OSTERN - UND DIE PAROLE VOM "LODERNDEN HASS"
von
Reinhard Lauth
Wie schon so manches Jahr, war ich in den Kartagen und zu Ostern (zum
griechischen Ostern, das eine Woche später liegt) in Thessaloniki und
auf dem Athos. Man muß die heilige Woche dort erlebt haben, um aus
Erfahrung zu wissen, was heute noch eine christliche Stadt und ein
christliches Mönchsleben ist . Schon vor Betreten des heiligen Berges
legt man die Last der Zeit ab. Die genaue Stunde spielt keine Rolle
mehr, die Autos, Hotels, Gaststätten, das elektrische Licht und
fließende Wasser läßt man hinter sich. Nach zwei Stunden Fahrt auf
einem kleinen Motorschiff trifft man im Hafen von Dafni ein, und nach
den Paßformalitäten dort und oben in der Regierungsstadt Karyes wandert
man in die große Einsamkeit hinein. Wir kamen an einem Tag an, dessen
Himmel in tiefstem Föhnblau stand. Ein unbeschreiblicher Duft empfing
uns, überall am Wegrand Blumen (es gibt keine Frauen, die sie
pflücken), darunter solche, die man bei uns in freier Natur fast gar
nicht mehr sieht, weiß und violett blühende Bäume zwischen den Buchen,
Oliven und Zypressen und die große Stille der geheiligten Gottesnatur.
Unsere Schritte gingen diesmal in das Kloster Xeropotamou, das wie auf
einem Hochbalkon über dem Meer liegt. Von dem alten Kiosk vor den hohen
festungsartigen Mauern, wo die Mönche nachmittags in stiller
Betrachtung zu sitzen pflegen, blickt man die weite Küste entlang und
auf das lichtblau und violett schimmernde Meer zwischen dem zweiten und
dritten Finger der Chalkidike; am Horizont zeichnet sich in
blauviolettem Dunst Sithonia ab.
Die Unterkunftsbedingungen in so einem Kloster sind rauh: man bekommt
eine Liegestatt, auf der schon zwanzig, dreißig andere vor einem
geschlafen haben, ohne daß sie frisch überzogen worden wäre; das
Kopfkissen ist auch schon gebraucht; zwei alte Wolldecken schützen in
der Nacht nur unvollkommen vor der empfindlichen Kälte. Wenn die
Dunkelheit hereingebrochen ist, erleuchtet eine einzige flackernde
Petroleumlampe spärlich den Raum. Da es Fastenzeit ist - wir kamen am
Karmittwoch - gibt es nur einmal am Tag ein Essen: Dicke Bohnen-Suppe,
dazu etwas Oliven, Weißbrot soviel man will und die kleine Tasse
griechischen Kaffees, der soviel besser schmeckt als unser
'lateinischer'.
Aber wenn man nach dem Nachtessen den Ruf zur Liturgie hört und ins
Katholikon (die Kirche) des Klosters hinübergeht, dann umfängt einen
dort mit einem Male die märchenhafte Pracht der Ikonostase, der
Heiligenbilder und Ampeln und des Chorgestühls. Nachts und am
Vormittage dauerte die Liturgie jeweils vier Stunden. Die Mönche singen
bei weitem nicht so gut wie der Chor und die Priester in Hagios
Dimitrios in Thessaloniki - und doch beginnt man nach einiger Zeit zu
spüren, daß man in das himmlische Jerusalem eingetreten ist und mit dem
Worte Gottes lebt. Lesung folgt auf Lesung, Wechselgesang auf
Wechselgesang, Fürbitten auf Fürbitten - und immer mehr dringt man in
das Mysterium des Ewigen Wortes ein. Das unblutige Opfer schließt als
Höhepunkt den Gottesdienst ab.
'Es gibt hier auf dem heiligen Berge, wie überall, Gute und Schlechte',
hatte der Vetter unseres Küchenbruders, zuvor zu mir gesagt. Ja, und
wenn es sogar nur Schlechte gäbe (was gewiß nicht der Fall ist ) :
allein, daß das unverfälschte Wort Gottes ununterbrochen gesprochen und
das gültige Opfer vollzogen wird, stellt einen unvergleichlichen Wert
dar - buchstäblich das, was die Welt erhält. Wenn wir zurückgekehrt
sein werden, so werden wir wissen, daß es auf dieser sündenverseuchten
Welt einen Ort gibt, wo das Heilige lebt.
