DIE LIBERALE NÄCHSTENLIEBE -
DIE SCHARFE WAFFE DES INDIFFERENTISMUS
von
Bruno Francois
(übers. von Dr. Ambros Kocher)
Der liberale Katholizismus ist nicht tot. Nicht bloß Modernismus und
Progressismus sind seine normalen Entwicklungsstadien. Aber es wäre
naiv anzunehmen, daß die sog. traditionalistischen Milieus, die der
Messe des hl. Pius V. treu gebliebenen Gruppen, keine liberalen
Katholiken aufwiesen, daß sie nicht beeinflußt würden zugunsten von
Kompromissen mit der postkonziliaren Revolution, daß sie sich nicht
dazu gedrängt fühlten, die Antiliberalen zu neutralisieren. Auf der
einen Seite lassen sich die Gegner nur selten die Gelegenheit zur
Infiltration entgehen, anderseits gibt es immer genug Katholiken, die
dem Kampfe aus dem Wege gehen, die stets dazu geneigt sind, ihr Ohr den
Predigern einer falschen Einheit zu leihen, welch letztere sie in ihrer
Schwachheit ermuntern.
Wenn wir nicht auf der Hut sind, wird die liberale Verführungskunst
auch uns mißbrauchen. Denn der Irrtum der liberalen Katholiken ist
hinterlistig. "Sie ist", sagt Pius IX., "viel gefährlicher als offene
Feindschaft, weil sie sich unter einem Schleier des Eifers und der
Liebe versteckt." (Pius IX., Breve vom 8. Mai 1873)
Im Namen der Nächstenliebe geißelt man die Unnachgiebigkeit, verurteilt
man die harten Angriffe gegen den Irrtum,weist man die Anprangerung
jener zurück, die das Schlechte verbreiten und die Lügen. Man sollte um
keinen Pries jemanden verletzen oder kränken, man sollte sich jeglichen
Tadels und jeglicher Verurteilung enthalten, sich dagegen Mühe geben,
jene Leute anzuziehen, die, wie man behauptet, lediglich als Verirrte
zu behandeln sind. Das größte aller Vergehen gegen die Nächstenliebe
bestünde darin, sie zu schockieren, ihnen Kummer zu bereiten, sie zu
bekämpfen. - Eine gewandte List! Sie ist dergestalt, daß sie,obschon
alt und seit langem bloßgelegt, noch eine große Zahl von Gläubigen
beeindruckt, die immerhin katholisch bleiben wollen.
Die wahre Liebe besteht darin, Gott über alles zu lieben und den
Nächsten wie uns selbst - aus Liebe zu Gott. Die Liebe ist nicht etwas
Unbestimmtes, mehr oder weniger romantisch, weinerlich und zart. Sie
besteht darin, das Gute für jene zu wollen, die man liebt. Und das
höchste Gut des Nächsten, das gemäß der Definition der Liebe mit dem
unsrigen identisch ist, das ist die ewige Seligkeit, und hier unten die
Mittel, um sie zu erlangen. Die Wahrheit ist diese Seligkeit, und das
erste Mittel, um es zu erreichen. Das erste Gut, das wir unserm
Nächsten geben müssen, ist also die Wahrheit, und wir haben die
Pflicht, ihm davon eine sichere Kenntnis zu geben und ihn vor allem zu
bewahren, was ihn davon abbringen könnte. - Nun aber stützt sich der
Irrtum nicht auf sich selber: um ersolgreich zu sein, bedarf er der
Hilfe und der Propaganda seitens scheinbar ehrenhafter, gescheiter und
ernsthafter Leute, die an ihrer "Ehrenhaftigkeit" hängen. Man muß also
den Mut aufbringen, sie zu kennzeichnen als das, was sie sind, und man
darf nicht zögern, sie als die schlimmsten Übeltäter, welche die Welt
tragen muß, zu bezeichnen. Unser Herr lehrt uns selber: "Fürchtet nicht
jene, die den Leib töten, aber die Seele nicht töten können, fürchtet
vielmehr jene, die Seele und Leib in die Hölle stürzen können" (Mt.
lo,28) Und weiter: "Hütet euch vor den falschen Propheten, die in
Schafskleidern an euch herantreten und die im Innern reißende Wölfe
sind." (Mt. 7,15). (Man muß freilich unterscheiden einerseits zwischen
einem mißbrauchten Menschen, der zur Hoffnung auf Bekehrung Anlaß gibt,
ohne Ärgernis zu erregen, - und jenem, der Irrtum verbreitet, obschon
gewarnt, und andere mit sich reißt. Dieser verdient die Bezeichnung
"falscher Prophet" und ist ein "Wolf in Schafskleidern.")
