter des ihnen von ihm anvertrauten Gutes
der Wahrheit und Gnade sowie seiner Rechte gegenüber den Menschen und
der Menschheit treu und fürchtlos zu erfüllen.
Denn erstens kann es kein Recht des Menschen, kein Menschenrecht,
geben, das den Rechts for de run gen Gottes zuwiderläuft; auch kann
keine irdische Instanz ein solches Menschenrecht gültig statuieren; die
Statuierung von solchen Menschenrechten, wie sie etwa in der UNO-
Charta vorliegt, ist vielmehr Ausdruck gott-loser bzw. wider-göttlicher
Haltung. Doch das zu erkennen und gar anzuerkennen sind die Bischöfe
selber, wie anscheinend auch Johannes Paul II. , infolge der Vergiftung
durch den Liberalismus unfähig, die sie sich spätestens auf dem
Vaticanum II zugezogen haben.
Außerdem bietet allein die Erfüllung der Re chtsf orderungen Gottes die
reale Möglichkeit und die Garantie dafür, daß die Menschen nicht nur
das ewige Heil im Himmel, sondern auch ein irdisch-zeitliches Wohl in
wahrer Würde und Freiheit erreichen. Wenn das Evangelium wahr ist! Denn
dort heißt es unmißverständlich: Nisi Dominus aedificaverit domum, in
vanum laborant, qui aedificant earn. Nisi Dominus custodierit
civitatem, frustra vigilai, qui custodit earn. (PS 126,1) Iustitia
elevat gentem, miseros autem facit populos peccatum. (Spr 14,34)
Quaerite primum regnum Dei et iustitiam eius: et haec omnia adicientur
vobis. (Mt 6,33).
4. Aufgabe und Kompetenz hätten die Bischöfe ferner dazu, den
zunehmenden Gegensatz der modernen Welt, ihrer Institutionen und
Objektivationen gegen die Grundsätze des Christentums zu konstatieren
und von allen ihnen verfügbaren Dächern bzw. Kanzeln zu schreien; das
Wesen der modernen Welt als die globale Rekapitulation und
Institutionalisierung der Ursünde in allen Bereichen des menschlichen
Lebens zu erkennen und zu brandmarken, die Liberalisierung aller Lebens
gebiete darum als widergöttlich und widerchristlich zu verurteilen und
die Zurücknahme der liberalisierten Gesetzgebung wegen ihrer offenen
Widergöttlichkeit und versteckten Unmenschlichkeit zu fordern. Sie
hätten die Aufgabe und Vollmacht - gemäß ihrer indirekten Kompetenz
über die zeitlichen Dinge sub ratione peccati - einem Grundgesetz, mit
dem diese liberalisierten, widergöttlichen Gesetze nicht nur vereinbar,
sondern aus dem sie durchaus ableitbar sind, wenn man das darin
gegebene Demokratieverständnis mitberücksichtigt, einem solchen
Grundgesetz also die Loyalität aufzukündigen und seine Revision zu
fordern. Aber das Konkordat? Das Konkordat ist ein menschlicher Vertrag
und als solcher durch Menschen wieder aufkündbar, wenn die Sachlage es
erfordert. Gottes Gesetze aber sind absolut und immer verpflichtend.
Man muß Gott mehr gehorchen als den Menschen.
Damit die Bischöfe freilich das erkennen und realisieren, bedarf es
ihrer Umkehr und Rückbesinnung auf das Wesen der katholischen Religion,
die mehr ist als eine durch das Sieb der dritten Aufklärung gefilterte
und von allen "unmenschlichen" Forderungen Gottes gereinigte,
moralische Humanitätsreligion. |