In der Nacht zum Gründonnerstag begann ein fürchtbares Unwetter, das
uns in dem gleichen Kloster zu bleiben nötigte. (Wir wollten eigentlich
noch zu einem weiteren gehen.) Und das war gut so. Erst durch den
tagelangen Aufenthalt wurden wir ganz eins mit dem heiligen Leben im
Kloster. Draußen bot sich ein Naturschauspiel unbeschreiblicher Art:
das aufgepeitschte Meer blitze bald stahlgrau, dann wieder dunkel
violett, in schmalen Bündeln fielen grelle Lichtstreifen aus den Wolken
ins brodelnde Wasser herab. Der Orkan peitschte die Bäume, die in ihrem
jungen Maiengrün standen und schüttelte ihre Blüten ab. Nachts im Bett
lauschten wir auf das ununterbrochene Heulen des Windes und den von den
Rinnen herabtropfenden Regen. Aber das alles war nur das Äußere -
innen, im Katholikon, das wir nur halbdurchnäßt erreichten - ging mit
unveränderter Ruhe und Gleichmut der Gottesdienst vor sich,
Rosenwasser- und Weihrauchduft erfüllten den Raum, die Gebete folgten
den Gebeten, das himmlische Jerusalem lebte und atmete.
Als wir am Karfreitag nach der Kreuzverehrung Abschied vom Kloster
nahmen, war meine Seele von Osterjubel erfüllt. Der Wind hatte sich
fast gelegt, die Sonne drang langsam wieder durch. Das Schiff, auf dem
blühende Kamelien vom heiligen Berge nach Thessaloniki mitgeführt
wurden, brachte uns wieder nach Ouranopolis, dem ersten weltlichen
Orte, und der Autobus in fünf Stunden Fahrt über das hohe Gebirge nach
Thessaloniki, der Paulusstadt zurück. Überall gingen die Leute mit
brennenden Kerzen in der Hand zur Liturgie oder kehrten schon von ihr
zurück.
Ich will nicht mehr ausführlich von der jubelnden Osternacht in Hagios
Dimitrios mit den Gesängen des unvergleichlichen Chores und der
andächtigen Menge der Gläubigen berichten. Es genügt, nur eins
hervorzuheben: eine raine, stille, göttliche Osterfreude war in unserem
Herzen. Aber auch noch nie war mir so bewußt geworden, daß die
schlimmste Wunde am Leibe des Herrn nicht eine von denen ist , die ihm
Juden und Heiden beigebracht haben, sondern diejenige, durch die dieser
heilige Leib, die katholische Kirche, infolge des Ehrgeizes und der
Rücksichtslosigkeit der katholischen Christen zerrissen ist : das
Schisma. Wir haben denselben Glauben, die selbe apostolische
Sukzession, dasselbe Meßopfer und die gleichen Sakramente - und sind
dennoch gespalten. Möchte doch jeder katholische Christ sich ständig
dieses größte Skandalon vor Augen halten und nicht gedankenlos die
'Schismatiker1 verächtlich abtun und diese Spaltung als
selbstverständlich hinnehmen.
Natürlich war mir im Kloster auch wieder mit sinnenfälliger
Deutlichkeit bewußt geworden, was wir in unserer römisch-katholischen
Kirche verloren haben. Auf dem Athos sind zwanzig Großklöster und
einige hundert Einsiedeleien. Die Zahl der Mönche nimmt seit dem
Tiefpunkt der fürchtbaren 6oer Jahre wieder ständig zu. Ich wüßte nicht
ein Kloster in der römischen Welt, in dem ich heute wie hier an so
vielen Stätten eine würdige Kar- und Osteriiturgie erwarten dürfte.
Alles ist bei uns von Haeresie und Modernismus zum mindesten
durchseucht, wenn nicht - wie fast überall - zerstört.