Unser Herr lehrt uns eine klare Praxis. Gegen die Pharisäer: Ärgernis
für das Volk "euer Inneres ist voll Laster und Untreue " (Lk. 11,39).
"Unglück über euch Pharisäer (Lk. 11,42)! Ihr seid übertünchte Gräber
... innen voll Fäulnis ... Natterngezücht." (Mt. 23,33) Abbé Berto
sagt: "Das Evangelium spricht bloß von Liebe. Sicherlich. Aber immerhin
enthält es Schmähungen, die an sich der Liebe des Evangeliums nicht
widersprechen. Und eine Liebe, die nicht jene des Evangeliums ist,
darauf pfeife ich." (La Pensée cathol. 45,46,77)
Die "charitains" (die auf Liebe schwören), wie sie Louis Veuillot
nennt, verstoßen gegen den hl. Paulus: "Die Liebe ist geduldig,
gefällig ... sie ist nicht eifersüchtig ... nicht ehrgeizig, sie sucht
nicht das Ihre, sie kennt keinen Zorn, sie stützt sich nicht auf das
Schlechte, sie leidet alles, glaubt alles, hofft alles, erträgt alles .
. . (1. Kor. 13,4f.) Aus diesem Lobgesang des hl. Paulus machen sie
eine schreckliche Karikatur.
"Siehe da, was die angeblich frommen und geistlichen Seelen daraus
machen! Die Liebe läßt alles geschehen, da sie geduldig ist. Sie liebt
zutiefst die Schamlosen, die Betrüger und die Kanaillen, sie
erleichtert ihnen sogar diskret die Erfüllung ihrer Aufgabe, denn sie
ist zuvorkommend. Sie verdammt nicht die ungerechten Erfolge, sie zollt
Beifall den usurpierten Emporkömmlingen, denn sie kennt weder
Eifersucht noch Neid. Sie gestattet die Entheiligung der hl. Dinge,
Dogmen und Riten, welche die hl. Kirche bewahrt hat. Sie läßt solche
Profanationen zu, denn sonst hieße es, sie suche das Ihre, und sie
würden in Zorn geraten,, Also muß sie sich gleichgültig zeigen
gegenüber dem, was ihr zukommt und vor jeder Aufregung hüten." (P.
Calmel, Les mystères de la grâce, 11,59). P. Calmel sagt: "Wer wirklich
liebt, muß die Werke der Gerechtigkeit tun; er muß in Zorn geraten und
selbst, wenn es nötig ist zuschlagen, denn es geht um die
Gerechtigkeit. Wer wirklich liebt, darf die Klugheit nicht vergessen;
er öffnet die Augen vor der Bosheit der Welt, den Irrtümern der
heutigen Zeit, vor den Helfershelfern Satans. Es springt in die Augen,
man braucht den Geist nicht umzusormen, um einzusehen, daß die
modernistischen Wölfe im Schafspelz niemand anders sind als
apostolische Personen, neugierig, im Grunde gut vorbereitet und kaum
angreifbar. Kurz gesagt, jener, der liebt, muß gerecht und klug sein,
Rächer und Verteichger der Schwachen, Wächter auf dem Turme. Das ist
nötig in unserem Tränental und muß solange dauern, solange die
streitende Kirche im edlen Kampf um den Glauben steht." (Calmel, 1.c,
58f.)
So verstanden es die Heiligen. Alle wapneten sich gegen Irrtum und
seine Stützen. Sie wußten alle, daß die Verteichgung des christlichen
Volkes über die irdische Liebe hinausgeht, und daß der Angriff gegen
die Häretiker das beste Mittel ist, diese zur Bekehrung zu führen.