Von Osterjubel und Osterfrieden erfüllt, kehrte ich nach München zurück
- und kaum dort, schlugen mir schon wieder die Wellen des Hasses - des
klerikalen Hasses entgegen. In einem Rundschreiben des Pfarrers Milch,
vom 30. April, las ich folgendes über die Extremisten (und das sollen
wir sein!): "Von ihrer Seele läßt sich - Schiller zitierend - sagen:
'Es rast der See und will sein Opfer haben! ' Sie hören mit Freude
lodernden Hasses, daß die katholische Kirche lange nicht mehr
existiere, daß dort, wo sie einst gewesen, etwas substantiell anderes
geworden sei. Die Kirche lebe weiter ohne Heiligen Stuhl, ohne Bischöfe
- bestenfalls von einem einzigen abgesehen, den sie aber mittlerweile
auch verdammen. Sie lebe weiter in kleinen Gruppen. ... Diese
Vorstellung, meine lieben Freunde, ist absurd; und über nichts freuen
sich unsere progressistischen Gegner mehr als über absurde Thesen. Das
Absurde des Progressismus nährt sich von der Absurdität ihrer
extremistischen Feind-Freunde." (S.5).
Daß doch ausgerechnet Priester es nicht unterlassen können, Anderen
Motive zu unterstellen, von denen sie gar nichts Sicheres wissen
können. Nach Herrn Kaplan D. verdiene ich bei meinen Besuchen in
ostdeutschen Bibliotheken beträchtliche Summen - so schrieb er zu
Weihnachten 1978 herum, auf das gute Glück vager Vermutungen hin. Und
weil ich diese Summen verdiene, darf ich Mgr. Lefebvre nicht
kritisieren, wenn der seinerseits Geschäfte macht. Nach Pfarrer Milch
sind wir von loderndem Haß erfüllt und betreiben als Freunde das
Geschäft unserer progressistischen Feinde. "Es rast der See und will
sein Opfer haben."
Ich denke an das aufgepeitschte Meer zurück, wie wir es von hoch oben
aus dem Kloster Xeropotamou sahen, als der Orkan über den heiligen Berg
brauste. War meine Seele in dieser Verfassung? Habe ich da mit Freuden
gedacht, daß die katholische Kirche nicht mehr existiere? Mein ganzes
Herz war ja von der unbeschreiblichen Beglückung erfüllt, endlich
wieder die Kirche zu erleben, inmitten der Kirche zu sein. Warum war
ich denn auf den Athos gegangen wie schon des öfteren in der
Vergangenheit? Warum bin ich so viele Jahre hindurch zweimal jährlich
für eine Woche auf den Gargano gegangen? Aus loderndem Haß gegen die
Existenz der Kirche, wie Pfarrer Milch mir unterstellt - unterstellt,
weil er es annehmen will?
Nein, Herr Pfarrer Milch! Unser Kampf ist für die Kirche, weil ohne die
Kirche die Welt mit Sicherheit zugrundegehen wird. Die Kirche Christi
ist das Salz der Erde, das Salz, das diese vor der Verwesung bewahrt.
Allerdings nur, wenn dieses Salz selbst nicht schal wird - dann
freilich wird es nach dem Wort unseres Herrn zurecht von den Menschen
hinausgeworfen und zertreten - was wir ja geschehen sehen. Aber wir
glauben an die Macht des auferstandenen Herrn - und nicht an die Macht
der Zahlen, die wir präsentieren können. Als David daran zweifelte, daß
sein Volk zahlreich genug sei, um den Kampf mit der heidnischen Umwelt
bestehen zu können, ordnete er eine Volkszählung an und wurde dafür
samt seinem Volke schwer von Gott bestraft.
Herr Pfarrer Milch stellt sich als den hin, der um die große Zahl
ringt. "Wie kann ich die Halle des Heiligtums und einen großen Saal
bewahren für die Hunderte [...]. Wo lassen sich in unwesentlichen
Bereichen Konzessionen zustandebringen?" schreibt er und will damit
sein Verbleiben in der Exkirche rechtfertigen. Aber es geht hier nicht
um den großen Saal, Herr Pfarrer, sondern um die Wahrheit, die Wahrheit
und nichts als die Wahrheit. Denn nur die Wahrheit wird uns frei
machen. Jener große Saal, in dem längst blasphemische Exzesse und
Verhöhnungen des Herrn an der Tagesordnung sind, kann nicht der
Abendmahlssaal sein; er ist schon unverkennbar das Amtsgebäude des
Kaiphas. Und es geht schon lange nicht mehr um Konzessionen in
unwesentlichen Bereichen - es geht darum, ob nun bald überhaupt noch
irgendwo in der lateinischen Welt das gültige Meßopfer dargebracht
wird. Wir verdammen Mgr. Lefebvre nicht, aber wir sagen: Kein
Belialsdienst und Gottesdienst an ein und demselben Tisch! Keine
Hochzeit zwischen Irrtum und Wahrheit. Wir werden getreu der Mahnung
der Apostel und der Väter alles tun, um das, was Gott uns gegeben und
überliefert hat - Gott! und nicht der Mensch! - unverfälscht zu
bewahren, weil wir wissen, daß die Menschheit von diesem unverfälschten
Wort lebt, und nicht nur vom Brot allein.
Daß unsere Gegner mit ihren Parolen vom lodernden Haß, vom
Freimaurertum der Gruppe Maria, von angeblichen Geschäften
(offensichtlich doch schlimmerer Art als die von Ecône) im Ostblock
systematisch uns zu schaden suchen, ist nur in der Ordnung. Haben sie
Christus gehaßt, so müssen sie auch die seinen hassen; haben sie Ihn
der Teufelei verdächtigt, so auch uns. Aber das wird uns nicht hindern
zu sagen, wer Wojtyla und wer Mgr. Lefebvre ist, wenn sich das
erkennbar abzeichnet. Wir haben unsere Sache nicht auf Menschen
gestellt, sondern auf Gott!
Das Kloster Xeropotamou hängt mit dem Martyrium der Vierzig von Sebaste
zusammen. Ich will die Geschichte davon so erzählen, wie sie mir im
Kloster berichtet wurde: Die Heiden wollten die Christen in dieser
Stadt für ihren Glauben grausam bestrafen. Sie warfen sie in einen
Teich mit eiskaltem Wasser und zündeten rund herum große Feuer an,
damit alle, die sich vor dem Erfrieren retten wollten, an Land
verbrennen müßten. Die Christen ermahnten sich in dem Wasser, standhaft
zu bleiben; sie faßten einander bei den Händen und beteten zu Gott,
während die Heiden sich an dem Schauspiel ihres Todes ergötzten. Ein
einziger von denen, die in dem eisigen Wasser standen, versuchte sich
an Land zu retten; doch sogleich erfaßten ihn die Flammen und er
verbrannte. Über den vierzig Märtyrern aber erschien ein himmlisches
Licht und erleuchtete einen jeden. Einer der Heiden war so ergriffen
davon, daß er sich zu den Märtyrern gesellte - und sogleich fiel auch
auf ihn das himmlische Licht.
Sehen Sie, Herr Pfarrer Milch, so ist auch unsere Situation. Da steht
schon lange kein "großer Saal" mehr für uns bereit, sondern wir
erfrieren draußen, wo uns die Amtskirche im Stich gelassen hat. Wir
erfrieren dort, wenn wir es vorziehen, dort zu bleiben und uns nicht in
die "Welt" mit ihrer von den Reformern an die Stelle Gottes gesetzten
"Mitmenschlichkeit" zu retten, wo wir, wie wir sicher erkennen, im
Feuer verbrennen würden. Die "Welt", Reformer und Heiden in
brüderlichem Verein, schaut unseren Leiden nur zu und will unseren
Untergang. Aber keiner von uns muß sich aus unserer Mitte entfernen und
der Welt zugehen - denn ihn würden die Flammen sicher verzehren.
Solange wir in Treue bei der wahren Lehre Christi aushalten, werden wir
vom Himmel erleuchtet, auch wenn wir physisch zugrundegehen müssen -
und dieses Licht ist uns mehr wert als alle Säle der Welt, weil in
diesen nur mehr Belialsdienst zu finden ist .
Ihr heiligen vierzig Märtyrer von Sebaste, bittet für uns!
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