Der hl. Paulus beschuldigt in folgenden Ausdrücken die kretischen
Schismatiker: "Ewige Lügner, üble Tiere, faule Bäuche", ( t i t . 1,12)
Auf Zypern warf Paulus, vom hl. Geist erfüllt, dem Magier Elymas vor:
"Sohn des Teufels, voll Falschheit und Bosheit jeder Art, Feind aller
Gerechtigkeit, hörst du nicht auf, die geraden Wege des Herrn zu
durchkreuzen?" (Acta 13,l0)
Unter Zurückweisung der Gnostiker (Valentin, Marcion, Kerintus)
schreibt der hl. Irenäus: sie vermochten nie ein heilsames Wort
auszusprechen. Denn ein jeder unter ihnen ist derart tief
verdorben-durch Verfälschung der Regel der Wahrheit -, daß er beim
Predigen errötet. (Irenäus adv.haer. 111,2,2) So sind die Leute, die
wir zu bekämpfen haben: Schleichend wie die Schlangen suchen sie auf
allen Seiten zu entweichen; deshalb muß man ihnen überall die Stime
bieten, in der Hoffnung, durch diesen Widerstand einige zur Wahrheit
zurückzuführen. Denn wenn es auch nicht leicht ist, jemanden zur
Sinnesänderung zu bringen, der vom Irrtum besessen ist, so ist es doch
nicht ganz unmöglich, daß der Irrtum schwindet, wenn man ihm die
Wahrheit gegenüberstellt." - Der hl. Augustinus schrieb ebenso, daß
"einige Verirrte bekämpft werden müssen mit einer harten Liebe". Gegen
Julian: "Entweder lästerst du vorbedacht, indem du Dinge ersindest,
oder, du weißt nicht, was du sagst, weil du Lügnern Glauben schenkst".
Er nennt solche Leute auch Betrüger, Lügner, falsche Geister . . . In
seinem Tadel gegen Johannden Faster, Patriarch von Konstantinopel wirst
ihm Gregor d.Gr. offen vor, er sei von weltlichem und verbrecherischem
Stolz besessen, er habe den Stolz Luzifers, spreche dumme Worte, sei
eitel und geistig beschränkt.
Der hl. Bernhard zögert nicht, den Manichäer Heinrich als listige
Schlange zu bezeichnen, ohne Tugend und Frömmigkeit, "schlechte Dornen
auf dem Felde des Herrn". Gegenüber Arnauld von Brescia, der den Einzug
der Kirchengüter und den Aufstand gegen die Kleriker predigte: "Sein
Mund ist voll Bitterkeit, er kennt den Weg des Friedens nicht, kurz, er
ist ein Feind des Kreuzes Christi." (Brief 195) "Er hat bloß Hunger und
Durst wie der Teufel nach dem Blute der Seelen, ein Monstrum mit
Taubenkopf, das Brescia erbrochen hat, das Rom verabscheut." (Brief 19)
Thomas v. Aquin bezeichnet Wilh. v. S.Amour und seine Anhänger als
"Feinde Gottes, Diener des Teufels, Glieder des Antichrists, Feinde des
Menschenheils, Verleumder, Gotteslästerer, Verworfene, Perverse,
Ignoranten, Nachäffer der Pharaone . . . " (c.impugn.Dei cultum).
Das genügt, man könnte weiteres anführen. Man vergesse die Warnung des
hl. Franz v. Sales nicht, berühmt als Ehrenmann, bezüglich der Feinde
Gottes und der Kirche: Diese soll man anprangern so viel wie möglich,
als Sektierer, Schismatiker . . . Es ist Liebespflicht "Wolf" zu
schreien, wenn er unter den Schafen weilt, wo immer es auch sein mag.
(Introd. 3,29)
Das sind die Nachahmer unseres Herrn. Ihre Unnachsichtigkeit resultiert
aus der Wichtigkeit der Wahrheit. Nur jene verteichgen sie, die sie
lieben. Wahrheit ist einzige Quelle des Glückes. Sie kann in einen
Gegensatz zur Liebe gestellt werden. Die Heiligen haben stets zur
Wahrheit ermuntert. Liberale Katholiken bekämpfen sie durch ihren
falschen Liebesbegriff. Die Liberalen haben das Schlechte gut
vollbracht und das Gute schlecht. (Veuillot)
Es war ein Übel, aus "Liebe" Falsches und Wahres nebeneinander zu
stellen. Die falsche Liebe der liberalen Katholiken hat zur Bildung des
Indifferentismus gewaltig beigetragen: in den Pfarreien, Schulen,
Familien, in allen Herzen. Wir sagen "falsche Liebe", denn sie liebt
den Mitmenschen nicht wirklich, sie ermuntert ihn im Irrtum, den er
verbreitet oder anhört.
Man muß sich entschließen, die Wahrheit zu proklamieren, den Irrtum zu
bekämpfen, mitsamt den falschen Propheten. So sagt der hl. Hieronymus:
"Die Hunde bellen für ihren Herrn, und du, willst du nicht, daß ich
belle für Christus?"
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